Immobilienfinanzierung vor dem Hintergrund des Islamic Banking


Wissenschaftliche Studie, 2009

164 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Abstract

Zusammenfassung

Abkürzungsverzeichnis

Verzeichnis der arabischen Begriffe

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1 HINFÜHRUNG IN DIE ISLAMISCHE ÖKONOMIK
1.1 Ethisch-religiöser Hintergrund
1.1.1 Der Islam im historischen Kontext
1.1.2 Glaubensvorstellung des Islams
1.1.3 Rechtsrahmen des Islam
1.2 Wirtschaft im Islam
1.2.1 Entstehung der islamischen Ökonomik
1.2.2 Konzeptionelle Grundlagen
1.2.2.1 Riba-Verbot (Zinsverbot)
1.2.2.2 Gharar-Verbot (Glücksspielverbot)
1.2.2.3 Zakat (Sozialabgabe)
1.2.2.4 Business-Ethics
1.2.2.5 Verträge und Geschäfte

2 ISLAMISCHE INVESTITIONS- UND FINANZIERUNGSINSTRUMENTE
2.1 Beteiligungsfinanzierungen
2.1.1 Musharaka
2.1.2 Abnehmende Musharaka (Diminishing Musharaka)
2.1.3 Mudaraba
2.1.4 Kombination von Musharaka und Mudaraba
2.1.5 Würdigung der Beteiligungsfinanzierungen
2.2 Aufschlagsfinanzierungen
2.2.1 Murabaha
2.2.2 Tawarruq und Bay Inah
2.2.3 Salam
2.2.4 Arbun
2.2.5 Istisna
2.2.6 Qard Hassan
2.2.7 Würdigung der Aufschlagsfinanzierungen
2.3 Leasing
2.3.1 Ijara

3 ISLAMISCHE FINANZPRODUKTE UND DIENSTLEISTUNGEN
3.1 Immobilienfinanzierung
3.1.1 Grundlagen
3.1.2 Diminishing Musharaka
3.1.3 Ijara-wa-Iktina
3.1.4 Murabaha Bay Bithaman Ajil
3.1.5 Beispiel für Ijara-wa-Iktina und Abnehmende Musharaka
3.2 Investitionskredite und Projektfinanzierung
3.2.1 Sonstige Kredite
3.3 Islamische Anleihen (Sukuk)
3.3.1 Sukuk-Markt
3.3.2 Sukuk-al-Ijara
3.3.3 Sukuk-al-Musharaka
3.3.4 Sonderformen von Sukuk
3.3.5 Fallbeispiel Expansionsvorhaben Airport Dubai
3.3.6 Fallbeispiel Immobilienportfolio Land Sachsen-Anhalt
3.3.7 Herausforderungen zu konventionellen Produkten
3.4 Islamische Kapitalmarktprodukte
3.4.1 Grundlagen
3.4.2 Immobilienfonds
3.4.3 Sonstige Fonds
3.5 Islamische Versicherungen im Bausektor (Takaful)
3.5.1 Grundlagen
3.5.2 Mudaraba-Modell
3.5.3 Wakala-Modell
3.5.4 Islamische Rückversicherung (Retakaful)
3.6 Konten und Karten
3.6.1 Islamische Konten
3.6.2 Islamische Karten

4 DAS ISLAMISCHE BANKWESEN
4.1 Anbietermarkt
4.2 Nachfragemarkt

5 WERTUNG UND AUSBLICK
5.1 Vergleich Ijara und konventionelles Leasing
5.2 Risiken
5.3 Islamische Produkte im europäischen Raum
5.4 Zusammenfassung

Anhang 1 - Verteilung der muslimischen Bevölkerung auf der Welt XV

Anhang 2 - Islamische Strömungen

Anhang 3 - Beispielzertifikat

Quellenverzeichnis

Vorwort

Die vorliegende Arbeit ist im Rahmen des Wissenschaftlichen Kollegs an der Professur Betriebswirtschaftslehre im Bauwesen an der Bauhaus-Universität Weimar entstanden.

Wir wollten die Chance nutzen, uns ein neues und spannendes Thema zu erarbeiten, um unser bisheriges Studium optimal zu erweitern. Daher haben wir eine Aufgabenstellung mit internationaler Ausrichtung ge-sucht, die zeitgleich von hoher Praxisrelevanz und Aktualität ist.

Ein für uns sehr interessantes Thema bot sich in der Bearbeitung der is-lamischen Ökonomie. Aus aktuellen Zeitungsartikeln konnten wir ent-nehmen, dass das „Islamic Banking“ von anderen Regeln bestimmt wird, als man sie in unserem Kapitalmarkt kennt. Oftmals werden sie im Bezug zur gegenwärtigen Finanzkrise gesetzt oder gar als Alternative zum hiesigen System präsentiert.

Gleichzeitig mussten wir jedoch feststellen, dass selbst zahlreichen Auto-ren fundierte Kenntnisse fehlen oder sie „Islamic Banking“ schlicht als Pendant zu konventionellen Finanzierungsinstrumenten auffassen. Dem wollten wir entgegentreten und diese Arbeit dazu nutzen, ein Verständ-nis für die islamische Ökonomie wie auch für alternative Formen des Wirtschaftens zu schaffen. Die derzeitigen islamischen Instrumente und Produkte werden daher umfassend dargestellt und deren Anwendungs-möglichkeiten für Immobilienfinanzierungen im Rahmen des Wissen-schaftlichen Kollegs aufgezeigt.

Wir danken an dieser Stelle besonders Herrn Frank Kiesewetter für seine Offenheit und Bereitschaft, dieses Thema zu betreuen.

Abstract

This work is concerned about the background, rules and the actual usage of Islamic Economics in the world. It will show instruments and products of the “Islamic Banking”. The “Islamic Banking” is bright linked with the main religious principles of Islamic Law.

The Islamic Economy prohibits fees. It asks for the sharing of profit and loose and transparency. All rules with an ethical-religious background are controlled by Islamic Representatives. The Finance Products are an alternative for Muslim and Non-Muslim to get Sharia-complaint contracts. This work discusses the theories of equity financing and debt financing regarding to real estate business.

An analysis of Islamic Finance products in Europe shows the potential for the future. There are a lot of chances as liquidity by Islamic Investors. Especially development cooperation in North- and East Africa could rise with regional Muslim Companies.

Zusammenfassung

Diese Arbeit untersucht die islamische Ökonomik nach ihrer Herkunft ihren Regeln sowie aktuellen Anwendung auf dem Weltmarkt. Es werden dabei die Instrumente und Produkte des „Islamic Banking“ vorgestellt. Das „Islamic Banking“ ist untrennbar mit den religiösen Werten des Islam verknüpft.

