Die ‚Imagination‘ stellt einen zentralen Begriff in der Literatur– und Geistesgeschichte von den alten Griechen (Platon) bis in die Postmoderne dar. Auch in Shakespeares großen Tragödien, besonders aber in Macbeth, das allgemein als sein düsterstes und schaurigstes Drama bezeichnet wird, kommt der Imagination eine entscheidende Bedeutung zu, da sie hier in Form von Macbeths Einbildungskraft sowohl als Ausgangspunkt wie auch als Antriebskraft des gesamten Handlungsverlaufes fungiert.
Das Werk stellt sich ebenso als Tragödie des Ehrgeizes und seiner Folgen dar wie als Charakterstudie eines überaus komplex dargestellten Protagonisten, der sich im Verlauf des Stückes von einem ehrbaren, tapferen und loyalen Vasallen des schottischen Königs zu einem angstzerfressenen, blutrünstigen und skrupellosen Tyrannen wandelt, der sich von seiner ursprünglichen, eigentlich besseren Natur entfremdet und sich daraufhin ganz den Mächten des Bösen überantwortet.
Auf der anderen Seite könnte man freilich argumentieren, das Drama entlarve im Laufe der Handlung erst die wahre, bösartige Natur Macbeths. Dem kann man sich allerdings nicht vorbehaltlos anschließen, da nicht davon auszugehen ist, daß er all die guten Eigenschaften, die er zu Beginn unbestritten besitzt, so ohne weiteres nur vorgespielt haben kann. Hier muß sicherlich mehr dahinter stecken.
Die treibende Kraft in seinem inneren Konflikt liegt in seiner nicht unterdrückbaren Imagnation, die, zusammen mit ihren Auswirkungen auf Macbeth und die Handlung des Dramas, in dieser Arbeit vor allem erörtert werden soll.
Diese Arbeit wird nun zunächst den zeitgeschichtlichen Hintergrund der Tragödie und die elisabethanische Psychologie darlegen, anschließend ausführlich Begriff und Bedeutung der Imagination Macbeths erläutern und danach auf essentielle Charaktereigenschaften sowie auf das Wesen und die Macht seiner Imagination eingehen. Danach soll die doppelte Zeitstruktur des Dramas aufgezeigt und Macbeths Einbildungskraft als Antizipation der Zukunft sowie als Ausdruck einer gestörten Psyche thematisiert werden. Abschließend wird noch zu analysieren sein, ob der Protagonist eher Opfer oder Täter ist, bzw. inwiefern man hier überhaupt von einer rationalen Täterschaft im heutigen Sinne sprechen kann.
Inhaltsverzeichnis
1. Einführung
1.1 Die dramatische Kunst: Shakespeare als Meister der Psychologi- sierung des Dramas
1.2 Erkenntnisinteresse
2. Die Entstehung des Individuums im Mittelalter
3. Der zeit- und geistesgeschichtliche Hintergrund mit Blick auf die Individualität
4. Die elisabethanische Psychologie
5. Imagination – ein schillernder Begriff und seine Bedeutung bei Shakespeare
6. Die negative Sicht der Imagination sowie der menschlichen Wünsche bei Dr. Samuel Johnson im Hinblick auf Macbeth
7. Essentielle Charakterzüge und die psychische Verfassung Macbeths als Basis für die Ausdrucksformen und die Macht seiner Imagination
8. Wesen und Auswirkungen der Imagination Macbeths – Die Macht der Einbildungskraft
8.1 Wesen und Ausdrucksformen seiner Imagination
8.2 Auswirkungen auf sein Denken und seine psychische Verfassung
8.3 Auswirkungen auf sein konkretes Handeln
8.4 Auswirkungen auf den Handlungsverlauf
9. Imagination und Realität – zwei völlig unterschiedliche Welten in Macbeth – Anmerkungen zur doppelten Zeitstruktur im Drama
9.1 Diskrepanz zwischen Imagination und Realität bei Macbeth
9.1.1 Allgemeines
9.1.2 Macbeth zwischen zwei verschiedenen Welten
9.1.3 Der Dolchmonolog und daraus abgeleitete Erkenntnisse
9.1.4 Macbeths Vision vom Geist Banquos
9.1.5 Macbeths Beschwörung der Hexen
9.1.6 Nachlassen und Ende seiner Visionen
9.1.7 Macbeths Realitätsverlust
9.1.8 Erkenntnisse
9.2 Diskrepanz zwischen Imagination und Realität bei Lady Macbeth
10. Ausdrucksformen von Macbeths Imagination und ihre Bedeutung als Mittel der Projektion von Wünschen und Ängsten in die Zukunft
10.1 Imagination als Spiegel von geheimen Hoffnungen und Sehnsüch- ten: Positive Antizipation der Zukunft und Desillusionierung am Ende
10.1.1 Macbeths Hoffnungen und Sehnsüchte
10.1.2 Völlige Desillusionierung Macbeths
10.1.3 Erkenntnisse
10.2 Imagination als Spiegel von Ängsten und Befürchtungen: Negative Antizipation der Zukunft
10.3 Imagination als Ausdruck einer gestörten und kranken Psyche
10.3.1 Paranoide Schizophrenie Macbeths
10.3.2 Selbstentfremdung und Persönlichkeitsspaltung Macbeths
11. Macbeth – skrupelloser Machtmensch oder willenloses und wehrloses Opfer seiner eigenen Imagination? – Shakespeares Sympathielenkung
11.1 Macbeth als skrupelloser, grausamer Machtmensch
11.2 Macbeth als Opfer seiner Imagination
12. Der Nihilismus in Macbeth als Gegenwartsrelevanz
13. Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
1. Einführung
1.1. Die dramatische Kunst: Shakespeare als Meister der Psychologisierung des Dramas
William Shakespeare kann mit Recht als Meister der Psychologisierung des Dramas bezeichnet werden. Er schaffte dramatische Formen, die für seine Zeit völlig neuartig waren. Durch seine verschiedenartigen Innovationen bewirkte er eine Reformierung des Dramas, deren Auswirkungen noch heute aktuell sind. Diese Neuerungen sollen zunächst kurz erläutert werden:
So wird der tragische Held (hier Macbeth) nicht von einer orthodoxen Sicherheit aus betrachtet, vielmehr aus einer dramatischen Nähe, die eine überlegene Distanzierung des Rezipienten ausschließt.[1] Dieser kann sich also mit dem Protagonisten identifizieren und oftmals – wie bei Macbeth – auch Sympathie für ihn empfinden.
Des weiteren ist bei Shakespeare
zu beobachten, wie die typenhafte Tyrannenzeichnung, […] immer mehr einer komplexen und individuellen Gestaltung Platz macht. Externalisierte Darstellung weicht progressiv einer Internalisierung, die Einblicke in die Psyche des Tyrannen gewährt und durch feine seelische Differenzierung seine Einmaligkeit als Persönlichkeit unterstreicht.[2]
Bereits der römische Geschichtsschreiber Tacitus (ca. 55 – 120 n. Chr.) hatte die tieferen Probleme der Gesetzmäßigkeiten des Seelenlebens zu ergründen gesucht und damit Shakespeare den Weg geebnet, die psychologischen Anregungen aus der taciteischen Geschichtsschreibung aufs Drama zu übertragen (vgl. Unterstenhöfer 50).
Durch eine starke Differenzierung des psychischen Geschehens seiner tyrannischen Protagonisten – wie hier Macbeths – gelang Shakespeare mit seiner Darstellungskunst und Gestaltungskraft eine bedeutende Innovation des Dramas: die Entdeckung eines “particular concept of self or, more precisely, a ‘self-identity‘.“[3]
Als erster benutzt Shakespeare die Imagination, die ihre Blütezeit erst in der Romantik erreichen sollte, um düstere Szenarien und Visionen bei seinen tragischen Protagonisten entstehen zu lassen und dadurch deren Motivation für die jeweiligen Handlungen für den Zuschauer plausibler und durchsichtiger gestalten zu können. Obwohl ihr Charakter in der Zeit noch ein experimenteller ist, trägt der Dichter durch die Einführung der Imagination doch nicht unerheblich zur Psychologisierung des Dramas bei.
