Begründbarkeit von Forderungen aus PISA für Reformen des Bildungssystems


Seminararbeit, 2009

43 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Anforderungen der heutigen Wissensgesellschaft
2.1 Bildung
2.1.1 Was soll Schule leisten?
2.1.2 Bildungsstandards
2.2 Schlüsselqualifikationen
2.2.1 ... aus berufspädagogischer Sicht
2.2.2 ... aus bildungstheoretischer Sicht
2.3 Kompetenzen
2.3.1 Kompetenzstrukturmodell und Kompetenzniveaumodell
2.3.2 Erfassung spezifischer Kompetenzen in PISA
2.4 Zusammenfassung

3 PISA (Programme for International Student Assessment)
3.1 Kompetenzen
3.1.1 Lesekompetenz
3.1.2 Naturwissenschaftliche Kompetenz
3.1.3 Mathematische Kompetenz
3.1.4 Problemlösungskompetenz
3.2 Zusammenfassung

4 PISA und das deutsche Bildungssystem
4.1 Messverfahren & Ergebnisse
4.2 Reaktionen auf die Studien
4.3 Herausforderungen für ein neues Bildungssystem
4.4 Bedeutung Schulischer Kompetenzen für Erwerbsverläufe

5 Resümee

6 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Mit der Veröffentlichung der Ergebnisse aus der ersten PISA-Studie (Programme for International Student Assessment) aus dem Jahr 2000 setzte auch in Deutschland eine Diskussion um die Leistungsfähigkeit des nationalen Bildungssystems ein. Es wurden Ursachen für das unerwartet schwache Abschneiden der deutschen Schülerinnen und Schüler gesucht.

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, welche Forderungen sich anhand der in PISA getesteten Kompetenzen zum einen für eine mögliche Reform des deutschen Bildungssystems und zum anderen für die (Aus-) Bildung junger Menschen stellen lassen. Darüber hinaus wird zu überprüfen sein, ob die getesteten Kompetenzen tatsächlich das Erreichen eines bestimmten Bildungsniveaus sichern und somit jungen Menschen ein Wissen an die Hand gibt, um erfolgreich im (Erwerbs-) Leben bestehen zu können.

Das erste Kapitel befasst sich mit den Begriffen Bildung, Schlüsselqualifikationen und Kompetenz. Hierzu werden verschiedene Konzepte und Definitionen gegenübergestellt, um letztendlich die Anforderungen einer modernen Wissensgesellschaft an ihre Menschen darstellen zu können.

Das zweite Kapitel stellt die in PISA getesteten Basiskompetenzen (Lesekompetenz, Mathematische Kompetenz, Naturwissenschaftliche Kompetenz) dar. Zusätzlich wird das Konzept der Problemlösungskompetenz beispielhaft für den Bereich der Fächerübergreifenden Kompetenzen erläutert.

Im letzten Kapitel der Arbeit werden Reaktionen auf PISA, Reformvorschläge für das Bildungssystem und Bewertungen der Studie gegenübergestellt. Es werden Vorschläge aufgezeigt und Kriterien erläutert, anhand derer eine Reform des deutschen Bildungssystems erfolgen könnte bzw. sollte.

Das abschließende Resümee gibt einen Überblick über die gesamte Arbeit und bringt die wesentlichen Ergebnisse auf den Punkt und stellt einen Zusammenhang der verschiedenen Aspekte her.

2 Anforderungen der heutigen Wissensgesellschaft

Spätestens auf dem EU-Gipfel in Lissabon im Jahr 2000 hat sich der Begriff der Wissensgesellschaft im gesellschaftlichen Diskurs etabliert. Die Aufwertung des Dienstleistungsberufes gegenüber der Tätigkeit in der industriellen Fertigung und die zunehmende Bereitschaft zum lebenslangen Lernen machen die Bedeutung des Wissens für Wohlstand und Wertschöpfung deutlich. Individuen und Organisationen werden nur zukunftsfähig sein, wenn sie in der Lage sind die eigene Lernfähigkeit zu erhalten und das erworbene Wissen flexibel im jeweiligen Kontext anwenden zu können. Die Wissensgesellschaft nutzt verfügbare Kenntnisse dazu bewusste und sinnhafte Handlungen zu initiieren und diese reflexiv beurteilen zu können. Das Anhäufen von Informationen wird durch deren produktive Verwendung ergänzt. Lebenslanges Lernen stärkt hierbei die Autonomie des Individuums und wird von außen durch dessen berufliche Notwendigkeit verstärkt (vgl. Arnold & Tutor, 2007a, S. 11-14).

