Bevor ich nicht Stefan Heyms Autobiografie „Nachruf“ gelesen hatte, war mir nie der Gedanke gekommen, dass die von ihm in seinen literarischen Werken geübte Kritik am damaligen politischen System ähnlich wie ein Roman oder eine Dichtung eine besondere, eine frühe Berufung sein könnte. Ich glaubte damals, und glaube immer noch, dass man meist auf Umwegen zu ihr gelangt,...
Traum eines Schriftstellers, Kritikers und Politikers
Über Stefan Heym / Von Stepanka Neumann
Bevor ich nicht Stefan Heyms Autobiografie „Nachruf“ gelesen hatte, war mir nie der Gedanke gekommen, dass die von ihm in seinen literarischen Werken geübte Kritik am damaligen politischen System ähnlich wie ein Roman oder eine Dichtung eine besondere, eine frühe Berufung sein könnte. Ich glaubte damals, und glaube immer noch, dass man meist auf Umwegen zu ihr gelangt, dass sie oft zu Anfang Ergebnis eines eigenes Bildes, einer eigenen Vorstellung, eines Trostes oder auch Folge einer Resignation ist. „Ich bin Schriftsteller. Man kann Literatur nicht vom Leben trennen und das Leben nicht von der Politik; daher hat denn alles, was ich geschrieben habe, auch einen politischen Inhalt; bei mir handelt dieser von Freiheit und Gerechtigkeit“, schreibt Heym 1994.
Im Herzen jedes Kritikers verbirgt sich im Grunde genommen ein gescheiterter Künstler. Dabei unterschätze ich keineswegs dieses literarische Genre, das auch ich mit einer gewissen Beständigkeit praktiziere und gerade Stefan Heym gehört zu jenen Autoren, die ich sehr bewundere. Aber dennoch besteht kein Zweifel, dass er und die große Mehrheit seiner Kollegen in gewisser Weise auf einem Umweg zur Kritik kamen, über ihren Glauben, deren frühere literarische Schöpfung, über ihre erste Liebe, über eine zielstrebige Verwirklichung, einen weitreichenden Beschluss, über ein zumindest zum Anfang unzerstörbares Vertrauensverhältnis, von dem sie sich möglicherweise verzweifelt und enttäuscht, begründet oder unbegründet abwandten und dass somit stets eine gewisse Wehmut die Essays durchdringt.
Bei Stefan Heym war es anders. Er war noch ein Jugendlicher, kaum erwachsen, und doch wusste er in seiner Begeisterung für die deutsche Nation und für sein Land schon zu jener Zeit, was er im Leben einmal werden wollte: Schriftsteller. Ein Schriftsteller und Literat, der sein Leben und seinen Glauben nicht von seiner literarischen Schöpfung trennt. Sein gesunder, bereits in der Kindheit spürbarer Ehrgeiz war in seinem Leben zugleich mit existenziellen Schwierigkeiten verbunden und hatte in gewisser Weise etwas Utopisches. Denn der junge Mann, der von Thomas Manns Romanen und Heinrich Heines Dichtung verzaubert war, war Jude, und in Deutschland, wo sich seine Familie damals im sächsischen Chemnitz niedergelassen hatte, drang Hitler an die Macht und mit dem Nationalsozialismus begann eine Politik der ethnischen Säuberung und fatalen Judenverfolgung. Als Stefan Heym von seiner Schul- und Studentenzeit und von seiner Flucht über die Tschechoslowakei nach Amerika erzählte, war er davon überzeugt, dass jeder politisch und moralisch ernst zu nehmende Schriftsteller dazu aufgerufen ist, sich für die Ziele einer besseren Gesellschaft und damit für die Ideale des Friedens, der Menschlichkeit und Gerechtigkeit einzusetzen. Seine Bezugnahme auf Sartres Vorstellung einer litt é rature engagée, nach der ein Schriftsteller auf der Seite der Revolution kämpfen sollte und Kritik auszuüben habe, verkörpert dieses eindrucksvolle Bekenntnis. So werden Personen zur Persönlichkeiten, und sie sind nicht irgendwo, sie weilen dort. Ein wahrhaft außergewöhnlicher Mensch: Der Jugendliche, der in der Kaiserzeit geborene Jude, der Bewunderer der deutschen Sprache und Literatur, den das Land in den 40er Jahren vertrieb, in den 50er Jahren zurückbekam, in den 60er Jahren verfolgte, in den 70ern beschuldigte, verurteilte und dem anschließend als Schriftsteller der Boden unter den Füßen entzogen wurde. Mit unverminderter Liebe für die großen deutschen Literaten des undankbaren Landes kommt er nach Deutschland zurück, wo er einige Jahrzehnte später zum Alterspräsidenten des Bundestages gewählt wird und seinen schwer erlangten Ruhm bis zu seinem Tod genießt. Was für einen wunderbaren Roman; was für eine Verfilmung könnte man aus dieser weltweit umspannenden Lebensgeschichte machen!
Allerdings geht aus Stefan Heyms Zeugnis eindeutig hervor, dass ihm der Triumph als Literatur- und Systemkritiker keinesfalls immer zu einer sympathischen Sicht auf Literaten, führende politische Parteien oder auf die Bevölkerung verhalf. So behauptet er kategorisch, dass das Aufeinanderprallen der Worte, Freiheit gegen Freiheit, Wahrheit gegen Wahrheit, Gleichheit gegen Gleichheit am Ende zu einer furchtbaren Sinnentwertung, zum Nihilismus, führen könnte. Im Namen dieser zu Parolen degradierten Wörter, im Namen der zur Staatslüge umgewandelten Wahrheit. Auch nach Bourdieu birgt Sprachmissbrauch immer zugleich auch Machtmissbrauch mit sich, wie sich im Jahr 1989 bestätigte. Schließlich sei die Bevölkerung der ostsozialistischen Länder durch die Sprachenenteignung auch politisch missbraucht worden.
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- Dr. phil. Stepanka Neumann (Author), 2009, Traum eines Schriftstellers, Kritikers und Politikers - Über Stefan Heym, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/137514