Sicherheitsinstitution im Wandel

Die NATO nach Ende des Kalten Kriegs


Hausarbeit (Hauptseminar), 2009

19 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Fragestellung und Hypothese

2. Institutionalismus
2.1. Kooperationsprobleme
2.2. Interdependenz & Regime
2.3. Entstehung von Regimen

3. Sicherheitsinstitutionen
3.1. Internationale Sicherheitsprobleme
3.2. Allianzen als Sicherheitsinstitutionen
3.3. Institutionelle Herausforderungen

4. Die NATO nach
4.1. Fallbeispiel Bosnien
4.2. Analyse

5. Schluss

6. Quellen
a) Literaturverzeichnis
b) Internetlinks

7. Abstract / Zusammenfassung

1. Fragestellung und Hypothese

Warum löste sich die NATO mit Ende des Kalten Krieges nicht auf? Im Jahr 2009 feiert das älteste Verteidigungsbundnis der Welt das sechzigste Jahr seines Bestehens. Gegriindet nach dem Zweiten Weltkrieg als Schutz der westlichen Wertegemeinschaft gegen die expansive Sowjetunion, erlebte es in der Zeit seiner Existenz ständig Höhen und Tiefen. Nach dem Fall der Berliner Mauer und dem Zusammenbruch des Ostblocks bestand fir viele Autoren, insbesondere der neorealistischen Schule,1 nicht länger eine Daseinsberechtigung fir dieses Militärbundnis. Doch blieb die Allianz trotz geänderter weltpolitischer Lage bestehen. Mit der Aufnahme neuer Mitglieder erweiterte sie sogar ihr Territorium und mit der Ubernahme von UNSC-mandatierten Friedensmissionen vergröBerte sich ihr Aufgabenbereich. Wo liegt nun aber die Begriindung fir den Bestand und die kontinuierliche Weiterentwicklung der NATO?

Meine These lautet, dass durch den hohen Institutionalisierungsgrad der NATO und ihrer damit einhergehenden Flexibilität das Fortbestehen gesichert war und auch in Zukunft sein wird.

Zu Beginn werde ich allgemein in die Theorie des Institutionalismus und hier speziell in die Regimetheorie einfhren und den Zweck von Kooperation zwischen Staaten in den internationalen Beziehungen erläutern. Besonders die Entstehung und Wirkung von Regimen stehen hierbei im Mittelpunkt der Betrachtung. AnschlieBend werde ich auf Probleme der internationalen Sicherheit eingehen, um im Anschluss das Wirken von Allianzen als Sicherheitsinstitutionen zu erläutern.

Am Ende werde ich am Beispiel der Mission in Bosnien zeigen, welchen Herausforderungen sich die NATO nach Ende des Kalten Krieges ausgesetzt sah und aufzeigen, wie sie darauf reagiert und sich angepasst hat.

2. Institutionalismus

2.1. Kooperationsprobleme

Neben der Problematik, warum Staaten gegeneinander Krieg fhren, beschäftigt sich die Disziplin der Internationalen Beziehungen auch mit der Frage nach zwischenstaatlicher Kooperation und Integration. Warum finden sich Staaten zusammen und kooperieren und aus welchen Grlinden bilden sie Allianzen und internationale Organisationen? Um diese Frage zu beantworten gilt es als erstes herauszufinden, welches Interesse Staaten an Kooperation haben und welche Schwierigkeiten dabei auftreten.

