Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Beantwortung der Frage, warum Heinrich geschehen muss, was ihm geschieht. Die Frage zielt auf die Begründung des Handlungsverlaufs durch logische Argumente ab und soll diese aufschlüsseln. Hierzu werden verschiedene Thesen aufgestellt. Die erste These besagt, dass Hartmanns von Aue Der arme Heinrich in seinem Verlauf einem auf Logik basierenden Plan folgt. Diese Logik orientiert sich an der zweiten These, dass der Autor eine Wirkung mit seiner Erzählung erreichen möchte, die sich bei den Rezipienten durch die Mitverfolgung des Handlungsverlaufes einstellt. Die Wirkung erzielt er, indem er Heinrich und seinen anfänglichen Glücksbegriff durch die in der Erzählung enthaltenen Wendungen zu einem neuen Glücksbegriff führt. Diese Wandlung stellt die dritte These dar.
Um die Thesen zu erhärten soll am Beispiel Hartmanns von Aue Der arme Heinrich gezeigt werden, welchen Plan der Autor verfolgt, was seine Ziele sind und wie er sie erreicht. Diese Überprüfung erfolgt in folgenden Schritten. Eingangs werden die Begrifflichkeiten und deren Verwendung in dieser Arbeit erläutert. Die zentralen Begriffe sind der Zufall, die Kontingenz und die narrative Logik, die es zu nennen gilt. Der Zufall spielt innerhalb der Erzählung eine entscheidende Rolle, da sich durch ihn Veränderungen ergeben, die ein Fortschreiten der Handlung erst ermöglichen. Da Zufälle nur im Handlungsraum der Kontingenz möglich sind, worin ich mich der Aussage Makropoulos anschließe, soll auch der Begriff Kontingenz in seiner Bedeutung für diese Arbeit erklärt werden. Der anschließenden formalen Analyse des Armen Heinrich folgt die inhaltliche Untersuchung der Erzählung. Diese Untersuchung erarbeitet den Handlungsverlauf und stellt das Auftreten der Kontingenz in den Vordergrund. Um die Logik der Erzählung zu erarbeiten werden die Wendepunkte im Anschluss auf deren Begründbarkeit hin untersucht. Die Begründbarkeit wird aus dem Wissensstand der Figuren, der Rezipienten und des Autors und den erklärenden Hinweisen des Erzählers zum Zeitpunkt der Situation abgeleitet. Ziel der Analyse ist die Erarbeitung des Ziels der Erzählung, der erwünschten Wirkung und deren Umsetzung durch den Erzähler.
Zusammenfassend werden das Ziel der Erzählung, die eingesetzten Mittel zur Erreichung, der veränderte Glücksbegriff Heinrichs und die erwünschte Wirkung dargelegt.