Welche Anforderungen die Gesellschaft an ihre Mitglieder stellt, ist eine Frage, die bildungstheoretisch nicht eindeutig geklärt werden kann. Selbst die Mehrheit von Experten lag in der Vergangenheit mit ihren Prognosen teils sehr weit neben der tatsächlichen Entwicklung. Folglich erscheint eine Begründung von (Bildungs-) Inhalten anhand einer vermuteten zukünftigen Anwendungssituation wenig sinnvoll. Alternativ scheint es viel versprechender, subjektive Voraussetzungen zu schaffen, damit der Einzelne die Qualifikationen und Kompetenzen für eine individuelle Anpassung an sich verändernde Bedingungen erwirbt. Da der gesellschaftliche Wandel und damit seine Anforderungen kaum prognostizierbar sind, kann man dazu übergehen eine Lebensvorbereitende „Ausbildung“ gänzlich abzulehnen. In jungen Jahren wird somit eine subjekt- und Persönlichkeitsorientierte (Charakter-) Bildung, im Erwachsenenalter das spezifische Know-how vermittelt. Damit besonders die zweite Phase erfolgreich verlaufen kann, ist ein veränderter Umgang mit Wissen notwendig. Man spricht von „Wissensmanagement“. Die Verfügbarkeit von individuellen und kollektiven Wissen muss so kooperativ gestaltet sein, dass es für alle zugänglich ist und alle (z.B. innerhalb einer Organisation) davon profitieren können. Wissen wird in diesem Zusammenhang als Gesamtheit strukturierter und zusammenhängender Informationen bezeichnet. Es ist ein soziales Produkt – durch gesellschaftliche Teilhabe des Individuums an Wissen und dem Kampf um die besten Erklärungen bzw. Argumente geschaffen. Ausgehend von der Vorstellung, dass Bildung eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung des Individuums und der Gesellschaft spielt, ergibt sich ein Bildungsbegriff, der Bildung als Kern der Persönlichkeitsentwicklung und der Gemeinschaft versteht. Jeder soll in die Lage versetzt werden seine Talente und Potenziale voll ausschöpfen zu können. Hierzu ist eine systematische Förderung und Entwicklung der individuellen Lernfähigkeit zwingend notwendig. Bildung kann demnach nicht mehr als etwas, dass sich durch inhaltliches Lernen ergibt verstanden werden, sondern muss als zu entwickelnde und zu fördernde Kompetenz aufgefasst werden. Um Kompetenzen entwickeln zu können, müssen Logik und Situation der Lernsituationen denen der Lebenssituationen annähernd entsprechen. Die Art und Weise der Inhaltsbegegnung, -erschließung und –aneignung (und somit die Lernmethoden) sind entscheidend, ob Handlungskompetenzen erworben werden oder nicht. Wissen spielt in diesem Zusammenhang im Problemlösungsprozess eine wichtige Rolle, aber keinesfalls in traditioneller Form von „trägen Wissen“. Darüber hinaus werden Lernstrategien, Haltungen und Kooperationsroutinen entscheidend. Aus dem bisher erörterten ergibt sich die Schlussfolgerung, dass die Leistung von Schulen und anderen Bildungseinrichtungen nicht daran gemessen werden sollte, was ihre SchülerInnen faktisch wissen oder nicht-wissen, sondern ob es diesen gelingt, jungen Menschen Möglichkeiten zur Entwicklung von Kompetenzen zu verhelfen. Die aktuell geführte Debatte in der Bildungspolitik und Administration ist maßgeblich durch Anpassung von Lehrplänen, Ausbildungs- oder Studienordnungen bestimmt. Diese betrifft maßgeblich die Inhalte Dimension von Bildung und führt zu einer besseren Mess- und Vergleichbarkeit von Schülerleistungen. Auch die Debatte um Bildungsstandards geht in dieselbe Richtung. Beides trägt wenig zur Ausbildung von Kompetenzen im Bildungssystem bei. Bildung und Kompetenz kann nicht von außen in einer Person hervorgerufen werden. Dies ist ein subjektiver Prozess, der von jedem Menschen selbst geleistet werden muss und der lediglich durch entsprechende Rahmenbedingungen und Lernarrangements verstärkt werden kann (vgl. Arnold & Tutor, 2007a, S. 14-26).

