Der Roman Schlachthof 5 oder Kinderkeruzzug , 1969 in den USA und 1972 in der deutschen Übersetzung erschienen, ist bedeutsam als Zeugnis literarischer Trauma-Verarbeitung in Folge des Bombenangriffs auf Dresden im Zweiten Weltkrieg. Beim Schreiben des Romans und damit zunächst beim Erinnern an das Geschehene, stand Vonnegut vor der Problematik der Beschreibung des Unaussprechlichen. Der Event selbst ist nicht das Problem, sondern die Schwierigkeit für Vonnegut lag darin, die Luftangriffe zu beschreiben und ihre Bedeutung zu verstehen. Diese Schwierigkeiten werden jedoch erst beim Versuch über den Krieg zu schreiben sichtbar. Das Kriegstrauma erforderte von dem Schriftsteller ein literarisches Experiment, die Negierung literarischer Traditionen und die Bedienung neuer Methodiken. Eine autobiographisch-dokumentarische oder historische Darstellung erweist sich als nicht durchführbar, „vor allem auch, weil die eigentümliche Bewußtseinsverfassung der Erlebnisteilnehmer sich nicht rekonstruieren läßt, fiktionalisiert Vonnegut die Erzählung.“ Um diese verschiedenen Aspekte des Romans genauer betrachten zu können, habe ich den Roman in der vorliegenden Hausarbeit in verschiedene Ebenen unterteilt. Das Kapitel der historischen Ebene (Kapitel 2) soll nur kurz den sicherlich schon bekannten geschichtlichen Hintergrund des Zweiten Weltkrieges und der damit verbundenen Bombardierung Dresdens zusammenfassen. Im Kapitel der biographischen Ebene (Kapitel 3) werden die konkreten Erlebnisse Vonneguts als Späher in Belgien und als Kriegsgefangener in Dresden erläutert. Hauptsächlich wird jedoch aufgezeigt, welchen Schwierigkeiten Vonnegut beim Sammeln von Erinnerungen gegenüberstand und warum es 25 Jahre dauerte, bis sein Dresden-Roman veröffentlicht wurde. Und das obwohl ihm direkt nach der Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft klar war, dass er diese Erlebnisse literarisch verarbeiten wollte. Eine kurze Zusammenfassung des Kontexts von Schlachthof 5 folgt im Abschnitt der fiktionalen Ebene (Kapitel 4). Abschließend soll die strukturelle Ebene (Kapitel 5) des Textes betrachtet werden. Die zwei Hauptmethoden, denen sich Vonnegut bedient um seine Erlebnisse im Roman zu verarbeiten, sind die der Collage und die des Sciene Fiction Genres.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Historische Ebene
3. Biographische Ebene
4. Fiktionale Ebene
5. Strukturelle Ebene
6. Schlussbetrachtung
7. Literaturnachweis
1. Einleitung
„Eines war klar: Man nahm einfach von jedermann in der Stadt an, daß er tot war, gleichviel um wen es sich handelte, und daß jemand, der sich in ihr b ewegte, einen Fehler im Muster darstellte. Es sollte überhaupt keine Mondmenschen geben. Amerikanische Kampfflieger stießen im Rauch herunter, zu sehen, ob sich etwas bewegte. Sie sahen Billy und die übrigen sich dort unten bewegen. Die Flugzeuge berieselten sie mit MG-Salven, aber die Kugeln gingen fehl. Dann sahen sie andere Leute am Flussufer entlanggehen und schossen auf sie. Sie trafen einige von ihnen. So geht das.