Die islamische Ökonomik verbietet aus diesem Grund beispielsweise den Zins, spekulative Geschäfte und fordert eine hohe Transparenz. Diese und weitere Regelungen mit ethisch-religiösem Hintergrund stehen unter strenger Überwachung islamischer Vertreter. Die islamischen Finanzprodukte bilden eine Alternative für Muslime wie Nicht-Muslime Islam-konforme Verträge zu schließen. In dieser Arbeit werden die islamischen Theorien zur Beteiligungsfinanzierung, zu Aufschlagfinanzierungen und Leasing dargelegt. Ihre Anwendungs-möglichkeiten werden in Bezug zur Immobilienbranche untersucht.

Es wird der Nachfrage- und Angebotsmarkt auf sein Potential auf dem europäischen Markt geprüft. Denn das „Islamic Banking“ bietet zahlreiche Chancen, wie Liquidität von islamischen Investoren in Europa, aber auch eine bessere Entwicklungszusammenarbeit in großen Teilen Nord- und Ostafrika, mit regionalen muslimischen Unternehmern.

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Verzeichnis der arabischen Begriffe

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Ausbreitung des Islam unter den ersten Kalifen

Abbildung 2: Rechtsrahmen des Islam

Abbildung 3: Islamische Investitions- und Finanzierungsinstrumente

Abbildung 4: Bisherige Nutzung islamischer Finanzprodukte (in Prozent)

Abbildung 5: Musharaka-Struktur

Abbildung 6: Mudaraba-Struktur

Abbildung 7: Murabaha-Struktur

Abbildung 8: Struktur Parallel-Salam

Abbildung 9: Parallel-Istisna-Struktur

Abbildung 10: Immobilienfinanzierung nach Diminishing Musharaka

Abbildung 11: Diminishing Musharaka als Investitions-Modell-Beispiel

Abbildung 12: Projektstruktur mit der Istisna-Technik

Abbildung 13: Marktvolumen des Sukuk weltweit

Abbildung 14: Sukuk-al-Ijara

Abbildung 15: Sukuk-al-Musharaka

Abbildung 16: Sukuk-Struktur des Expansionsvorhaben vom Airport Dubai

Abbildung 17: Sukuk von Immobilienportfolio des Landes Sachsen-Anhalt

Abbildung 18: Investmentfonds nach dem Mudaraba-Prinzip

Abbildung 19: Takaful nach dem Mudaraba-Modell

Abbildung 20: Takaful nach dem Wakala-Modell

Abbildung 21: Anbieter für islamische Finanzprodukte

Abbildung 22: Wachstum Scharia-konformer Anlagen weltweit

Abbildung 23: Muslimische Bevölkerung in Westeuropa (in Millionen)

Abbildung 24: Gründe für nichtislamische Finanzgeschäfte (in Prozent)

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Diskussion Zinsverbot

Tabelle 2: Eigenschaften der wichtigsten Instrumente

Tabelle 3: Überblick Musharaka

Tabelle 4: Abnehmende Musharaka

Tabelle 5: Überblick Mudaraba

Tabelle 6: Überblick Murabaha

Tabelle 7: Überblick Tawarruq und Bay Inah

Tabelle 8: Überblick Salam

Tabelle 9: Überblick Arbun

Tabelle 10: Überblick Istisna

Tabelle 11: Überblick Qard Hassan

Tabelle 12: Überblick Ijara

Tabelle 13: Übersicht der Produkte zur Baufinanzierung

Tabelle 14: Rechenbeispiel bis Eigentumsübergang einer Immobilie

Tabelle 15: Übersicht über die Sukuk Modelle

Tabelle 16: Gegenüberstellung Sukuk zur konventionellen Anleihe

Tabelle 17: Islamische Konten- und Einlagenprodukte

Tabelle 18: Scharia-konforme Vermögenswerte in Mrd. US-Dollar

Tabelle 19: Größe der muslimischen Bevölkerung in Europa 2008

Tabelle 20: Größe der muslimischen Bevölkerung Weltweit 2008

Tabelle 21: Vergleich islamisches Ijara mit konventionellen Leasing

1 HINFÜHRUNG IN DIE ISLAMISCHE ÖKONOMIK

Ziel dieser Arbeit ist es die Besonderheiten der islamischen Ökonomie, die untrennbar mit dem Islam verknüpft ist, vorzustellen. Es werden der historische Hintergrund, der islamische Rechtsrahmen sowie die Grundlagen der Wirtschaft im arabischen Raum näher gebracht. Das Islamic Finance ist aus den religiösen islamischen Werten gegründet. Dies wird im folgenden Text verdeutlicht und mit den aktuellen konzeptionellen Grundlagen der islamischen Ökonomik diskutiert.

1.1 Ethisch-religiöser Hintergrund

Mit über 1,4 Mrd. Anhängern gehört der Islam zu den weit verbreiteten Religionen überhaupt (sieheKapitel 3.2). Damit haben sich mehr als ein fünftel der Weltbevölkerung einem Glauben angeschlossen, der vor allem in den letzten Jahren aufgrund aktueller politischer Ereignisse in aller Munde ist. Gleichzeitig muss festgestellt werden, dass nur wenige Nicht-Muslime wissen, auf welchen Wurzeln der Islam beruht, welche Glaubensvorstellungen Muslime auszeichnen und wodurch er kodifiziert ist.

Es wird zunächst die geschichtliche Entstehung der Religion aufgezeigt, da sich somit ein Grundverständnis für die islamische Identität einstellt. Anschließend werden die Glaubensgrundsätze erläutert, auf denen die in den folgenden Kapiteln erläuterten islamischen Finanzierungs-instrumente und -produkte fußen. Abschließend wird vorgestellt, wodurch sich der für Muslime rechtlich bindende Rahmen manifestiert, da dieser ebenfalls einen bedeutenden Einfluss auf die Gestaltung bestehender und die Entwicklung neuer Dienstleistungen des Islamic Banking hat.

1.1.1 Der Islam im historischen Kontext

Der Koran ist die Heilige Schrift der Muslime. Er ist eine Sammlung der göttlichen Offenbarungen, die der letzte Prophet erhalten hat. Seine erste Offenbarung erhielt Muhammad im Monat Ramadan 610 n. Chr.; die letzte Offenbarung hatte er 632 n. Chr. in Medina.1

Mekka war damals bereits ein besonderer religiöser Ort, der aufgrund der Kaaba als heilige Stätte zahlreiche Pilger des vorislamischen „heidnischen“ Arabien anzog und somit relativen Wohlstand aufwies.