2.1 Bildung

Der Begriff der Bildung wird immer wieder diskutiert. Trotz des teilweise sehr unterschiedlichen Verständnisses was mit dem Begriff gemeint gibt es grundlegende Spezifikationen. Es werden allgemeine und berufliche Bildung unterschieden – ebenso zweckfrei und zweckgebundene Bildung. Allgemeine Bildung ist frei von Gesellschaft und Nützlichkeitserwägungen und hat den einzelnen Menschen im Fokus seiner Betrachtung. Charakterbildung, Bildung zur Persönlichkeit und Menschenbildung zielen auf Selbstentfaltung und Selbstvollendung des Menschen ab. Diese Bereiche Sprache, Literatur, Wissenschaft und Kunst des Humanistische Bildungsideal führen zu einer Auseinandersetzung mit der Welt und dienen bis heute wenig der Vermittlung Berufsbildender Inhalte. Allgemeinbildung soll zu Selbstbestimmungs-, Mitbestimmungs-und Solidaritätsfähigkeit sowie gewissen Kritikfähigkeit führen. Berufliche Bildung bezieht sich primär auf die ökonomische Verwertbarkeit von Bildung und auf das gesellschaftliche System von Arbeit. Das Individuum soll qualifiziert werden, um am sozialen und wirtschaftlichen Prozess teilhaben zu können. Die Schlüsselprobleme des Berufes sind im dualen Bildungsgang zu thematisieren. Beide Teilbereiche verstehen die Bildung als Auseinandersetzung zwischen Mensch und Umwelt und befähigen das Individuum dazu, allgemeine bzw. besondere Lebenssituationen bewältigen zu können (vgl. Behrmann, 2006, S. 9-14).

In der Realität beeinflussen sich allgemeine und berufliche Bildung gegenseitig, da sich das Individuum in beiden Lebenswelten bewegt. Um dem nur sehr bedingt prognostizierbaren gesellschaftlichen und betrieblichen Wandel begegnen zu können ist es daher notwendig, auf fachübergreifende und Persönlichkeitsbildende Schlüsselqualifikationen zu setzen. Die daraus entstehenden Kompetenzen dienen der Erfassung und Lösung von Problemen, zur Verständigung und Kooperation, zur Selbstorganisation, zu Situationsbezogenen Handeln und zu Partizipation (vgl. Behrmann, 2006, S. 18-21).

Der Bildungsbegriff erlebte nach einer Hochphase in den 1970er Jahren und einem anschließenden Bedeutungsverlust im Rahmen der Diskussion um „Bildungsstandards“ erneut an Bedeutung. Bildung wird dabei als „autonome bzw. eigensinnige Aneignung von Welt oder [...] – als individuell je eigenständige Einheit von Selbst- und Welterkenntnis“ (Arnold & Tutor, 2007b, S. 32) verstanden. Bildungskonzepte enthalten stets eine gewisse Normativität, ob man über Bildung, Halb-Bildung, oder Nicht-Bildung „verfügt“. Der Bildungsprozess unterliegt gesellschaftlichen, ökonomischen und institutionellen Bedingungen. Eine Definition der inhaltlichen Definition von Bildung ist daher nicht möglich. Formal kann Bildung als komplexer Prozess verstanden werden, der wünschenswerte Persönlichkeitsstrukturen hervorbringen soll. Worin diese inhaltlich bestehen, ist in den jeweiligen gesellschaftlichen Umständen stets neu zu definieren (vgl. Arnold & Tutor, 2007b, S. 31-34).