Erst Shakespeares Entdeckung neuer sprachlicher Mittel zur Darstellung einer sich in der Zeit allmählich entwickelnden ‚Psychologie‘ – die allerdings v. a. erst in seinen späten Werken zur Geltung kommen – konnte schließlich solch vielschichtiges Phantasiedenken, wie es z. B. im Dolchmonolog (II. i. 33–64)[4], auf den später noch genauer eingegangen werden soll, dargeboten wird, in die poetische Vision umsetzen.[5]
Ein wichtiges und immer wiederkehrendes Mittel, dessen sich Shakespeare bedient, um dem Rezipienten tiefere Einblicke in die Gedankenwelt und die psychischen Vorgänge seiner Protagonisten anschaulich darzubieten, stellt der Monolog dar. Durch ihn wird der Zuschauer sozusagen intimer Zeuge der vorgetragenen Gedanken und Gefühle, als ob er ungefilterten Einblick in die innersten Sphären einer Person nehmen könnte.[6] Es
tritt uns all das entgegen, was Shakespeares Charakterisierungskunst in seinen größten Dramen auszeichnet: die äußerste Konzentration der Aussage, […] die Fähigkeit, Empfindungen und Gedanken mit sinnenhafter Eindringlichkeit zu verbildlichen oder zu konkretisieren, und schließlich das umfassende Begreifen des menschlichen Wesens, das in seiner rationalen Bewußtheit wie in seinem irrationalen Handeln, […] kurzum in seiner ganzen widerspruchsvollen Vielschichtigkeit geschaut wird (s. Clemen 45).
Hier wird in den Monologen, die zudem ein Medium der Selbstdarstellung des tragischen Helden in der Innerlichkeit seiner Reflexionen und Gefühle darstellen, ein faszinierender Blick auf Macbeths seelische Vorgänge eröffnet. Eine solche Innenschau engagiert das Zuschauerinteresse für eine Figur, indem sie ihn ins Geschehen mit hineinzieht und auch für die jeweiligen Motivationen der Charaktere Verständnis schafft.
In Shakespeares großen Tragödien, z. B. in Macbeth oder Hamlet, wird dem Zuschauer der Eindruck vermittelt, die Genese und Entfaltung der Gefühle und Gedanken gleichzeitig mit deren spontaner Versprachlichung unmittelbar mitzuerleben. Dieser Akt der Versprachlichung selbst wird hierbei zum Spiegel eines inneren Dramas, denn die Art und Weise, wie eine Figur spricht, um Worte und Bilder ringt, im Satz abbricht, den Blankvers sprengt, erregt ausruft oder verstummt, wird zum Indiz von unbewußten oder verdrängten Begierden, Hoffnungen, Ängsten und Zweifeln.[7]
Ein weiteres Mittel zur Innenschau in die Charaktere stellt das ‚Beiseite‘ dar, das bei Shakespeare oft als eine Vor- oder Übergangsform zum Monolog erscheint. In vielen Fällen ist eine Kurzform des Monologs allerdings gar nicht von einem ‚Beiseite‘ zu unterscheiden. Shakespeare hat auch diese Äußerungsform weit über ihren ursprünglichen Zweck, der durch die Bühnenkonvention der Information des Publikums vorgegeben war, ausgestaltet, indem er das ‚Beiseite‘ zu einem differenzierten Kunstmittel der indirekten Charakterisierung, des mehrschichtigen Gesprächs, der Vorbereitung und Verklammerung entwickelt hat, wobei sich mehrfach die gleichen Gesichtspunkte und Kategorien ergeben, die auch für die Betrachtung des eigentlichen Monologs maßgebend sind (vgl. Clemen 51).
Es läßt sich also zusammenfassend feststellen, daß die Funktion der dramatischen Mittel bei Shakespeare neu war, denn gemeinsam mit Marlowe brachte er mit Hilfe des Monologs bzw. des ‚Beiseite‘ als erster seelische Vorgänge und die geheimsten Gefühle und Denkweisen seiner Protagonisten auf die Bühne. Dies kann bereits gewissermaßen als eine erste dramatische Darstellung einer ‚Psychologie‘ angesehen werden, die in der damaligen Zeit allenfalls latent vorhanden war.
1.2 Erkenntnisinteresse
Die ‚Imagination‘ stellt einen zentralen Begriff in der Literatur– und Geistesgeschichte von den alten Griechen (Platon) bis in die Postmoderne dar. Auch in Shakespeares großen Tragödien, besonders aber in Macbeth, das allgemein als sein düsterstes und schaurigstes Drama bezeichnet wird, kommt der Imagination eine entscheidende Bedeutung zu, da sie hier in Form von Macbeths Einbildungskraft sowohl als Ausgangspunkt wie auch als Antriebskraft des gesamten Handlungsverlaufes fungiert.
Das Werk stellt sich ebenso als Tragödie des Ehrgeizes und seiner Folgen dar wie als Charakterstudie eines überaus komplex dargestellten Protagonisten, der sich im Verlauf des Stückes von einem ehrbaren, tapferen und loyalen Vasallen des schottischen Königs zu einem angstzerfressenen, blutrünstigen und skrupellosen Tyrannen wandelt, der sich von seiner ursprünglichen, eigentlich besseren Natur entfremdet und sich daraufhin ganz den Mächten des Bösen überantwortet.
Auf der anderen Seite könnte man freilich argumentieren, das Drama entlarve im Laufe der Handlung erst die wahre, bösartige Natur Macbeths. Dem kann man sich allerdings nicht vorbehaltlos anschließen, da nicht davon auszugehen ist, daß er all die guten Eigenschaften, die er zu Beginn unbestritten besitzt, so ohne weiteres nur vorgespielt haben kann. Hier muß sicherlich mehr dahinter stecken.
Die treibende Kraft in seinem inneren Konflikt liegt in seiner nicht unterdrückbaren Imagination, die, zusammen mit ihren Auswirkungen auf Macbeth und die Handlung des Dramas, in dieser Arbeit vor allem erörtert werden soll.
In Macbeth wird, wie oft gesagt wurde, der Verbrecher im Zusammenhang einer erschreckenden Darstellung menschlicher Verführbarkeit und Machtgier zum Helden, wobei hier nicht die Opfer des Bösen im Mittelpunkt stehen, sondern das Böse selbst (vgl. Mehl 130).
In diesem Zusammenhang steht auch die Frage nach der Herkunft des Bösen und seiner Macht über den einzelnen Charakter im Mittelpunkt der Tragödie.
Dabei wird die Problematik des Bösen hier spektakulär durch die Einbeziehung der elisabethanischen Hexenmythologie konkretisiert, denn James I., der als Sohn Maria Stuarts Elisabeth I. im Jahre 1603 auf den Thron gefolgt war, soll sich sehr für Okkultismus, Hexenkunst und alle Formen von Geistererscheinungen sowie für deren Einfluß auf das menschliches Handeln interessiert haben.[8] Er verfaßte sogar ein Buch über Dämonologie (erschienen 1597), und das Parlament, ebenfalls infiziert von dem in Mode gekommenen Hexenglauben, erließ ein Gesetz, nach dem jegliche Form von Hexerei mit dem Tod zu bestrafen war. Somit wurde die Hexenkunst sogar gesetzlich etabliert[9]. Die Hexen sind es in Macbeth denn auch, die mit ihren Prophezeiungen, deren eigenwillige Interpretation Teil seiner Imagination ist, entscheidend dazu beitragen, diesen zum Bösen zu verführen und die damit den Stein der Handlung erst ins Rollen bringen.
Diese Arbeit wird nun zunächst den zeitgeschichtlichen Hintergrund der Tragödie und die elisabethanische Psychologie darlegen, anschließend ausführlich Begriff und Bedeutung der Imagination Macbeths erläutern und danach auf essentielle Charaktereigenschaften sowie auf das Wesen und die Macht seiner Imagination eingehen. Danach soll die doppelte Zeitstruktur des Dramas aufgezeigt und Macbeths Einbildungskraft als Antizipation der Zukunft sowie als Ausdruck einer gestörten Psyche thematisiert werden. Abschließend wird noch zu analysieren sein, ob der Protagonist eher Opfer oder Täter ist, bzw. inwiefern man hier überhaupt von einer rationalen Täterschaft im heutigen Sinne sprechen kann.