Staaten haben entweder den Wunsch nach dem Wohlergehen eines bestimmten Staatenkollektivs (z.B. der EU) oder sie verfolgen schlicht ihre eigenen Interessen.2 Die Schule des rationalistischen oder utilitaristischen Institutionalismus geht daher von der Annahme aus, dass Staaten als „rationale Egoisten" agieren — sie versuchen stets ihren eigenen Nutzen zu maximieren.3 Obwohl der Institutionalismus — wie der Neorealismus — das System der internationalen Beziehungen als anarchisch betrachtet, geht der Institutionalismus allerdings davon aus, dass Staaten ein Interesse an Kooperation haben, da unilaterales Handeln zu suboptimalen Ergebnissen fiihren könnte. Wie dies theoretisch erklärt werden kann, zeigt Keohane spieltheoretisch am sogenannten „Gefangenendilemma": Zwei Gefangene sitzen in zwei separaten Zellen und werden ohne Kontakt zueinander verhört. Beide Gefangenen wissen, dass, sollten sie beide schweigen, ihre Strafe auf geringe 30 Tage mangels Beweisen fir eine schwerere Straftat festgesetzt wird. Sollten beide allerdings gestehen, erhalten beide eine einjährige Gefängnisstrafe. Die Aussicht auf eine geringe Strafe gibt beiden einen Anreiz, nicht zu gestehen. Nun hat allerdings der Staatsanwalt beiden mitgeteilt, dass fir den Fall, einer der beiden Gefangen gesteht während der andere weiterhin schweigt, der Geständige auf freien FuB gesetzt wird, während der Schweigende zu einer fnfjährigen Strafe verurteilt wird.

Unter diesen Voraussetzungen ist es fir beide Gefangene am Idealsten zu gestehen, egal was der ehemalige Komplize tut. Sollte der Partner auch aussagen, erhalten beide ein Jahr Arrest; sollte der Partner schweigen, kommt der Geständige auf Kosten des Partners frei.4

Hier wird das Problem deutlich: Obwohl beide Partner — individuell — rational gehandelt haben, haben sich beide unkooperativ verhalten. Sie haben die Option gewählt, die fir sie am vorteilhaftesten, aber dennoch suboptimal ist. Hatten sie hingegen kooperiert, d.h. hatten beide geschwiegen, dann hatten sie das optimale Ergebnis erlangt (= nur 30 Tage Arrest).

Das Gefangenendilemma zeigt somit idealbildlich eines der Kernprobleme bei Kooperationsspielen. Akteure sind durchaus an Kooperation interessiert, allerdings ist diese oftmals nicht möglich, denn „[...] barriers to information and communication [...] can impede cooperation and create discord even when common interests exist. "5 Mangelnder Informationsaustausch und Informationsbarrieren behindern also die Kommunikation zwischen den Akteuren und erzeugen so Misstrauen, was wiederum Kooperation verhindert. Wie diese Probleme nun gelöst werden können, zeigt das folgende Kapitel.

2.2. Interdependenz & Regime

Heutzutage sind Staaten durch ihre wirtschaftlichen Verflechtungen hochgradig von einander abhängig. Diese Interdependenz6 kann positive wie auch negative Auswirkungen haben. So kann die Zollpolitik eines Landes exportierende Lander schwächen, ein Wissens- und Technologietransfer kann aber auch den Fortschritt in anderen Landern befördern. Da Staaten nun, wie oben festgestellt, das Interesse haben ihre eigenen Interessen zu starken, gehen Staaten Kooperationen ein. Damit aber effektive Kooperation zu Stande kommt, bedarf es nach Keohane dazu allerdings regelnder Katalysatoren.7

Regime stellen solche Katalysatoren dar. Sie helfen Staaten durch internationale Kooperation ihre Interessen zu vertreten, ohne sie dabei bedeutend zu verandern.8 Somit sind Regime „[...] norm-und regelgeleitete Formen der Kooperation zur politischen Bearbeitung von Konflikten in verschiedenen Bereichen der internationalen Beziehungen".9

Keohane zeichnet dabei in After Hegemony vier Pfade, auf denen Regime in der internationalen Kooperation wirken:10

(1) Senkung der Transaktionskosten durch die Einfhrung eines Verhandlungsrahmens, durch den Verhandlungspartner und Verhandlungsziele bereits grundlegend festgelegt sind. Verhandlungen sind somit weitestgehend vorstrukturiert, was die Verhandlungsführung vereinfacht und schneller Ubereinkommen schlieBen lässt.

(2) Erwartungszuver ki ssig k eit wird aufgebaut. Durch die gesunkenen Transaktionskosten wird die Kontrolle der Kooperationstreue der Partner vereinfacht. Weitreichende Kontrollbefugnisse der Regime können verhindern, dass Partner aus Angst oder anderen Anreizen unkooperativ handeln und aus dem Regime ausscheren.

