Im Rahmen einer Beschäftigung mit Sprache, sei es der Muttersprache oder auch einer Fremdsprache, wird man, nachdem man die grundlegenden grammatikalischen, lexikalischen und syntaktischen Phänomene erlernt und durchschaut hat, zwangsläufig auch auf idiomatische Redewendungen, Redensarten oder Sprichwörter stoßen, deren Bedeutung sich nicht anhand dieser Regeln erklären und nachvollziehen lässt.
In den letzten Jahren hat die Beschäftigung mit Phraseolexemen als sprachliches Phänomen einen großen Aufschwung erfahren.
Der negativ behaftete Ausspruch „Das sind doch nur Redensarten“ und die dem zugrunde liegende Auffassung, bei Phraseologismen handele es sich um bloße Stereotypen oder Klischees ohne Wahrheitsanspruch/-gehalt, deren Vorkommen sich auf die Alltags- und Umgangsprache , also auf eine Verwendung im so genannten „Volksmund“ beschränke, ist längst widerlegt. Die idiomatische Wendung als Kennzeichen des „restringierten Kodes“ ist einer anderen Auffassung gewichen, nämlich der, dass- ganz im Gegenteil- das Verständnis und die korrekte Anwendung von Phraseolexemen von einem guten Sprachgebrauch zeugen und unerlässlich für ein gutes Sprachverständnis sind, sowohl in der Mutter-, als auch in Fremdsprachen. Dazu formuliert Isabel Gonzales Rey in ihrer Abhandlung „La phraséologie du français”: „Les expressions figées d´une langue donnée constituent un lieu de passage obligé pour une bonne compétence linguistique, vu leur présence incontournable dans la pratique langagière. (...) Comprendre et employer sans défaut les expressions figées dans une langue particulière, qu´elle soit maternelle ou étrangère, donne la mesure de notre habileté linguistique.”
Längst haben Phraseologismen auch im elaborierten Kode Einzug gehalten, in Texten geschriebener Sprache wie z.B. in Texten der politischen Berichterstattung.
Diese Arbeit befasst sich mit den Formen und dem Auftreten fester sprachlicher Wendungen, gibt einen Überblick über Geschichte und Entwicklung der Phraseologie innerhalb der Sprachwissenschaft. Darüber hinaus werden verschiedene Bereiche der Phraseologie erläutert, die Charakteristika eines Phraseolexems bestimmt. Der Vergleich zwischen der Phraseologie des Deutschen und der des Französischen zieht sich durch die ganze Arbeit und wird im letzten Teil anhand vieler Beispiele verdanschaulicht.
Gliederung
Einleitung
Was ist Phraseologie?
Geschichte der Phraseologie
Wissenschaftlicher Status der Phraseologie
Verschiedene Bereiche der Phraseologie
Charakteristika eines 0HRASEOLEXEMS
6.1 Polylexikalität
6.2 Stabilität
6.3 Idiomatizität
6.4 Lexikalisierung
6.5 Bildhaftigkeit
6.6 Irregularitäten
6.7 Polysemie
Direkter Sprachvergleich
7.1 Übereinstimmungen
7.2 Ähnliche Ansätze
7.3 Unterschiedliche Ansätze
7.4 Sonderfall: Faux amis
Schlussbetrachtung
9. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Im Rahmen einer Beschäftigung mit Sprache, sei es der Muttersprache oder auch einer Fremdsprache, wird man- nachdem man die grundlegenden grammatikalischen, lexikalischen und syntaktischen Phänomene erlernt und durchschaut hat, zwangsläufig auch auf idiomatische Redewendungen, Redensarten oder Sprichwörter stoßen, deren Bedeutung sich nicht anhand dieser Regeln erklären und nachvollziehen lässt.
In den letzten Jahren hat die Beschäftigung mit Phraseolexemen als sprachliches Phänomen einen großen Aufschwung erfahren.1 Der negativ behaftete Ausspruch „Das sind doch nur Redensarten“ und die dem zugrunde liegende Auffassung, bei Phraseologismen handele es sich um bloße Stereotypen oder Klischees ohne Wahrheitsanspruch/-gehalt, deren Vorkommen sich auf die Alltags- und Umgangsprache , also auf eine Verwendung im so genannten „Volksmund“ beschränke, ist längst widerlegt/überholt. Die idiomatische Wendung als Kennzeichen des „restringierten Kodes“2 ist einer anderen Auffassung gewichen, nämlich der, dass- ganz im Gegenteil- das Verständnis und die korrekte Anwendung von Phraseolexemen von einem guten Sprachgebrauch zeugen und unerlässlich für ein gutes Sprachverständnis sind, sowohl in der Mutter-, als auch in Fremdsprachen. Dazu formuliert Isabel Gonzales Rey in ihrer Abhandlung „La phraséologie du français” : „Les expressions figées d´une langue donnée constituent un lieu de passage obligé pour une bonne compétence linguistique, vu leur présence incontournable dans la pratique langagière. (...) Comprendre et employer sans défaut les expressions figées dans une langue particulière, qu´elle soit maternelle ou étrangère, donne la mesure de notre habileté linguistique.”3 Längst haben Phraseologismen auch im elaborierten Kode Einzug gehalten, in Texten geschriebener Sprache wie z.B. in Texten der politischen Berichterstattung.4
Diese Arbeit befasst sich mit den Formen und dem Auftreten fester sprachlicher Wendungen, gibt einen Überblick über Geschichte und Entwicklung der Phraseologie innerhalb der Sprachwissenschaft. Darüber hinaus werden verschiedene Bereiche der Phraseologie erläutert, die Charakteristika eines Phraseolexems bestimmt. Der Vergleich zwischen der Phraseologie des Deutschen und der des Französischen zieht sich durch die ganze Arbeit und wird im letzten Teil anhand vieler Beispiele verdanschaulicht.