2. Die Entstehung des Individuums im Mittelalter
Um die geistesgeschichtlichen Neuerungen des Humanismus sowie Shakespeares im Anschluß besser abstecken zu können, soll an dieser Stelle anhand Peter Abélards (1079 – ca.1142). Darstellung seiner Historia Calamitatum zunächst kurz auf das allmähliche Aufkommen des Individualismus im Mittelalter eingegangen werden, das sich insbesondere in Personenbeschreibungen innerhalb der damaligen Geschichtsschreibung manifestierte:
Zur Zeit Abélards wurde beispielsweise nur die Größe einer Person für eine Beschreibung in Erwägung gezogen, zur Not erfand man sogar etwas im positiven Sinne Passendes, wo es wünschenswert erschien.[10] Dabei wurde auf distinktive Eigenheiten der zu beschreibenden Personen noch verzichtet; man bevorzugte eine großartige, aber recht nüchterne Darstellung, was die allgemeinen Eigenschaften betraf (vgl. Vitz 433).
Die ‚Psychologie’ der Zeit, bzw. was damals als solche galt, z. B. die Natur, die Fähigkeiten bzw. Begabungen oder Wünsche des Menschen, war noch nicht säkularisiert, sondern unterschied sich im Gegenteil nicht wesentlich von der Theologie. Und was die Theologen des Mittelalters in erster Linie interessierte, war nicht die Individualisierung, sondern das göttliche Heil, die Verdammnis, Erhöhung und Verfall der menschlichen Seele oder ihr hierarchisches Verhältnis zu Gott. Und diese grundlegende Ausrichtung scheint sich auf das ganze mittelalterliche Denken bezüglich der menschlichen Persönlichkeit und ihrer Entwicklung ausgebreitet zu haben. Jede psychologische Veränderung galt als eine Erhöhung oder Erniedrigung, als ein Fortschritt oder Zurückweichen.
Erst in der modernen Zeit begann man, sich ernsthaft dafür zu interessieren, was den einen Menschen von all den anderen unterscheidet, das, was wir heute als das ‚Individuelle’ bezeichnen, d. h. das Ungewöhnliche, das Verschiedenartige, das Absonderliche oder das Entartete (vgl. Vitz 433f.).
Das Individuum strebt im Mittelalter weder danach, neuartige und verschiedenartige Dinge wahrzunehmen, noch zu äußern, ebensowenig wie beispielsweise zwischen seiner eigenen Erfahrung von Schmerz und der der Märtyrer zu unterscheiden (vgl. Vitz 438).
3. Der zeit– und geistesgeschichtliche Hintergrund mit Blick auf die Individualität
Im Gegensatz zum allmählichen Erwachen des Individualismus im Mittelalter soll der gleiche Bezug nun in der Renaissance, der Zeit Shakespeares, hergestellt und genauer betrachtet werden.
Der Humanismus der Renaissance wird auch als Zeitalter des Individuums bezeichnet, da er vor allem die Würde und den Wert des Individuums betonte. Der Mensch mit all seinen Gefühlen und Empfindungen wurde nun fortan in den Mittelpunkt von Gesellschaft und Kosmos gestellt, und im Zuge dieser Entdeckung des Individuums rückte die individuelle Persönlichkeit progressiv in den Vordergrund (vgl. Unterstenhöfer 48).
Allerdings hatte der Begriff des ‚Individuums‘ damals zunächst eine andere Bedeutung als die heute geläufige: “Individual […] referred to that which is one in substance or essence, indivisible, or that which is inseparable from a whole. It did not have the meaning now given to the word signifying a sense of self-identity, for which the O.E.D. cites the first use in 1633.“[11] Dieser Übergang von der ‘essence’ zur ‘self-identity’ läßt sich bei Shakespeares Darstellung von Macbeth bereits im Ansatz erkennen.
Als Inbegriff des in der Renaissance entstandenen ‚neuen Typus Menschen‘, der nun also als Individuum mit einer eigenen, einzigartigen Identität begriffen wurde, galt Shakespeares Hamlet (entstanden 1600/ 01), den der Dichter zum ersten Mal seine innersten Gefühle und Erfahrungen auf der Bühne äußern ließ: “The great symbol and epitome of this new state of being in the Renaissance is Hamlet. His consciousness of playing a part which is in some sense alien to his real self finds innumerable echoes in contemporary literature.“[12]
In diesem Zusammenhang macht es auch Shakespeares Größe aus, erstmals ansatzweise die eben erwähnte ‘self-identity’ auf die elisabethanische Bühne zu bringen.
Ferry nennt weitere Merkmale, die Hamlet als ein Individuum ausmachen und die sich freilich ebenso auf den kurze Zeit später entstandenen Charakter des Macbeth übertragen lassen: “His opening aside, his first speech, his many soliloquys, his references to what is hidden in his heart all seem designed to present him as an individual aware of having what a modern writer would call an inner life or a real self” (s. Ferry 29).
Weitere Intentionen des Humanismus waren die Sprengung von Standes- und nationalen Schranken sowie die allmähliche Emanzipation von den geistigen Beschränkungen durch ein allzu autoritäres Wert- und Moralsystem der Kirche bzw. Religion. Diese Emanzipation beinhaltete auch das Konzept einer individuellen Identität.
Aus einer traditionell konservativen Sichtweise des Mittelalters bezüglich eines sich nun emanzipierenden Individualismus heraus verneinte die Kirche den Begriff des Individuums nämlich noch, da der Mensch sich innerlich nicht als eigenständiges, rational denkendes Wesen begreifen – was als revolutionär, vielleicht sogar umstürzlerisch empfunden wur-
de –, sondern ein gehorsamer Diener Gottes und des Staatswesens sein sollte, der sich nur über das Kollektiv der Masse der Gläubigen definieren bzw. selbst verwirklichen sollte.
Während der Humanismus die Autonomie des Menschen durch Macht über sich selbst anstrebt, wird hier in Macbeth – wie auch beispielsweise in King Richard III. – nun der Tyrann zur Gegengewalt durch Macht über andere, deren Recht auf Selbstbestimmung er durch seine zumeist aggressive Machtausübung freilich einschränkt, wenn nicht sogar beseitigt und diese neuartige Entwicklung somit wieder rückgängig macht. Dies stellt eine Substitutionserfahrung dar, die auch die moderne Psychologie (Freud, Jung u. a.) bestätigt (vgl. Unterstenhöfer 192). Auch
die elisabethanische Tragödie gewinnt ihre eigentliche Dynamik aus der Entdeckung des individuellen menschlichen Charakters, einem brennenden, früher kaum artikulierten Interesse an seinen Möglichkeiten zum Guten und Bösen, seiner Verführbarkeit, aber auch seiner Ausstrahlungskraft im Umgang mit den Mitmenschen (s. Mehl 14).
Allerdings wurde ihre Entstehung erst durch das humanistische Interesse am Schicksal und der Psychologie des einzelnen Menschen und das Vorbild der Tragödien Senecas ermöglicht.[13] Ähnlich wie bei Seneca (ca. 4 v.– 65 n. Chr.), dessen Tragödien Geburtshelfer der elisabethanischen Tragödie waren und großen Einfluß auf sie hatten, sieht sich der Tyrann Macbeth durch die Unnatur seiner Herrschaft ständig zu neuen und schrecklicheren Verbrechen gezwungen. Damit werden er und seine Verbrechen dämonisiert, eine Entwicklung, die in den großen Tragödien Shakespeares ihren Höhepunkt erfährt (vgl. Unterstenhöfer 192).
Der Einfluß der senecaischen Tragödien wird in Macbeth auch insofern wirksam, als der tragische Fall hier wie da dadurch ausgelöst wird, daß der Held unfähig ist, seine heftigen Leidenschaften und Emotionen durch den Verstand zu beherrschen; er wird somit zum “slave of passion.“[14] Im Unterschied zum Vorbild Senecas, der seine Protagonisten mit einer “overriding passion“ ausstattete, so daß sie in Wahnsinn und Raserei enden (z. B. Atreus in Thyestes oder Eteokles in den Phoenissae), geht es in der elisabethanischen Tragödie bei Shakespeare nunmehr allerdings um das ‚Funktionieren‘ des Menschen allgemein.