(3) Einfachere Kooperation in anderen Bereichen wird erreicht, da Regime zumeist Anreize setzen, die dadurch Kooperation in anderen Bereichen vereinfachen und befördern. Durch die Verknüpfung von Bereichen innerhalb eines Regimes sind Partner weniger geneigt, aus einem Bereich auszuscheren, weil sie Nachteile in einem anderen Bereich befürchten. So brauchen sie auch nicht befürchten, dass andere Partner es ihnen gleich tun.

(4) Definition von Kooperation wird durch Regime überhaupt erst möglich. Da in internationalen Regimen genau festgelegt ist, was internationale Kooperation überhaupt beinhaltet, verhindern sie Unsicherheit bei Staaten in Bezug auf das eigene Verhalten. Staaten können unkooperatives Verhalten nicht mehr mit Unkenntnis darüber, was von ihnen bei einer Kooperation erwartet wurde, entschuldigen.

Zur Durchsetzung der Wirkung von Regimen bilden diese zumeist Organisationen aus. Während Regime an sich erst einmal nur abstrakte Verhaltensweisen sind, wird durch eine manifeste Organisation die Wirksamkeit des Regimes sichergestellt. Durch eine ausgebaute Administration können die oben beschriebenen Wirkweisen eines Regimes effektiv implementiert werden.

Nachdem wir nun erfahren haben, wie Regime wirken werde ich im nächsten Kapitel darlegen, wie Regime entstehen.

2.3. Entstehung von Regimen

Nach Keohane ist die angesprochene Funktion von Regimen als Kooperationskatalysatoren die Ursache, warum Staaten Regime errichten beziehungsweise aufrecht erhalten. Es ist der von Staaten antizipierte Effekt, durch internationale Kooperation gemeinsame Interessen besser durchsetzen zu können.11 Allerdings hängt die Bildung von Regimen auch noch von weiteren Bedingungen ab, hier insbesondere von der Kosten-Nutzen-Relation. Je geringer die Kosten der Regimebildung und dessen Aufrechterhaltung sind und je gröBer der mit einem Regime verknüpfte Nutzen ist, desto wahrscheinlicher ist die Errichtung eines Regimes.

Die Kosten-Nutzen-Relation wird unter anderem durch die Interdependenzdichte beeinflusst. Je höher die Interdependenz zwischen den kooperierenden Staaten ist, desto höher ist auch der erwartete Gewinn einer Kooperation und desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit aus der Kooperation auszuscheiden. Ein weiterer bestimmender Faktor der Kosten-Nutzen-Relation ist die Anzahl der Staaten im entsprechenden Problemfeld. Hier wird besonders die Kosten-Seite beeinflusst, denn je mehr Staaten an einer Kooperation teilhaben, desto schwerer ist die wechselseitige Kontrolle. Daher sind bei der Kooperation mehrerer Staaten zusatzliche Kontrollmechanismen notwendig, die wiederum die Kosten der Kooperation erhöhen.

Ein letzter Faktor ist die Machtverteilung auf einem bestimmten Problemgebiet. Nach Keohane ist eine hegemoniale Machtverteilung in einem Gebiet, in dem Staaten Kooperationsinteresse haben, der Regimebildung und -erhaltung zutraglich. Dabei kann der Nutzen fiir machtige Staaten auf einem Gebiet so auBerordentlich hoch sein, dass es fiir sie selbst dann noch profitabel ist, wenn sie die Kosten der Regimebildung und -erhaltung allein tragen miissen.12

