60 Jahre außenpolitische Beziehungen zwischen Bundesrepublik und USA 1949-2009

Vergangenheit, Gegenwart und Perspektiven unter dem Gesichtspunkt Kontinuität und Wandel


Hausarbeit, 2009

32 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

Einleitung

I. Die deutsch-amerikanischen Beziehungen in der Adenauer-Zeit 1949-1963
a) Entwicklung der Beziehungen 1949-1955 – Parallelität der Interessen
b) Die Rolle Konrad Adenauers für die Entwicklung der Beziehungen
c) Spannungen im deutsch-amerikanischen Verhältnis 1955-1963
d) Zwischenfazit

II. Entwicklung der Beziehungen in der Zeit des Ost-West-Konfliktes 1963-1969
a) Ausgangslage zum Ende der Regierungszeit Konrad Adenauers
b) Die Annäherung an Frankreich und deutsch-amerikanische Irritationen
c) Zwischenfazit

III. Entwicklung der Beziehungen in der Zeit des Ost-West-Konfliktes 1969-1982
a) Parallelität der Entspannung und wirtschaftliche Differenzen
b) Sicherheitspolitische Aspekte der deutsch-amerikanischen Beziehungen
c) Zwischenfazit

IV. Entwicklung der Beziehungen in der Zeit des Ost-West-Konfliktes 1982-1990
a) Grundpositionen und Entwicklung bis zur Wiedervereinigung
b) Die Wiedervereinigung und die deutsch-amerikanischen Beziehungen
c) Zwischenfazit

V. Das wiedervereinigte Deutschland und die Beziehungen zu den USA 1991-2001
a) Deutschland und die Sicherheitspolitik 1991-1995
b) Die europäische Sicherheit, die USA und die NATO.
c) Zwischenfazit

VI. Außenpolitik in Zeiten des Terrorismus und globaler Neuorientierung 2002-2009
a) Der Irak Krieg und eine deutsche außenpolitische Revolution 2002-2004
b) Deutsche Außenpolitik zwischen Kontinuität und Wandel 2005-2009

VII. Fazit

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis.

Einleitung

Nach der Wiedervereinigung und mit dem Ende des Kalten Krieges ist das Verhältnis zwischen Bundesrepublik und USA ambivalenter geworden, wie sich vor allem im Vorfeld des Irak-Krieges von 2003 zeigte. Gregor Schöllgen spricht vom Ende der „transatlantischen Epoche“[1] und fordert eine neu begründete Partnerschaft zwischen Europa und den USA. Helga Haftendorn plädiert für „gleichgewichtige und stabile […] Beziehung[en]“[2] zwischen Deutschland und den USA im Rahmen eines stärkeren Europa. Haftendorn betont die insgesamt bemerkenswerte „Kontinuität der deutschen Außenpolitik“[3], die jedoch jetzt vor ganz neuen Bedingungen stehe als zu Zeiten des Kalten Krieges. Auch Christian Hacke mahnt ein neues außenpolitisches Selbstverständnis von „transatlantischer Gemeinsamkeit“[4] an. All diese Meinungen wurden unter dem Eindruck des Irak-Krieges und einer tiefgehenden Krise der Beziehungen geäußert. Jedoch stellt sich die Frage, wie es zu dieser in der Forschung beschriebenen Entfremdung zwischen den USA und der Bundesrepublik kommen konnte. Das 60. Jubiläum der Gründung der Bundesrepublik bietet sich an, um den Stand der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und den USA zu untersuchen.

Wie war die Ausgangslage der deutsch-amerikanischen Beziehungen, welche dauerhaften Konstanten bildeten sich heraus, wo gab es Brüche oder Verschiebungen? Wie wird die heutige Lage beurteilt und welche Perspektiven zeichnen sich ab? Hierzu sollen in dieser Arbeit vor allem bereits vorliegende Forschungsergebnisse gesammelt und verglichen werden. Aus dieser Zusammenstellung sollen Schlussfolgerungen zum Stand der Beziehungen und zu möglichen Entwicklungsperspektiven gezogen werden. Der Schwerpunkt soll hierbei auf den direkten bilateralen Beziehungen der beiden Staaten liegen, ohne jedoch die vielfältigen Vernetzungen beider Staaten in internationalen Organisationen auszuklammern. Diese sollen dabei nur soweit beachtet werden, wie sie das direkte Verhältnis beider Staaten berühren. Weiterhin sollen vor allem die außen- und sicherheitspolitischen Verbindungen beider Staaten betrachtet werden und kulturelle und wirtschaftliche Verbindungen aus Platzgründen ausgeklammert bleiben. Ziel der Untersuchung ist es, Entwicklungslinien und Perspektiven aufzuzeigen.