4. Die elisabethanische Psychologie
Eine allzu starke Imagination wurde nach elisabethanischer Psychologie als negativ angesehen und mußte deshalb unter allen Umständen vermieden werden, da man sich vorstellte, daß
successful action depends upon a well regulated soul and that any departure from the governance of reason is dangerous […]. The supremacy of the imagination, of the affections, or a conjunction of the two, […] is nearly always fatal to an individual; hence this supremacy becomes a dominant force leading to tragedy.[15]
Die kirchliche Sündenlehre der Zeit kannte zudem noch keinen ‚individuellen‘ Sünder im Sinne der ‘self-identity‘.
Durch den Beichtspiegel, einem seit dem 15. Jahrhundert aufgekommenen, an den Zehn Geboten orientierten Sündenregister zur Vorbereitung auf die Beichte, entstand zum ersten Mal eine autobiographische ‚Persönlichkeit‘, die man sich zu der Zeit additiv aus den einzelnen Tugenden und Sünden zusammengesetzt vorstellte. Doch dies kann freilich keineswegs mit der heutigen Definition von ‚Individualität’ (nämlich ‚persönliche Eigenart‘, ‚Einzigartigkeit jedes Menschen‘) gleichgesetzt werden, sondern allenfalls als ein erster Versuch gedeutet werden, aufgrund guter sowie schlechter Eigenschaften auf individuelle Züge der jeweiligen Person schließen zu können.
Zweifellos bot die zeitgenössische Psychologie, die die Verschiedenheit der Charaktere auf die physiologische Bedingtheit des Seelenlebens, die Macht der Affekte sowie die Temperamente zurückführte, auch den Anstoß zu Shakespeares lebensnaher, individualisierender Darstellung der Figur des Macbeth (vgl. Unterstenhöfer 49).
5. Imagination – ein schillernder Begriff und seine Bedeutung bei Shakespeare
Zunächst soll der mehrdeutige Begriff der Imagination erläutert und daraufhin seine konkrete Bedeutung bei Shakespeare dargelegt werden. Dieser Terminus umfaßt ein weites Feld und läßt sich auf verschiedene Weise deuten: Philosophisch-geistesgeschichtlich, psychologisch und literaturtheoretisch.
Laut OED ist das Wort in der englischen Sprache erstmals 1340 belegt, sogar in der heute üblichen Bedeutung: “The action of imagining, or forming a mental concept of what is not actually present to the senses […]; the result of this process, a mental image or idea.”[16]
Auch eine Aufspaltung der Imagination in eine reproduktive und eine produktive Variante wurde erstmals in diesem Jahr erwähnt. So wird diejenige Begabung des Verstandes, mit deren Hilfe Bilder oder Vorstellungen von externen Objekten, die den Sinnen nicht gegenwärtig sind, und von deren Beziehungen zueinander als reproduktive, die Kraft, die der Verstand besitzt, um Ideen jenseits derer zu gestalten, die sich von externen Objekten herleiten, hingegen als produktive Imagination bezeichnet (vgl. OED 669).
In der philosophischen Erkenntnislehre wird die Imagination, abgeleitet vom lateinischen ‚imaginatio‘ (‚Einbildung’, ‚Phantasie’, ‚Vorstellung’), ganz allgemein definiert als „jede innere Anschauung ohne reale Anwesenheit eines Gegenstandes.“[17]
Psychologisch wird die Imagination zunächst generell als Einbildung bzw. Einbildungskraft, auch als bildhaftes Denken definiert. Sie ist ein bewußter geistiger Prozeß, bei dem im Geiste Vorstellungen oder Bilder von Objekten, Ereignissen, Beziehungen, Eigenschaften oder Prozessen entstehen, die nicht gegenwärtig sind, und die die betreffende Person auch nie zuvor erfahren oder wahrgenommen haben muß.[18] Meist ist sie daher auf Zukünftiges gerichtet. Diese Einbildungskraft stellt also nach einer anderen Definition (vgl. Fröhlich 133) den individuellen Ausprägungsgrad der Fähigkeit zur Entwicklung von Anschauungen oder Ansichten dar, die Erinnerungen und realitätsbezogene Vorstellungen überschreiten (z. B. in Träumen, Visionen oder Wahnvorstellungen).
Gelegentlich unterscheiden Psychologen zwischen passiver oder reproduktiver Imagination, bei der geistige Bilder, die von früheren Sinneswahrnehmungen herrühren, wieder hervorgeholt werden, und aktiver oder kreativer Imagination, bei der der menschliche Geist Bilder von Ereignissen oder Gegenständen produziert, die nur entfernt oder gar nicht mit der Realität der Vergangenheit oder Gegenwart verbunden sind (vgl. Encarta 99: Imagination). Letztere finden wir bei Macbeth wieder.
Bei Träumen oder Halluzinationen übernimmt die Imagination die Rolle der Sinnesorgane. Dies zeigt sich bei Macbeth insbesondere in Form von Banquos Geist (III. iv. 40–106), den von allen Anwesenden freilich nur er sehen kann, da allein sein Gewissen zu diesem Zeitpunkt mit zwei Morden beladen ist und infolgedessen nun dieses grausige Bild vor seine Augen projiziert.
Nun folgt ein kurzer philosophisch-geistesgeschichtlicher Abriß zur Begriffsgeschichte, wobei das Hauptaugenmerk auf die elisabethanische Zeit in England (1558–1603) gerichtet ist: In dieser Ära, einer Periode innerhalb der Renaissance, wurde die Imagination generell eher negativ, ja sogar gefährlich (als ein möglicher Feind der Vernunft) und unter Umständen verhängnisvoll angesehen. Die Konzeption der Imagination in verscheidenen Passagen bei Shakespeare ist lediglich die literarische Ausdrucksform eines Begriffs, den man überall in psychologischen Abhandlungen dieser Zeit finden kann (vgl. Anderson 28). Demnach sei die Imagination die Quelle ”of all our Evils, our Confusions and Disorders, our Passions and Troubles.“[19] Hierin stimmten die elisabethanischen Schriftsteller mit Charron überein. Dieser aber geht sogar noch ein Stück weiter:
[…] it [= the imagination] is a perfect Incendiary in the State, looks out all the Fools, and Disaffected in the Soul, and blows them up into Sedition; raises the Mobb, that is, the Passions, and sets all in an Uproar and Confusion. And all this by taking wrong Methods, going Headlong to work, and not submitting the Matter to the Understanding.[…] (s. Charron 172f.).
Obwohl Sir Philip Sidney (1595), eine der bedeutendsten Gestalten der englischen Renaissanceliteratur, den negativen Aspekt der Imagination mit beiden Begriffen verband und, gemäß der vorherrschenden elisabethanischen Auffassung, von ‚sündiger Phantasie‘ spricht, setzte sich die bei Platon angelegte Rangordnung der Begriffe[20] im 18. Jahrhundert durch:
So nannte W. Duff (1767) jene Imagination, die unkontrolliert ist und dem Wertlosen Glanz verleiht, ‘fancy‘. J. Beattie (1783) bestimmt ‘fancy‘ als ‘trivial‘ und ‘Imagination‘ als ‘solemn‘; andere Autoren bezeichnen ‘fancy‘ dagegen als verschwommen, willkürlich, passiv, ‘Imagination‘ als klar, geordnet, aktiv (vgl. Ritter/ Gründer 217).
Sir Francis Bacon, der die menschliche Wissenschaft in seinem Werk The Division of Poesy (1605) in drei Abteilungen einteilt, die sich auf jeweils eine Eigenschaft des menschlichen Geistes beziehen, ordnet die Dichtkunst der Imagination zu. Er weigert sich aber im Unterschied zu Sidney, auf dessen Defence of Poesy sich seine Ausführungen beziehen, ihr einen hohen Rang einzuräumen. Unter dem Einfluß der Imagination bringe die Dichtung ‚unnatürliche’ Verbindungen von Gedächtnisinhalten, also Trugbilder und Phantome hervor, und um der Vorliebe des menschlichen Geistes für Großartigkeit zu entsprechen, verfälsche sie die Berichte der Geschichte.[21] Ähnlich der heutigen Begriffsauffassung wird die Imagination allerdings erstmals bei René Descartes (1637) als Gegenpol von ‚raison‘ und ‚bon sens‘ bezeichnet.
