Sozialstrukturelle und sozialkulturelle Erklärungsansätze von Wahlverhalten

Die Auswirkungen von soziologischen Merkmalen auf die veränderte Bedeutung von Wahlkämpfen


Hausarbeit, 2009

19 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Bundestagswahl 2005

3. Sozialstrukturelle und sozialkulturelle Erklärungsansätze von Wahlverhalten
3.1. Der mikrosoziologische Ansatz
3.1.1. Wahlverhalten als Gruppenerfahrungen
3.1.2. Die Intensität der Übertragung politischer Präferenzen
3.1.3. Die Rolle des Opinion-Leaders
3.1.4. Das Modell der konzentrischen Kreise und die Auswirkungen von cross-pressures
3.2. Der makrosoziologische Ansatz
3.2.1. Die Cleavage – Theorie
3.2.2. Konstitutive Aspekte von Cleavages
3.2.3. Cleavages im deutschen Parteiensystem

4. Die aktuelle Bedeutung von Cleavages auf das deutsche Wahlsystem
4.1. Die Bedeutung des Klassenkonfliktes
4.2. Die Bedeutung des konfessionellen Konfliktes

5. Die veränderte Bedeutung von Wahlkämpfen – Ein Fazit

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Um die Bedeutung von Wahlen innerhalb einer demokratischen Gesellschaft zu erkennen, reicht ein kurzer Blick in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Bereits die Absätze 1 und 2 des 20. Artikels beschreiben Wahlen als Kernelement der deutschen Verfassung:

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt[1].

Sogar die genaue Form sowie die Bedingungen unter denen eine Wahl durchzuführen ist, werden durch das Grundgesetz in Artikel 38,1 genau definiert:

Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen[2].“

Betrachtet man diese beiden entscheidenden Artikel des Grundgesetzes, wird deutlich, dass Demokratie und Wahlen untrennbar miteinander verwoben sind.

Auch die Medien haben diese Bedeutung natürlich längst erkannt. Bereits im Vorfelde einer jeden Wahl werden Wahlkampf und Wahlvorbereitung der großen Parteien ausführlich medial analysiert. Nach den Wahlen stehen dann vor allem die Ergebnisse, sowie mögliche Erklärungen hierfür im Vordergrund der Analyse. Der Schwerpunkt der Nachberichterstattung liegt in den meisten Fällen aber nicht nur auf den tatsächlichen Stimmverteilungen, sondern vielmehr auch auf den Gewinnen und Verlusten der Parteien. Warum hat beispielsweise eine Partei Stimmeneinbußen hinnehmen müssen, während eine andere Gewinne verbuchen konnte? Aus welchen Bereichen stammen die Wähler, deren Stimmen der einen Partei nun fehlen, und welche sozialen Unterschiede mag es evtl. innerhalb des Wählerverhaltens geben.

All dies sind Fragen, mit deren Klärung sich die Wahlforschung der vergangenen 100 Jahre beschäftigt hat. Insbesondere vier Erklärungsansätze für Wählerverhalten haben sich in der internationalen Politikwissenschaft verfestigen können und lassen sich in ihrer Aussagekraft bis heute bestätigen. Bereits in den vierziger und fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts entstanden die drei bis heute bekanntesten Theoriemodelle: Der soziologische Erklärungsansatz, der individualpsychologische Erklärungsansatz sowie das Modell des rationalen Wählers. Später folgte dann in den achtziger Jahren das Modell der sozialen Milieus, dessen heutige Bedeutung aber nicht ganz unumstritten ist[3]. Leider wird es mir kaum möglich sein, innerhalb des vorgegebenen Rahmens alle vier Ansätze ausreichend zu erläutern und zu untersuchen. Ich habe mich daher entschlossen, mich ausschließlich auf die sozialstrukturellen und sozialkulturellen Erklärungsansätze der Autoren Lazarsfeld und Berelson sowie Lipset und Rokkan zu konzentrieren. In der vorliegenden Hausarbeit werde ich dabei zunächst mit einem kurzen Überblick über einige ausgewählte Ergebnisse der Bundestagswahl 2005 beginnen. Hierdurch soll dem Leser bereits zu Beginn der Hausarbeit ein Gefühl für die Relevanz einer Untersuchung des Wahlverhaltens nach soziologischen Gesichtspunkten gegeben werden.

Anschließend werde ich dann versuchen, die beiden entscheidenden Theorien der soziologischen Wahlforschung, den 1944 von Paul Felix Lazarsfeld und seinen Mitarbeitern entwickelten mikrosoziologischen Ansatz, sowie den gut 20 Jahre später aufkommenden makrosoziologischen Cleavage-Ansatz der Autoren Lipset und Rokkan, einander gegenüberzustellen und zu erläutern.