Das deutsch-amerikanische Verhältnis ist von allen Bereichen der Außenpolitik aufgrund seiner „in jeder Hinsicht elementaren Bedeutung“[5] am umfassendsten untersucht worden. Jedoch beziehen sich die meisten Veröffentlichungen auf spezielle Zeitabschnitte bzw. Ereignisse. Ein von Detlef Junker herausgegebener zweiteiliger Sammelband zu den Beziehungen zwischen den USA und Deutschland „Zeitalter des Kalten Krieges“[6] enthält Aufsätze zu Wirtschaft, Kultur, Sicherheit und Politik. Der Sammelband „Deutschland und die USA im 20. Jahrhundert“[7] bietet eine gelungene chronologische Darstellung der Beziehungen zwischen beiden Staaten. Beide Werke enden 1990. Zu den Beziehungen nach 1990 stützt sich die hier vorgelegte Arbeit vor allem auf Zeitschriftenaufsätze aber auch Monographien, wie die beiden Standardwerke zur deutschen Außenpolitik von Christian Hacke und Helga Haftendorn[8], die bis 2004 bzw. 2001 fortgeschrieben sind. Weitere Sammelbände, Handbücher und Monographien sollen dann, falls thematisch gegeben, hinzugezogen werden.

Die vorliegende Arbeit gliedert sich in sieben Kapitel, die jeweils thematisch weiter untergegliedert sind. Die Kapitel orientieren sich an der chronologischen Einteilung in Hackes Standardwerk zur deutschen Außenpolitik. Im ersten Kapitel sollen die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und den USA in der Regierungszeit Konrad Adenauers von 1949-1963 untersucht werden. Das zweite Kapitel befasst sich mit der Eingliederung Deutschlands in den Entspannungsprozess und das dritte mit der deutschen Vorreiterrolle in der Ostpolitik. Dabei werden die Interessen und Standpunkte der USA und der Bundesrepublik verglichen. Das vierte Kapitel untersucht den Stand der Beziehungen bis zur Wiedervereinigung 1982-1990, während das fünfte die deutsch-amerikanischen Beziehungen nach Ende des Ost-West-Konfliktes und vor dem Hintergrund der Balkan-Konflikte von 1991 bis zu den Terroranschlägen am 9.11.2001 betrachtet. Im letzten Kapitel werden die Beziehungen von 2001 bis in die Jetzt-Zeit analysiert und besonders die Bedeutung der Irak-Krise für die Beziehungen untersucht. In einem Fazit werden die Ergebnisse zusammengefasst und Perspektiven aufgezeigt.

I. Die deutsch-amerikanischen Beziehungen in der Adenauer-Zeit 1949-1963

a) Entwicklung der Beziehungen 1949-1955 – Parallelität der Interessen

Nach Gründung der Bundesrepublik prägte zuerst noch Misstrauen das Verhältnis der Alliierten zu den Deutschen. Dies drückte sich in den sehr umfassenden Eingriffsrechten des Besatzungsstatuts aus. Solange das Besatzungsstatut gültig blieb, würde die Republik, auch außenpolitisch, ein „Protektorat“[9] der USA, oder nach Hermann-Josef Rupieper der „[b]esetzte Verbündete“[10] bleiben.

Das Petersburger Abkommen 1949, die kleine Revision des Besatzungsstatus 1951, der General- oder Deutschlandvertrag 1952, die EVG-Perspektive und das Scheitern derselben 1954, schließlich die Pariser Verträge und der Beitritt der Bundesrepublik zur NATO 1955 – diese Stationen waren wichtige Schritte für den Wiederaufstieg der Bundesrepublik. Auf europäischer Ebene erreichte die Integration mit den römischen Verträgen vom 25.3.1957 ihren ersten Höhepunkt. Die Bundesrepublik wurde überraschend schnell vom Feindstaat und Objekt der Kontrolle zum europäischen Akteur und zur Verbündeten der Vereinigten Staaten.[11] „Politische Souveränität und außenpolitischer Spielraum mussten dabei Schritt für Schritt erkämpft bzw. den westlichen Alliierten abgetrotzt werden“,[12] urteilt dazu Hacke, während Haftendorn, die „freiwillige Abgabe von Souveränitätsrechten und die Einordnung in integrative Zusammenhänge“[13] als wesentlich für die schnelle Entwicklung der Bundesrepublik sieht. Die Einbindung Deutschlands in internationale und europäische Institutionen wurde bereits kurz nach Gründung der Republik im Petersburger Abkommen vom 22.10.1949 mit dem Abbau von Beschränkungen verbunden.[14] Mit dem Beitritt zur OEEC am 31.10.1949, zum Europarat am 8.7.1950 und zu der EGKS am 19.04.1951 wurden erste Schritte dieser Einbindung sichtbar.