Das Verdienst der bisher[22] ausführlichsten und fundiertesten Analyse der Imagination und ihres noematischen Korrelats, des Imaginären, gebührt aber Jean-Paul Sartre (vgl. Ritter/ Gründer 219f.). Sie steht im Zeichen der phänomenologischen Doppelung von intentiona-lem Akt und nicht-dogmatischem Bewußtsein seiner selbst. In dieser Doppelung erfährt sich die ‚conscience imageante’ als schöpferische Spontaneität. Das Bild wird gesetzt als abwesend oder inexistent, als ein Nichts. Dies aber bedeutet zugleich Nichtung (néantisation) der Welt in Bezug auf das Bild. Das Imaginäre ist der Welt der sinnlichen Wahrnehmung und ihren Kategorien von Raum und Zeit gegenüber durchaus autonom. Seine Setzung wird bestimmt als Akt der Freiheit, vollzogen von einer bestimmten Weise des In-der-Welt-seins, von einer bestimmten ‚situation‘ aus.[23]
Vergleicht man nun die unterschiedlichen Auffassungen zweier großer Epochen, der Renaissance und der Romantik, hinsichtlich der Imagination, so kann man festhalten, daß v. a. die Elisabethaner diese – wie oben erwähnt – negativ betrachteten, da sie nach elisabethanischer Psychologie als Feind der Vernunft angesehen wurde und daher aufgrund möglicher fataler Auswirkungen auf Staat und Gesellschaft, die die Imagination notwendigerweise mit sich brächte, schlichtweg vermieden werden mußte.
Die Sichtweise der Romantik bezüglich der Imagination war dagegen durchaus positiv, da sie als ‚absolute Geisteskraft’ für die romantischen Dichter nahezu unerlässlich zu sein schien. Einig war man sich allerdings in der Tatsache, daß der Imagination eine entschei-dende Position unter den Begabungen der Seele zukam. Dies werden wir am Beispiel Macbeths noch genauer sehen.
Auch die Literaturtheorie, die die Begriffe ‚Imagination‘ bzw. ‚Einbildungskraft‘ und ‚Phantasie‘ nahezu synonym gebraucht, unterscheidet eine passive, d. h. nachvollziehende (z. B. bei Kindern und Naturvölkern in der Mythenbildung), und eine aktive, d. h. schöpfe-rische Imagination als eine der Voraussetzungen des Dichters schlechthin, die nur durch die Darstellungsmöglichkeiten beschränkt wird.[24]
In diesem Zusammenhang ist die Imagination Shakespeares oft mit seiner Dichtkunst, mit seinem Vermögen der individuellen Charakterzeichnung gleichgesetzt worden. Diese Gleichsetzung ist allerdings nicht auf die Imagination Macbeths anwendbar, denn hierbei handelt es sich ausschließlich um seine Einbildungskraft, die bei ihm Bilder, böse Vorahnungen zukünftiger Szenarien, Visionen oder sogar Halluzinationen entstehen läßt. Sie ist des Menschen höchste und gefährlichste Geisteskraft und stellt eine höchste Entfal-tung des Ichs, der Innenwelt dar.[25]
Macbeth kann mit gutem Recht sogar als eine Tragödie der Imagination aufgefaßt werden, denn ausgehend von den Prophezeiungen der Hexen und deren eigenwilligen imaginativen Interpretation durch Macbeth nimmt die Handlung, und somit auch sein Verderben, erst ihren Lauf. Zwar wurde das Stück oft auch treffend als Tragödie der Macht, des Ehrgeizes, oder der Furcht[26] bezeichnet, doch stellt es meines Erachtens vor allem ein Drama der Imagination dar, weil diese im Mittelpunkt der Handlung steht, und ohne sie keine, zumindest aber eine völlig andere Handlung zustande käme.
Shakespeare benutzt die Imagination in Macbeth lediglich als willkommenes Mittel zur Charakterisierung und detaillierten Innenschau seines tragischen Helden, um tiefere Einblicke in sein Denken, Fühlen und Handeln detailliert darzustellen. Damit nimmt er in seiner Epoche eine Vorreiterrolle ein, da in dieser frühen Zeit von einem lediglich experimentellen Charakter der Imagination gesprochen werden kann.
Zwar wurden Shakespeares Dramen von der Nachwelt – vor allem von Dryden und Johnson – oft als imaginativer Ausdruck von Natur gerühmt, da er nicht isolierte Aspekte der Natur, auch nicht der menschlichen, darstelle, sondern die Natur getreu ihrer selbst fasse. So tragen seine Gestalten nichts Zufälliges oder Teilhaftes an sich, vielmehr sind sie die echte, wirkliche Nachkommenschaft allgemeiner Menschlichkeit.[27] Doch dies steht in einem anderen Zusammenhang, auf den hier nicht näher eingegangen werden soll, da er nicht Gegenstand dieser Arbeit ist.
6. Die negative Sicht der Imagination sowie der menschlichen Wünsche bei Dr. Samuel Johnson im Hinblick auf Macbeth
Samuel Johnson, dem großen Moralisten und Universalgelehrten, der sich u. a. als Literaturtheoretiker und Herausgeber des ersten allumfassenden englischen Wörterbuches (1755) in der Mitte des 18. Jahrhunderts einen Namen gemacht hatte, kommt hier vor allem als Shakespeare-Kritiker eine besondere Bedeutung zu. Seine Ansichten zur Imagination sowie zu den allgemeinen Begierden und Wünschen der Menschen, die auch bei Macbeth eine tragende Rolle spielen, sollen einen Übergang zwischen der ‚Theorie’ der breit gefächerten Hintergrundinformation und der ‚Praxis’ der Analyse des Werkes sowie der darin dargestellten Imagination des Protagonisten bilden.
Johnsons Psychologie schließt ein individualisiertes Menschenbild aus und kann daher gewissermaßen als ‚Endkampf’, als ein letztes Zeugnis für die Beibehaltung eines von der Kirche propagierten, nicht individualisierten Menschenbildes angesehen werden. Somit kann man bei Johnson in diesem Zusammenhang eine anachronistische Denkweise konstatieren, da er der allgemeinen, Individuum freundlichen Sichtweise der Zeit immer noch sein aus dem mittelalterlichen Denken stammendes, konservatives Menschenbild entgegensetzt.
‘Imagination’ definierte er als ‘fancy’; ‘the power of forming ideal pictures’; ‘the power of representing things absent to one’s self or others’. Und ‘ fancy’ wiederum definierte er als ‘imagination’; ‘the power by which the mind forms to itself images and representations of things, persons, or scenes of being’. ‘ Fantasy’ schließlich gab er wieder als ‘Fancy’; ‘imagination’; ‘the power of imagining’.[28]
Seiner Meinung nach hängen also alle drei Begriffe (‚imagination’, ‚fancy’ und ‚fantasy‘) sehr eng miteinander zusammen, so daß er sie nahezu synonym verwendet.
Johnson hat eine sehr negative Auffassung der Imagination, weshalb man versuchen müsse, sie so weit als nur irgend möglich zu vermeiden. Dies kommt beispielsweise bereits in der Überschrift zum 44. Kapitel seines moralisch-didaktischen Kurzromans The History of Rasselas, Prince of Abyssinia (1759) zum Ausdruck, die “The Dangerous Prevalence of Imagination” lautet.[29] Das Werk, das lediglich als Vehikel für eine durchweg düstere und melancholische, aber nicht pessimistische Botschaft über Mensch und Leben (vgl. Fabian 2: 227) dient, „stellt mit aller Konsequenz die Nichtigkeit der menschlichen Suche nach dem Glück dar.“[30]
Der Grundtenor der Erzählung lautet etwa wie folgt: Jedermann erwartet das Heil von einer Änderung seiner jetzigen Lage, doch bleibt persönliches Glück illusorisch, da die Begierde den Menschen – wie wir ebenso bei Macbeth sehen werden – nie ruhen läßt. Für welche Lebensweise man sich auch entscheidet, immer ist es die falsche. Wichtig allein ist, über der Entscheidung nicht das Leben verstreichen zu lassen.[31]
In Kap. 44 des Rasselas fährt Johnson mit seiner negativen Darstellung der Imagination fort:
There is no man, whose imagination does not sometimes predominate over his reason, who can regulate his attention wholly by his will, and whose ideas will come and go at his command. No man will be found in whose mind airy notions do not sometimes tyrannize, and force him to hope or fear beyond the limits of sober probability. All power of fancy over reason is a degree of insanity (s. Rasselas 141).