Möchte man die Entstehung der Regimetheorie verstehen, muss man den historischen Rahmen betrachten. Nachdem die wirtschaftliche Hegemonie der USA in den späten 1970er auf dem Weg des Niederganges war, stellte man sich die Frage, ob die neorealistische Auffassung einer hegemonialen Stabilität sich bewahrheiten sollte; ob also die bestehenden Regime ohne eine starke Hegemonialmacht weiterhin Bestand haben können. Die Regimetheorie folgt dabei dem Neorealismus bei den Annahmen, dass Staaten die wichtigsten Akteure der internationalen Politik sind, in einem anarchischen Raum agieren und ihre eigenen Interessen verfolgen. Daraus kommt die Regimetheorie allerdings zu anderen Schlussfolgerungen: Insbesondere durch die oben erwahnte erhöhte Interdepedenz wird Kooperation auch jenseits einer Hegemonie weiterhin möglich sein und im Interesse vieler Staaten sein. AuBerdem betrachtet die Regimetheorie im Gegensatz zum Neorealismus Regime nicht ausschlieBlich als Mittel hegemonialer Machtausiibung sondern als Instrument zur Lösung von Kooperationsproblemen, die aus den komplexen Interdependenzbeziehungen entstehen.13

Somit ist das theoretische Fundament dieser Arbeit gelegt. Im folgenden Kapitel werde ich Kooperationsprobleme im Bereich der internationalen Sicherheit darstellen und erläutern, welchen Beitrag die NATO dabei leistet.

[...]


1 Vgl. Mearsheimer, John J., Back to the Future: Instability in Europe after the Cold War. In: International Security 15/1 (1990), S. 5-56; Walt, Stephen M., Alliances in Theory and Practice. What lies ahead? In: Journal of International Affairs, 43/1 (1989), S. 1-17; Waltz, Kenneth N., The Emerging Structure of International Politics. In: International Security 18/2 (1993), S. 44-79.

2 Dougherty, James E. / Pfaltzgraff Jr., Robert L., Contending Theories ofInternational Relation. A comprehensive survey, New York / San Francisco / Boston u.a. 52001, S. 506.

3 Krell, Gert, Weltbilder und Weltordnung. Einf " hrung in die Theorie der Internationalen Beziehungen, Baden-Baden 32004, S. 246.

4 Keohane, Robert O., After Hegemony, Princeton / Oxford 1984, S. 67-69. Das Gefangenendilemma ist nur eines von mehreren Kooperationsspielen. Ein weiteres bedeutendes ist die Hirschjagd (stag hunt), die bereits von Rousseau entwickelt wurde. Dazu Krell, Weltbilder, S. 246f.

5 Keohane, After Hegemony, S. 69.

6 Keohane und Nye definieren Interdependenz als „situations characterized by reciprocal effects among countries or among actors in different countries." (Keohane, Robert O. / Nye, Joseph S., Power and Interdependence, New York 21989, S. 8.) Krell, Weltbilder, S. 243 definiert Interdependenz als ein "Beziehungsmuster zwischen staatlich verfassten Gesellschaften, das sich durch eine hohe Interaktionsdichte auszeichnet, deren Verlust oder drastische Beschneidung mit erheblichen Kosten fr beide Seiten verbunden ware." Vergleiche auch: Spindler, Manuela, Interdependenz. In: Schieder, Siegfried / Dies. (Hgg.), Theorien der Internationalen Beziehungen, Opladen / Farmington Hills 22006, S. 93-120.

7 Zangl, Bernhard, Regimetheorie. In: Schieder / Spindler, Theorien, S. 121-144: 128-129.

8 Ibid.

9 Krell, Weltbilder, S. 248.

10 Zangl, Regimetheorie, S. 129-131.

11 Zangl, Regimetheorie, S. 131-133.

12 Keohane, After Hegemony, S. 31-46.

13 Zangl, Regimetheorie, S. 121-122.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Sicherheitsinstitution im Wandel
Untertitel
Die NATO nach Ende des Kalten Kriegs
Hochschule
Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald  (Institut für Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Seminar: Friedens- & Konfliktforschung
Note
1,3
Autor
Jahr
2009
Seiten
19
Katalognummer
V137925
ISBN (eBook)
9783640464678
ISBN (Buch)
9783640461820
Dateigröße
465 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
NATO, Kalter Krieg, Institutionalismus, Internationale Organisation, Sicherheit, Bosnien-Krieg, SFOR, Nordatlantikpakt
Arbeit zitieren
Oliver Teige (Autor:in), 2009, Sicherheitsinstitution im Wandel, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/137925

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