Im vierten und fünften Abschnitt geht es dann um die Frage, inwieweit diese beiden Ansätze auch heute noch von Bedeutung sind und welchen Einfluss Wahlkämpfe möglicherweise auf den Ausgang einer Wahl haben könnten. Albrecht Müller, der Wahlkampfmanager der SPD für Willy Brand äußerte sich in diesem Zusammenhand bereits 1972 folgendermaßen: „Ein guter Wahlkampf kann 3 % bringen, ein schlechter kann 3 % kosten. Die Spanne von 6 % lohnt in jedem Fall die Mühe und das Geld, die es kostet, einen guten Wahlkampf zu machen. Diese Spanne ist in der Regel der Unterschied zwischen Sieg und Niederlage“[4]. Ob eine solche Aussage auch noch über die heutigen Wahlkämpfe zu machen ist wird Thema der letzten beiden Kapitel sein. Hierzu werde ich versuchen, die zuvor erarbeiteten soziologischen Erklärungsansätze soweit mit empirischen Daten zu unterstützen, dass letztlich auch eine Aussage in Bezug auf die Bedeutungsveränderung von Wahlkämpfen in den letzten Jahrzehnten getroffen werden kann.

2. Die Bundestagswahl 2005

Betrachtet man das amtliche Endergebnis der vergangenen Bundestagswahl im Jahre 2005, so fällt zunächst Folgendes auf: Die mit Abstand größten Stimmenanteilen entfallen auf die beiden „großen“ Parteien SPD (34,2 %) und CDU/CSU (35,2 %) gefolgt von FDP (9,8 %), der Linken (8,7 %) und den Grünen mit 8,1 %[5]. Dies erscheint zunächst nicht sonderlich überraschend, es war ja schon immer so. Traditionell wird die deutsche Nachkriegspolitik von den beiden sogenannten Volksparteien SPD und CDU/CSU dominiert, den kleineren Parteien bleibt meist nur das Zünglein an der Wage. Wie aber kommt es, dass die Stimmenanteile regelmäßig so ungleich verteilt sind? Betreiben SPD und CDU/CSU womöglich einen ungleich besseren Wahlkampf als alle anderen Parteien? Oder aber sind vielleicht die Kandidaten der Volksparteien über die Jahrzehnte hinweg so viel kompetenter als ihre politische Konkurrenz? Beide Fragen müssen bei genauerer Betrachtung sicherlich verneint werden. Vielmehr scheinen wir in Deutschland, ebenso wie in vielen anderen Ländern auch, einen recht hohen Anteil an sogenannten Stammwählern zu haben, die unabhängig von aktuellen, politischen Inhalten, traditionell immer die gleiche Partei wählen.

Diesen Schluss legt dann auch eine genauere Betrachtung der Gewinne und Verluste der Parteien nahe. So mussten sich sowohl SPD (-4,3 %) als auch CDU/CSU (-3,3 %) im Anschluss an die Wahl 2005 für ihre deutlichen Verluste rechtfertigen. Während politisch gesehen 4 % mehr oder weniger über Sieg oder Niederlage entscheiden können, und somit die Relevanz einer solchen Diskussion durchaus gegeben ist, fällt aus objektiver Sicht hingegen vielmehr die hohe Konstanz der Stimmenverteilung auf. Gewinne und Verluste aller Parteien bewegen sich fast immer im geringen einstelligen Bereich. Die aktuelle Politik scheint für die meisten Wähler also nur eine geringe Bedeutung zu spielen.

Ein weiterer interessanter Aspekt der letzten deutschen Bundestagswahlen sind die teils eklatanten regionalen Unterschiede innerhalb des Wählerverhaltens. So weichen vor allem die Ergebnisse Bayerns nach jeder Wahl deutlich vom Bundesdeutschen Durchschnitt ab. Auch die Bundestagswahl 2005 machte hier natürlich keine Ausnahme. Die Union erreichte in Bayern traditionell Bestwerte und lag mit 49,2 Prozentpunkten fast 15 Prozent über dem Bundesdurchschnitt. Im Gegensatz dazu tut sich die SPD in Bayern regelmäßig sehr schwer und erreichte hier auch 2005 mit gerade einmal 25,5 Prozent deutlich weniger Stimmen als im übrigen Deutschland[6]. Warum aber unterscheidet sich nun das Wählerverhalten in Bayern so sehr von dem Rest Deutschlands? Auch hier lässt es sich sicher nicht alleine mit einem besonders erfolgreichen und kreativen Wahlkampf begründen. Es wird auch kaum einer auf die Idee kommen, ernsthaft zu behaupten, die Programme der bayrischen Union seien so viel stärker als die der Gesamtdeutschen Union.