Es sollte das Kriegsende beschleunigen.“ (175)
Der Roman Schlachthof 5 oder Kinderkeruzzug[1], 1969 in den USA und 1972 in der deutschen Übersetzung erschienen, ist bedeutsam als Zeugnis literarischer Trauma-Verarbeitung in Folge des Bombenangriffs auf Dresden im Zweiten Weltkrieg. Beim Schreiben des Romans und damit zunächst beim Erinnern an das Geschehene, stand Vonnegut vor der Problematik der Beschreibung des Unaussprechlichen. Der Event selbst ist nicht das Problem, sondern die Schwierigkeit für Vonnegut lag darin, die Luftangriffe zu beschreiben und ihre Bedeutung zu verstehen. Diese Schwierigkeiten werden jedoch erst beim Versuch über den Krieg zu schreiben sichtbar. Das Kriegstrauma erforderte von dem Schriftsteller ein literarisches Experiment, die Negierung literarischer Traditionen und die Bedienung neuer Methodiken. Eine autobiographisch-dokumentarische oder historische Darstellung erweist sich als nicht durchführbar, „vor allem auch, weil die eigentümliche Bewußtseinsverfassung der Erlebnisteilnehmer sich nicht rekonstruieren läßt, fiktionalisiert Vonnegut die Erzählung.“[2] Um diese verschiedenen Aspekte des Romans genauer betrachten zu können, habe ich den Roman in der vorliegenden Hausarbeit in verschiedene Ebenen unterteilt. Das Kapitel der historischen Ebene (Kapitel 2) soll nur kurz den sicherlich schon bekannten geschichtlichen Hintergrund des Zweiten Weltkrieges und der damit verbundenen Bombardierung Dresdens zusammenfassen. Im Kapitel der biographischen Ebene (Kapitel 3) werden die konkreten Erlebnisse Vonneguts als Späher in Belgien und als Kriegsgefangener in Dresden erläutert. Hauptsächlich wird jedoch aufgezeigt, welchen Schwierigkeiten Vonnegut beim Sammeln von Erinnerungen gegenüberstand und warum es 25 Jahre dauerte, bis sein Dresden-Roman veröffentlicht wurde. Und das obwohl ihm direkt nach der Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft klar war, dass er diese Erlebnisse literarisch verarbeiten wollte. Eine kurze Zusammenfassung des Kontexts von Schlachthof 5 folgt im Abschnitt der fiktionalen Ebene (Kapitel 4). Vonneguts künstlerische Verarbeitung und damit Bewältigung der Thematik liegt in der Verbindung dreier Themenkreise: satirische Science Fiction am Beispiel tralfamadorischer Lebenssicht und dem Zeitreisen Billys; der Schrecknisse des Krieges, insbesondere der Bombardierung Dresdens; sowie der Darstellung bürgerlichen amerikanischen Lebens in den sechziger Jahren.
Abschließend soll die strukturelle Ebene (Kapitel 5) des Textes betrachtet werden. Die zwei Hauptmethoden, denen sich Vonnegut bedient um seine Erlebnisse im Roman zu verarbeiten, sind die der Collage und die des Sciene Fiction Genres. Der Roman ist eine Ansammlung von Fragmenten, hat keinen Anfang, keine Mitte und kein Ende und verdeutlicht somit das Chaos des Krieges. Vonnegut verbindet brutale Realität mit der Trivialgattung Science Fiction und fordert damit den Leser heraus: „to make sense of a world gone mad.“[3] Nach langem Experimentieren hat es der Autor geschafft mit Schlachthof 5 schließlich die passende literarische Form gefunden zu haben und mit „Billy Pilgrim einen Helden geschaffen, ‚who can surive with dignity in an insane world.’“[4]
2. Historische Ebene
Der Zweite Weltkrieg (1939-1945) war der zweite auf globaler Ebene geführte Krieg sämtlicher Großmächte des 20. Jahrhunderts, den die sogenannten Achsenmächte[5] gegen die Alliierten[6] führten. Der Zweite Weltkrieg war ein vom nationalsozialistischen Deutschland ausgelöster Raub- und Vernichtungskrieg. Wesentliche Ziele der Kriegsführung waren ein schneller Raumgewinn, um der sich abzeichnenden Überlegenheit der gegnerischen Rüstung zuvor zu kommen; Ausplünderung der besetzten Territorien und Versklavung ihrer Bewohner zugunsten des Deutschen Reiches und seiner arischen Bevölkerung; sowie ein antisemitischer und anti-bolschewistischer Vernichtungskampf zur Gewinnung eines deutschen Lebensraums im Osten. Dabei gewann die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung oberste Priorität. Außerdem war dem regierenden Reichskanzler und Diktator Adolf Hitler eine schonende Kriegsführung wichtig, um die deutsche Wirtschaft nicht dauerhaft zu belasten.[7]