Das heutige pädagogische und insbesondere das berufspädagogische Denken werden vom Begriff der Schlüsselqualifikationen geprägt. Hierbei sollen die Qualifikationen identifiziert werden, welche eine Kompetenzentwicklung des Einzelnen bis hin zu lebenslangen Lernen ermöglicht. Durch eine systematische Förderung soll eine Selbstlernkompetenz entwickelt werden, um selbstständig Informationen und handlungsrelevantes Wissen erschließen zu können.. Dem Lernenden müssen demnach lediglich „Lehr- und Lernarrangements“ zugänglich gemacht werden, damit sich Schlüsselqualifizierende Kompetenzen herausbilden können. Es kommt auf das Zusammenspiel von Methodenkenntnis und dem Zusammenhangs-und Beurteilungswissen an. Es ist wenig zielführend, wenn man zwar den formalen Algorithmus zur Beurteilung einer Behauptung beherrscht, über Verschiedenen Positionen und Argumente aber keine Kenntnisse verfügt. Besonders zum Aufzeigen von Standpunkten und Argumenten ist der Lehrende notwendig, der die Argumente oder Argumentationspfade des Lernenden stört, um dessen Begründungskompetenz herauszufordern. Zur Herausbildung von Sozialkompetenz und Methodenkompetenz kann der Lehrende weitaus mehr in den Hintergrund rücken. Die Schüler können zunehmend lernen selbst Verantwortung für den Lernprozess zu übernehmen und Konflikte innerhalb der Lerngruppe zu lösen. Die Methode des Lernens besteht darin, dass anhand von Inhalten gelernt wird zu lernen. Dies kann vom rein passiven Aufnehmen des Lernstoffes bis hin zur Entwicklung eigener Fragestellungen reichen. Dabei geht man von einem von außen aufgezwungenen Lernen weg, hin zu einem Selbstmotivierten Lernen indem der Lernende Lernwege und Lernprozesse selbst (mit-) bestimmen kann (vgl. Arnold & Tutor, 2007b, S. 47-54).

2.1.1 Was soll Schule leisten?

Schon in der Antike wurde mit dem Ausspruch „nicht für die Schule, sondern für das Leben lernt man“ die Aufgabe der Schule kurz und prägnant dargestellt. Schule hat demnach das Ziel SchülerInnen mit einem möglichst lebenslang geltenden Vorrat auszustatten. Wissenschaft, Wirtschaft und Medien hingegen legen großen Wert auf Aktualität. Somit entsteht ein Konflikt zwischen der Institution Schule und der sie umgebenden Welt. Es stellt sich demnach die Frage, wie die Institution Schule ihren SchülerInnen etwas Dauerhaftes und Zeitunabhängiges in die Hand geben kann ohne gleichzeitig den Bezug zum wirklichen Leben zu verlieren. Wie bzw. woran die häufig geforderten Schlüsselqualifikationen in der Schule vermittelt werden sollen, betrifft die Frage nach den Inhalten des Unterrichts. Humboldts Überzeugung im Bildungsprozess sich möglichst viel an möglichst wenig anzueignen entspricht der heutigen Ansicht, dass Informationen erst dann zu Wissen werden, wenn sie individuell verarbeitet und verfügbar gemacht hat. Daher ist es zwingend notwendig die heutige Informationsflut frühzeitig zu kanalisieren. Eine der wichtigsten Voraussetzungen hierfür ist die Beherrschung der jeweiligen Sprache auf einem entsprechenden Niveau (vgl. Adam, 2002, S. 31-39).

