Die Entdeckung der Spiegelneuronen stellt einen Meilenstein in der Geschichte der Neurowissenschaften dar und liefert eine mögliche Erklärungsbasis für viele bisher noch unvollständig erklärte Phänomene der menschlichen Kognition. So wurde in den letzten Jahren unter anderem ein bedeutender Zusammenhang zwischen den Spiegelneuronen und dem Verständnis von Handlungen, der Imitation, dem Sprachenlernen sowie der Empathie festgestellt. Die Spiegelneuronen sind Nervenzellen, welche auf die Aktivitäten und Gefühle anderer Menschen mit einer spiegelbildlichen Resonanz reagieren und diese simultan in uns selbst aktivieren. Dadurch verbinden sie die Außenwelt mit unseren eigenen Erfahrungen und lassen uns diese von innen heraus verstehen. Sie machen soziale Resonanzphänomene wie Mimikry, emotionale Ansteckungsprozesse sowie Schwarmverhalten erklärbar und zeigen uns auf, dass der Mensch jederzeit auf andere Menschen reagiert und mit diesen in Resonanz geht. Dieser Prozess bildet mithin die Basis für die menschliche Fähigkeit zur Empathie, die grundsätzlich angeboren ist, jedoch einer Entwicklung bedarf. Die Spiegelneuronen stellen dabei zwei Seiten einer Medaille dar. Einerseits öffnen sie uns für die Gefühle unserer Mitmenschen und begründen so einen zwischenmenschlichen Bedeutungsraum, der Empathie und Mitgefühl in summa erst möglich macht. Doch gleichzeitig machen sie uns dadurch auch anfällig für emotionale Ansteckungsprozesse und Suggestionen unserer Mitmenschen, die auch unsere Moralvorstellungen sowie unser Handeln substituieren können. Folglich ist eine kognitive Steuerung obligatorisch und ein reflektiertes Verhalten im Sinne von KANT unerlässlich. Für unsere moralische Freiheit ist es daher unabdingbar zu lernen, welchen Resonanzprozessen wir uns öffnen und welchen wir uns verschließen sollten. Das Ziel dieser Bemühung ist letztendlich eine tugendhafte Haltung und ein reguliertes Reaktionsvermögen, welche die Voraussetzung schaffen eine angemessene Mitte zwischen Resonanzöffnung und vollständiger Resonanzblockade unter Berücksichtigung der jeweiligen Situation bewusst zu wählen. Die Ausarbeitung der ethischen Grundlagen zeigt auf, dass wichtige Vertreter der Moralphilosophie, wie HUME und SCHOPENHAUER, den erst kürzlich entdeckten Spiegelmechanismus intuitiv bereits erahnt und in ihren Ausführungen gewissermaßen vorweggenommen haben.
Inhaltsverzeichnis
- Resonanzphänomene – Eine Einführung
- Zielsetzung der Arbeit
- Aufbau der Arbeit
- Spiegelneuronen als Basis sozialer Resonanz
- Soziale Kognition und die Theory of Mind
- Kernpunkte der Spiegelneuronenforschung
- Entdeckungsgeschichte
- Das menschliche Spiegelneuronensystem und seine Merkmale
- Evolutionärer Zweck und die Hemmmechanismen
- Spiegelung und Resonanz in Kindheit und im Erwachsenenalter
- Die erste Resonanzbeziehung
- Die Weiterentwicklung der Spiegelneuronen im Kleinkindalter
- Die Auswirkung fehlender Resonanzbeziehungen
- Spiegeleffekte im Erwachsenenalter
- Der Zusammenhang zwischen Spiegelneuronen und Empathie
- Ethische Grundlagen: Moral, Tugend und Mitgefühl
- Begriffsabgrenzung: Moral-Ethik-Ethos
- Die Tugendethik bei Aristoteles
- Über den Ursprung der Moral: Verstand oder Gefühl?
- Die Position von Immanuel Kant
- Die Position von David Hume
- Die Position von Schopenhauer
- Spiegelneuronen und soziale Resonanzphänomene aus ethischer Sicht
- Spiegelneuronen im Kontext der Gefühlsethik
- Überschneidungspunkte der Spiegelneuronen mit den Ethikonzeptionen von David Hume und Arthur Schopenhauer
- Spiegelneuronaler Einfluss auf das Empathie- und Moralverständnis
- Einflussfaktoren auf moralische und empathische Prozesse
- Resonanzblockaden
- Ungefilterte Resonanzmechanismen
- Selbststeuerung nach Kant
- Tugendethische Aspekte und die Kultivierung des Mitgefühls
- Resümee und Ausblick
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Master-Thesis untersucht die Bedeutung der Spiegelneuronen im Kontext sozialer Resonanzphänomene aus ethischer Sicht. Ziel ist es, die Rolle dieser Nervenzellen bei der Entstehung von Empathie und Mitgefühl zu beleuchten und die ethischen Implikationen des Spiegelmechanismus zu analysieren.
- Das Funktionsprinzip der Spiegelneuronen und ihre Rolle in der sozialen Kognition
- Die Entwicklung der Spiegelneuronen im Laufe des Lebens und deren Einfluss auf die Empathie
- Die ethischen Implikationen des Spiegelmechanismus, insbesondere im Hinblick auf Moral und Tugend
- Die Beziehung zwischen Spiegelneuronen und den Gefühlsethiken von David Hume und Arthur Schopenhauer
- Die Bedeutung der Selbststeuerung im Kontext der Resonanzphänomene
Zusammenfassung der Kapitel
Die Arbeit beginnt mit einer Einführung in das Thema der Resonanzphänomene und der Zielsetzung der Untersuchung. Im zweiten Kapitel werden die Spiegelneuronen als Grundlage sozialer Resonanz im Detail beleuchtet. Es werden ihre Entdeckung, Funktionen und die Bedeutung für die Entwicklung der Empathie in Kindheit und Erwachsenenalter besprochen.
Das dritte Kapitel befasst sich mit den ethischen Grundlagen der Arbeit. Es werden die Begriffe Moral, Ethik und Ethos abgegrenzt und die Tugendethik bei Aristoteles vorgestellt. Anschließend werden verschiedene Positionen zum Ursprung der Moral diskutiert, unter anderem die Positionen von Immanuel Kant, David Hume und Arthur Schopenhauer.
Im vierten Kapitel wird der Zusammenhang zwischen Spiegelneuronen und sozialen Resonanzphänomenen aus ethischer Sicht beleuchtet. Die Arbeit untersucht, wie die Spiegelneuronen in die Gefühlsethiken von Hume und Schopenhauer passen und welche Auswirkungen sie auf unser Empathie- und Moralverständnis haben. Außerdem werden Einflussfaktoren auf moralische und empathische Prozesse analysiert, wie z.B. Resonanzblockaden und ungefilterte Resonanzmechanismen. Schließlich wird die Bedeutung der Selbststeuerung nach Kant im Kontext der Resonanzphänomene untersucht.
Schlüsselwörter
Spiegelneuronen, soziale Resonanz, Empathie, Mitgefühl, Moral, Ethik, Tugendethik, Kant, Hume, Schopenhauer, Gefühlsethik, Selbststeuerung
- Arbeit zitieren
- Helene Waschtschenko (Autor:in), 2018, Die Bedeutung der Spiegelneuronen im Kontext sozialer Resonanzphänomene, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1377370