Systemtheorie Niklas Luhmann


Hausarbeit, 2000

18 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


1. Zur Person Niklas Luhmann

Niklas Luhmann ist am 8. Dezember 1927 in Lüneburg geboren worden und erlebte als Jugendlicher den 2. Weltkrieg. So war er 1944 mit 17 Jahren als Luftwaffenhelfer im Einsatz und geriet ein Jahr später in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Bereits 1946 konnte er jedoch das Studium der Rechtswissenschaften beginnen. Nach Beendigung seines Studiums ging Luhmann als Verwaltungsbeamter an das Oberverwaltungsgericht (OVG) in Lüneburg, von wo er 1955 als Landtagsreferent in das niedersächsische Kultusministerium wechselte. 1960 ließ sich Luhmann beurlauben und ging für ein Jahr in die USA an die Harvard Universität, wo er sich vor allem mit der Systemtheorie Talcott Parsons’ auseinandergesetzt hat und „im persönlichen Kontakt erfahren wollte, wie so eine große Theorie wie die von Parsons gebaut ist und woran sie scheitert, wenn sie scheitert“[1].

1962 arbeitete Luhmann nach seiner Rückkehr aus den USA als Referent an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer. 1964 wurde das erste Buch Luhmanns veröffentlicht („Funktion und Folgen formaler Organisation“). Ein Jahr später holte ihn Helmut Schelsky an die Dortmunder Sozialforschungsstelle, bevor er 1966 an der Universität Münster mit Hilfe von Schelsky und Dieter Claessens promoviert und habilitiert. Erst im Jahr 1968 wurde Luhmann Universitätsprofessor an der von Schelsky maßgeblich neu konzipierten Universität Bielefeld. In der Zeit kurz nach seiner Berufung war zunächst unklar, welchen Lehrstuhl Luhmann besetzen sollte. Er selbst entschied sich für den Lehrstuhl der Soziologie, da er sich so erhoffte, nicht auf einen Themenbereich festgelegt, sondern in allen Bereichen der Gesellschaft (Wirtschaft, Politik, Religion, Pädagogik etc.) tätig zu sein.[2] Vor allem die Zeit der späten 60er Jahre und der frühen 70er Jahre ist geprägt durch die Kontroverse mit dem Frankfurter Sozialphilosophen Jürgen Habermas. So entstand zum Beispiel der gemeinsame Band „Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie – Was leistet die Sozialforschung“ (1971). Die Kontroverse mit Habermas begründet auch den Ruf Luhmanns, ein „konservativer Denker“[3] zu sein. In der Fachöffentlichkeit trat Luhmann somit vor allem als „Anti-Habermas“[4] auf. Im Jahr 1984 erscheint das Hauptwerk Niklas Luhmanns, „Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie“, welches auch Luhmann selbst als sein Hauptwerk bezeichnet[5].

1988 erhält Niklas Luhmann den Hegel-Preis der Stadt Stuttgart. Zum Ende des Wintersemesters 1992/93 wird Luhmann emeritiert. Seine Abschiedsvorlesung am 9. Februar trägt den Titel: „Was ist der Fall? oder Was steht dahinter?“. In seinem Buch „Das Recht der Gesellschaft“ zieht er die Summe seiner bisherigen rechtssoziologischen Überlegungen.

Am 6. November 1998 starb Luhmann in Oerlinghausen bei Bielefeld. In seinem Nachruf auf Niklas Luhmann schreibt OLIVER JAHRAUS:

„Niklas Luhmann war und ist ein exzeptioneller Denker des 20. Jahrhunderts, dessen Bedeutung nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Seine Lebensspanne hat nicht ausgereicht, ihn ins nächste Jahrtausend hinübertreten zu lassen. Seine denkgeschichtliche Bedeutung ist unbestritten, mehr noch: noch gar nicht zu bestimmen.“[6]

2. Einleitung zur Systemtheorie

Neben der handlungstheoretischen und gesellschaftstheoretischen Konzeption hat sich seit den 70er Jahren vor allem die Systemtheorie in der Soziologie „als bedeutsam für die Analyse des Prozesses der Auseinandersetzung des Menschen mit seiner Umwelt erwiesen“[7]. Für Niklas Luhmann ist Systemtheorie „heute ein Sammelbegriff für sehr verschiedene Bedeutungen und sehr verschiedene Analyseebenen“[8].

Der Vorläufer der Systemtheorie findet sich in der funktionalistischen Theorie, die sich am ‚organismischen’ Modell der Beziehung zwischen Person und Umwelt orientiert. Gesellschaft steht hiernach in Analogie zu biologischen Organismen, soziale Prozesse werden als gleichgewichtsregulierende Wirkungszusammenhänge verstanden.

Diesen Gedanken hat TALCOTT PARSONS in eine allgemeine systemtheoretische Konzeption übertragen, in deren Mittelpunkt die Beziehung zwischen Individuum und Gesellschaft steht. „Parsons hat sich vor allem darum bemüht, die Mikroperspektive der individuell-psychischen Dynamik und die Makroperspektive gesellschaftlicher Sozialstrukturen in eine Synthese zu bringen.“[9]

Nach PARSONS tritt soziales Handeln niemals vereinzelt auf, sondern immer nur in speziellen Verbindungen und Konstellationen, welche dann als Systeme bezeichnet werden. Er unterscheidet dabei zwischen drei Systemen: Einem organischen, einem psychischen und einem sozialen System.

