Man könnte annehmen das in unserer heutigen hoch technologisierten Ära keine großen Entdeckungen mehr zu machen seien. Die weißen Flecken der See und Landkarten, einst gefüllt mit wüstesten Phantasien von fantastischen Exoten und Geheimnissen, sind schon seit langem gefüllt mit Fluten an wissenschaftlichen Daten – keine terra incognita mehr zu entdecken. Während noch vor nicht allzu ferner Zeit kühne Abenteurer meist schneller als die eigentlichen Kolonialmächte tief ins Unbekannte vorstießen, getrieben von Goldlust, Abenteuer und Mission, lassen sich heute selbst an den noch so unwirklichen Plätzen Herrschaaren an Wissenschaftlern vorfinden, im Kampf um jedes Beweisfragment früher menschlicher Entwicklung.
Die Jagd nach dem heiligen Shangri-la oder den sieben goldenen Städten von Cibola wurde zum archäologischen Puzzlespiel der Deutungen. Selbst der so ersehnte Jungbrunnen blieb nur Mythos und ließ sich nicht im tiefsten Dschungel finden, sondern nur in anthropologischen und kulturwissenschaftlichen Abhandlungen. Dermaßen der Illusionen beraubt, überließ man die Welt der Herrschaft der Satelliten, in selbstgerechter Weisheit das dort draußen nichts zufinden sei, was uns das Navigationssystem nicht zeigen könne. Umso erstaunlicher scheint es dann, dass gerade in unserer Moderne noch Naturvölkerkulturen entdeckt werden, die gänzlich von der Zivilisation unbehelligt geblieben sind, so wie im Mai 2007 in Brasilien. Schnell und einstimmig wurde beschlossen jene urzeitlichen Vettern vor der Zivilisation zu bewahren, da man augenscheinlich aus den grausamen Fehlern der Geschichte gelernt hätte. Daher die brasilianische Regierung den Aufenthaltsort bis dato streng geheim hält. Moraleuphoriker könnten sich nun an dieser Stelle geruhsam zurück lehnen, in der vermeintlichen Gewissheit das der Mahnung der Geschichte Rechnung getragen wurde, wie ansonsten meistens nicht. Aber vor welcher vermeintlichen Zivilisation sollte hier geschützt werden? Wird hierbei auf die westliche Kulturhemisphäre verwiesen, oder doch auf eine gesamtheitliche Zivilisation der Menscheit? Und wäre es dann nicht das Recht jener Ureinwohner daran teilzuhaben - an Wissenschaft, Fortschritt, und Entwicklung der Gesamtheit zu partizipieren? Inwiefern wäre eine Menschenpopulation Teil dieser Zivilisation, wenn sie nicht von ihr wüsste? [...]
Inhaltsverzeichnis
I. civilta sine qua non Einleitung
II. Hauptteil
2.1 Naive Anthropologie
2.2 Zivilisierungskolonialismus
III Schlussbetrachtung
IV. Bibliographie
I. civilta sine qua non Einleitung
Man könnte annehmen das in unserer heutigen hoch technologisierten Ära keine großen Entdeckungen mehr zu machen seien. Die weißen Flecken der See und Landkarten, einst gefüllt mit wüstesten Phantasien von fantastischen Exoten und Geheimnissen, sind schon seit langem gefüllt mit Fluten an wissenschaftlichen Daten – keine terra incognita mehr zu entdecken. Während noch vor nicht allzu ferner Zeit kühne Abenteurer meist schneller als die eigentlichen Kolonialmächte tief ins Unbekannte vorstießen, getrieben von Goldlust, Abenteuer und Mission, lassen sich heute selbst an den noch so unwirklichen Plätzen Herrschaaren an Wissenschaftlern vorfinden, im Kampf um jedes Beweisfragment früher menschlicher Entwicklung.