Die junge Bundesrepublik war einerseits nach Europa ausgerichtet, andererseits auf das atlantische Bündnis. Schutz und Sicherheit konnten jedoch nur die USA garantieren, die nebenbei gegenüber den Europäern für das deutsche Wohlverhalten bürgten.[15] Weiterhin konnten die USA die Identitätstheorie und Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik unterstützen und dadurch den Anspruch auf Wiedervereinigung mit Gewicht versehen. Deutschlands strategische Lage im sich zuspitzenden Ost-West-Konflikt begünstigte die schnelle Entwicklung der Bundesrepublik bis zum größtenteils souveränen Staat.

Die erste Sowjetische Atombombe im September 1949 sowie der Korea-Krieg ab Juni 1950 zeigten eine weitere Zuspitzung des Ost-West-Konfliktes und die Notwendigkeit eines deutschen Verteidigungsbeitrags.[16] Deshalb erfolgte ab 1955/56 der Aufbau der Bundeswehr als Rückgrat der westlichen Verteidigung in Mitteleuropa. Erstmals gab es dadurch eine demokratische, in westliches Bündnis eingebundene deutsche Armee. Der Beitritt zur NATO am 09.05.1955 bedeutete nach dem Scheitern der europäischen EVG eine noch engere Anlehnung an die USA, die als militärische Vormacht das Bündnis kontrollierte. Die USA brauchten ein stabiles, demokratisches, in Europa eingebundenes Deutschland und einen deutschen Wehrbeitrag zur Eindämmung des Kommunismus. Die Deutschen hingegen wollten Souveränität, Gleichberechtigung und den Schutz der Nuklearmacht USA. Aus diesen Gründen liefen „amerikanische und deutsche Interessen […] weitgehend parallel“,[17] solange es um die europäische Nachkriegsordnung ging.

b) Die Rolle Konrad Adenauers für die Entwicklung der Beziehungen

Die Forschung betont mehrheitlich Bundeskanzler Konrad Adenauers zentrale Rolle in der Formierungsphase der Republik. Er setzte sich gegen alternative außenpolitische Optionen wie Jakob Kaisers Brückentheorie oder die Magnettheorie Kurt Schumachers durch und betrieb eine realistische, auf die Analyse der Lage begründete Politik. Bereits vor seiner Amtsübernahme legte Adenauer den Fokus auf die Beziehungen zu den USA und die Integration in Europa als Ziele einer zukünftigen Außenpolitik.[18] Die Außenpolitik der Bundesrepublik wurde nach der Errichtung einer „Dienststelle für auswärtige Angelegenheiten“ im März 1951, erst ab 1955 im „Auswärtigen Amt“ unter Heinrich v. Brentano gemacht. Adenauer der bis dahin „nebenbei“ das Amt des Außenministers innehatte, versuchte auch danach, die Beziehungen zu den Alliierten und den USA unter seiner persönlichen Kontrolle zu halten.

