„Ein Hörspiel muss nicht unbedingt ein Hörspiel sein, d.h. es muss nicht den Vorstellungen entsprechen, die ein Hörspielhörer von einem Hörspiel hat. Ein Hörspiel kann ein Beispiel dafür sein, dass ein Hörspiel nicht mehr das ist, was lange ein Hörspiel genannt wurde...“
Was Wolf Wondratschek dem Radiohörer 1969 so einfach wie treffend erläutert, kann wie ich finde ohne weiteres als Leitsatz auf die gesamte sich neu orientierende Hörspielbranche der sechziger Jahre übertragen werden. Beeinflusst vom revolutionären Geist der „68er-Bewegung“ und unaufhörlich vorangetrieben von einer sich rasant entwickelnde Technik, begannen zahlreiche neue künstlerische Gattungen aus dem Boden zu sprießen, auf der Suche nach experimentellen Arbeitsweisen und innovativen Ideen. Auch das Hörspiel blieb von diesem Streben nach neuen Ausdrucksformen nicht unberührt. Die Forderungen mancher Theoretiker, das alte, traditionelle Hörspiel, ja die gesamte Hörfunkbranche zu restaurieren, wurden immer lauter.
Im Zuge dieser Diskussion wurde der Begriff des sogenannten „Neuen Hörspiels“ eingeführt. Unter dieser Bestimmung versuchten die Hörspieltheoretiker der späten sechziger Jahre die unzähligen neuen, experimentellen Arbeiten auf dem Gebiet der Hörspielproduktion zusammenzufassen. Bis heute ist es schwierig, eine genaue Definition zu diesem Begriff zu liefern, geschweige denn alle Einflüsse auf das neue Genre zu benennen.
Diese Arbeit soll einen knappen Überblick über den Werdegang des deutschen Hörspiels vermitteln und sich der Begriffsbestimmung des „Neuen Hörspiels“ annähern, so wie es im Rahmen einer solchen Erarbeitung möglich ist.
Zudem soll der Versuch unternommen werden, an einem konkreten „Hör-Beispiel“ Anhaltspunkte für ästhetische Gestaltungsmerkmale sowie Produktions- und Herangehensweisen an das „Neue Hörspiel“ aufzuzeigen.
Am Beispiel von Ernst Jandls und Friederike Mayröckers Fünf Mann Menschen soll erläutert werden, wie sich der Wandel in der Gesellschaft der späten sechziger Jahre auch im Hörspiel wiederspiegelte.
Diese Arbeit liefert keine detailierte, grundsätzliche Analyse zum ausgewählten Hörspiel oder zur Hörspielgeschichte, sondern lediglich einen kurzen Ein-bzw. Überblick über die Geschehnisse im „Hörspieldeutschland“ Ende der sechziger Jahre.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Entwicklung des deutschen Hörspiels bis 1968
3. Das „Neue Hörspiel“
4. Ästhetische Gestaltungsmerkmale des „Neuen Hörspiels“ am Beispiel von Fünf Mann Menschen
4.1 Struktur und Aufbau
4.2 Akustische Materialien
4.3 Historisch-kritische Bezüge
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Ein Hörspiel muss nicht unbedingt ein Hörspiel sein, d.h. es muss nicht den Vorstellungen entsprechen, die ein Hörspielhörer von einem Hörspiel hat. Ein Hörspiel kann ein Beispiel dafür sein, dass ein Hörspiel nicht mehr das ist, was lange ein Hörspiel genannt wurde...“[1]
Was Wolf Wondratschek dem Radiohörer 1969 so einfach wie treffend erläutert, kann wie ich finde ohne weiteres als Leitsatz auf die gesamte sich neu orientierende Hörspielbranche der sechziger Jahre übertragen werden. Beeinflusst vom revolutionären Geist der „68er-Bewegung“ und unaufhörlich vorangetrieben von einer sich rasant entwickelnde Technik, begannen zahlreiche neue künstlerische Gattungen aus dem Boden zu sprießen, auf der Suche nach experimentellen Arbeitsweisen und innovativen Ideen. Auch das Hörspiel blieb von diesem Streben nach neuen Ausdrucksformen nicht unberührt. Die Forderungen mancher Theoretiker, das alte, traditionelle Hörspiel, ja die gesamte Hörfunkbranche zu restaurieren, wurden immer lauter.