In Schlachthof 5 sind die Luftangriffe auf Dresden von zentraler Bedeutung. Sie wurden Ende des Zweiten Weltkriegs von der britischen Royal Air Force und der amerikanischen Army Air Forces auf den Großraum Dresden geflogen. Die vier Angriffswellen vom 13. bis 14. Februar 1945 sind in die Geschichte eingegangen. Große Teile der Innenstadt und der industriellen und militärischen Infrastruktur Dresdens wurden zerstört. Über die Zahl der Opfer gibt es verschiedenste Angaben, doch wurde sie im Laufe der Jahre nach unten korrigiert. In Vonneguts Roman ist von 135.000 getöteten Menschen die Rede; der Schriftsteller bezieht sich dabei auf Der Untergang Dresdens von David Irving von 1964.[8] Frederick Taylor nennt in seinem Buch Dresden. Dienstag 13. Februar 1945 eine Zahl von 35.000 Opfern.[9] Nach neuesten historischen Untersuchungen vom Historikertag in Dresden wurde eine Opferzahl von mindestens 18.000, höchstens 25.000 Menschen präsentiert.[10]
3. Biographische Ebene
Kurt Vonnegut, geboren am 11. November 1922 in Indianapolis/ Indiana[11], war zunächst „delighted to join the Army and to go to war“ als er sich 1943 als Freiwilliger bei der US Army meldete.[12]
“He was trained to fire the army’s largest piece of field artillery, the 240 mm howitzer, an enormous cannon that shot a 300- pound shell. But before he was shipped overseas, he was transferred to the 106th Infantry Division as a battalion scout. Vonnegut received no infantry training, because ‘nobody was very sure’ about what battalion scouts were supposed to do.”[13]
So kam Vonnegut im Dezember 1944 als Späher während der Ardennenoffensive in Belgien zum Einsatz. Dort geriet er in deutsche Kriegsgefangenschaft.[14]
“Although he could not speak German well, he knew a few words from listening to his parents, and he tried to speak to his captors. They asked him if he was of German heritage and then wanted to know why he was fighting against his ‘brothers’. Vonnegut found the question ‘ignorant and comical. My parents had separated me so thoroughly from my Germanic past that my captors might as well have been Bolivians or Tibetans, for all they meant to me’.”[15]
Als Kriegsgefangener wurde Vonnegut nach Dresden gebracht, eine Stadt, die bis dato von alliierten Bombenangriffen verschont geblieben war. Er und seine Mitgefangenen wurden in einem Schlachthof[16] untergebracht und mussten in einer Fabrik arbeiten, die Malzsirup für schwangere Frauen herstellte. Man dachte, da es in Dresden keine Kriegsindustrie oder große Truppenkonzentrationen gab und die Stadt wertvolle Bauten und Schätze barg, dass Dresden nicht bombardiert würde. Trotzdem ertönten am 13. Februar 1945 die Warnsirenen.[17]
„Vonnegut and the other prisoners descended to an underground meat locker, where the carcasses of animals hung in the cool air.
[…]
[They] survived because they were far enough under ground that the air was not sucked out of their shelter by the firestorm.”[18]
Nach den Angriffen wurde Vonnegut als ‚corpse miner’ eingesetzt und mußte Leichen aus den Kellern und Trümmern Dresdens ausgraben. Diese wurden dann in die Grünanlagen der Stadt gebracht, wo sie auf einem großen Scheiterhaufen verbrannt wurden, um die Verbreitung von Krankheiten zu vermeiden. Noch im gleichen Jahr kehrte Vonnegut zurück in die Vereinigten Staaten.[19]
Für Vonnegut war es selbstverständlich, dass er diese Erlebnisse literarisch verarbeiten würde:
„Als ich vor dreiundzwanzig Jahren vom Zweiten Weltkrieg heimkam, glaubte ich, es würde mir nicht schwer fallen, über die Zerstörung von Dresden zu schreiben, denn alles, was ich zu tun hätte, wäre zu berichten, was ich gesehen hatte. Und ich glaubte auch, daß es ein Meisterwerk werden oder mir wenigstens eine Menge Geld einbringen würde, da das Thema so großartig war.“ (8)
Seither hatte er das Dresden-Erlebnis als sein hauptsächliches schriftstellerisches Material angesehen, doch brauchte er letztendlich 24 Jahre um dieses Buch zu schreiben. In den sechziger Jahren, als Vonnegut immer noch damit rang über seine Kriegserlebnisse in Dresden zu schreiben, besuchte er einen Intensivkurs in Literatur. Der Schriftsteller empfand es als sehr hilfreich seine Werke mit anderen zu diskutieren und überhaupt erstmals bedeutende amerikanische Werke zu lesen, war seine Ausbildung[20] doch bisher naturwissenschaftlich gewesen.[21] Kurz darauf begann er endlich mit dem Schreiben von Schlachthof 5 und sein Schaffen wurde in eine neue Richtung gelenkt. 1967 flog Vonnegut mit finanzieller Unterstützung der Guggenheim-Stiftung erneut nach Dresden um für sein Buch recherchieren zu können.[22]
[...]