Darüber hinaus war Mekka ein bedeutender Umschlagplatz einer Handelsstraße, die Südarabien mit Gaza verband. So war die Stadt fest in den Händen der Kaufleute, zu denen auch Muhammads Frau Khadija zählte, deren Angestellter er gleichzeitig war.2 „[...] Aus dieser Ehe stammt Fatima, das einzige Kind, das den Propheten überlebte und aus deren Ehe mit Ali – Muhammads Vetter und Sohn seines Pflegevaters Abu Talib – Hasan und Husain hervorgingen, Stammväter der heute zahlreichen Saiyids oder Scherifen (Sing. Sharif), die ihre Genealogie auf den Gründer des Islams zurückführen.“3

Zu Beginn des siebten Jahrhunderts waren in Arabien das Judentum sowie das Christentum vorherrschend. Sie haben den Islam wesentlich geprägt. Zunächst jedoch stellten Muhammads neue Glaubens-grundsätze die bestehende Ordnung in Frage, da sie das gesamte soziale, wirtschaftliche und auf Stammessolidarität beruhende Gesell-schaftssystem hinterfragten. Aus Sicht der Bürger Mekkas bedrohten sie den Wohlstand ihrer Stadt sowie die Kaaba als Heiligen Ort. Daher versuchten sie mit allen Mitteln Muhammad und seine kontinuierlich wachsende Anhängerzahl zu bekämpfen. Spott, Verleumdung, Boykott und sogar Mordanschläge führten schließlich dazu, dass Muhammad im Jahr 622 n. Chr. einer Einladung aus Yathrib folgte, wo er Fehden rivalisierender Stämme befrieden sollte. Mit ihm gingen zahlreiche Anhänger ins Exil, welches später Medina, „die Stadt“ des Propheten, genannt wird.4

Die neue Rolle als Schlichter verlieh Muhammad Anerkennung und schuf den Grundstein für das später entstehende Reich. Er schuf zunächst die „Verfassung von Medina“, mittels derer er die Gemein-schaft (Umma), bestehend aus muslimischen und jüdischen Stämmen, vereinte. Diese Verfassung war revolutionär, da sie die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft allein am religiösen Bekenntnis festmachte. Es war insofern eine Art ideologischer Staat mit Muhammad als Staats-oberhaupt. Diese Verfassung galt über die Jahrhunderte hinweg bis heute immer wieder als Vorbild.5 Sie ließ Muhammad in die Rolle des politischen Führers dieses Gemeinwesens hineinwachsen und ver-schaffte ihn somit erhebliches Ansehen.6

Zunächst ging Muhammads strategischer Plan in Medina nicht auf, denn anders als erhofft, erkannten die Juden ihn als Prophet nicht an. Daraufhin kam es zum Bruch und zur Abwendung vom Judentum, was sich in der Gebetsrichtung der Muslime am deutlichsten manifestiert. Wurde vorher nach Jerusalem gebetet, sollte nun die „Religion Abrahams“ erneuert werden, also betete man von da an gen Mekka zur Kaaba.7 Von Seiten Mekkas gab es zahlreiche Bestrebungen, die „islamische Gefahr“ zu bekämpfen, was wiederum von den Muslimen erwidert wurde. Es kam zu zahlreichen Gefechten und Überfällen. Nach dem Sieg über Mekka 630 n. Chr. wurde die Kaaba „gereinigt“ und fortan Heiligtum (Qibla) der Muslime. Muhammad war damit unbestrit-tener politischerundreligiöser Führer.8 Er entwickelte die „fünf Säulen“ des Islam9 sowie einen verbindlichen Rechtsrahmen für die Mitglieder der Gemeinde.10 Von dort aus erfolgte auch die Ausbreitung des islamischen Bündnisses über die arabische Halbinsel. Die traditionell zerstrittenen und kriegerischen Stämme wurden durch die gemeinsame neue Religion geeint und befriedet (Pax islamica).11

„Dualismus von Kirche und Staat gibt es im Islam nicht.“12 Das ist für Muslime auch nicht weiter tragisch, da sich der Glauben und die religiösen Regeln bis tief in das weltliche Leben ziehen. So sind auch Antworten auf gesellschaftsrechtliche Fragen und Anweisungen zu Finanzierungsformen im Koran zu finden.13

Um Staat und Führung zu festigen, heiratete Muhammad mehrmals, bevor er im Juli 632 n. Chr. starb. Er hatte es dennoch versäumt seine Nachfolge zu regeln. Da seine prophetischen Eigenschaften als nicht vererbbar gelten, begannen Streitigkeiten um die Nachfolge der Führung der Gemeinschaft. Die Auseinandersetzungen wurden so schwerwiegend, dass es zu einer konfessionellen Spaltung des Islams in Sunniten und Schiiten kam.14

Beide Gruppierungen haben noch heute unterschiedliche Auffas-sungen und Auslegungen der Lehren des Islam.

Daher existieren auch heute noch verschiedene Rechtsschulen, die somit auch die Rechtmäßigkeit islamischer Finanzinstrumente und - produkte unterschiedlich beurteilen.15

Nach Muhammads Tod begann die Ära der drei „rechtgeleiteten Kalifen“ (632-661 n. Chr.). Der erste Kalif Abu Bakr (Vater von Muhammads Frau Aisha) wurde von führenden Männern der Gemeinde zum Sieger der Streitigkeiten erklärt. Seine wesentliche Leistung war die zusammenhängende schriftliche Fixierung des Korans im Jahr 633 n. Chr.16 Der zweite Kalif Umar Ibn al-Khattab führte primär die Expansion des Islam fort. Darüber hinaus führte er den islamischen Kalender ein, der an jenem Tag beginnt, an dem Muhammad Medina erreicht hatte: 15. Juni 622 n. Chr. Der dritte Kalif Uthman ließ 653 n. Chr. nur noch den inzwischen konsolidierten Text des Korans zu. Das ist jene Version, die auch heute noch benutzt wird.17

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Ausbreitung des Islam unter den ersten Kalifen

Quelle: Eigene Darstellung nach: Kettermann, Atlas zur Geschichte des Islam, 2008, S. 24.

Wie inAbbildung 1zu sehen ist, entstand nach und nach ein Großreich, welches sich weit über die arabische Halbinsel hinaus ausgebreitet hat. Dieses war möglich, weil sich die damals dominierenden Mächte Byzanz und das sassanidische Perserreich in langen Kämpfen geschwächt haben und den Muslimen daher nichts entgegenzusetzen hatten.18 Nach einer mehr oder weniger stetigen Entwicklung sind heute 26 % der Weltbevölkerung bzw. 1,6 Mrd. Menschen Muslime.19 Sie ist die einzige wachsende Religion und verbreitet auf den Gebieten Nordafrikas, Arabiens und Südostasiens.20

Im Zuge der territorial umfangreichen Eroberungen wurden eine enorm große Anzahl an Volksgruppen und Ethnien für die Religion gewonnen. Muslim ist man, wenn ein Glaubensbekenntnis ablegt wird. Etwas provokanter formuliert lässt sich sagen, Muslim ist, wer sich als Muslim ausgibt oder sich dafür hält.