Allein aus dem letzten, entscheidenden Satz kann man zu dem Schluß kommen, daß Macbeth, auf den die Aussagen dieses Zitats gänzlich zutreffen, nach Johnsons Auffassung wahnsinnig sein muß.
Er führt seine Erläuterung bezüglich der zu vermeidenden Imagination folgendermaßen weiter aus:
To indulge the power of fiction, and send imagination out upon the wing, is often the sport of those who delight too much in silent speculation. […] The mind dances from scene to scene, unites all pleasures in all combinations, and riots in delights which nature and fortune, with all their bounty, cannot bestow (s. Rasselas 141).
Verständlich wird Johnsons strikte Ablehnung, ja beinahe schon Verteufelung der Imagination, wenn man erfährt, daß er Zeit seines Lebens mit seiner eigenen, stark ausgeprägten Imagination zu kämpfen hatte und sehr darunter gelitten haben muß. Stets fürchtete er ein allzu starkes Überhandnehmen der Imagination in ihm selbst und betete oft um Stärke und Gesundheit, um diese überwinden zu können (vgl. Hagstrum 92).
Bereits 1749 hatte Johnson das Vanitas-Thema in seinem satirisch-philosophischen Lehrgedicht The vanity of human wishes aufgegriffen, in dem er in Nachahmung der zehnten Satire des römischen Satirendichters Juvenal mit kritischem Blick über die gesamte Menschheit ein Panorama menschlicher Wunschträume entwirft, um deren Eitelkeit zu enthüllen (vgl. Kindler 8: 821).
Hier führt er den Menschen, für die das Erreichen ihrer jeweiligen Wunschträume, wie z.B. Schönheit, Wissen, Reichtum, Macht oder eine hohe Lebenserwartung das höchste Ziel im Leben darstellt, anhand warnender Beispiele aus der Geschichte systematisch die Vergeblichkeit der einzelnen Wunschvorstellungen für die menschliche Existenz vor Augen.
Dabei will er nicht kleine Schwächen der Eitelkeit anprangern, sondern zeigen, daß das Streben des menschlichen Herzens nach Glück, Dauer, Sicherheit und Zufriedenheit sowie die Vorstellungen seiner Phantasie den Menschen im Labyrinth des Schicksals notwendig in die Irre führen (vgl. Standop/ Mertner 365).
In diesen Zusammenhang läßt sich abermals Macbeth stellen, da auch er sich von den Mächten des Bösen – in Gestalt der Hexen – sowie von seiner Gattin zur Macht verführen läßt, die er sodann auf schändlichste Weise, nämlich durch Königsmord, an sich reißt, um daraufhin innerhalb einer von ihm erschaffenen fatalen Spirale der Gewalt immer weiter zu einem skrupellosen, tyrannischen Massenmörder zu entarten.
Erst am Ende seiner Satire lenkt Johnson dann mit der tröstlichen Versicherung ein, daß allein im Vertrauen auf Gott der existentielle Sinn entsteht, den die Menschen zumeist vergeblich suchen, wenn sie auf die eben erwähnten ‚nichtigen’ Güter in ihrem Leben bauen. Schließlich spricht er noch ein Schlußwort über die Unabänderlichkeit eines widrigen Daseins und verweist damit den didaktischen Appell zur Besserung in den theologischen Bereich (vgl. Seeber 204): “Still raise for good the supplicating voice,/ But leave to heav’n the measure and the choice;“[32]
Auch in Macbeth kommt das Vanitas-Thema, wie oben im speziellen Zusammenhang bereits erwähnt, zum Tragen, denn auch er hat geheime Wünsche und Begierden, die sich letzten Endes aber nicht bewahrheiten. Stattdessen sieht sich Macbeth in seiner Hoffnung betrogen. Sie beginnt spätestens dann zu bröckeln, als gemeldet wird, der Wald von Birnam bewege sich auf sein Schloß Dunsinane zu. Gleich darauf legt Macbeth einen nihilistischen Lebensekel an den Tag (nach der Nachricht vom Tod seiner Frau in V. v. 17–28), ist kurz darauf völlig desillusioniert, als er die Zweideutigkeit der Hexenprophezeiungen sowie die unmittelbare Lebensgefahr für sich erkannt hat (V. v. 42–51) und Macduff sich ihm als „nicht von einer Frau Geborener“ zu erkennen gibt.[33]
Am Schluß wartet er dann nur noch auf den Beginn des Kampfes, um all diesen widrigen Umständen zum Trotz dennoch ehrenhaft als Soldat unterzugehen, wobei er allerdings fest entschlossen ist, noch möglichst viele seiner Feinde mit sich in den Tod zu reißen, denn an der Tatsache, daß er im bevorstehenden Kampf umkommen werde, besteht zu diesem Zeitpunkt nun selbst für ihn, der sich im Vertrauen auf die Prophezeiungen der Hexen bis dahin unbesiegbar wähnte, kein Zweifel mehr.
Betrachtet man nun den gesamten Handlungsverlauf in Macbeth, so wird man zu der Einsicht gelangen, daß die ‚Prophezeiungen’ aus den beiden genannten Werken Johnsons (daß sich eben alle menschlichen Wunschvorstellungen letzten Endes als nichtig erweisen werden) auch hier zutreffen, denn indem Macbeth seinem krankhaften Ehrgeiz zur absoluten Macht freien Lauf läßt, stürzt er sich selbst in den Ruin und schaufelt sich am Ende somit sein eigenes Grab.
7. Essentielle Charakterzüge und die psychische Verfassung Macbeths als Basis für die Ausdrucksformen und die Macht seiner Imagination
Um die Motivationen Macbeths sowie die Ausdrucksformen und Auswirkungen seiner Imagination besser nachvollziehen zu können, soll hier zunächst eine Darstellung seiner wichtigsten Wesensmerkmale geboten werden. In diesem Zusammenhang wird gleichzeitig auch die Entwicklung seiner psychischen Verfassung Thema.
Macbeth ist generell ein zwiespältiger Charakter, der von entgegengesetzten Neigungen hin- und hergezogen wird. Er wird nicht als angehender Verbrecher, als Mensch, der anders ist als die Norm, eingeführt, sondern als streitbarer Repräsentant des Guten und als Vorkämpfer jener Ordnung, die er ironischerweise später – als sein eigenes Gegenbild – selbst zerstören wird. Dabei wird die Möglichkeit der Umkehrung in das Gegenteil durch das “Fair is foul, and foul is fair“ der Hexen (I. i. 11) von Anfang an impliziert, und zwar nicht als geheimer Makel dieses Individuums Macbeth, sondern als ein Potential, das in jedem Mächtigen angelegt ist.[34]
Ironischerweise wird also auch er – wie der alte Thane of Cawdor, gegen den er aus eben diesem Grunde zu Beginn selbst noch gekämpft hatte – zum Verräter, und zwar sogar zu einem noch feigeren als jener, da er das Vertrauen, das der König tragischerweise nun gänzlich auf ihn setzt, abscheulich mißbraucht und ihn auf hinterhältige Weise eigenhändig ermordet, wohingegen der alte Cawdor sich ‚lediglich‘ mit dem norwegischen König gegen Duncan verbündet hatte.
