Beschreibung der Luhmannschen Systemtheorie und deren kritische Reflexion


Hausarbeit, 2009

22 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Traditionelle Soziologie und deren Unzulänglichkeiten

2. Luhmanns Auffassung von
2.1. Welt/Umwelt
2.2. Komplexität der Welt und deren Reduktion
2.3. System
2.4. Soziale Systeme
2.5. Kommunikation
2.6. Sinn
2.7. Systemtheorie

3. Luhmanns Position zur Vernunftaufklärung in der alteuropäischen Tradition

4. Kritische Reflexion

5. Literaturverzeichnis

Einleitung

Der Soziologe Niklas Luhmann gilt als der deutsche Begründer und Vertreter der Systemtheorie. Diese versteht Gesellschaft nicht als eine Summe von Menschen, sondern sie begreift Gesellschaft als ein prozessuales, operatives wenn gleich auch geschlossenes Kommunikationssystem. Diese Arbeit möchte anhand zentraler Schlüsselbegriffe erläutern, wie die Systemtheorie die Welt begreift, um einen Einblick in die Luhmannsche Systemtheorie eröffnen zu können. Da diese auf den ersten Blick etwas befremdlich erscheint, wird in Luhmanns Position zur europäischen Vernunftaufklärung versucht zu zeigen, dass diese eine Zäsur mit nachhaltigen Auswirkungen auf Menschen war, welche zu relevanten Diskrepanzen geführt hat. Diese Nachzeichnung des Luhmannschen Denkens erfährt im Anschluss eine kritische Reflexion, in welcher irritierende Momente der Systemtheorie problematisiert werden.

1. Traditionelle Soziologie und deren systemische Unzulänglichkeiten

Soziologie ist eine Profession mit einem sehr weiten Gegenstandsbereich, daher gibt es eine Fülle an soziologischen Theorien (z.B. Anomietheorie[1] von Merton, Labeling Approach[2] ), Instrumenten, Methoden und Schulen. Die soziologischen „Werkzeuge“ sind jedoch zumeist auf einen speziellen Sachverhalt oder Problembereich zugeschnitten und somit korreliert eine höhere Erklärungsplausibilität negativ mit einem Universalitätsanspruch.

Besagte Theorien versuchen gesellschaftliche Ordnung/Unordnung, konformes/deviantes Verhalten von Menschen etc. mit einem je nach Theorie spezifischen, soziologischen Erklärungsapparat zu plausibilisieren. Dieser Erklärungsapparat wird gleich einer (theoretischen) Folie über ein (reales, praktisch-konkretes) soziales Phänomen gelegt. Der Grund des Vorrechts dieser vor jener Theorie ist lapidar in das Faktum zu verorten, demnach man immer die, aufgrund von herausragend analogen, adaptiven, komplementären, funktionalen etc. Strukturmomenten, am besten geeignete Theorie[3] verwendet. Jedoch befindet sich die Soziologie in einer besonderen Lage[4]: Die Struktur des spezifischen soziologischen Gegenstandsbereiches konstituiert sich durch Wertungen, die selbstverständlich auch Einzug in die jeweilige Theorie halten und diese semantisch validieren und somit strukturieren.

Viele dieser Theorien operieren innerhalb ihres Erklärungspotenzials konzeptuell mit einer faktoriell-kausalen Auffassung von gesellschaftlichen und somit soziologischen Sachverhalten, Prozessen und Veränderungen. Diese Faktorentheorien versuchen, Gesellschaft kausal zu erklären, indem soziale Erscheinungen auf bestimmte einzelne Ursachen zurückgeführt werden. Jedoch lassen sich soziale Gebilde nicht durch Kausalbeziehungen erklären, denn mittels dieser Methodik ist es unmöglich, zirkuläre Interdependenzen, welchen soziale Gebilde unterworfen sind, zu erfassen. Kausallogisches Denken – wenn auf Gesellschaft angewandt – ist laut Luhmann nicht im Stande, komplexe sowie reziproke Strukturen und Prozesse zu begreifen.[5]

Neben die Faktorentheorien sind strukturell-funktionale Theorien[6] zu stellen: Diese ordnen den Strukturbegriff dem Funktionsbegriff vor. Sie setzen somit soziale Systeme mit bestimmten Strukturen voraus und fragen dann nach den funktionalen Leistungen, die erbracht werden müssen, damit die Systeme erhalten bleiben. Häufig präsentieren sich strukturelle soziologische Voraussetzungen als Schichten einer Gesellschaft.[7] Der Funktionsbegriff wird dabei auf interne Leistungen wie z.B. die Beiträge der Subsysteme eingeschränkt. Er wird so zu einer systeminternen Kategorie, die das Verhältnis der „Teile“ zum „Ganzen“ betrifft. Durch diesen Primat des Strukturbegriffs werden allerdings bestimmte Sinnmomente dem Gegenstandsbereich entzogen, wie z.B. das Faktum, dass die Struktur einer Gesellschaft vorausgesetzt wird und ergo unreflektiert als Bedingung oder Umstand den Status quo einer Theorie mit konstituiert. Mit der theoretischen – jedoch zugleich auch ontologischen – Vorlagerung des Strukturbegriffs vor den Funktionsbegriff nimmt sich die strukturell-funktionelle Theorie die Möglichkeit, Strukturen schlechthin zu problematisieren und generell nach dem Sinn von Strukturbildung/Systembildung zu fragen. Eine solche Möglichkeit könnte allerdings in der semantischen Umkehrung des Begriffspaars „strukturell-funktional“ eröffnet werden. Eine funktional-strukturelle Theorie wäre im Stande nach der Funktion von Systemstrukturen zu fragen, ohne diese voraussetzen zu müssen.