Der Kanzler wollte unbedingt auf dem „Teppich der Alliierten zu bleiben, auf den er am ersten Tag getreten war“[19] und knüpfte dazu gute Kontakte zum US-Personal, z.B. zum US-Hochkommissar John McCloy.[20] Nach Klaus Larres gelang es Adenauer, in der Amtszeit Präsident Eisenhowers ab Januar 1953 durch die enge Zusammenarbeit mit dem US-Außenminister John Foster Dulles sogar zunehmend die Politik der USA zu beeinflussen.[21] Adenauer war für die USA ein Garant der deutschen Verlässlichkeit im Inneren wie im Äußeren.[22] Durch die wichtige strategische Rolle der Bundesrepublik, zunehmende Uneinigkeit unter den Westalliierten und das spezielle Talent und das politische Gewicht des Kanzlers wurde die Bundesrepublik während der frühen 50er Jahre zum zentralen Partner für die „amerikanische Westeuropapolitik“.[23] Wie H. P. Schwarz schreibt, hat Adenauer seine Präferenz für die Westbindung mit der „untrennbaren Zugehörigkeit [der Republik] zum christlich-abendländischen Kulturkreis begründet“[24] und damit auch eine ideologische Basis der Westbindung präsentiert, die seiner Ablehnung des atheistischen Kommunismus entsprach. Die so genannten Stalin-Noten vom März/April 1952 sah Adenauer als Störmanöver gegen die Westbindung. Die angebotene Neutralisierung gegen Wiedervereinigung wäre, selbst wenn sie ernst gemeint gewesen wäre, für Adenauer nicht in Frage gekommen.

Adenauer befürwortete eine westliche „Politik der Stärke“ und dessen ökonomisch- kulturelle Vorbildfunktion als Mittel zur Bekämpfung des Kommunismus und langfristig zur Wiedervereinigung.[25] Der Aufstand vom 17. Juni 1953 zeigte dann auch den innenpolitischen Kritikern die Alternativlosigkeit der Westbindung und die Notwendigkeit des Schutzes durch die USA an. Im Bundestagswahlkampf 1953 nutzte der Kanzler den Aufstand als Beweis für die Richtigkeit seiner Politik, was zum Wahlsieg der CDU beitrug.[26]

c) Spannungen im deutsch-amerikanischen Verhältnis 1955-1963

Ab 1955 jedoch kam es im deutsch-amerikanischen Verhältnis zu Spannungen. Nach der Neutralisierung Österreichs im April 1955 fürchtete man in der Bundesrepublik die Möglichkeit von Viermächteabkommen zuungunsten Deutschlands. Des Weiteren fürchtete man bei verstärkten Kontakten zwischen USA und UdSSR um die Wirksamkeit der Hallstein-Doktrin und insgesamt um die Alleinvertretungs- und Wiedervereinigungspolitik. Auch Berichte über geplante Truppenreduzierungen der Amerikaner trugen zum wachsenden Misstrauen bei.[27] Dieses Misstrauen sollte sich vor allem während der Berlin-Krise weiter ausprägen.

Nach John Lewis Gaddis entwickelten sich besonders die Berliner Westsektoren, gefördert von Westdeutschland und den USA, „zum Schaufenster für die Vorzüge von Kapitalismus und Demokratie“[28] und funktionierten damit im Rahmen von Adenauers „Magnettheorie“. Chruschtschow wollte dieses Schaufenster beseitigen und forderte im November 1958 die Neutralisierung Westberlins als freie, demilitarisierte Stadt. Die darauf folgende Berlin-Krise, der Mauerbau 1961 und die Kuba-Krise 1962 bezeichnen die vielleicht gefährlichste Phase des kalten Krieges. Die Deutschen zweifelten nach dem Mauerbau am 13.8.1961 an der Bereitschaft der USA, für Berlin oder Westdeutschland notfalls Krieg zu führen. Die deutsche Teilung wurde von den USA damals faktisch als Realität akzeptiert und, aus Sicht der USA rational begründet, der Vermeidung eines Krieges untergeordnet.

d) Zwischenfazit

Unter Adenauer wurden gute Beziehungen zu den USA zur Staatsräson der Republik, in Zeiten ständiger atomarer Bedrohung, freilich, auch zur Frage von Sein oder Nichtsein. „Westbindung und Westintegration wiesen in eine neue Richtung deutscher Geschichte“,[29] schrieb Waldemar Besson bereits 1970 und wies damit auf den Beginn einer neuen außenpolitischen Traditionslinie hin. Dieser Neuanfang wurde aber in erheblichem Maße von den Bedingungen der weltpolitischen Lage vorgegeben. Adenauer verstand diese Lage, anders als Kaiser oder Schuhmacher, zu analysieren und zu nutzen. Adenauer wollte keine „Schaukelpolitik“ Deutschlands, der Blick ging nach Westen, wenn auch am Ende seiner Amtszeit zwischen Frankreich und den USA pendelnd. Nach dem Erreichen der Westbindung und weitgehender Souveränität 1955 waren die Beziehungen zwischen Bundesrepublik und den USA aus verschiedenen außenpolitischen, militärstrategischen und ökonomischen Gründen wachsenden Spannungen ausgesetzt. Diese Spannungen beruhten prinzipiell auf auseinander laufenden Interessen beider Staaten. Die Entwicklungen des Ost-West-Konfliktes definierten dabei weitgehend den Status der deutsch-amerikanischen Beziehungen. Die deutsche Annäherung an Frankreich seit Ende der 50er Jahre, die 1963 im Elysee-Vertrag mündete, war teilweise Ausdruck dieser deutsch-amerikanischen Entfremdung.[30]