Inhalt
1 Einleitung
2 Abgrenzung der Begriffe Zufall, Kontingenz und Narrative Logik
2.1 Was sind Zufall und Kontingenz
2.2 Räume der Kontingenz in der Literatur
2.3 Narrative Logik
3 Der arme Heinrich
3.1 Formale Parameter der Erzählung
3.2 Struktur des Handlungsverlaufs
3.3 Inhaltliche Untersuchung des Handlungsverlaufs
3.3.1 Prolog (Vers 1 - 28)
3.3.2 Heinrichs Leben vor der Krankheit (Vers 29 - 132)
3.3.3 Heinrichs Erkrankung (Vers 119 f.)
3.3.4 Heinrichs Reaktion auf die Krankheit (Vers 133 - 266)
3.3.5 Heinrichs Ankunft und Leben auf dem Meiershof (Vers 266 - 349)
3.3.6 Heinrichs Schuldbekenntnis (Vers 349 bis 458)
3.3.7 Nächtliches Gespräch I (Vers 481 bis 508)
3.3.8 Nächtliches Gespräch II (Vers 539 bis 854)
3.3.9 Die zweite Reise nach Salerno (Vers 1063 bis 1376)
3.3.10 Heinrichs Leben nach der Krankheit (ab Vers 1387)
3.4 Interpretation
3.4.1 Prolog
3.4.2 Heinrichs Leben vor der Krankheit
3.4.3 Die Erkrankung und Heinrichs Reaktion
3.4.4 Das Leben auf dem Meierhof und die Figur der maget
3.4.5 Das Schuldbekenntnis
3.4.6 Die nächtlichen Gespräche
3.4.7 Die Entscheidung der maget
3.4.8 Die Reise nach Salerno II
3.4.9 Die Opferszene
3.4.10 Heinrichs Leben nach der Krankheit
3.5 Die Logik des Autors
3.5.1 Ziel des Autors
3.5.2 Der Glücksbegriff Heinrichs
3.5.3 Wissensstand der Beteiligten bzgl. Schuld und Lösung
4 Fazit
5 Literaturverzeichnis
6 Abbildungsverzeichnis
7 Anhang
7.1 Zusammenhänge zwischen Zufall und Kontingenz
7.2 Handlungsverlauf des „Armen Heinrich“
7.3 Darstellung der Figuren in Relation zum „rechten Weg“
1 Einleitung
Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Beantwortung der Frage, warum Heinrich geschieht, was ihm geschieht. Die Frage zielt auf die Begründung des Handlungsverlaufs durch logische Argumente ab und soll diese aufschlüsseln. Hierzu werden verschiedene Thesen aufgestellt. Die erste These besagt, dass Hartmanns von Aue Der arme Heinrich in seinem Verlauf einem auf Logik basierenden Plan folgt. Diese Logik orientiert sich an der zweiten These, dass der Autor eine Wirkung mit seiner Erzählung erreichen möchte, die sich bei den Rezipienten durch die Mitverfolgung des Handlungsverlaufes einstellt. Die Wirkung erzielt er, indem er Heinrich und seinen anfänglichen Glücksbegriff durch die in der Erzählung enthaltenen Wendungen zu einem neuen Glücksbegriff führt. Diese Wandlung stellt die dritte These dar.
Um die Thesen zu erhärten soll am Beispiel Hartmanns von Aue Der arme Heinrich gezeigt werden, welchen Plan der Autor verfolgt, was seine Ziele sind und wie er sie erreicht. Diese Überprüfung erfolgt in folgenden Schritten. Eingangs werden die Begrifflichkeiten und deren Verwendung in dieser Arbeit erläutert. Die zentralen Begriffe sind der Zufall, die Kontingenz und die narrative Logik, die es zu nennen gilt. Der Zufall spielt innerhalb der Erzählung eine entscheidende Rolle, da sich durch ihn Veränderungen ergeben, die ein Fortschreiten der Handlung erst ermöglichen. Da Zufälle nur im Handlungsraum der Kontingenz möglich sind, worin ich mich der Aussage Makropoulos1 anschließe, soll auch der Begriff Kontingenz in seiner Bedeutung für diese Arbeit erklärt werden. Der anschließenden formalen Analyse des Armen Heinrich folgt die inhaltliche Untersuchung der Erzählung. Diese Untersuchung erarbeitet den Handlungsverlauf und stellt das Auftreten der Kontingenz in den Vordergrund. Um die Logik der Erzählung zu erarbeiten werden die Wendepunkte im Anschluss auf deren Begründbarkeit hin untersucht. Die Begründbarkeit wird aus dem Wissensstand der Figuren, der Rezipienten und des Autors und den erklärenden Hinweisen des Erzählers zum Zeitpunkt der Situation abgeleitet. Ziel der Analyse ist die Erarbeitung des Ziels der Erzählung, der erwünschten Wirkung und deren Umsetzung durch den Erzähler.
Zusammenfassend werden das Ziel der Erzählung, die eingesetzten Mittel zur Erreichung, der veränderte Glücksbegriff Heinrichs und die erwünschte Wirkung dargelegt.
2 Abgrenzung der Begriffe Zufall, Kontingenz und Narrative Logik
Die Frage nach der Kontingenz in Hartmanns Der arme Heinrich erfordert eine kurze Einführung in die Thematik. Diese soll ein Grundverständnis der Begriffe Zufall, Kontingenz und Grund herbeiführen und deren Bedeutung für die Analyse des Werkes darlegen.
2.1 Was sind Zufall und Kontingenz
Aristoteles definiert den Zufall nach Bubner2 folgendermaßen.