Wie seine Frau besitzt er einen schier unbezwingbaren Führungsehrgeiz, der jedes Fortkommenshindernis kraftvoll zu überwinden sucht und die Gefahr des Sich-Übernehmens nicht scheut.[35] Diese Leidenschaft ist so groß, daß man ihn fast als ‚vom Ehrgeiz zerfressen‘, ja sogar als einen vom Machtwahn Besessenen bezeichnen kann. Explizit gibt er das vor seinem endgültigen Entschluß, den König zu ermorden, sogar zu: “I have no spur/ To prick the sides of my intent, but only/ Vaulting ambition, which o’erleaps itself […]” (I. vii. 25–27). Dieser Ehrgeiz fungiert als dämonischer Motor, der Macbeth und damit die gesamte Handlung in Gang setzt. Dieser Machtanspruch um jeden Preis in ihm ist so heftig, daß kein Gefühl eines inneren Elends ihn dazu hätte bewegen können, auf die Früchte des Verbrechens zu verzichten, oder von der Gewissensnot zur Reue fortzuschreiten.[36] Dieser Ehrgeiz ist es dann auch, der ihn zwar zum höchsten befähigt, ihm aber gleichzeitig zum Verhängnis wird, da er später seinen Untergang bewirken sollte.[37]
Zudem wird uns Macbeth in den ersten Szenen des Stückes einerseits als kühn, unerschrocken und als ein Mann der Tat, andererseits aber auch als Phantasiemensch vorgestellt, der durch seine reiche, lebhafte Phantasie empfänglich ist für die Eindrücke der Natur, der Mit- und Umwelt, sensibel und leicht beeindruckbar. Leicht gerät er deshalb auch in Berührung mit Eindrücken des Übernatürlichen und ist übernatürlicher Furcht zugänglich.[38] Er besitzt eben nicht, wie beispielsweise Banquo, die Festigkeit der Person; stattdessen trägt er etwas Unbestimmtes, Irreales (vgl. Kap. 9.1), eine geheime Bereitschaft zum Unheil in seinem Wesen.[39]
Der Bericht des “bleeding captain“, der die kriegerische Grausamkeit und ruhmreiche Heldentat Macbeths hervorhebt (“Which [Macbeth] ne’er shook hands, nor bade farewell to him,/ Till he unseam’d him from the nave to th’chops,/ And fix’d his head upon our battlements“ I. ii. 21–23), nimmt wie in einem Hohlspiegel dessen kommende Bluttaten vorweg und steht antithetisch zu seiner urplötzlich auftretenden Furcht als Reaktion auf die Hexenprophetie (vgl. Unterstenhöfer 165).
Hier wird deutlich, daß er kurioserweise zwar vor keiner wirklichen Gefahr erschrickt (wie an seinem glänzenden Überraschungserfolg in der Schlacht gegen die Rebellion ersichtlich wurde), aber umso mehr vor den Wahngebilden seiner reizbaren Phantasie (vgl. Neis 54).
Gepaart mit seiner gesteigerten Sensibilität für das Irrationale und Krankhafte des Bösen ist jene Klarheit und Weitsichtigkeit des Intellekts, die Macbeth die Bedeutung seines Ausbruchs aus der sittlichen und staatlichen Ordnung klar erkennen läßt und ihn zum Interpreten und Analytiker seiner eigenen Erfahrungen und Taten macht (vgl. Suerbaum 139).
Gerade dieser Reichtum seiner Natur macht Macbeth allerdings – wie beispielsweise auch Hamlet oder Othello – innerlich zwiespältig und führt in letzter Konsequenz sein tragisches Ende herbei (vgl. Deutschbein 258), denn seine Phantasie und ihr gefährlicher Überfluß sind es letztendlich, die ihn in die Bahn des Bösen hineingleiten lassen. Er verfällt dem Bösen, ohne es eigentlich zu wollen. Ihm fehlt gleichsam der feste Boden, auf dem er gründet. So besitzt Macbeth zwar durchaus ein klares Unterscheidungsvermögen für das Gute und das Böse, aber das Grauen der Einbildung verstrickt ihn trotzdem immer tiefer in sein Verhängnis (vgl. Neis 92f.).
Er weist eine eigentümliche Doppelnatur auf: Auf der einen Seite besitzt er gewisse dämonische Anlagen, auf der anderen Seite hingegen ein starkes Bewußtsein von der Existenz der Wertwelt, die für ihn die Grundlage seiner sozialen Bindungen ist. Sicher war er vor der Versuchung durch die “Weird Sisters“ ein “honest man“, wie selbst Malcolm später (IV. iii. 13) andeutet. Sogar Macduff habe ihn, so Malcolm weiter, sehr geliebt (“you have lov’d him well“ IV. iii. 13). In der kritischen Stunde der Versuchung kurz vor der Ermordung Duncans (I. vii. 13–16) erkennt Macbeth die sittlichen Werte an, indem er seine Verpflichtungen gegenüber dem König, die ihm sein sittliches Bewußtsein auferlegt und die ihm als Blutsverwandtem, Untertan sowie Gastgeber obliegen, vollkommen klar fühlt (vgl. Deutschbein 238).
Doch obwohl ihm auch das Erbärmliche an der geplanten Untat durchaus bewußt wird (“He’s here in double trust:/ First, as I am his kinsman and his subject,/ Strong both against the deed; then, as his host,/ Who should against his murtherer shut the door,/ Not bear the knife myself“ I. vii. 12–16), kommt die Stimme des Gewissens nur schwach in ihm zu Wort, wenn man unter Gewissen nicht die Furcht vor den Folgen oder den Ärger über sie, sondern die sittlich-moralische Abscheu vor dem Grund des eigenen Handelns versteht (vgl. Schücking 68). Lediglich ein gewisses Ehrgefühl, einen Anflug edlerer Instinkte besitzt er, wenn er das Schändliche des Mordes gerade an seinem Gast Duncan wohl empfindet und bei aller inneren Schwäche nicht etwa ins Verächtliche dadurch herabsinkt, daß er z. B. seiner Frau vorwerfen würde, ihn verführt zu haben. Das macht aber noch keine Menschlichkeit aus, bedenkt man nur den unmenschlichen und grausamen Mord an Banquo in III. iii (vgl. Schücking 78). Von einem Gewissensbegriff, der heute gängige bzw. allgemein geläufige Konnotationen, nämlich ein klares Unterscheidungsvermögen zwischen Gut und Böse oder zwischen sittlich- moralisch Richtigem und Verwerflichem, beinhaltet, kann bei Macbeth demnach nicht gesprochen werden, eher von gewissensähnlichen Gefühlsregungen seines Innern.
Diese Erwägungen sind ebenso wie eine Regung von Dankbarkeit (“We will proceed no further in this business:/ He hath honour’d me of late“ I. vii. 31–32) mehr als Aufwallungen in der großen ungestümen Aufregung seines Inneren zu bewerten, denn als stete, erst allmählich im Kampf guter und schlechter Instinkte von den schlechten unterhöhlte und eingenommene Stellungen.
Die Tat selbst scheut Macbeth vom moralischen Gesichtspunkt aus nicht (vgl. Schücking 69), denn weder vor dem Mord, noch danach spricht er von Abscheu oder Reue[40] hinsichtlich seiner verletzten Pflichten als Duncans Verwandter, Gastgeber und Untertan; für ihn ist es lediglich “the deed“, eine Tat oder ein Wagnis für einen Soldaten.[41]
Deutlich wird dies auch insofern, als sich seine Einsicht gegen Ende (V. v. 19–28) darüber, daß ihm die Tat nichts als Überdruß am Leben eingebracht habe, nicht auf ein moralisches Wertsystem bezieht, sondern er das Geschehen und seine Beteiligung daran unter der Vorstellung der Vergänglichkeit und Eitelkeit alles Menschlichen sieht (vgl. Neis 89).
In diesem Zusammenhang kann man durchaus mit Schückings Unterscheidung zwischen ‚körperlichem’ und ‚moralischem’ Mut Macbeths (s. Schücking 72) übereinstimmen, denn gewiß ist er ein tapferer und unerschrockener Krieger auf dem Schlachtfeld, wo ihn offenbare Gefahren scheinbar unberührt lassen; doch wenn es wirklich darauf ankommt, moralisch zu handeln, – indem er sich z. B. nicht den Einflüsterungen der Hexen beugen, der aufdringlichen Überredung seiner Frau widerstehen oder die Familie Macduff verschonen würde, wenn er an diesem Punkt ohnehin schon hätte eingesehen haben müssen, daß dieses Gemetzel völlig unsinnig ist – versagt er aufgrund seiner inneren Schwäche letztendlich stets und läßt seinem Ehrgeiz und seinem Jähzorn freien Lauf. Einen moralischen Mut besitzt er demnach nicht. Diese innere „Schwäche erwächst bei ihm auf dem Grund einer nervösen Veranlagung, die bei starker Reizung geradezu krankhafte Zustände hervorruft“ (s. Schücking 72).
[...]
[1] Vgl. Mehl, Dieter. Die Tragödien Shakespeares: Eine Einführung. Berlin: Erich Schmidt, 1983. 130. Im Folgenden: Mehl
[2] s. Unterstenhöfer, Marga. Die Darstellung der Psychologie des Tyrannen in Shakespeares King Richard III und Macbeth. Frankfurt/ Main: Lang, 1988. 49. Im Folgenden: Unterstenhöfer
[3] s. Mascuch, Michael. Origins of the Individualist Self. Cambridge: Polity Press, 1997. 18. Im Folgenden: Masuch
[4] alle Textangaben aus Macbeth beziehen sich auf die Arden – Ausgabe von Kenneth Muir 10 1975.