Luhmann sieht hier generell einen eklatanten Widerspruch in der bisherigen soziologischen Tradition: Einerseits wird dem Subjekt in abendländischer Tradition Autonomie zugeschrieben, andererseits wird jedoch die „Suprematie“ des Sozialen als gegeben vorausgesetzt.[8] Der Widerspruch zwischen Individualität und Sozialität (Generalität) zwingt die relationale Koexistenz der beiden Phänomene zu einem negativ-korrelierenden Verhältnis. Diesem Dilemma ist bisher mit einer Scheinlösung zu begegnen versucht worden, indem man generell soziale Determination unterstellte, sich allerdings bei subjektbezogenen Phänomenen mit Sozialisationstheorien zu helfen versuchte. Luhmann hingegen erklärt das Soziale als ein Geschehen sui generis, für welches der Mensch Umwelt ist. Aus dieser Perspektive erfährt das genannte Problem das Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft eine neue Interpretation: Weder bestimmt das Bewusstsein das gesellschaftliche Sein, noch letzteres das Bewusstsein, weder ist der Mensch ein autonomes Subjekt, noch ist er sozial determiniert. Das, was wir als Mensch zu bezeichnen gewohnt sind, ist bei Luhmann in eine exorbitante Position zu verorten:

In die Umwelt.

2. Luhmanns Auffassung von

Das Konzept dieser Arbeit realisierend, muss im Folgenden ein knappes Verständnis elementarer Begrifflichkeiten des Luhmannschen Denkens generiert werden. Diesem Anspruch wird versucht, in einer sich je auf das Wesentliche beschränkenden Erläuterung der verschiedenen, die Luhmannsche Systemtheorie konstituierenden Begriffe Rechnung zu tragen.

2.1. Welt/Umwelt

Eine nicht radikale Auffassung des Konstruktivismus, welche Luhmann vertritt, betrachtet die Welt als etwas, das existiert, aber unerreichbar ist und deshalb keine Konstruktion unserer Einbildungskraft sein kann. Die Welt kann eigentlich nur eine ohne Beobachter sein. Sobald etwas unterschieden wird, ist das ein Eingriff durch denjenigen, der agiert und somit wird unmittelbar aus der Welt eine Umwelt. Differenzierbar ist jedoch nur etwas, was als Möglichkeitspotenzial in der Welt vorhanden ist. Welche dieser möglichen Entscheidungen realisiert werden und welche nicht, liegt einzig am Beobachter. Dieser fügt jedem Beobachtungsgegenstand Unterscheidungskriterien hinzu und nimmt das von ihm als unwichtig Angesehene als Ausgesondertes weg. Die Welt stellt ein ungeordnetes, diffuses, potenziell unendliches Material zur Disposition. Insofern ist die Umwelt eine Konstruktion des Systems, aber keine willkürliche. Erkenntnisse über die Welt lassen sich nur als Erkenntnisse über Umwelten von Systemen gewinnen. Die System-Umwelt-Differenz nimmt daher als Leitdifferenz eine besondere Stellung in Gebilde der Systemtheorie ein.

Die Welt kann immer nur als Umwelt aus der Sicht eines Beobachters resp. Systems begriffen werden, weil die gesamte Welt perspektivisch zwangsläufig als „Umwelt“ in sozialen Systemen enthalten ist.[9] Die Auffassung der Welt ist somit eine soziale Konstruktion, weil alles, was wir als Erkenntnis über die Welt formulieren, das Resultat von Beobachtung und Beschreibung und somit sozial gewonnen ist.

Aus dem Gesagten geht hervor, dass die Welt nicht unter ontologischen Gesichtspunkten zum Problem wird, sondern unter dem Gesichtspunkt ihrer Komplexität.