II. Entwicklung der Beziehungen in der Zeit des Ost-West-Konfliktes 1963-1969

a) Ausgangslage zum Ende der Regierungszeit Konrad Adenauers

Die Bundesrepublik sah in den Jahren nach der Kuba-Krise ihre Sonderstellung im Kalten-Krieg pragmatischen Ansätzen der US-Politik gegenüber schwinden. Die in den 50er Jahren betriebene „Politik der Stärke“ und starres Blockdenken sahen sich jetzt einer Relativierung gegenüber. In einer Zeit der Entspannungsbemühungen wurden bisherige Leitsätze überprüft und revidiert. Diese Entwicklung war für die Bundesrepublik besonders schwierig. Das ganze außenpolitische Fundament der Republik beruhte auf der Ablehnung des Kommunismus, der Nichtanerkennung der DDR und der Projektion von Stärke und Abwehrbereitschaft.[31] Jede Entspannung zwischen USA und UdSSR könnte auf Kosten Westberlins oder der Anerkennung der DDR erreicht werden, fürchtete man in Westdeutschland. Veränderungen im internationalen System und der US-Außenpolitik vollzog die Bundesrepublik daher nur zögerlich nach.

Auch der Vietnam-Krieg drängte ab 1965 wichtige deutsch-amerikanische Themen, wie die Diskussion um eine multilaterale Atomstreitmacht MLF oder den Devisenausgleich mit den USA in den Hintergrund. Der Krieg, den die Bundesrepublik finanziell, aber nicht mit Truppen, unterstützte, sorgte zunehmend für deutsch-amerikanische Irritationen. Einerseits befürchtete man die Vernachlässigung westeuropäischer Probleme zugunsten Asiens, andererseits erzeugte die Art der Kriegsführung zunehmendes Unbehagen, zuerst bei den Studenten, aber zunehmend auch bei der politischen Führung der Bundesrepublik.[32]

b) Die Annäherung an Frankreich und deutsch-amerikanische Irritationen

Die Annäherung an das seit 1960 nuklear bewaffnete Frankreich war in der Bundesrepublik Mittelpunkt einer innenpolitischen Kontroverse. Die politisch „schwache[n] aber publizistisch lautstarke[n]“[33] Gaullisten mit Adenauer und Franz-Josef Strauß im Zentrum bauten auf General de Gaulles Vision einer dritten weltpolitischen Kraft „Europa“ mit einer deutsch-französischen Achse als Zentrum, eigener Verteidigung mit nuklearer Komponente und mehr Distanz zu den USA. Dieses Konzept drohte die NATO zu schwächen oder zu spalten.[34] Die Annäherung an Frankreich kennzeichnet ein bis heute aufkeimendes Spannungsverhältnis der Bundesrepublik zwischen Europa und den USA sowie zwischen Frankreich und den USA.

In den 60ern ging es um die Perspektive einer wirtschaftlichen, nuklearen und außenpolitischen Abkoppelung der Westeuropäer von den USA und vom Bündnis.[35] Haftendorn sieht in diesem Streit im Wesentlichen einen amerikanisch-französischen Konflikt um die „europäische Vormachtstellung“.[36] Die deutsche Annäherung an die Franzosen folgte dabei einer Entfremdung von den Amerikanern. Der neue Kanzler Ludwig Erhard und Außenminister Gerhard Schröder setzten als Atlantiker jedoch die weitere Anlehnung der Bundesrepublik an die USA und die NATO um, da sie die Beziehungen zu den USA, allein schon sicherheitspolitisch, als essentiell ansahen. Ludwig Erhards weitgehende Unterstützung des Vietnam-Krieges und seine strikt pro-amerikanische Einstellung wurden ihm von seinem Gegenüber Präsident Lyndon B. Johnson jedoch nicht gedankt. Dieser entschied 1966, den Deutschen Devisen-Ausgleichszahlungen in Milliardenhöhe abzuzwingen, um den Vietnam- Krieg finanzieren zu können.[37] Aus Sicht von Joachim Arenth nahm Johnson damit Erhards Sturz „billigend in Kauf“.[38]