Im Zuge dieser Diskussion wurde der Begriff des sogenannten „Neuen Hörspiels“ eingeführt. Unter dieser Bestimmung versuchten die Hörspieltheoretiker der späten sechziger Jahre die unzähligen neuen, experimentellen Arbeiten auf dem Gebiet der Hörspielproduktion zusammenzufassen. Bis heute ist es schwierig, eine genaue Definition zu diesem Begriff zu liefern, geschweige denn alle Einflüsse auf das neue Genre zu benennen.
Diese Arbeit soll einen knappen Überblick über den Werdegang des deutschen Hörspiels vermitteln und sich der Begriffsbestimmung des „Neuen Hörspiels“ annähern, so wie es im Rahmen einer solchen Erarbeitung möglich ist.
Zudem soll der Versuch unternommen werden, an einem konkreten „Hör-Beispiel“ Anhaltspunkte für ästhetische Gestaltungsmerkmale sowie Produktions- und Herangehensweisen an das „Neue Hörspiel“ aufzuzeigen.
Am Beispiel von Ernst Jandls und Friederike Mayröckers Fünf Mann Menschen soll erläutert werden, wie sich der Wandel in der Gesellschaft der späten sechziger Jahre auch im Hörspiel wiederspiegelte.
Diese Arbeit liefert keine detailierte, grundsätzliche Analyse zum ausgewählten Hörspiel oder zur Hörspielgeschichte, sondern lediglich einen kurzen Ein-bzw. Überblick über die Geschehnisse im „Hörspieldeutschland“ Ende der sechziger Jahre.
2. Entwicklung des deutschen Hörspiels bis 1968
Lässt man die rituellen Bräuche und Spiele früherer indianischer und australischer Völker außer Acht, so begann die Geschichte des Hörspiels in Europa im Januar 1924 in London mit der Ausstrahlung des – wie behauptet wird - ersten Originalhörspiels von Richard Hughes A Comedy of Danger.
Am Drama orientierend, hatte der Autor die Handlung in eine Kohlengrube verlegt, in der verängstigte Bergleute nach einem Stromausfall im Dunkel ausharren mussten[2].
Als erste deutsche Hörspiele gelten Hans Fleschs Zauberei auf dem Sender (1924)[3] und die am 21. Juli 1925 von der „schlesischen Funkstunde Breslau“ gesendete romantische Gespenstersonate SPUK, die von dem Berliner Schauspieler Rolf Gunold nach Motiven von E.T.A. Hoffmann verfasst wurde[4]. Ob und welches der beiden das erste Originalhörspiel ist, lässt sich allerdings nicht mit Sicherheit sagen, da von ihnen heute keine Schallaufnahmen oder Manuskripte mehr existieren.
Die genaue Herkunft des Begriffes „Hörspiel“ lässt sich heute ebenso schwer nachweisen. Friedrich Nietzsche verwendete ihn beispielsweise schon in seinem Werk Also sprach Zarathustra, in dem er den Begriff „Hörspiel“ dem Schauspiel gegenüber stellt[5].
Eine konkretere Definition lieferte Hans S. von Heister 1924 in der Zeitschrift Der deutsche Rundfunk, indem er das Hörspiel als „das arteigene Spiel des Rundfunks“[6] bezeichnet.