„Auf die Praxis angewandt, versagt diese Definition jedoch weitestgehend; denn die religionsgeschichtliche Entwicklung nicht nur in den Randgebieten es Islams hat gezeigt, dass der Konsens darüber, wer ein Muslim ist, unter Muslimen eben nicht so leicht zu erreichen ist, wie das in der Theorie den Anschein hat.“21

Das Problem dabei ist der Synkretismus22, der vor allem in den Randgebieten auftritt. Er wird verstärkt durch teilweise zwangsweise Konversionen von Nicht-Muslimen zur Religion sowie das teils damit einher-gehende Dominieren des Konsummotivs anstatt des Heilmotivs.23 Anhänger sind somit nicht gleich Anhänger. Auch wenn eine große Masse als Muslimen sich so erkennt bzw. bezeichnet (identitätsstiftende Funktion), dürfen doch nationale, ethische, soziale Differenzen nicht vernachlässigt werden. Gerade diese sorgen schließlich für einen weiteren Faktor in der Betrachtung des Marktes für Islamic Banking: Zwar gibt es Regeln, die durch das rechtliche Rahmenwerk festge-schrieben sind und die durch verschiedene Rechtsschulen unter-schiedlich interpretiert werden. Aber jede innerislamische Strömung und jedes Individuum wird darüber hinaus selbst festlegen, inwieweit sich an die eigenen Glaubensgrundsätze gehalten werden soll (sieheKapitel 4.2).

Ein Überblick über die grundsätzlichen innerislamischen Strömungen ist imAnhang 2zu finden.

1.1.2 Glaubensvorstellung des Islams

Die fundamentalen Pflichten des Islams sind die so genannten „Fünf Säulen“, an denen sich sämtliche persönliche und geschäftliche Handlungen eines jeden Gläubigen orientieren müssen. Diese sind:24

1. Glaubensbekenntnis (Schahada)
2. Fünfmaliges Gebet (Salat)
3. Fasten während des Monats Ramadan (Saum)
4. Sozialsteuer (Zakat)
5. Pilgerschaft nach Mekka (Hajj)

Die Säulen bauen aufeinander auf, d.h. keine kann durch eine andere ersetzt werden. Hält sich ein gläubiger Muslim nicht an diese elementaren Regeln, wird er entweder im „Diesseits“ oder im „Jenseits“ dafür bestraft.25

Mit dem Glaubensbekenntnis sind folgende sechs Glaubensgrundsätze verbunden:26

- Glaube an den einzigen Gott (Ilahbzw.Allah)
- Glaube an seine Engel
- Glaube an seine Offenbarung in Form der heiligen Bücher: Thora, Evangelium, Koran
- Glaube an die Gesandten Gottes
- Glaube an den Tag des Jüngsten Gerichts mit Leben nach dem Tod
- Glaube an die göttliche Vorsehung

Der Sinn der menschlichen Existenz besteht in der Erkenntnis und dem Lob Gottes. Es gibt darüber hinaus ein Leben nach dem Tod, über das beim Jüngsten Gericht entschieden wird. Dabei hat der Muslim zu Lebzeiten sein Schicksal im „Jenseits“ selbst in der Hand, denn jeder Moslem ist für sich selbst verantwortlich.27

„Aufgrund des Glaubens an ein Leben nach dem Tod endet der Planungshorizont des religiösen Individuums nicht mit dem Tod. Seine Nutzenfunktion wird in zwei Planungsperioden aufgeteilt: die Diesseitige und die Jenseitige.“28 Der Gläubige bildet oder schmälert, zusätzlich zum irdischen Nutzen verschiedener Handlungen, religiöses Kapital. Als Punktesystem verstanden, wird beim Jüngsten Gericht anhand des Punktestandes bestimmt, ob der Gläubige durch das Paradies belohnt oder durch die Hölle bestraft wird.29 Dabei wird jedoch mit Augenmaß geurteilt. Mit Blick auf das Islamic Banking wird es einem Moslem nicht zur Last gelegt, wenn dieser konventionelle Banken (die den Regeln des Islams widersprechen) nutzt, solange er keine Möglichkeit hat anders zu handeln, weil es eventuell keine islamischen Banken in seinem Lebens­raum gibt. Sollte er jedoch diese Option besitzen, hat er ein originäres Interesse an Islam-konformem Handeln, da er sich sonst im Jenseits Schaden zuführen würde.30

Es gibt zahlreiche Unterschiede, die den Islam vom Judentum und Christentum abgrenzen:31

- Muslimische Pflichten reichen weit in das tägliche, weltliche Leben der Menschen hinein: Erziehung, Bildung, Wissenschaft, alltägliche Unterstützung der Familie
- Muslime glauben an göttliches Schicksal (Qadar): Allah hat alle zukünftigen Geschehnisse vorweg schon festgelegt. Allerdings hat jedes Individuum gleichzeitig weiterhin die Freiheit, selbst zu handeln
- Muslime kennen keine Erbsünde. Sie sind für ihre Taten auf Grund ihrer eigenen Freiheit des Willens selbst verantwortlich
- Muslime sind aufgefordert, zunächst ihr Bestes zu geben und selbst zu überlegen und danach erst auf Gott zu vertrauen

In den islamischen Regelwerken Koran und Sunna (sieheKapitel 1.1.3)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Alles was empfohlen, neutral oder geduldet wird isthalal. Darüber hinaus existieren allgemeine ethische Normen, wie z.B. Ehrlichkeit, das Verbot arglistiger Täuschung und das Verbot von Bestechung, die sich aus dem allgemeinen Normenkanon ergeben.

Es ist darüber hinaus eine wichtige Erkenntnis, dass religiöse Gläubigkeit zwei wesentliche Elemente enthält:

- Intention
- Durchführung

Eine gute Tat ist nur dann als solche anzusehen und wirksam, wenn sie auch als solche beabsichtigt war. Vor diesem Hintergrund ist verständlich, wenn verschiedene islamische Investitions- und Finanz-ierungsvarianten von einigen Rechtsschulen alshalaleingestuft werden, weil teils nur konventionelle Zinsgeschäfte in ein Sharia-konformes Korsett verkleidet werden.