[1] Quellenangaben aus diesem Werk werden in Form von Seitenzahlen in Klammern erfolgen und beziehen sich auf folgende Ausgabe: Vonnegut, Kurt. Schlachthof 5. Hamburg: Rowohlt Verlag. 1984.
[2] Breinig, Helmbrecht: Satire und Roman. Studien zur Theorie des Genrekonflikts und zur satirischen
Erzählliteratur der USA von Brackenridge bis Vonnegut. Tübingen: Gunter Narr Verlag. 1984. S. 339
[3] Marvin, Thomas F. Kurt Vonnegut – A Critical Companion. Westport, Connecticut und London: Greenwood
Press. 2002. S. 113
[4] Breinig. 1984. S. 329
[5] Als Achsenmächte bezeichnet man in diesem Zusammenhang das Deutsche Reich und seine wechselnden Bündnispartner Italien und Japan.
[6] Die verbündeten Großmächte waren ursprünglich Polen, Frankreich und das Vereinigte Königreich, die hauptsächlich kriegführenden Staaten waren allerdings Frankreich, das Vereinigte Königreich, die Sowjetunion, USA und die Republik China.
[7] Weltkrieg. In: Bertelsmann Lexikon Institut. Bertelsmann Universal Lexikon. München: Wissen Media Verlag.
2002. S. 990-991
[8] Vgl.: Vonnegut, Kurt. Schlachthof 5. Hamburg: Rowohlt Verlag. 1984. S. 181-183
[9] Vgl.: Taylor, Frederick. Dresden. Dienstag 13. Februar 1945. München: Pantheon Verlag. 2004.
[10] Kellerhoff, Sven Felix. Bombardement 1945: Zahl der Dresden-Toten viel niedriger als vermutet. In: Die Welt
vom 1. Oktober 2008.
< http://www.welt.de/kultur/article2518024/Zahl-der-Dresden-Toten-viel-niedriger-als-vermutet.html >
[11] Vgl.: Marvin. 2002. S. 2
[12] Vgl.: Marvin. 2002. S. 5
[13] Marvin. 2002. S. 5
[14] Vgl.: Marvin. 2002. S. 6
[15] Marvin. 2002. S. 6
[16] Vonnegut und seine Mitgefangenen waren im Schlachthof Nummer 5 untergebracht, eine Erklärung für den Titel:
“Über der Tür des Gebäudes stand eine große Zahl. Die Zahl war fünf. Bevor die Amerikaner hineingehen konnten, sagte ihnen ihr einziger englischsprechender Wachmann, sie sollten sich ihre einfache Adresse einprägen für den Fall, daß sie sich der großen Stadt verliefen. Ihre Adresse lautete: »Schlachthof 5«.“
[17] Vgl.: Marvin. 2002. S. 6
[18] Marvin. 2002. S. 6
[19] Marvin. 2002. S. 6
[20] Vonnegut begann 1940 ein Studium der Biochemie in der Cornell Universität in Ithaka, New York.
[21] Vgl.: Marvin. 2002. S. 9
[22] Vgl.: Marvin. 2002. S. 10
- Arbeit zitieren
- Antje Schoene (Autor:in), 2009, Die Verarbeitung von Kriegstrauma in Kurt Vonneguts "Schlachthof 5", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/139068
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