In der großen Koalition blieben erhebliche amerikanisch-bundesdeutsche Verstimmungen auszuräumen. Hierzu gehörten die Sorge vor einer Einigung der Supermächte ohne die Bundesrepublik sowie die starke Fixierung der USA auf Vietnam. Es gab zudem erhebliche Streitigkeiten bezüglich möglicher US-Truppenreduzierungen, des Devisenausgleichs und des Atomwaffensperrvertrages. In Verhandlungen mit den USA trat Kanzler Kiesinger den Amerikanern außenpolitisch „entschieden ja sogar hart gegenüber“.[39] Die Bundesrepublik vertrat selbstbewusst eigene Positionen, ohne die Beziehungen substantiell gefährden zu wollen. Nach dem Verzicht Johnsons auf eine weitere Kandidatur im März 1968 verbesserten sich die Konsultationen mit der folgenden Regierung Nixon.

c) Zwischenfazit

Die sicherheitspolitische Abhängigkeit der Bundesrepublik von den USA prägte immer wieder das Verhältnis beider Staaten. Zudem kommt hier immer wieder der Gegensatz zwischen einem unabhängigerem Europa und der engen Bindung zu den USA auf. Auf diesen Gebieten wurden die unterschiedlichen Interessen oft am deutlichsten. Die Annäherung an die Franzosen und der deutsche Wunsch nach nuklearer Mitbestimmung sind Ausdruck dieser Differenzen und der ständigen deutschen Sorge als Frontstaat im Kalten Krieg zwischen dieselben zu geraten.

[...]


[1] Schöllgen, Gregor: Der Auftritt. Deutschlands Rückkehr auf die Weltbühne, München 2003, S. 159.

[2] Haftendorn, Helga: Deutsche Außenpolitik zwischen Selbstbeschränkung und

Selbstbehauptung. 1945-2000, München 2001, S. 445.

[3] Ebd., S. 444.

[4] Hacke, Christian: Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Von Konrad Adenauer bis Gerhard

Schröder, 2. Auflage der aktualisierten Neuausgabe, Berlin 2004, S. 581.

[5] Vgl. Lappenküper, Ulrich: Die Aussenpolitik der Bundesrepublik Deutschland 1949-

1990 (EDG 83), München 2008, S. 53.

[6] Vgl. zu Politik, Kultur und Wirtschaft umfassend: Junker, Detlef. u.a. (Hrsg.): Die USA und Deutschland im

Zeitalter des kalten Krieges 1945-1990, Bd. 1: 1945-1968, Bd.2: 1968-1990, Stuttgart/ München 2001.

Zur jüngsten Geschichte der Beziehungen: Ninkovich, Frank: Germany and the United States. The

transformation of the German Question since 1945, 2. erw. Auflage, New York u.a. 1995.

[7] Larres, Klaus, Oppelland, Torsten (Hrsg.): Deutschland und die USA im 20. Jahrhundert. Geschichte der

politischen Beziehungen, Darmstadt 1997.

[8] Ha>

[9] Vgl. Hacke, Christian: Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Von Konrad Adenauer bis Gerhard

Schröder, 2. Auflage der aktualisierten Neuausgabe, Berlin 2004, S. 64.

[10] Rupieper, Hermann-Josef: Der besetzte Verbündete. Die amerikanische Deutschlandpolitik. 1949-1955

(Studien zur Sozialwissenschaft 95), Opladen 1991, S. 1 (Titel).

[11] Vgl. Haftendorn, Helga: Deutsche Außenpolitik zwischen Selbstbeschränkung und

Selbstbehauptung. 1945-2000, München 2001, S. 95.

[12] Ha>

[13] Haftendorn: Deutsche Außenpolitik, S. 10.

[14] Niederschrift der Abmachungen zwischen den Alliierten Hohen Kommissaren und dem Deutschen

Bundeskanzler auf dem Petersberg vom 22. November 1949, „Petersberger Abkommen“ (Auszug), in:

Auswärtiges Amt - Politisches Archiv - Dokumente und Verträge (abgerufen am 13.05.2009),

URL: http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/AAmt/PolitischesArchiv/Dokumente UndVertraege /

491122-DeuAlliPetersberg,navCtx=90256.html

[15] Vgl. Haftendorn: Deutsche Außenpolitik, S. 94.