Die Jagd nach dem heiligen Shangri-la oder den sieben goldenen Städten von Cibola wurde zum archäologischen Puzzlespiel der Deutungen. Selbst der so ersehnte Jungbrunnen blieb nur Mythos und ließ sich nicht im tiefsten Dschungel finden, sondern nur in anthropologischen und kulturwissenschaftlichen Abhandlungen. Dermaßen der Illusionen beraubt, überließ man die Welt der Herrschaft der Satelliten, in selbstgerechter Weisheit das dort draußen nichts zufinden sei, was uns das Navigationssystem nicht zeigen könne. Umso erstaunlicher scheint es dann, dass gerade in unserer Moderne noch Naturvölkerkulturen entdeckt werden, die gänzlich von der Zivilisation unbehelligt geblieben sind, so wie im Mai 2007 in Brasilien.[1] Schnell und einstimmig wurde beschlossen jene urzeitlichen Vettern vor der Zivilisation zu bewahren, da man augenscheinlich aus den grausamen Fehlern der Geschichte gelernt hätte. Daher die brasilianische Regierung den Aufenthaltsort bis dato streng geheim hält. Moraleuphoriker könnten sich nun an dieser Stelle geruhsam zurück lehnen, in der vermeintlichen Gewissheit das der Mahnung der Geschichte Rechnung getragen wurde, wie ansonsten meistens nicht. Aber vor welcher vermeintlichen Zivilisation sollte hier geschützt werden? Wird hierbei auf die westliche Kulturhemisphäre verwiesen, oder doch auf eine gesamtheitliche Zivilisation der Menscheit? Und wäre es dann nicht das Recht jener Ureinwohner daran teilzuhaben - an Wissenschaft, Fortschritt, und Entwicklung der Gesamtheit zu partizipieren? Inwiefern wäre eine Menschenpopulation Teil dieser Zivilisation, wenn sie nicht von ihr wüsste? Ist nicht die stetige technologische Entwicklung Basis der menschlichen Existenz, und würde eine solche Population nicht von selbst, insofern sie nicht aussterben würde, das heutige Level erreichen, auch wenn sie länger dazu brauchen würde? Wäre es nicht daher lediglich ein Vorgreifen zwangläufiger Entwicklung die eine verbesserte Lebenssituation zur Folge hätte?
Der Fragekatalog dürfte nahezu endlos sein, weil wir bis heute keine Antwort darauf haben was Zivilisation eigentlich ist. Ein nomologischer Begriff, den Jeder versteht, aber anders deutet. Auch wenn der Terminus Zivilisation im Verhältnis nicht sehr alt ist, und sich wie viele gleichartige Begriffe aus dem Gefüge des 17. Jhd. heraus kristallisierte, ist die Auseinandersetzung mit zivilisierten und unzivilisierten Werten (also quasi unterschieden zwischen zivilisiert und barbarisch) schon wesentlich älter, und geht, wie Vieles, bis in die Antike zurück. Vor allem in der europäischen Kolonialphase, vom 15. Jhd. bis ins späte 20. Jhd., lässt sich eine interessante Entwicklung ausmachen, hinsichtlich der inhaltlichen Wandlung eben jener Begrifflichkeiten wie Zivilisation, Ethnologie, Ontologie, und vergleichbarer Kategorien. Jedes historische Faktum, unterlag immer einer argumentativen Legitimationslinie, meist bestimmt durch Theoriediskussionen und/oder Methodenstreitigkeiten, aber in einigen Fällen folgte die Legitimation dem Prozess. Während zwischen 1815 und 1918, also in der Phase des klassischen Imperialismus, Der Imperialismus anerkannte und verfestigte Politik- und Theoriedoktrine war, bildete sich der Begriff des Kolonialismus erst in postperspektivischen Auseinandersetzungen heraus, als notwendiges heuristisches Mittel zur Spezifizierung eines historischen Phänomens. Während schon im alten Rom heftig über Führung, Struktur und Ausrichtung des Imperiums gestritten wurde, verblieb dem Kolonialismus, selbst bei den frühen Griechen, lediglich eine Nischenwahrnehmung als Notwendigkeit der Umstände, und zumeist nicht einmal als solche wahrgenommen. Die Griechen gründeten Kolonien vorwiegend aus Gründen der Überbevölkerung. Die Römer zur Wehrhaftigkeit, und als erstes die Portugiesen in der anbrechenden Neuzeit - weil sie es konnten. Da nun der Kolonialismus anscheinend immer der Bedarfskausalität entsprang, fügte sich im Gegensatz zum Imperialismus kein legitimierendes Theoriekonstrukt an. Da aber der Mensch schon zu allen Zeiten dazu neigte jegliche Prozesse auch begründen zuwollen, jedes Handeln zu legitimieren, griff man eben zu jenem uneindeutigen Begriff der Zivilisation, denn um so uneindeutiger der Begriff, um so leichter die legitimierende Verwendung. So wurde der Gedanke der Zivilisation zum Novum einer Mission über Jahrhunderte – dem Wilden die Zivilisation zubringen, auch wenn ihm das Leben und Land kosten sollte.
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[1] Vgl.: Maiausgabe Der Spiegel 07
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- Luciano Sbaraglia (Author), 2008, Die Zivilisation als Legitimation des Kolonialismus, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/139136