Gläubigkeit fordert insofern dazu auf Versprechen zu halten, in schlechten Zeiten geduldig zu sein und in guten Zeiten anderen zu helfen. Da dies im Rechtsrahmen des Islam manifestiert ist, gilt der Islam als sehr sozial engagierte Religion.

1.1.3 Rechtsrahmen des Islam

Der religiöse Rahmen basiert im Wesentlichen auf der Scharia, bestehend aus dem Koran und der Sunna, die direkt der göttlichen Offenbarung bzw. dessen Empfänger Muhammad entspringen.

Rechtsrahmen

Abbildung 2: Rechtsrahmen des Islam
Quelle: Eigene Darstellung.

Über die Jahrhunderte hinweg wurde der Rechtsrahmen von Rechts-gelehrten und Theologen (Ulema) weiterentwickelt und zahlreiche Prinzipien und Normen hinzugefügt (Fiqh). „(So zählen) zu den weiteren Bestandteilen der Scharia (...) der erzielte Konsens unter islamischen Rechtsgelehrten (Ijma), Analogien (Qiyas),

Vernunft (Ijtihad), das öffentliche Interesse (Itihsan), rechtliche Presumptionen (Istihab, Istislah, Masah Al Mursalah) sowie lokale Bräuche (Urf,Adat).“33

Von Koran und Sunna sind alle religiösen Aspekte des Lebens abgeleitet. Somit sind die verbindlichen Bestimmungen für Instrumente und Dienstleistungen rund um das islamische Finanzwesen im Allgemeinen und rund um islamische Immobilienfinanzierungen im Speziellen darin zu finden.34

Die Scharia an sich ist jedoch nicht als Gesetzbuch mit religiösen Geboten und Verboten zu verstehen, frei nach der medial wirksamen Definition des „islamischen Strafrechts“, mit dem vorwiegend martia-lische Strafen impliziert werden. Sie ist vielmehr ein allgemeiner Normenkatalog für die Beziehungen der Menschen zu Gott und untereinander. Nichtsdestotrotz ist sie oft Teil der Verfassung und in vielen Bereichen verschiedener Staaten und Gemeinschaften auch Gesetz. Jahrhunderte lang war sie Grundlage für muslimische Staaten und deren Verwaltungen. So finden die religiösen Schriften heute in den meisten muslimischen Ländern Einsatz in der (weltlichen) Rechtsfindung.

Wenn auch nur in wenigen Ländern die Scharia vollständig rechtsver-bindlich ist, so lässt sich doch feststellen, dass die darin enthaltenen Normen und Werte Einfluss auf die nationale Gesetzgebung haben, so wie die christlichen Normen in der westlichen Welt ebenso Niederschlag finden. Im Finanzbereich sind die Vorgaben der Scharia lediglich im Iran und Sudan verbindlich. Das bedeutet, dass islamische Finanz-dienstleister außerhalb der beiden Länder neben der Scharia auch auf die jeweiligen lokalen Gesetze achten müssen, z.B. bei der Planung und Umsetzung von Instrumenten oder Geschäftsmodellen. Zumeist stehen geltendes Recht und Scharia im Widerspruch, so dass sich gläubige Muslime und islamische Institutionen entscheiden müssen, welches Recht sie brechen.35

Der Koran ist das „Heilige Buch“ der Moslems und zentrales Element der Scharia. Er enthält rechtliche und sittliche Vorschriften für das Individuum an sich und die Gemeinschaft insgesamt. Anders als das Alte und Neue Testament mit verschiedenen

Verfassern, die in unterschiedlichen Jahrhunderten lebten, wurde der Koran nur von einer Person verfasst. Es fiel darüber hinaus keiner Manipulation zum Opfer. Seine regeln gelten somit als unabänderlich.36

Die Sunna

Die Sunna ist die zweite Wurzel des Islam. Sie ist die Überlieferung dessen, was der Prophet Muhammad gesagt, getan und gebilligt hat. Sie wird immer dann herangezogen, wenn im Koran keine Aussage zu einer bestimmten Fragestellung zu finden ist. Ferner werden darin Aussagen des Korans näher erklärt.37

Nach Muhammads Tod wurden die Handlungen Muhammads zunächst mündlich weitergegeben. Erst ca. 200 Jahre später wurden sie verschriftlicht, gesammelt und später in umfangreichen sog.Hadith-Sammlungen veröffentlicht.

Dabei wurde die Authentizität der Quellen detailliert und konsequent geprüft. Die Kriterien waren z.B. eine lückenlose Überlieferung und der tadellose Leumund der Überlieferer.38 So beginnt jede Sammlung mit der Kette der Personen, über die Informationen weitergegeben wurden. Schließlich gibt es eher weniger authentische bzw. für authentisch gehaltene Sammlungen, die demzufolge unterschiedlich streng zu interpretieren sind.39 Die Authentizität bzw. Relevanz der Sammlungen wird darüber hinaus von den verschiedenen islamischen Strömungen unterschiedlich bewertet.

Idjma und Qiyas

Eine weitere Quelle der Scharia istIdjma(Meinungskonsens der Rechtsgelehrten) sowieQiyas(Analogieschluss). Sie finden Anwendung, wenn sowohl im Koran als auch in der Sunna kein Hinweis auf die Lösung einer Rechtsfrage zu finden ist.

Beide sind unter den Rechtsgelehrten umstritten. WährendQiyasvon hanbalitischen und schiitischen Rechtsgelehrten abgelehnt wird, verweigern sich alle Rechtsschulen (siehe weiter unten) gegenIjdma.40

Fiqh

Fiqhist die Gesamtheit der islamischen Rechtslehre, sie wurde von demUlemaentwickelt. Im Gegensatz zumKoranundSunna, die mittelbar oder unmittelbar göttlichen Ursprungs sind, istFiqhdas Ergebnis mensch-lichen Verstandes. Ebenfalls anders als in der allgemein gehalten Scharia enthält es detaillierte Prinzipien, Regeln und Regularien.

Rechtsschulen

Die islamische Glaubensgemeinschaft ist sehr groß und territorial weit verbreitet. Unterschiedliche Riten und Historien verschiedener Kultur-kreise und Volksgruppen finden ihren Ausdruck in jeweils differenzierten Auslegungen der Scharia. Dieses wird in den Rechtsschulen deutlich, die im Laufe der Zeit gegründet wurden und die einen wesentlichen Einfluss auf die Interpretation der Scharia haben.

Es existieren heute noch vier wesentliche sunnitische Rechtsschulen:

- Hanafitische (Türkei, Pakistan)
- Hanbalititsche (Arabische Halbinsel)
- Malikitische (Maghreb-Staaten)
- Schafa‘itische (Südostasien)

Die Mehrheit der Scharia-Regeln wird innerhalb dieser Rechtsschulen gleich ausgelegt, wenn auch Interpretationsspielräume in Teilbereichen bestehen. Die schafaritische Rechtsschule41 wird von den Schiiten anerkannt.