Die Quellen der französischen Wendungen sind jeweils angegeben. Deutsche Entsprechungen bzw. sinngemäße Übersetzungen stammen aus Snyckers/ Werny, Dictionnaire des locutions français-allemand. Paris : Larousse (1976).
Aus Gründen der Verständniserleichterung wird im Folgenden die Bedeutung französischer Phraseolexeme, sofern nicht aus dem Kontext zu erschließen, in einer Fußnote erläutert. Die Quellen der französischen Wendungen sind jeweils angegeben. Deutsche Entsprechungen bzw. sinngemäße Übersetzungen stammen aus Snyckers/ Werny, Dictionnaire des locutions français-allemand. Paris : Larousse (1976).
2. Was ist Phraseologie?
Der Term Phraseologie leitet sich von griech. phrase (Satz) ab. Unter Phraseologie versteht man die Lehre und Wissenschaft von eigentümlichen Redewendungen einer Sprache5, also die Disziplin der Sprachwissenschaft, die sich mit festen Sprachbausteinen wie Redewendungen, Redensarten, bildhaften Ausdrücken und Vergleichen, Floskeln, Metaphern, Klischees, stereotypen Ausdrücken und geflügelten Worten beschäftigt. Darüber hinaus wird der Terminus Phraseologie auch als Überbegriff für den gesamten phraseologischen Bestand einer Sprache verwendet. In diesem sehr weit gefassten Verständnis der Phraseologie wird jede beliebige Aufeinanderfolge zweier Worte als Phraseolexem bezeichnet, unabhängig davon, ob es sich um ein festes Sprachgefüge oder um eine rein zufällige Wortverbindung handelt. Eine grammatikalische Übereinstimmung ist in diesen Fällen das einzige zwingende Kriterium. Die Phraseologie im engeren Sinne hingegen beschäftigt sich nur mit solchen Wendungen, deren Bedeutung von der Summe der Einzelbedeutungen ihrer Komponenten abweicht. Solche Phraseologismen werden auch als Idiome oder idiomatische Wendungen bezeichnet.6 Ihre sprachliche Struktur muss gewahrt werden, damit eine unversehrte und funktionsfähige Vermittlung des Gedankens gewährleistet werden kann. Idiome erscheinen meist in Form von Metaphern und haben durch ihre stichhaltige, von vorneherein begrenzte Bedeutung eine besondere Prägnanz.7
Phraseologismen sind allgegenwärtig: Sie kommen ebenso in der spontanen, gesprochenen Sprache wie auch in den Berichten und Kommentaren der Presse und der Massenmedien, sowohl in den Feuilletons, als auch in seriöseren Bereichen wie z.B. der politischen Berichterstattung vor. Die besonders bilderreiche Sprache der idiomatischen Wendungen ist vor allem in Formulierungen von literarisch geprägtem Charakter zu finden.8
3. Geschichte der Phraseologie
Obwohl die Phraseologie eine große Bedeutung im Rahmen des Sprachverständnisses spielt, dauerte es lange, bis die… Auch wenn die erste Nennung des Terms der Phraseologie in das 18. Jahrhundert einzuordnen ist, wurde sie, nach einigen zögerlichen Anfängen zu Beginn des 19. Jahrhunderts, erst in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einem festen und anerkannten Bestandteil der Sprachwissenschaft.9 Somit hat die Phraseologie, im Vergleich zu den anderen Disziplinen der Sprachwissenschaft, eine recht kurze Geschichte und Entwicklung zu verzeichnen. Trotz ihres jungen Alters als selbstständige Disziplin verfügt sie aber bereits über weit gefächerte Forschungsrichtungen: Terminologische und klassifikatorische Fragstellungen, interlinguale Studien und neuropsychologische Ansätze, die sich mit der mentalen Verarbeitung und Speicherung komplexer Sprachbausteine befassen.