„Dasjenige, für dessen Existenz es keinen Grund gibt. Denn gäbe es einen solchen, wäre das Ergebnis, das als Zufall erscheint, vorhersehbar oder zumindest im Nachhinein erklärbar.“3
Gründe stehen in dieser Theorie als Ursache für das was ist und warum es nicht anders ist. Das heißt, dass erst der Grund einen Sachverhalt als Wissen kenntlich macht, während unbegründete Veränderungen Zufall sind. Gründe liegen auf einer anderen Ebene als der Zufall. Wissen basiert auf der Vernunft und unterscheidet sich von Erfahrungen durch die Eliminierung des Zufalls. Die Erfahrungen liegen im Bereich der Kontingenz, während Wissen im Bereich der Vernunft liegt.
Kontingenz ist nach Makropoulos der Raum, in dem Veränderungen möglich sind. Dieser Raum beschreibt sich durch das „Auch-Anders-Sein-Können“. Mit anderen Worten beschreibt Kontingenz einen Handlungsraum, in dem eine unvollständige Bestimmtheit vorherrscht und unterschiedliche, teilweise auch konfligierende Möglichkeiten zur Veränderung herrschen. Die erste Möglichkeit zur Veränderung ist durch das Handeln individueller oder kollektiver Akteure gegeben. Die andere Möglichkeit unterliegt dem Zufall, der sich in einem kontingenten Raum durch unbegründete Veränderungen entfaltet. Konfligierend sind diese Möglichkeiten, da durch Akteure angestrebte Veränderungen durch den Zufall aufgehoben oder verändert werden können. In diesem Raum macht der Mensch alle Erfahrungen. Er ist in diesem Raum verhaftet und muss Strukturen schaffen, die ihn in die Lage versetzen, den Raum der Kontingenz zu erfassen und diesen in erster Linie einzugrenzen. Dies ist nötig, um ein Weltbild zu erstellen, das auf Wissen beruht und den Zufall weitestgehend exkludiert. Nur mit einem derartigen Weltbild ist der Mensch in der Lage, für ihn sinnvolle Entscheidungen bezüglich seines Handelns zu treffen. Diese Struktur entsteht durch Gründe, die Veränderungen aus dem Bereich der Kontingenz in einen vernunftbasierten Raum transferieren. „Gründe sind die AntiThese des Zufalls“4 und daher für ein rational fundiertes Weltbild unerlässlich.5
Zur Veranschaulichung dieser Theorie dient eine schematische Darstellung.6
2.2 Räume der Kontingenz in der Literatur
In der mittelalterlichen Literatur sind der Kontingenz feste Räume zugeordnet. Sie bilden den Gegenpol zur geordneten, zivilisierten Welt. Typische Räume sind der Wald, Wege bzw. Reisen und das Meer. Diese Räume sind der Ort der Zufälle und ebenso der Ort der Wunder, des Magischen und des Übernatürlichen. Ebenso bilden sie durch diese Anlegung den Raum für das Wirken Gottes.7
In Hartmanns Der arme Heinrich treten diese Orte ebenfalls auf, z. B. der Meiershof auf einer Rodung im Wald und die Reisen nach Salerno, weshalb diese Bedeutung für die Interpretation haben.
2.3 Narrative Logik
Unter dem Begriff der narrativen Logik wird in dieser Arbeit die Erstellung einer auf Logik basierenden Begründung des Erzählverlaufs verstanden. Jede Erzählung will eine Wirkung erzielen und folgt daher einer Logik, die den Rezipienten zu dieser Wirkung führt. Die narrative Logik ist ein Zugang zur Analyse des Textes, die auf den logisch begründeten Handlungsverlauf abzielt.
Nachdem die wichtigsten Begrifflichkeiten in ihrer Bedeutung in dieser Arbeit nun eingegrenzt sind wird nun auf den Text selbst eingegangen.
3 Der arme Heinrich
Die Textarbeit stellt sich nach der Bestimmung der formalen Parameter folgendermaßen dar. Mittels der Analyse des Erzählverlaufs Hartmanns von Aue Der arme Heinrich wird die Struktur der Erzählung erarbeitet und beschrieben. In der anschließenden Interpretation liegen die Schwerpunkte auf der Begründung des Handlungsverlaufs durch Andeutungen und Hinweise auf die Zielsetzung des Erzählers und auf der Frage, in welchen Bereichen Zufälle existieren. Diese Bereiche sind die Perspektiven des Erzählers, der Rezipienten und der Figuren.