Die Rechtsschulen beschäftigen sich seit den 1960’er Jahren auch mit islamischen Finanzprodukten und haben so sukzessive das Grundgerüst der islamischen Finanzwirtschaft entwickelt. Auf die Gestaltung der Finanzprodukte haben sie teils substanziellen Einfluss.

Fatwa

EinFatwaist ein Rechtsgutachten, das von einem sog.Muftierstellt wird. Dieser beantwortet darin die Frage eines Gläubigen auf Basis von religiösen Quellen (Scharia). „Sie muss im Lichte der Lebensumstände, der Umgebung und der besonderen Situation, die ihre Erarbeitung gerechtfertigt hat, abgefasst sein.“42

Im Bezug auf Islamic Banking habenFatawaeine gewisse Bedeutung erlangt, da sichFatawaverschiedenerMuftiszu verschiedenen Ergeb-nissen kommen können. Dies war früher kein Problem, als nur einMuftifür Gläubige zu erreichen war. Heutzutage kennt die Kommunikation jedoch keine Grenzen, weshalbFatwasverschiedenerMuftisderart einfach verglichen werden können und Widersprüche in den Glau-bensauslegungen deutlich werden. Vor allem für islamische Finanz-intermediäre, die in verschiedenen Regionen tätig sind oder sein wollen, stellt das ein großes Risiko und Hemmnis dar. Denn selbst wenn deren Geschäftstätigkeit von dem dortigenMuftianerkannt wird, kann ein andererMuftieiner anderen Rechtsschule die Praktiken als nicht Scharia-konform interpretieren. Dies hätte zur Folge, dass nicht nur einzelne Finanzprodukte oder -dienstleistungen illegitim würden, sondern die gesamte Bank würde von den Anhängern desMuftisals nicht-islamisch wahrgenommen werden; ihr würden sich daraufhin Kunden, die Anhänger der letzteren Rechtsschule bzw. desMuftissind, verweigern.

1.2 Wirtschaft im Islam

Die islamische Wirtschaft steht in einem engen Zusammenhang zur Politik, Soziales und der Religion. In der arabischen Welt hat der Islam einen einheitlichen Ansatz zum Leben. Aus diesem Grund werden die Eckpfeiler der Gesellschaft miteinander so stark verbunden.

Wirtschaftliche Aktivitäten werden durch das soziale Milieu, die moralischen Werte, kulturelle Zugehörigkeit und der religiösen Über-zeugung bestimmt. Allerdings erfährt ein Bürger mit vielen geschäftlichen Aktivitäten ein hohes Ansehen. So war beispielsweise der Prophet Muhammad selbst ein Kaufmann.

Die westliche, konventionelle Wirtschaftsordnung ist gekennzeichnet durch die Knappheit von Gütern im Gegensatz zur islamischen Ordnung. Man geht davon aus, dass genügend Ressourcen zur Verfügung stehen. Das islamische ökonomische Problem im Verhältnis zum konventionellen System liegt in dem Mangel der Leistungs-bereitschaft und ungezügelten Bedürfnissen. Es werden dabei die erstrebenswerten Bedürfnisse, den nicht erstrebenswerten Wünschen gegenübergestellt. Nach dem Verständnis des Islam werden durch unzulässige Aktivitäten wie Alkohol- und Drogenkonsum, Glücksspiel, Prostitution sowie Waffenproduktion sehr viele Ressourcen ver-schwendet.43

Das islamische Wirtschaftssystem beruht grundlegend auf einem religiösen Wertesystem (Hudud Allah). Jede Ressource und jedes Ver-mögen der Erde werden durch den Menschen treuhänderisch verwaltet. Es wird damit eine Verpflichtung zu Gott eingegangen. Absoluter und unverhältnismäßiger Reichtum wird dabei als materialis-tisch, rücksichtslos und gierig bewertet. Das bedeutet, dass die Bedürf-nisse des Einzelnen und die der Gemeinschaft miteinander verbunden sind, vor allem im Bezug zum Streben nach Bedürfnisbefriedigung und Wohlstand.44

Ein weiterer wichtiger Punkt im wirtschaftlichen Handeln wird durch Ehrlichkeit und Transparenz beschrieben. Daraus ergibt sich das Verbot jeglicher Ausbeutung und Betrug bei allen menschlichen Aktivitäten gegenüber anderen Mitmenschen. Ein wichtiges Element zu Einhaltung des Wertesystems ist die SozialabgabeZakat. Sie ist eine verbindliche Vermögenssteuer, welche direkt Bedürftigen zugute kommt.45 DieZakatverpflichtet Besitzer großer Kapitalvermögen diese für produktive Zwecke den Kapitalmärkten bereit zu stellen.46 Grundsätzlich wird das Streben nach Wohlstand und Vermögen im Islam unterstützt, jedoch muss es sich um rein produktive Geschäfte und keine Spekulationen oder reine Bankgeschäfte handeln.47

1.2.1 Entstehung der islamischen Ökonomik

Die Nutzung von Finanzierungstechniken wurde schon zu Zeiten des Propheten Muhammad praktiziert. Das islamische Finanzwesen wurde jedoch erst seit den 1960er Jahren in der Öffentlichkeit diskutiert.

Während der Kolonialzeit etablierten sich die westlichen oder konvent-ionellen Wirtschafts- und Finanzsysteme in vielen islamischen Ländern.

Jedoch blieb ein Großteil der Bevölkerung den konventionellen Bankgeschäften fern. Mit der Unabhängigkeit vieler arabischer Länder nach dem zweiten Weltkrieg folgten Bestrebungen nach einer ökonomischen Neuorientierung unter Berücksichtigung islamischer Gesetze.

In den Jahren zwischen 1940 bis 1960 haben einige Gelehrte aus Pakistan mehrere Veröffentlichungen zu diesem Thema als Vorentwurf zu einem islamischen Wirtschaftssystem geleistet. Es folgte gegen Ende der 1960er Jahre eine erste Blaupause, welche von islamischen Ökonomen für die gesamte arabische Welt entwickelt wurde. Grundlage waren dabei vor allem alte Theorien wie dasMudaraba-Konzept, dass bis heute angewendet wird.48

Eine erste reale Umsetzung dieser Praktiken wurde durch Al-Najjar, ein in Deutschland ausgebildeter muslimischer Ökonom, die Gründung einer zinsfreien Bank realisiert. Mit der finanziellen Unterstützung einiger deutscher Finanzhäuser, führte diese Bank in kurzer Zeit etwa 250.000 Kunden mit 2 Mio. ägyptischen Pfund Einlagen.