Der „High-Tech-Standort Deutschland“ basiert auf gewissen Wissens- und Bildungsstand seiner Bevölkerung. Insbesondere das Schulsystem geriet in die Kritik, weil es seiner Aufgabe – der Vermittlung dieser Grundlagen – nicht nachkäme. Es stellt sich daher die Frage, was im deutschen Bildungssystem schief läuft und wo die Gründe dafür liegen, dass die Schule ihrer Aufgabe nicht nachkommt bzw. nachkommen kann.

Es ist für Schule notwendig, sich auf ihre Kernaufgaben zu konzentrieren. Die Begriffe Bildung (Wissen, Können, Urteilen) und Erziehung (Wollen, Handeln) sollten in ihrem Verständnis den Anforderungen der modernen Wissensgesellschaft und dem damit verbundenen „lebenslangen Lernen“ angepasst werden. Die Institution Schule hat im Bildungssystem eine besondere Bedeutung, weil es die einzige Institution ist, die alle Teile der Bevölkerung einer entsprechenden Altersgruppe erreicht. Sie muss sich weder am Markt behaupten und somit dem Zeitgeist entsprechend attraktive Angebote machen, noch ist sie eine Privatsache (wie zum Beispiel die Familie) – es kann vom Staat steuernd und richtungweisend auf Schule eingewirkt werden (vgl. Gauger, 2002, S. 103-107). Der Bildungsauftrag von Schule wird insbesondere im Kontext der modernen „Wissensgesellschaft“ begründet. Die erste Facette dieser Begründung besteht aus der Notwendigkeit der „hochkarätigen Wissensproduktion“ für die Anforderungen zukunftsträchtiger Arbeitsplatzstrukturen. Darüber hinaus ist die Wissensgesellschaft aber darauf angewiesen, dass ihre Bürger politische und gesellschaftliche Beziehungen gestalten können. Darüber hinaus hat Bildung die Aufgabe eine Gesellschaft zusammenzuhalten, um eine gänzliche Abspaltung der „Wissenselite“ zu verhindern. Schule sollte für diesen gesellschaftlichen Ausgleich sorgen können. In diesem Zusammenhang muss diskutiert werden, was Schule inhaltlich vermitteln soll, damit das Individuum die Möglichkeit bekommt am gesellschaftlichen Diskurs teilnehmen zu können (vgl. Gauger, 2002, S. 107­109). Die hiermit verbundene Bildung der Persönlichkeit lässt sich mit den Schlüsselbegriffen Anpassung, Kritikfähigkeit, Engagement, Kompetenz, Reflexion und Verantwortung beschreiben. Insbesondere die rasche Veränderung vieler Lebensbereiche macht es erforderlich, dass SchülerInnen eine Persönlichkeit entwickeln können, um sich in der Welt zurechtzufinden. Damit allen jungen Menschen, unabhängig vom sozialen Umfeld, dies ermöglicht werden kann, müssen alle dieselben Chancen erhalten. Hierzu ist es insbesondere notwendig soziale oder familiäre Defizite einzelner Bevölkerungsgruppen auszugleichen und somit für eine Integration in die Gesellschaft zu sorgen. Darüber hinaus ist eine Differenzierung notwendig, um auch eine Chancengerechtigkeit zu erreichen. Nur auf diesem Wege ist es möglich den SchülerInnen Erfolgserlebnisse zu vermitteln, indem sie weder über-noch unterfordert werden (vgl. Gauger, 2002, S. 109-111). Damit SchülerInnen nach dem Abschluss ihrer Schullaufbahn über eine umfassende Berufsfähigkeit verfügen, müssen elementare Kenntnisse und Fähigkeiten in wichtigen Lern- und Lebensbereichen wie Sprache bzw. Fremdsprache, Mathematik, Naturwissenschaft, Politik und Wirtschaft und im Umgang mit IT-Technologien, vorhanden und jederzeit abrufbar sein. Bildung geht über die Berufsfähigkeit insofern hinaus, dass sie eine gewisse Allgemeinbildung voraussetzt, welche erst einen umfassenden Zugang zur Welt ermöglicht. Allgemeinbildendes Wissen kann dabei nicht beliebig sein, sondern hat den Zweck die Welt zu strukturieren und zu erschließen – es muss somit grundlegend und repräsentativ sein (vgl. Gauger, 2002, S. 111f). Die immer kürzer werdende „Halbwertzeit“ des Wissens bezieht sich primär auf technisch-instrumentalisierbares Wissen. In Bereichen wie dem religiösen, ethischen, historischen, literarischen, sprachlichen, mathematischen und teils auch naturwissenschaftlichen Wissen bleiben die Grundzüge erhalten. Darüber hinaus ist es sehr viel wichtiger wie man lernt und nicht was. Der „Weg soll das Ziel“ sein, d.h. es muss gelehrt werden, wie man lernt. Hierbei ist insbesondere das soziale Lernen von enormer Bedeutung, denn dies trägt zur Bildung der Persönlichkeit sehr stark bei (vgl. Gauger, 2002, S. 114f).