2.2. Komplexität der Welt und deren Reduktion

„Die Welt ist komplex insofern, als sie mehr Möglichkeiten des Erlebens und Handelns birgt, als je aktualisiert werden können.“[10]

Komplexität ist hier als Gesamtheit der möglichen Ereignisse zu verstehen. Diese Definition ist aufgrund der Verwendung des Möglichkeitsbegriffes nicht nur sehr abstrakt, sondern darüber hinaus auch unvollständig. Hier präsentiert sich ein begrifflich-definitorisches Problem: Der Begriff der Möglichkeit setzt eine zusätzliche Angabe der Bedingungen und Grenzen der Möglichkeit voraus. Diese Angabe muss jedoch auf Systeme rekurrieren, deren Struktur das Mögliche als Bestimmtes oder Bestimmbares ermöglichen. Der Begriff der Komplexität bezeichnet hier stets eine Relation zwischen System und Welt, niemals einen ontologischen Zustand.

Als komplex bezeichnet Luhmann Systeme, die so viele Elemente zusammenhalten, dass sie nicht mehr jedes Element mit jedem anderen verknüpfen können.[11] Die Innen-Außen Differenz eines Systems ermöglicht es, gesellschaftliche Bereiche geringerer Komplexität zu bilden und konstant zu halten. Das soziale System lernt, sich selbst von seiner Umwelt zu unterscheiden und damit auch seine eigene Komplexität von der Weltkomplexität. „Systeme sind komplex, wenn sie mehr als einen Zustand annehmen können, also eine Mehrheit von Möglichkeiten haben, die mit ihrer Struktur vereinbar sind.“[12] Jedoch schließt die Systemkomplexität mehr Möglichkeiten aus als die der Welt. Diese ist demnach durch eine höhere, unwahrscheinlichere Ordnung konstituiert. Weiter bedeutet das für physische und organische Systeme, dass ihre Eigenkomplexität ausreichen muss, um auf Änderungen der Umwelt, die das System betreffen, adäquat mit System erhaltenden Maßnahmen reagieren zu können.[13]

[...]


[1] Vgl. Korte, 2003, S. 188 f. Die Anomietheorie geht von der These aus, dass die Prävalenz abweichenden Verhaltens in den Unterschichten einer Gesellschaft größer ist als in Mittel- oder Oberschichten.

[2] Vgl. Abels, 2007, S. 289 f. Konstitutiv für diesen Ansatz ist die Auffassung, dass jede Norm und ihre Verletzung sozial konstruiert werden. Die Attribution, deviant oder normal, hänge von den gesellschaftlichen Instanzen der Kontrolle ab, Verhalten werde somit durch Etikettierung als abweichend und kriminell erlebt.

[3] Der gängigen Auffassung nach ist eine Theorie näher am (objektiven) Optimum, je mehr Erklärungspotential sie geltend machen kann.

[4] Vgl. Luhmann, 2005 (b), S. 320.

[5] Vgl. Gripp-Hagelstange, 1995, S. 145.

[6] Vgl. Parsons, 1947, S. 20 f.

[7] Vgl. Joas, 2007, S. 212. Die Weiterentwicklung der Anomietheorie durch Cloward und Ohlin betrachtet die Beobachtung, dass deviante Verhaltensweisen in höheren Schichten seltener, in niedrigeren häufiger vorkommen, als Voraussetzung, als Ausgangspunkt für diese Theorie. In traditionalen, schichtmäßig differenzierten Gesellschaften konnten auch die Folgeprobleme dieser Ordnung wieder schichtspezifisch kanalisiert werden. Deswegen erschien Schichtung diesen Gesellschaften als genuine Ordnung.

[8] Vgl. Gripp-Hagelstange, 1995, S. 123.

[9] Vgl. Luhmann, 1987, S. 164.

[10] Luhmann, 2008, S. 12.

[11] Vgl. Luhmann, 2005 (d), S. 64.

[12] Luhmann, 2005 (a), S. 147.

[13] Vgl. ebd. S. 156. Die Komplexität eines sozialen Systems kann durch Generalisierung von Verhaltenserwartungen gesteigert werden. Somit steigt auch dessen Potenzial für Umweltkomplexität.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Beschreibung der Luhmannschen Systemtheorie und deren kritische Reflexion
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg  (Soziologisches Institut)
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
22
Katalognummer
V138574
ISBN (eBook)
9783640474295
ISBN (Buch)
9783640474400
Dateigröße
464 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
"Ich habe die Arbeit mit Freude und Erkenntnisgewinn gelesen. Sie ist sehr gelungen und zeigt, dass Sie die doch nicht ganz einfache Materie der Luhmannschen Systemtheorie gut durchdrungen haben.[...] Gelungen sind insbesondere die grundbegrifflichen Bestimmungen, die Luhmannsche Aufklärungs-Abklärung und die von Ihnen formulierten Anschlussfragen. Sie treiben Ihre Luhmann-Analyse bis in einige spannende Grundfragen. Darin besteht die außerordentliche Leistung Ihrer Arbeit.[...] Noch einmal zusammengefasst: eine sehr gute Arbeit[...]!"
Schlagworte
Luhmann, Systemtheorie
Arbeit zitieren
Marcus Gießmann (Autor:in), 2009, Beschreibung der Luhmannschen Systemtheorie und deren kritische Reflexion, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/138574

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