[5] Vgl. Clemen, Wolfgang. Shakespeares Monologe. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1964. 49. Im Folgenden: Clemen
[6] Vgl. Mürb, Franz. Interpretationshilfe Englisch: William Shakespeare: Macbeth. Freising: Stark, 1999. 34. Im Folgenden: Mürb
[7] Vgl. Seeber, Hans Ulrich (Hg.). Englische Literaturgeschichte. Stuttgart: Metzler, 1999. 136. Im Folgenden: Seeber
[8] Die Vermutung liegt daher mehr als nahe, daß Shakespeare mit seiner Bearbeitung des historischen Macbeth-Stoffes auf diese Neigungen seines neuen Königs und des Patrons seiner Schauspieltruppe einging. Genauso stellte auch der historische Gegenstand, die schottische Geschichte und die angebliche Abkunft der Stuarts von Banquo ein offensichtliches Kompliment an James dar (vgl. Mehl 131).
[9] Vgl. Woudhuysen, H. R. (Hg.). Samuel Johnson on Shakespeare. London: Penguin, 1989. 45f. Im Folgenden: Woudhuysen
[10] Vgl. Vitz, Evelyn Birge. „Type et individu dans l‘‚autobiographie‘ médiévale“. Poétique 24 (1975): 426–445. 432. Im Folgenden: Vitz
[11] Vgl. Ferry, Anne. The “Inward“ Language. Chicago: U of Chicago P, 1983. 34f. Im Folgenden: Ferry
[12] s. Delany, Paul. British Autobiography in the Seventeenth Century. London: Routledge and Kegan Paul, 1969. 11.
[13] Vgl. Fabian, Bernhard (Hg.). Die englische Literatur. Bd. 1. München: dtv, ³1997. 391. Im Folgenden: Fabian 1; später auch Bd. 2: Fabian 2
[14] Vgl. Schabert, Ina (Hg.). Shakespeare-Handbuch. Stuttgart: Kröner, 1992. 595. Im Folgenden: Schabert
[15] s. Anderson, Ruth Leila. Elizabethan Psychology and Shakespeare‘s Plays. New York: Russell & Russell, 1966. 162/ 172. Im Folgenden: Anderson
[16] s. The Oxford English Dictionary. Bd.7. 2. Aufl. Vorb. v. J.A. Simpson u. E.S.C. Weiner. Oxford: OUP, 1989. 669. Im Folgenden: OED
[17] s. Fröhlich, Werner D. Wörterbuch Psychologie. München: dtv, 221998. 133. Im Folgenden: Fröhlich
[18] Vgl. „Imagination“ in: Microsoft Encarta 99 Enzyklopädie. Microsoft Corporation, 1993–1998. Im Folgenden: Encarta 99: Imagination; später auch: Encarta 99: Paranoia / Schizophrenie
[19] s. Charron, Pierre. Of wisdom. Buch 1. Übs. v. G. Stanhope. London, 1697. 158–162. (Original: De la Sagesse. Bordeaux, 1601.) Im Folgenden: Charron
[20] Platon unterschied zwischen eikasia, der Korrektheit der Nachahmung, und jantasia, dem unterhaltenden Element der Kunst (Vgl. Ritter, Joachim/ Karlfried Gründer (Hgg.). Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd.4. Darmstadt: WBG, 1976. 217. Im Folgenden: Ritter/ Gründer).
[21] Vgl. Renner, Rolf Günter/ Engelbert Habekost (Hgg.). Lexikon literaturtheoretischer Werke. Stuttgart: Kröner, 1995. 107.
[22] Dabei beziehen sich die Herausgeber auf das Jahr 1976, in dem sie ihr historisches Wörterbuch der Philosophie edierten.
[23] Vgl. Sartre, Jean–Paul. L’imaginaire: Psychologie phénoménologique de l’imagination. Paris: Gallimard, 1940. 23ff., 26, 161ff., 228ff.
[24] Vgl. Wilpert, Gero von. Sachwörterbuch der Literatur. Stuttgart: Kröner, 51969. 566f.
[25] Vgl. Lüthi, Max. „Die Macht des Nichtwirklichen in Shakespeares Spielen“. In: Klein, Karl L. (Hg.). Wege der Shakespeare-Forschung. Darmstadt: WBG, 1971. 138–159. 146/ 155. Im Folgenden: Lüthi 1964
[26] z. B. von Lily B. Campbell, die in ihrem Buch Shakespeare’s Tragic Heroes: Slaves of Passion (New York: Barnes & Noble, Inc., ²1960. [Im Folgenden: Campbell]) Macbeth als “A Study in Fear“ bezeichnet. Diese These wird in Kap. 10.2 näher behandelt.
[27] Vgl. Oberkogler, Friedrich. Macbeth: Eine Werkinterpretation auf geisteswissenschaftlicher Grundlage. Schaffhausen: Novalis, 1986. 13. Im Folgenden: Oberkogler
[28] s. Hagstrum, Jean H. Samuel Johnson’s Literary Criticism. Chicago: U of Chicago P, 1967. 89. Im Folgenden: Hagstrum
[29] s. Johnson, Samuel. “The History of Rasselas, Prince of Abyssinia”. In: Johnson, Samuel. Selected Poetry and Prose. Hg. v. F. Brady/ W. K. Wimsatt. Berkeley/ Los Angeles: U of California P. 141. Im Folgenden: Rasselas
[30] s. Standop/ Mertner, Ewald/ Edgar Mertner. Englische Literaturgeschichte. Heidelberg: Quelle & Meyer, 51992. 367. Im Folgenden: Standop/ Mertner
[31] Vgl. Jens, Walter (Hg.). Kindlers Neues Literaturlexikon. Bd. 8. München: Kindler, 1988. 819. Im Folgenden: Kindler 8; später auch Bd. 15: Kindler 15
[32] s. Johnson, Samuel. “The Vanity of Human Wishes”. In: Johnson, Samuel. Selected Poetry and Prose. Hg. v. F. Brady/ W. K. Wimsatt. Berkeley/ Los Angeles: U of California P, 1977. V. 351f.
[33] Näheres hierzu s. Kap. 10.1.2.
[34] Vgl. Suerbaum, Ulrich. Shakespeares Dramen. Düsseldorf: Bagel, 1980. 135f. Im Folgenden: Suerbaum
[35] s. Breuer, Horst. „Macbeth: Die Zerstörung der Natur“. In: Interpretationen: Shakespeares Dramen. Stuttgart: Reclam, 2000. 343–368. 365. Im Folgenden: Breuer
[36] Vgl. Bradley, Andrew C. „Zum Charakter des Macbeth“. In: Klein, Karl L. (Hg.). Wege der Shakespeare-Forschung. Darmstadt: WBG, 1971. 66–86. 68. Im Folgenden: Bradley
[37] Vgl. Deutschbein, Max. „Psychologische Deutung der Charaktere in ‚Macbeth’“. In: Klein, Karl L. (Hg.). Wege der Shakespeare-Forschung. Darmstadt: WBG, 1971. 236–259. 241f. Im Folgenden: Deutschbein
[38] Vgl. Schücking, Levin Ludwig. Die Charakterprobleme bei Shakespeare. Leipzig: Tauchnitz, ³1932. 71. Im Folgenden: Schücking.
[39] Vgl. Neis, Edgar. Erläuterungen zu William Shakespeare: Macbeth. Hollfeld: Bange, 1999. 92. Im Folgenden: Neis
[40] Zwar wünscht er sich nach dem Mord, alles wieder ungeschehen machen zu können (II. ii. 50/ 72–73), doch geschieht dies lediglich deshalb, weil er sich nun bereits von einer unbekannten überirdischen Vergeltung – denn dafür hält er seine halluzinierten Stimmen – verfolgt sieht (II. ii. 34-42), was ihn freilich in Angst und Schrecken versetzt.
[41] Vgl. Moorthy, P. Rama. “Fear in Macbeth”. In: Bloom, Harold (Hg.). Macbeth. New York/ Philadelphia: Chelsea House Publishers, 1991. 189-197. 192. Im Folgenden: Moorthy
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