Das organische System ist die Ausgangsbasis aller Handlungsprozesse und die Grundlage dafür, dass alle physiologischen und psychischen Grundfunktionen erfüllt werden können. Das psychische System kontrolliert diese Antriebsenergien und lenkt sie in gesellschaftlich erlaubte oder vorgeschriebene Bahnen. Das soziale System dagegen entsteht aus den Beziehungsmustern zwischen verschiedenen Handelnden, die als Träger bestimmter sozialer Rollen fungieren. Diese sozialen Rollen sind durch normative Erwartungen definiert, die von anderen Gruppenmitgliedern, aber auch Institutionen ausgehen. Der Prozess der Sozialisation ergibt sich dadurch, dass der Handelnde diese Erwartungen schrittweise aufnimmt und sie für sich verinnerlicht. Dies geschieht solange, bis sich jener aus diesen eigene Motivierungskräfte und Ziele für das eigene Handeln ableitet.[10]

„ Sozialisation ist im Begriffsverständnis von Parsons der Vorgang der Übernahme und Verinnerlichung der Wertsetzung und Rollennormen der sozialen Umwelt. (...) Der Prozess der Sozialisation endet mit der Verinnerlichung des umfassendsten sozialen Systems, des Systems der Gesellschaft.“[11]

Die Abstimmung zwischen diesen drei Systemen ist die Voraussetzung für das Zustandekommen sozialen Handelns von Menschen. Dabei durchdringen sich die Systeme gegenseitig und pendeln sich auf ein Gleichgewichtszustände ein, welche sich z.B. dadurch äußern, „dass die kognitive und motivationale Struktur eines Menschen sich in Übereinstimmung mit den Strukturen des sozialen Systems (...) befindet“[12]. Das bedeutet also, dass der Mensch die gesellschaftlichen Erwartungen in allen, oder zumindest fast allen, Bereichen für sich annimmt. Für Parsons ist diese Gleichgewichtsvorstellung als Zielzustand jedes einzelnen Systems zu sehen. Die Sozialisation ist für ihn ein „gleichgewichtsstabilisierender Mechanismus“[13].

[...]


[1] G. Kneer, A. Nassehi: Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme. Eine Einführung, München 1993, S. 10. (im folgenden zitiert als: G. Kneer, A. Nassehi: Niklas Luhmanns Theorie.)

[2] vergl. W. Reese-Schäfer: Luhmann zur Einführung, 1. Auflage, Hamburg 1992, S. 7. (im folgenden zitiert als: W. Reese-Schäfer: Luhmann zur Einführung.)

[3] G. Kneer, A. Nassehi: Niklas Luhmanns Theorie, a.a.O., S. 11.

[4] G. Kneer, A. Nassehi: Niklas Luhmanns Theorie, a.a.O., S.11.

[5] vergl. H. Staubmann: Sozialsysteme als selbstreferentielle Systeme: Niklas Luhmann, in: J. Morel (u.a.): Soziologische Theorie. Abriß der Ansätze ihrer Hauptvertreter, 6. unwesentlich veränderte Auflage, München, Wien 1999, S. 218. (im folgenden zitiert als: H. Staubmann: Sozialsysteme.)

[6] O. Jahraus: Nachruf auf Niklas Luhmann, aus: www.medienobservationen.uni-muenchen.de/Luhmann.html, München 1998.

[7] K. Hurrelmann: Einführung in die Sozialisationstheorie. Über den Zusammenhang von Sozialstruktur und Persönlichkeit, 5., überarbeitete und ergänzte Auflage, Basel 1995, S. 40. (im folgenden zitiert als: K. Hurrelmann: Einführung in die Sozialisationstheorie.)

8 N. Luhmann: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, 1. Auflage, Frankfurt 1987, S. 15. (im folgenden zitiert als: N. Luhmann: Soziale Systeme.)

[9] K. Hurrelmann: Einführung in die Sozialisationstheorie, a.a.O., S. 41.

[10] K. Hurrelmann: Einführung in die Sozialisationstheorie, a.a.O., S. 41f.

11 K. Hurrelmann: Einführung in die Sozialisationstheorie, a.a.O., S. 42.

[12] K. Hurrelmann: Einführung in die Sozialisationstheorie, a.a.O., S. 42.

[13] K. Hurrelmann: Einführung in die Sozialisationstheorie, a.a.O., S. 43.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Systemtheorie Niklas Luhmann
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel  (Institut für Politische Wissenschaft, Kiel)
Note
2,0
Autor
Jahr
2000
Seiten
18
Katalognummer
V1375
ISBN (eBook)
9783638108515
Dateigröße
405 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Systemtheorie, Niklas, Luhmann
Arbeit zitieren
Thomas Reith (Autor:in), 2000, Systemtheorie Niklas Luhmann, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1375

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