Leider scheiterte dieses Vorhaben. Gründe für das Scheitern sind bis heute umstritten, genannt werden dabei Angst vor islamischen Fundamentalismus oder auch finanzielle Schwierigkeiten. Im Jahre 1975 wurde im Zuge des Ölbooms und einiger theoretischer Weiterent-wicklungen die Dubai Islamic Bank gegründet, die bis heute zu den führenden islamischen Banken weltweit zu zählen ist. In den Folgejahren bis in die 90er Jahre wurden die theoretischen Ansätze weiter intensiviert durch Konferenzen und zahlreichen Veröffentlichungen in der ganzen Welt zu dieser Thematik.49

Ab den 90er Jahren wurde das Hauptthema des islamischen Bankwesens um islamische Versicherungen und deren Produkte erweitert. Aufgrund der starken Nachfrage nach Risikotransfer und Risikoübertragung und dem Verbot von konventionellen Versicherungen verzeichnet dieser Sektor bereits stärkere Wachstumszahlen als der islamische Bankensektor.50

Das Wachstum des islamischen Bankwesens wurde auch durch staatliche Initiativen gefördert. Zwischen 1979 und 1985 wurde beispiels-weise das gesamte konventionelle Bankwesen in Pakistan durch islamische Produkte ersetzt. Allerdings konnte sich dieser ideologische Vorstoß nicht langfristig durchsetzen, aufgrund zinstragender Staats-schulden und gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Widerstand.

Weitere Länder wie Iran und Sudan waren hingegen ab 1983 und 1989 mit der kompletten Islamisierung erfolgreicher.

Mit der Gründung der Islamic Development Bank im Jahr 1973 werden islamische Produkte auch in der gesamten islamischen Welt offiziell bis heute angeboten.51

1.2.2 Konzeptionelle Grundlagen

Im Mittelpunkt der islamischen Finanzierungstheorien stehen Bemüh-ungen zu einer zinslosen Finanzwirtschaft. Der Islam bezeichnet den Zins (Riba)als eine Vermehrung von Kapital und verbietet diesen strickt. In der islamischen Geschäftswelt ist jede Form des Einkommenserwerbs gestattet, die nicht mit verbotenen Handlungen oder verboten Gütern verbunden sind.52

Es kann nach drei Haupteinschränkungen oder Verbote unterteilt werden, welche in der konventionellen Geschäftswelt nicht gelten:53

- Jeder Ertrag und jede Arbeit im Bezug zu Schweinefleisch, Alkohol, Drogen und Waffen
- Umgang mitRiba(Verbot von Zinsen)
- Anwendung vonGharar(Verbot von unkalkulierten Risiko)

Im folgenden Abschnitt werden die Einschränkungen durch das Verbot vonRibaundGhararweiter diskutiert, da diese die grundlegenden Unterschiede zur konventionellen Finanzbranche sind.

1.2.2.1 Riba-Verbot (Zinsverbot)

Islamische Gelehrte beschreiben dasRibamit der Verdopplung oder auch Vervielfachung („Wucherzins“) des Vermögens. Es ist verboten Zins zu nehmen oder zu zahlen, unabhängig ob die Beteiligten Muslim oder Nicht-Muslim sind. DasRibaist der Austausch von Vermögenswerten mit einem Aufschlag ohne entsprechende Gegenleistung.54

DasRiba-Verbot bedeutet, dass ein Darlehensgeber keinerlei Vorteile über den ausgeliehenen Betrag hinaus vom Darlehensnehmer ver-langen darf. Der Zweck des Darlehens ist dabei nicht von Bedeutung. Erlaubt sind jedoch Gewinn aus Handelsgeschäften oder der Vermietung von Gütern. Handelt es sich um reine Finanzier-ungsgeschäfte, so sind sie nur zulässig wenn der Kapitalgeber das Risiko des Kapitalnehmers mit trägt und eine Gewinn- sowie Verlustbeteilung beider berücksichtigt.55

Zum ThemaRibagibt es in der gesamten islamischen Welt unter-schiedliche Diskussionen. Einige gehen davon aus, dass das Zinsverbot der Wirtschaft schade und nur so stark von islamischen Vertretern verdrängt wird, da es sonst eine Niederlage für den Islam wäre. Auf der anderen Seite unterstützt dieses Zinsverbot das islamische Werte-system.56

Grundsätzlich wird in der Scharia nach zwei Zinsarten unterschieden:57

- Zins bei Kaufgeschäften (Riba al-Fadl)
- Zins bei Darlehen (Riba an-Nasi’ah)

Der Zins bei Kaufgeschäften bezieht sich auf den Warentausch gattungsgleicher Güter (Gold, Silber, Weizen, etc.). Anhand dieses Zinsverbotes wird jede ungerechtfertigte Bereicherung durch Handel ausgeschlossen. Gattungsgleicher Gütertausch ist nur erlaubt, wenn Mengengleichheit herrscht, kein Aufschub gewährleistet ist und wechselseitig der Besitz vor Ort übergeht.

Der Zins bei Darlehen wird oft als „Fristwucher“ von der Scharia bezeichnet. Dies ist die Mehrleistung für die Aufschiebung einer Schuld in Form von Kapital oder Waren. Die Gattung für den Erhalt dieser Prämie spielt dabei keine Rolle. Diese Form des Zinses ist die vielseitig genutzte Variante der westlichen Geschäftswelt. Weitergehend je nach Interpretation, ist jede Mehrung in Abhängigkeit von der Zeit für eine Begleichung einer Leistung ein Zins und damit im Islam verboten (haram). Diese Mehrung bezieht sich nicht nur auf Kapital sondern auch auf z.B. Geschenke oder ähnliches.

Die Diskussionen zumRiba-Verbot sind vielseitig und werden nicht nur vom Islam geführt sondern auch vom Juden- und Christentum. Beispielsweise bestand bis 1500 n. Chr. ein striktes Zinsverbot in Europa.

Das Verbot geriet jedoch zunehmend aufgrund finanziellen Interesses unter Druck und wurde aufgeweicht.58 Die folgendeTabelle 1fasst einige der Diskussionspunkte zusammen.

Tabelle 1: Diskussion Zinsverbot

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Eigene Darstellung nach: Imran, Das islamische Wirtschaftssystem, 2008.

[...]