In den ersten Jahren wurde mehr oder weniger ziellos herum experimentiert, ohne eine erkennbare Richtung. Das größte Problem dabei war, dass es in der frühen Phase des Hörspiels noch keine ausgereiften technischen Möglichkeiten gab, Hörspiele aufzuzeichnen. Aus diesem Grund und sehr zum Leidwesen zahlreicher Kritiker wurden Hörspiele von den Bühnen der Schauspielhäuser oder Rundfunkanstalten live übertragen. Die Schauspieler agierten dabei im Kostüm, wie man es auch von einer Aufführung im Theater gewohnt war. Der Zuhörer sollte so einen möglichst authentischen Eindruck des Geschehens erlangen.[7]
Erst mit dem aufkommenden Tonfilm begann man, die Möglichkeiten der Montage auch im Hörspiel zu nutzen. So entstanden erste avantgardistische Versuche mit Originaltönen, wie die elfminütige Collage Weekend des Filmregisseurs Walter Ruttmann von 1930. Solchen frühen Experimenten wurde jedoch nicht die Aufmerksamkeit zuteil, die sie gebraucht hätten um konsequent weiterentwickelt zu werden. Erst Jahre später tauchten vergleichbare ästhetische Ansätze wieder im „Neuen Hörspiel“ auf und verhalfen dem Genre damit zu einer neuen Blütezeit.
In den folgenden Jahren, bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten, gelangte man zunehmend zu einer erkennbaren Form des Hörspiels. Es blieb nicht nur beim technischen und akustischen Experimentieren, sondern „man erkannte nun, dass die neue Kunstform sich vom Theater unterschied“ und dass „das neue Wortkunstwerk anderen Gesetzen zu folgen hatte, als das Bühnenstück“[8].
Außerdem wurden bereits zu dieser Zeit erste Hörspiel- bzw. Hörfunktheorien entwickelt, wie zum Beispiel Hermann Pongs Das Hörspiel. Zeichen der Zeit (1931). Dieser propagiert in seiner Arbeit erstmals ein den Gattungen der Literatur ebenbürtiges Selbstbewusstsein für die Kunstgattung Hörspiel[9].
In den Jahren 1933 bis 1945 wurde das deutsche Hörspiel vorwiegend zu politischen Propagandazwecken genutzt. Die Rundfunkhäuser wurden in staatliche Dienste gestellt, wodurch der künstlerische Aspekt der Hörspielproduktionen vollkommen ins Abseits geriet.
Erst in den Nachkriegsjahren erlebte das deutsche Hörspiel einen neuen Aufschwung. Jedoch waren die Arbeiten weniger experimentell und avantgardistisch geprägt. Vielmehr besann man sich auf die Wortkunst.
Lyriker wie Wolfgang Borchert und Günter Eich prägten die „Restaurierung des literarischen Hörspiels“[10] in den fünfziger Jahren.
1951 wurde erstmals der „Hörspielpreis der Kriegsblinden“ verliehen. Diese Auszeichnung gilt bis heute als eine der wichtigsten Anerkennungen in diesem Genre. Knapp 15 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges war mit dem „literarischen Worthörspiel“ die Hörspielkunst in Deutschland an ihrem vorläufigen Höhepunkt angelangt.
Auf die Blütezeit der fünfziger Jahre folgte Anfang der Sechziger eine ästhetische und publizistische Krise – das Hörspiel in seiner traditionellen Form war, nicht zuletzt durch die starke Konkurrenz des Fernsehens, in seiner Existenz bedroht.
Friedrich Knilli setzte 1961 mit seinem Buch Das Hörspiel – Mittel und Möglichkeiten eines totalen Schallspiels eine Hörspieltheoretische Diskussion in Gang, die die Entwicklung weiterer Theorien, sowie den Fortgang der Hörspielarbeiten in den sechziger Jahren entscheidend prägte.
[...]
[1] Wondratschek 1969 in „Paul oder Die Zerstörung eines Hörbeispiels“.
[2] Vgl. Knilli 1961, 9.
[3] Vgl. Fischer 1964, 301.
[4] Vgl. Fischer Lexikon 1958, 163.
[5] Vgl. Nietzsche 1971, 346: „Da sprang Zarathustra auf seine Höhle zu, und siehe! Welches Schauspiel erwartete ihn erst nach diesem Hörspiele!“.
[6] Vgl. Fischer Lexikon 1958, 162.
[7] Vgl. Lermen 1975, 9.
[8] Lermen 1975, 9f.
[9] Vgl. Keckeis 1973, 7.
[10] Knilli 1961, 19.
- Arbeit zitieren
- Sebastian Kokot (Autor:in), 2008, Das "Neue Hörspiel", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/139009
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