3.1 Formale Parameter der Erzählung
Zu Beginn der Erzählung wird Hartmann vorgestellt, wie in mittelalterlichen Texten üblich. Es wird über die Suche nach dieser Geschichte zum Zweck, schwere Stunden zu erleichtern, Gott zu ehren und sein Ansehen bei den Menschen zu steigern berichtet (Vers 1 - 15). Folglich liegt im armen Heinrich eine explizite Darstellung des Erzählens vor. Im Anschluss wechselt die Perspektive auf die Geschichte, die Hartmann erzählte. Ontologisch ist der Erzähler heterodiegetisch - intradiegetisch zu kategorisieren und die zeitlogische Einteilung wird aufgrund der Vorausdeutungen im Text durch den Erzähler und die Bemerkung zu Beginn, dass er eine Geschichte erzählen werde, die er niedergeschrieben fand (Vers 16 - 17) als retrospektiv eingestuft. Durch die Bewertung des Verhaltens der Figuren und die direkte Wunschäußerung für sich und die Rezipienten am Ende der Erzählung liegt ein offener Erzähler vor.8 Diese Form des Erzählers wird auch als auktorialer Erzähler bezeichnet.
3.2 Struktur des Handlungsverlaufs
Hartmanns Armer Heinrich gliedert sich nach Wapnewski9 in drei Abschnitte. Diese Einteilung folgt der Sicht der Hauptfigur Heinrich und besteht aus einem kurzen ersten Teil, der Heinrich vor seinem Fall darstellt, einem langen Mittelteil (Vers 133 f.)10, der den Leidensweg Heinrichs beleuchtet und dem wiederum kurzen Schluss, der mit der wiedergewonnenen Gesundheit Heinrichs (Vers 1393 f.) einhergeht. Diese Einteilung ergibt sich aus den Wendepunkten der Handlung (Krankheitsaus- bruch und Bekehrung), auf die in der Interpretation näher eingegangen wird.
Der Mittelteil weist eine parallele Struktur auf, da er mit der Reaktion Heinrichs auf die Krankheit (Vers 133-266) beginnend einen Mittelteil anschließt, der Heinrichs Leben auf dem Meiershof beschreibt und seinen Höhepunkt in den beiden nächtlichen Gesprächen der Meierstochter mit ihren Eltern findet. Nach der zweiten Reise nach Salerno endet der Mittelteil mit der Heilung Heinrichs (Vers 1063-1394) durch die Opferbereitschaft der Meierstochter.11 Eine schematische Darstellung des Handlungsverlaufs findet sich im Anhang.12
3.3 Inhaltliche Untersuchung des Handlungsverlaufs
Um die narrative Logik der Erzählung untersuchen zu können ist eine detaillierte Betrachtung des Handlungsverlaufs erforderlich. In der Inhaltsbeschreibung liegt der Schwerpunkt auf zufälligen Ereignissen und Wendepunkten, um die Logik der Erzählung in der anschließenden Interpretation erarbeiten zu können.
3.3.1 Prolog (Vers 1 - 28)
Im Prolog stellt sich der Autor Hartmann von Aue seinem Publikum vor und informiert über die Absicht seiner Erzählung. Er beschreibt, dass er auf der Suche nach einer Geschichte war, die folgende Ansprüche erfüllt:
dâ mite er swære stunde
möhte senfter machen,
und von sô gewanten sachen, daz gotes êren töhte
und dâ mite er sich möhte
gelieben den liuten. (Vers 10-15)
Die Erzählung soll schwere Stunden erleichtern, Gott ehren und Hartmann das Wohlwollen der liute - der höfischen Gesellschaft sichern. Diese Geschichte fand er im Armen Heinrich und zu oben genannten Zwecken erzählt er sie.