1 Vgl. Hofmann, Der Koran, 2001, S. 15.

2 Vgl. Hofmann, Der Koran, 2001, S. 15.

3 Busse, Grundzüge der islamischen Theologie, 2005, S. 23.

4 Vgl. Busse, Grundzüge der islamischen Theologie, 2005, S. 23.

5 Vgl. Hofmann, Der Koran, 2001, S. 15-16.

6 Vgl. Rotter, Die Verfassung von Medina, 2002, S. 29.

7 Vgl. Krämer, Geschichte des Islam, 2005, S. 23.

8 Vgl. Busse, Grundzüge der islamischen Theologie, 2005, S. 25.

9 Siehe Kapitel 1.1.2.

10 Vgl. Krämer, Geschichte des Islam, 2005, S. 25.

11 Vgl. Rotter, Die Verfassung von Medina, 2002, S. 30.

12 Busse, Grundzüge der islamischen Theologie, 2005, S. 27.

13 Vgl. Krämer, Islam und Islamismus, 2002, S. 12.

14 Vgl. Hofmann, Der Koran, Sure33, Vers 40; Krämer, Geschichte des Islam, 2005, S. 25, 27.

15 Siehe Kapitel 1.1.3.

16 Vgl. Krämer, Geschichte des Islam, 2005, S. 27.

17 Zwei offizielle Kopien sind noch erhalten in: Topkapi Museum Istanbul, Taschkent.

18 Vgl. Krämer, Geschichte des Islam, 2005, S. 32.

19 CIA, World Factbook, 2009.

20 Die derzeitige Verteilung der Muslime auf der Welt ist imAnhang 1zu finden.

21 Heine/Spielhaus, Das Verbreitungsgebiet der islamischen Religion, 2005, S. 129.

22 Vermischung von religiösen Ideen oder Philosophien zu einem neuen System oder Weltbild.

23 ZumKonsummotivim immateriellen, religiösen Kontext zählen Freizeit- sowie spirituelle Motive, die sich z.B. auf religiösen Feiern im Unterhaltungswert und einem Gemeinschafts- und Angehörigkeitsgefühl manifestieren. Haben Menschen durch religiöse Aktivitäten Heilserwartungen, spricht man vomHeilsmotiv. Im Allgemeinen verfolgt jeder Gläubige im individuell verschiedenen Verhältnis beide Motive gleichzeitig; vgl. Steinmayer, Islamische Ökonomie in Südafrika, 2004, S. 40-42.

24 Vgl. Grünert, Es gibt keinen Gott außer Allah, 2002, S. 21.

25 Vgl. Hofmann, Der Koran, 2001, S. 16.

26 Vgl. Gassner/Wackerbeck, Islamic Finance, 2007, S. 19; Geilfuß, Islanic Banking in Deutschland, 2009, S. 2.

27 Hofmann, Der Koran, 2001, S. 12-13.

28 Steinmayer, Islamische Ökonomie in Südafrika, 2004, S. 43.

29 Dabei ist die Hölle endlich: Nach einer individuell notwendigen Zeit ist die „Schuld“ abgeleistet und der Weg in das Paradies frei.

30 Vgl. Steinmayer, Islamische Ökonomie in Südafrika, 2004, S. 43.

31 Vgl. Gassner/Wackerbeck, Islamic Finance, 2007, S. 19-20.

32 Vgl. Steinmayer, Islamische Ökonomie in Südafrika, 2004, S. 95-96, 99.

33 Gassner/Wackerbeck, Islamic Finance, 2007, S. 24.

34 Vgl. Steinmayer, Islamische Ökonomie in Südafrika, 2004, S. 81-85; Gassner/Wackerbeck, Islamic Finance, 2007, S. 21, 24.

35 Vgl. Bekkin, Das islamische Finanzsystem in Russland, 2004, S. 57-60.

36 Vgl. Imran, Das islamische Wirtschaftssystem, 2008, S. 13.

37 Vgl. Steinmayer, Islamische Ökonomie in Südafrika, 2004, S. 82.

38 Vgl. Imram, Das islamische Wirtschaftssystem, 2008, S. 15.

39 Vgl. Grünert, Es gibt keinen Gott außer Allah, 2002, S. 23.

40 Vgl. Steinmayer, Islamische Ökonomie in Südafrika, 2004, S. 84.

41 AuchZwölfer-ShiaoderImamiyagenannt; vgl. Steinmayer, Islamische Ökonomie in Südafrika, 2004, S. 89.

42 Vgl. Steinmayer, Islamische Ökonomie in Südafrika, 2004, S. 88.

43 Vgl. Gassner/Wackerbeck, Islamic Finance, 2008, S. 22.

44 Vgl. Steinmayer, Islamische Ökonomie in Südafrika, 2004, S. 13.

45 Vgl. Imran, Das islamische Wirtschaftssystem, 2008, S. 21.

46 Vgl. Nienhaus, Islamische Ökonomik in der Praxis, 2005, S. 163.

47 Vgl. Gassner/Wackerbeck, Islamic Finance, 2008, S. 23.

48 Vgl. Gassner/Wackerbeck, Islamic Finance, 2008, S. 37.

49 Vgl. Nienhaus, Islamische Ökonomik in der Praxis, 2005, S. 169.

50 Vgl. Steinmayer, Islamische Ökonomie in Südafrika, 2004, S. 102.

51 Vgl. Gassner/Wackerbeck, Islamic Finance, 2008, S. 41.

52 Vgl. Imran, Das islamische Wirtschaftssystem, 2008, S. 22.

53 Vgl. Steinmayer, Islamische Ökonomie in Südafrika, 2004, S. 118.

54 Vgl. Imran, Das islamische Wirtschaftssystem, 2008, S. 36.

55 Vgl. Nienhaus, Islamische Ökonomik in der Praxis, 2005, S. 164.

56 Vgl. Steinmayer, Islamische Ökonomie in Südafrika, 2004, S. 144.

57 Vgl. Imran, Das islamische Wirtschaftssystem, 2008, S. 38.

58 Vgl. Imran, Das islamische Wirtschaftssystem, 2008, S. 40, 43.

Ende der Leseprobe aus 164 Seiten

Details

Titel
Immobilienfinanzierung vor dem Hintergrund des Islamic Banking
Hochschule
Bauhaus-Universität Weimar
Veranstaltung
Wissenschaftliches Kolleg
Note
1,5
Autoren
Jahr
2009
Seiten
164
Katalognummer
V137574
ISBN (eBook)
9783640474271
ISBN (Buch)
9783640474387
Dateigröße
3603 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Immobilienfinanzierung, Islamic Banking, Islamic Finance, Immobilienökonomie, Mudaraba, Murabaha, Ijara
Arbeit zitieren
B.Sc. Udo Nauber (Autor:in)Peter Kunath (Autor:in), 2009, Immobilienfinanzierung vor dem Hintergrund des Islamic Banking, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/137574

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