Die Ursachen für Wahlentscheidungen innerhalb der Bevölkerung scheinen also keineswegs nur von aktuellen politischen Geschehnissen und der Qualität des Wahlkampfes abzuhängen. Vielmehr scheinen viele Menschen bereits anderweitig auf bestimmte Parteien geprägt zu sein. In wieweit diese Prägung auch oder besonders durch sozialstrukturelle und sozialkulturelle Gegebenheiten ausgelöst werden, sollen nun die folgenden Kapitel klären.

3. Sozialstrukturelle und sozialkulturelle Erklärungsansätze von Wahlverhalten

3.1. Der mikrosoziologische Ansatz

Zu den ersten umfassenden Wahlstudien in den USA, die sich mit den soziologischen Hintergründen von Wählerverhalten beschäftigten, gehörten die Studien der Columbia School: „The People’s Choice“ der Autoren Lazarsfeld, Berelson und Gaudet aus dem Jahr 1940 (erstmals veröffentlicht 1944) sowie „Voting“ von Berelson, Lazarsfeld und McPhee aus dem Jahr 1954. Während „Voting“ vor allem den Charakter einer Folgestudie innehatte, die versuchte, die Ergebnisse der ersten Lazarsfeld-Befragung weiter auszubauen, brachte vor allem „The People’s Choice bahnbrechende Ergebnisse in der neueren Wahlforschung.

Aufbauend auf der Ende des 19. Jahrhunderts von Georg Simmel aufgestellten Theorie der sozialen Kreise, befragten Lazarsfeld und seine Mitarbeiter im Vorfelde der US – Amerikanischen Präsidentschaftswahl 1940, genau 600 Wahlberechtigte des Bundesstaates Ohio. Insgesamt sieben Mal wurden die Befragten hierfür in der Zeit von Mai bis November 1940 interviewt, mit dem ursprünglichen Ziel, die Auswirkungen des laufenden Wahlkampfes auf die politischen Ansichten der Bevölkerung zu untersuchen[7].

Die Ergebnisse der Studie waren allerdings um einiges weitreichender als erwartet. Die Umfrageergebnisse ließen darauf schließen, dass die Beziehung zwischen Wahlverhalten und Wähler in sehr großem Maße davon abhängig ist, in welchem sozialen Umfeld eine Person aufgewachsen ist. Diese zentrale Aussage der Studie dokumentiert auch der viel zitierte Satz „A person thinks, politically, as he is, socially. Social characteristics determine political preference“[8]. Eine Änderung der politischen Einstellung kann somit nur dann geschehen, wenn sich auch das soziale Umfeld des Wählers ändert.

[...]


[1] vgl. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, Art 20

[2] vgl. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, Art. 38

[3] vgl. Korte, K.-R. (2005): Wahlen in der Bundesrepublik Deutschland, S. 88-95

[4] vgl. Bretthauer, K., Horst, P. (2001): Wahlentscheidende Effekte von Wahlkämpfen, S. 408

[5] Die amtlichen Endergebnisse der Bundestagswahl 2005 sind unter anderem Abzurufen über die Homepage des Deutschen Bundestages

[6] abzurufen über die Homepage der ARD - Tagesschau

[7] vgl. Roth, D. (2008): Empirische Wahlforschung, S. 30

[8] vgl. Lazarsfeld, P. (1949): The People’s Choice, S. 27

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Sozialstrukturelle und sozialkulturelle Erklärungsansätze von Wahlverhalten
Untertitel
Die Auswirkungen von soziologischen Merkmalen auf die veränderte Bedeutung von Wahlkämpfen
Hochschule
Universität Hamburg  (Institut für politische Wissenschaft)
Veranstaltung
Hauptseminar: Wahlen und Wahlkämpfe in der Bundesrepublik Deutschland
Note
1,3
Autor
Jahr
2009
Seiten
19
Katalognummer
V139172
ISBN (eBook)
9783640486816
ISBN (Buch)
9783640486656
Dateigröße
457 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sozialstrukturelle, Erklärungsansätze, Wahlverhalten, Auswirkungen, Merkmalen, Bedeutung, Wahlkämpfen
Arbeit zitieren
Norbert Lagrain (Autor:in), 2009, Sozialstrukturelle und sozialkulturelle Erklärungsansätze von Wahlverhalten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/139172

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