[16] Vgl. Larres, Klaus: Eisenhower, Dulles und Adenauer. Bündnis des Vertrauens oder Allianz des Misstrauens?

(1953-1961), in: Larres, Oppelland, (Hrsg.): Deutschland und die USA im 20. Jahrhundert, S. 119-150,

hier S. 126.

[17] Vgl. Haftendorn: Deutsche Außenpolitik, S. 95.

[18] Vgl. Schröder: USA und westdeutscher Wiederaufstieg, S. 103.

[19] Besson, Waldemar: Die Außenpolitik der Bundesrepublik. Erfahrungen und Maßstäbe, München 1970, S. 82.

[20] Vgl. ebd., S. 104.

[21] Vgl. Larres: Eisenhower, Dulles und Adenauer (1953-1961), S. 127-133.

[22] Vgl. Schröder: USA und westdeutscher Wiederaufstieg, S. 105.

[23] Larres: Eisenhower, Dulles und Adenauer (1953-1961), S. 126.

[24] Schwarz, Hans-Peter: Anmerkungen zu Adenauer, München 2004, S. 86.

[25] Ha>

[26] Vgl. Larres: Eisenhower, Dulles und Adenauer (1953-1961), S. 126.

[27] Vgl. ebd., S. 134-137.

[28] Gaddis, John-Lewis: Der kalte Krieg. Eine Neue Geschichte, München 2007. S. 143.

[29] Besson, Waldemar: Die Außenpolitik der Bundesrepublik. Erfahrungen und Maßstäbe, München 1970, S. 39.

[30] Vgl. Hacke, Christian: Zur Weltmacht verdammt. Die amerikanische Außenpolitik von J. F. Kennedy bis G.

W. Bush, 2. Auflage, Bonn 2003, S. 91-94.

[31] Vgl. Stützle, Walter: Kennedy und Adenauer in der Berlin-Krise 1961-1962 (Schriftenreihe des

Forschungsinstituts der Friedrich-Ebert-Stiftung), Bonn-Bad Godesberg 1973, S. 245.

[32] Vgl. Arenth, Joachim: Die Bewährungsprobe der Special Relationship: Washington und Bonn (1961-1969),

in: Larres, Oppelland, (Hrsg.): Deutschland und die USA im 20. Jahrhundert, S. 151-177, hier S. 162-163.

[33] Ebd., S. 164.

[34] Vgl. Ninkovich, Frank: Die vereinigten Staaten und die deutsche Frage 1949-1968, in: Larres, Oppelland,

(Hrsg.): Deutschland und die USA im 20. Jahrhundert, S. 191-201, hier S. 199-201.

[35] Vgl. Schwabe, Klaus: Weltmacht und Weltordnung. Amerikanische Außenpolitik von 1898 bis zur

Gegenwart. Eine Jahrhundertgeschichte, Paderborn u.a. 2006, S. 299-301.

[36] Vgl. Haftendorn, Helga: Deutsche Außenpolitik, S. 97.

[37] Vgl. Arenth: Die Bewährungsprobe der Special Relationship, S. 164-165.

[38] Ebd., S. 165.

[39] Vgl. Hacke: Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland, S. 144.

Ende der Leseprobe aus 32 Seiten

Details

Titel
60 Jahre außenpolitische Beziehungen zwischen Bundesrepublik und USA 1949-2009
Untertitel
Vergangenheit, Gegenwart und Perspektiven unter dem Gesichtspunkt Kontinuität und Wandel
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn  (Politisches Seminar)
Veranstaltung
60 Jahre Bundesrepublik Deutschland
Note
1,3
Autor
Jahr
2009
Seiten
32
Katalognummer
V138455
ISBN (eBook)
9783640465378
ISBN (Buch)
9783640462452
Dateigröße
552 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Arbeit stellt breit die verschiedenen Phasen der deutsch-amerikanischen Beziehungen dar.
Schlagworte
Jahre, Beziehungen, Bundesrepublik, Vergangenheit, Gegenwart, Perspektiven, Gesichtspunkt, Kontinuität, Wandel, Internationale Beziehungen, USA, Geschichte, Politik, Deutschland, Sicherheitspolitik
Arbeit zitieren
Christoph Chapman (Autor:in), 2009, 60 Jahre außenpolitische Beziehungen zwischen Bundesrepublik und USA 1949-2009, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/138455

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