3.3.2 Heinrichs Leben vor der Krankheit (Vers 29 - 132)
Zu Beginn der Erzählung entwirft Hartmann ein glänzendes Bild vom Weltleben Heinrichs und seinen Tugenden, die ihn als einen vollkommenen Ritter erscheinen lassen. Dieser Katalog an hervorstechenden Eigenschaften (Vers 47-74) entspricht dem damaligen Ideal der höfischen Lebensführung. Heinrich wird vom Autor anhand von Vergleichen wie z.B. dem mit Absalom (V. 85) gelobt und gepriesen. Die Beschreibung Heinrichs gleicht der Beschreibung des vollkommenen Rittertums, „voll tugent, êre, triuwe, zuht, milte, wîsheit usw.“ (vgl. Vers 47-74)
Der Darstellung Heinrichs in seinem weltlichen Glanz folgt auf den Vergleich mit Absalom die Beschreibung der Hinfälligkeit der irdischen Welt durch den Erzähler. Diese wird durch die Metapher der Krone, dem Symbol weltlicher Macht, die in den Staub fällt (Vers 86 f.) dargestellt. Unterstrichen wird diese Hinfälligkeit durch das folgende Kerzengleichnis. (Vers 101-104). Hartmann beschreibt die Hinfälligkeit mit lebhaften Bildern von Blumen, die verwelken, Lachen, das im Tränenmeer versinkt und der Süße der Freuden, in die sich Bitterkeit mischt.
3.3.3 Heinrichs Erkrankung (Vers 119 f.)
In dieser Lebenssituation wird Heinrich in Vers 119 von der miselsucht, dem Aussatz befallen. Diese Krankheit trifft Heinrich völlig unvorbereitet und verändert sein Leben grundlegend. Der Zufall der Erkrankung wird in Kapitel 3.4.3 eingehend beleuchtet.
3.3.4 Heinrichs Reaktion auf die Krankheit (Vers 133 - 266)
Die „swaeren gotes zuht“ (Vers 120) - der Aussatz - ändert das bisherige Leben Heinrichs grundlegend, was Hartmann folgenderweise beschreibt. Während er bisher nur den Glückszustand der Hauptfigur aufgezeigt hat, gibt er nun dem Rezipienten Einblick in das innere Erleben Heinrichs und dessen Ringen mit dem Leid seiner plötzlichen Lebensveränderung. Vor dem Eintritt seiner Krankheit war er den Leuten teuer und wert, nun ist er ihnen zuwider und keiner möchte mehr Kontakt zu ihm pflegen (Vers 126-127). Ein Zustand der Traurigkeit und der Betrübnis befällt den Kranken. Die Erzählung wird an dieser Stelle lebendig und die Hauptfigur rückt durch eine derartige Beschreibung des Gefühlszustandes aus der Distanz näher. Hartmann verstärkt durch das Stilmittel der Anapher das innere Erleben Heinrichs und drückt die Schwere des Schicksals mit Naturgewalten aus.
sîn swebendes herze daz verswanc,
sîn swimmendiu vreude ertranc, sîn hôchvart muose vallen, sîn honec wart ze gallen. ein swinde vinster donnerslac zebrach im sînen mitten tac, ein trüebez wolken unde dic
bedahte im sîner sunnen blic. (Vers 149 - 156)
Heinrichs Geduld erreicht nicht wie bei Hiob, der sein Schicksal auf sich genommen hat, bald ihre Grenzen. Im Gegensatz zu Hiob verflucht und verwünscht Heinrich den Tag seiner Geburt (VV. 160-162). Heinrich reagiert auf die Erkrankung, indem er Hilfe bei Ärzten sucht. Nachdem seine erste Fahrt nach Montpellier für ihn kein zufriedenstellendes Ergebnis liefert wendet er sich an einen weiteren Arzt in Salerno, dem medizinischen Zentrum des Mittelalters (Vers 173-182). Dessen Auskunft ist für den Kranken ernüchternd: Er würde immer krank bleiben, es sei denn, Gott selbst wolle der Arzt sein (Vers 223f.). Er würde nur dann wieder gesund werden, wenn er eine Jungfrau finden könne, die sich in heiratsfähigem Alter befindet, gebären kann und ihm zuliebe ihr Leben für ihn opfern würde (Vers 224ff.). Aller Hoffnung auf Heilung beraubt kehrt Heinrich nach Schwaben zurück und teilt seinen weltlichen Besitz auf. Er beschenkt seine armen Verwandten, aber auch arme Fremde und die Kirche zu gleichen Teilen, damit Gott ihm gnädig sei (Vers 254). Er verschenkt all seine weltlichen Güter mit Ausnahme eines Hofes auf einer abgelegenen Rodung, wohin er sich zurückzieht um vor der Welt zu fliehen, die ihm in seinem bisherigen Leben das Glück bescherte (Vers 260 f.) und ihn nun verstoßen hat.