2.1.2 Bildungsstandards

Die Diskussion im Deutschland nach PISA, welches Verständnis von Bildung der heutigen Zeit angemessen wäre und ob es gar für die unterschiedlichen Schulformen unterschiedliche Konzepte geben müsse, veranlassten die Kultusministerkonferenz der Länder (KMK) gemeinsame Bildungsstandards zu verabschieden. Aus der Bildungsforschung abgeleitete „Bildungsstandards“ und „Kompetenzmodelle“ fragen nicht mehr danach was Bildung bedeutet, sondern wie man das aktuelle Niveau operationalisieren kann. Bildungsstandards sollen helfen ein einheitliches Niveau von Kompetenzen zu entwickeln. Das schulische Lernen wird auf PISA und ein damit erhofftes besseres Abschneiden deutscher SchülerInnen in der Studie fokussiert – das Konzept der Allgemeinbildung verliert zunehmend an Bedeutung. Die traditionelle allgemeinpädagogische Erziehungswissenschaft verliert in diesem Zusammenhang zunehmend an Bedeutung und wird von einer direkt in die Praxis umsetzbaren empirischen Bildungsforschung abgelöst. Ob und wenn ja – wie die gemeinsame Expertise von KMK und BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung) der „Entwicklung nationaler Bildungsstandards“ wird im Folgenden zu erörtern sein (vgl. Gruschka, 2007, S. 9-11).

Das Argument, dass Bildungsstandards die Bildung nur auf die Standards reduzieren würden ist kaum nachvollziehbar. Schließlich ähneln sich Kerncurriculum und Basisfähigkeiten, die bisher von Schulen vermittelt werden, sehr stark den Inhalten der Bildungsstandards. In beiden Fällen seien vom Subjekt erworbene Fähigkeiten zu verstehen, die zur Gestaltung der Gesellschaft und zum selbstständigen Lernen befähigen. Kompetenzen und Bildung haben gemeinsam, dass beide allgemein verwendbar und nicht auf spezifische Aufgabenbereiche beschränkt sind. Kompetenzen beschreiben Fähigkeiten systematisch und in operationalisierten Form, auf die der Bildungsbegriff hin abzielt. Entscheidend ist, wie die Operationalisierung und die Stufung der Kompetenzen theoretisch Begründet sind. Bei der Überprüfung von Kompetenzen im Rahmen von PISA und ähnlichen Studien geht es in erster Linie darum, ob ein Schüler eine Aufgabe lösen kann – somit also über entsprechende Kompetenzen verfügt – oder nicht. Welche Gedanken sich der Schüler beim Lösen der Aufgabe macht, wird nicht abgefragt. Der Lösungsweg einer Aufgabe wird nicht erfasst und somit entscheidet das Erreichen der Musterlösung über Nicht-/Vorhandensein der entsprechenden Kompetenz. Das Bildende wird gänzlich aus dem Auge verloren und es bleibt nur die Testierung unterschiedlicher hierarchisch angeordneter Fähigkeiten zurück. Ein Schüler, der eine entsprechende Aufgabe lösen kann, verfügt demnach über alle Fähigkeiten des entsprechenden Aufgabentyps. Das Entscheidende, um vorhandene Kompetenzen weiter zu entwickeln und neue herauszubilden besteht in der Regel darin, die vorhandenen Kompetenzen neu- oder umzubauen. Um Kompetenzen hierarchisch strukturieren zu können ist demnach ein Modell der Kompetenzentwicklung notwendig, welches beschreibt, wie die einzelnen Kompetenzen voneinander abhängig sind (vgl. Gruschka, 2007, S. 12-20).