In Deutschland war es Hermann Paul10, der 1880 die erste moderne systematische Darlegung sprachwissenschaftlicher Grundsätze schrieb und eine Definition für feste, idiomatische Wendungen aufstellte: Er bezeichnete sie als „constructions stables, caractérisées par leur structure d’éléments réagroupés formant un bloc, employées avec réitération et signifiant tout autre chose que ce que chaque constituant signifie séparément.“11
Für die französische Sprache formuliert Michel Bréal12 1897 die erste wissenschaftliche Abhandlung über „groupes de mots nommés ‚formules’, ‚locutions’, ‚groupes articulés’, caractérisés par le figement et l´opacité sémantique de leurs composants“13 Einen festen Platz in der Sprachwissenschaft nimmt die Phraseologie allerdings erst seit der Mitte des 20. Jahrhunderts ein. Charles Bally14 trug entscheidend zu dieser Entwicklung bei und wird als „Vater der Phraseologie“15 bezeichnet. Er veröffentlichte mehrere große sprachwissenschaftliche Abhandlungen (u.A. Précis de stylistique, Traité de stylistique, 1909, und Linguistique générale et linguistique française, 1932) und war der Erste, der die Phraseologie in ihrer ganzen Vielfalt betrachtete und als eigene Disziplin anerkannte.
4. Wissenschaftlicher Status der Phraseologie
Nach wie vor ist die Stellung, die die Phraseologie innerhalb der Sprachwissenschaft einnimmt, nicht klar definiert. Die Inhalte der Phraseologie können zwar als eigenständige Disziplin und autonome Wissenschaft betrachtet werden, allerdings findet sich in der Literatur auch die Auffassung, sie als Untergruppe einer anderen sprachwissenschaftlichen Disziplin zuzuordnen.16 Eine weiterer Ansatzpunkt ist das Verständnis die Phraseologie als „objet d´etude“ des Gesamtinhaltes des Sprachwissenschaft, da sie alle anderen Disziplinen (z.B. Grammatik, Lexikologie, Syntax, Phonologie, Morphologie) in sich vereint und deren Regeln in den teils sehr komplexen Wortverbindungen Anwendung finden bzw. ein Bruch dieser Regeln zu beobachten ist.
Zusammenfassend lässt sich jedoch sagen, dass die Phraseologie, als Disziplin der „Defektivität der Regeln“17 eher ein Seiten- als ein Zentralphänomen der Sprachwissenschaft darstellt, während die regelhaften Disziplinen, wie die Phonologie, die Morphologie oder Lexikographie mit ihren klaren Regeln und unmissverständlichen Vorgaben im Mittelpunkt stehen.
5. Verschiedene Bereiche der Phraseologie
Bereits 1951 unterteilte Bally phraseologische Wendungen in drei Bereiche: Combinaisons libres, groupements usuels und unités phraséologiques.18
Diese Abstufung entspricht drei verschiedenen Graden der Kohäsion: den zufälligen Worterbindungen, den häufigen Worterbindungen und den sprachlichen Einheiten.
[...]
1 Vgl. Koller, Werner, Redensarten. Linguistische Aspekte, Vorkommensanalysen, Sprachspiel. Tübingen: Max Niemeyer Verlag (1977), S. 2.
2 Auffassung von B. Bernstein (1972), zitiert in: Koller, ebd. S.3.
3 Vgl. Gonzales Rey, La phraseologie du français. Toulouse : Presses universitaires du Mirail (2002), S.15.
4 Vgl. Koller, ebd., S.3.
5 Vgl. Palm, Phraseologie. Eine Einführung. Tübingen : Narr Studienbücher (1997), S.1.
6 Vgl. Koller, ebd., S. 12.
7 Vgl. Snyckers/ Paul, des locutions français-allemand. Paris: Libraire Larosse (1976), S. III.
8 Vgl. Snyckera/ Paul, ebd., S. III.
9 Vgl. Gonzáles Rey, La phraséologie du français. Toulouse : Presses universitaires du Mirail (2002), S. 19ff.
10 Deutscher Sprachwissenschaftler (1846-1921). Vgl. Meyers Enzyklopädisches Lexikon. Mannheim: Lexikonverlag (1978), Bd. 18, S. 308.
11 Vg. Ginzáles Rey, ebd., S. 21. Das Zitat ist in französischer Sprache, da es sich bei der Abhandlung Gpnzales-Rey um eine rein französische Veröffentlichung handelt.
12 Französischer Sprachwissenschaftler (1832-1915). Vgl. Meyers Enzyklopädisches Lexikon. Mannheim: Lexikonverlag (1978), Bd. 4, S. 661.
13 Vgl. Gonzáles Rey, La phraséologie du français. Toulouse : Presses universitaires du Mirail (2002), S. 22.
14 Schweizer Sprachwissenschaftler (1856-1947), Schüler Ferdinant de Saussures. Vgl. Meyers Enzyklopädisches Lexikon. Mannheim: Lexikonverlag (1978), Bd. 3, S. 424.
15 Vgl. Gonzáles Rey, La phraséologie du français. Toulouse : Presses universitaires du Mirail (2002), S. 22 ff.
16 Vgl. Gonzales Rey, ebd. S.33 ff.
17 Vgl. Gonzales Rey, ebd. S. ???
18 Vgl. Gonzales Rey, ebd., S.22.
- Arbeit zitieren
- Anonym,, 2008, Geschichte und Grundlagen der Phraseologie. Eine kontrastive Betrachtung des Deutschen und des Französischen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/139001