3.3.5 Heinrichs Ankunft und Leben auf dem Meiershof (Vers 266 - 349)
Sein Weg führt ihn auf diesen Meiershof, den er aufgrund seiner Abgelegenheit auswählt. Dort wird er von der Familie freundlich aufgenommen und verbringt die folgenden Jahre seines Lebens auf diesem Hof. Er wird von der Familie versorgt, da diese ihm seine Güte als Lehnsherr vergelten will (Vers 267 f.).
Die Beschreibung der Familie stellt sich folgendermaßen dar. Der Bauer wurde von Gott mit Gesundheit (Vers 297), einer tüchtigen Frau (Vers 298) und schönen Kindern (Vers 299) beschenkt. Unter diesen Kindern befindet sich eines von 8
Jahren, das im weiteren Verlauf der Erzählung die antithetische Figur zu Heinrich darstellten wird13. Hartmann lässt die maget vor den Augen des Lesers stets gut gelaunt und mit bester Absicht gegenüber Heinrich erscheinen. Die maget verhält sich ihrem Herrn gegenüber liebevoll und kümmert sich um ihn, indem sie sich Gedanken um ihn macht und ihm liebevolle Fürsorge schenkt. Sie lässt sich nicht vom Aussatz abschrecken und Heinrich erlebt mit ihr eine Form von Idylle und nennt sie Braut (Vgl. Vers 330ff.). Dieser Akt der Caritas grenzt die Figur der maget deutlich von Heinrich und auch von ihren Eltern ab, da diese Heinrich nicht nur aus Gründen der Nächstenliebe freundlich aufnehmen, sondern auch, weil sie ein Eigeninteresse an seinem Weiterleben haben. Dieses Interesse begründet sich aus dem Sachverhalt heraus, dass Heinrich immer ein gerechter und guter Lehnsherr war und die Familie nicht das Risiko eingehen möchte, sich nach Heinrichs Tod einem schlechteren Lehnsherren unterordnen zu müssen (Vers 360 f.). Die Motive der Eltern leiten zum nächsten Abschnitt der Erzählung über; Heinrichs Schuldbekenntnis, das drei Jahre nach seiner Ankunft auf dem Hof stattfindet.
3.3.6 Heinrichs Schuldbekenntnis (Vers 349 bis 458)
Heinrichs Schuldbekenntnis wird durch den Bauer initiiert. Auf die Frage des Bauern, warum Heinrich in Salerno keine Hilfe finden konnte antwortet er mit seinem Schuldbekenntnis:
Ich hân den schemelîchen spot vil wol gedienet umbe got. wan dû sæhe wol hie vor, daz hôch offen stuont mîn tor nâch werltlîcher wünne (Vers 383 bis 387) […] dô nam ich sîn vil kleine war, der mir daz selbe wunschleben von sînen gnâden hete gegeben. (Vers 392 bis 394)
Heinrich erkennt, dass er die Strafe verdient hat, da er in seinem Leben der weltlichen Wonne zugetan war und dass er den, der ihm dieses Leben geschenkt hat ignorierte. Er erwähnt dem Bauern gegenüber aber nur die Heilungsmöglichkeit durch das Blut einer Jungfrau und bleibt in seiner Überzeugung standhaft, dass es
[...]
1 Vgl. Makropolous, 1998, S. 23 f.
2 Vgl. Bubner, 1998, S. 3 f.
3 Bubner, 1998, S. 3
4 Makropolous, 1998, S. 24
5 Vgl. M. Makropoulos: Kontingenz und Handlungsraum. 1998, S. 23 f.
6 Siehe Anhang: Abbildung 2
7 Mitschrieb B. Krause: Hauptseminar Glück. Universität Karlsruhe, WS 2008
8 Nach: Lahn & Meister, 2008, S. 62 f.
9 Vgl. Wapnewski, 1976, S. 105 f.
10 Primärtext: Schwarz, 1967, S. 145 f. Im weiteren Verlauf werden alle Verweise auf den Primärtext durch Angabe der Verse in Klammern im Text kenntlich gemacht.
11 Könneker, 1987, S. 53 f.
12 Siehe Anhang: Abbildung 3
13 Die Tochter wird im weiteren Verlauf der Arbeit als maget bezeichnet.
- Arbeit zitieren
- Lars Blisch (Autor:in), 2009, Die Logik des Zufalls in Hartmanns von Aue 'Der arme Heinrich', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/138010
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