2.2 Schlüsselqualifikationen

Das Konzept der Schlüsselqualifikationen scheint, im Gegensatz zu dem der Fachqualifikationen, seit den 70er Jahren bisher nur unzureichend konkretisiert worden zu sein. Dies wirft die Frage nach grundlegenden Unterschieden beider Konzepte bezüglich ihrer Vorbedingungen bzw. Erwartungen an zukünftige Didaktisierung und Thematisierung auf. In der didaktischen Diskussion stellt sich die Frage, ob das lernende Subjekt oder die objektiven Sachstrukturen im Mittelpunkt stehen. Um einen möglichst reibungslosen Übergang der Heranwachsenden aus dem Bildungssystem in das Beschäftigungssystem zu gewährleisten, orientierten sich Bildungsgänge sehr stark an der Vermittlung vermeintlich wichtiger fachlicher Anforderungen der Arbeitswelt wodurch die Entwicklung personenbezogenen Schlüsselqualifikationen vernachlässigt wurden. In den 80er Jahren wurde begonnen Schlüsselqualifikationen stärker auf das Lern-Subjekt zu definieren. Der Erwerb von Schlüsselqualifikationen wurde nach diesem Konzept an ein Netzwerk persönlicher, sachlicher und situativer Zusammenhänge dargestellt. Um Schlüsselqualifikationen erwerben zu können, ist es für das Individuum hiernach entscheidend, dass es konkrete Situationen subjektiv zu konstruieren lernt. Neben dem fachwissenschaftlichen Zusammenhang werden somit die Selbsterkenntnis des Individuums gefördert. Strategische Problemlösungsfähigkeiten scheinen folglich vor allem über selbstreflexive Prozesse erreichbar. Damit der Lernende die oben genannten Selbsterfahrungen in Form der Konstruktion eigener Problemlösungsfähigkeiten machen kann, scheint es erforderlich, dass ihm größere Freiheiten hinsichtlich der Gestaltung seines Lernprozesses gewährt werden sollten (vgl. Arnold & Müller, 2006, S. 7-9).

Das Konzept der Schlüsselqualifikationen zielt nach Behrmann (2006, S. 33) darauf ab, Personengebundene Fähigkeiten zur reibungslosen Erschließung von wechselndem Spezialwissen zu entwickeln. Der Schwerpunkt der Qualifikation rückt von der spezialisierten Berufsanforderung weg, hin zur Entwicklung der Persönlichkeit. Schlüsselqualifikationen bilden eine Kombination von Allgemeinbildung und Berufsbildung. Um beide Facetten der Schlüsselqualifikationen zu verbessern ist zum Beispiel die Projektmethode geeignet. Themenfindung, Zielformulierung und Projektdurchführung stärkt unter anderem die Selbstorganisationsfähigkeit der SchülerInnen und bringt Berufsorientierte Arbeitsprozesse in den allgemeinen Unterricht mit ein. Schlüsselqualifikationen sollen zur Bewältigung unterschiedlicher Situationen beitragen und erlangen somit eine breite Verwendungsmöglichkeit. Dennoch bleiben sie hinter der verallgemeinerten Bildung zurück, da sie stets einen praxisrelevanten Anwendungsbezug aufweisen (vgl. Behrmann, 2006, S. 33­35).

2.2.1 ... aus berufspädagogischer Sicht

Der gesellschaftliche Wandel hin zur Wissensgesellschaft führt zu einer veränderten Ausbildung des Fach- und Führungskräftenachwuchs von der Ausrichtung auf fachliches Spezialwissen zur Bewältigung der beruflichen Anforderungen musste im Zuge einer stetig steigenden Veralterungsrate von Wissen und der wachsenden Komplexität der Anforderungen beruflicher Anwendungssituationen ein Umdenken erfolgen. Es ist fortan wichtiger der nachwachsenden Generation die Fähigkeit zur selbstständigen Wissensaneignung und die Notwendigkeit lebenslangen Lernens zu vermitteln (vgl. Arnold, 2006, S. 21f).

Ansätze einer beruflichen Bildung, welche auf eine zunehmende Kompetenzentwicklung und Schlüsselqualifizierung abzielen, spiegeln allgemeine Tendenzen der Identitätsbildung und Individualisierung wieder. Die klassische Berufbiographie mit dem Abschluss einer entsprechenden Ausbildung eines Berufes wird durch das „Sammeln“ von Kompetenzen, welche die berufliche Identität präsentieren, abgelöst. Damit ein Unternehmen seine Mitarbeiter in entscheidenden Schlüsselqualifikationen schulen kann, müssen Lehrarrangements geschaffen werden, in welchen sich die Mitarbeiter im kooperativen Kontakt fachliche und außerfachliche Kompetenzen aneignen können. Darüber hinaus müssen Arbeitszusammenhänge selbst lernwirksamer gestaltet werden, so dass der Vorgesetzte zunehmend zum Lernbegleiter wird. Die Mitarbeiter müssen befähigt und ermutigt werden, sich selbst ständig den Wandel anpassen zu können (vgl. Arnold, 2006, S. 23-28).

2.2.2 ... aus bildungstheoretischer Sicht

Durch die Orientierung der Berufsbildung am Konzept der Schlüsselqualifikationen wird eine Öffnung hin zu Fach- und Berufsübergreifender Qualifizierung und Persönlichkeitsentwicklung ermöglicht. Das Bild vom handelnden, bildsamen, entwicklungsfähigen Menschen, der seine Persönlichkeit ein Leben lang durch Lern- und Sozialisationsprozesse weiter entwickelt, beruht auf seiner Selbstkompetenz (persönlich-charakterliche Grundfähigkeiten wie moralischer Urteilsfähigkeit, Leistungsbereitschaft, u.a.), seiner Sach- und Methodenkompetenz (allgemeine kognitive Leistungsfähigkeit wie Abstraktionsfähigkeit und Problemlösungsfähigkeit) und seiner Sozialkompetenz (sozial- und marktkommunikative Fähigkeiten). In der gegenwärtigen Diskussion um die Schlüsselqualifikationen wird die Trennung zwischen Persönlichkeitsbildung und Berufstätigkeit aufgehoben und sieht beide als sich gegenseitig beeinflussenden Faktoren an. Schlüsselqualifikationen tragen darüber hinaus dazu bei, dass sich ein Individuum in seiner beruflichen Existenz reflektieren bzw. diese kritisch betrachten kann. Es ist dazu aufgefordert seine Fähigkeiten, Partnerschaften und Orientierungen ständig neu zu entwickeln und auf Grundlage unsicherer und intransparenter Bedingungen Entscheidungen zu treffen. Schlüsselqualifikationen sind nicht mehr ausschließlich berufsbezogene Fähigkeiten, sondern bekommen Allgemeinbildende Funktion (vgl. Reetz, 2006, S. 39-44).

[...]


Ende der Leseprobe aus 43 Seiten

Details

Titel
Begründbarkeit von Forderungen aus PISA für Reformen des Bildungssystems
Hochschule
Technische Universität Darmstadt  (Institut für Allgemeine Pädagogik und Berufspädagogik)
Veranstaltung
Seminar Reformschulen und Schulreform
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
43
Katalognummer
V137532
ISBN (eBook)
9783640463930
ISBN (Buch)
9783640461097
Dateigröße
645 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Begründbarkeit, Forderungen, PISA, Reformen, Bildungssystems
Arbeit zitieren
Daniel Jäger (Autor:in), 2009, Begründbarkeit von Forderungen aus PISA für Reformen des Bildungssystems, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/137532

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