Die Narcissuserzählung bei Ovid


Seminararbeit, 2002

17 Seiten, Note: 2,00


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Einführung in das Thema
1.2. Der Autor und Werk
1.3. Der Mythos Narcissus

2. Hauptteil
2.1 Die Prophezeiung Tiresias und ihre Rolle in der ganzen Geschichte
2.2. Narcissus Jugend
2.3 Die Begegnung von Echo und Narcissus
2.4. Der Fluch des abgewiesenen Liebhabers – Beginn der Bestrafung
2.5. Das Herzstück der Narcissuserzählung
2.5.1 Narcissus an der Quelle
2.5.2. Erkenntnis und Selbsterkenntnis
2.5.3. Selbstliebe führt zur Selbstzerstörung
2.6. Das Auftreten von Echo
2.7. Tod, Begräbnis, Unterwelt und Blume

3. Zusammenfassung

4. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

1.1 Einführung in das Thema

Wer ist eigentlich Narcissus? Ein eitler, egozentrischer, selbstverliebter Knabe, der zur Liebe unfähig ist? Narcissus beweist, dass er Liebe empfinden kann und zwar ist er bereit sein leben dafür zu opfern. In der Narcissus – Sage ist die Unwissenheit ein wichtiger Aspekt, der untersucht werden soll. Am Anfang ist Narcissus ein naiver Knabe, der ein Bild eines Menschen nicht vom Menschen unterscheiden kann. Ein unbewusster Junge, der sich verzweifelt in ein Spiegelbild verliebt hat und zwar in sein eigenes Abbild. Im Unterschied zu vielen Narcissus – Deutungen stellt Ovid einen Narcissus dar, der im Bewusstsein seiner Liebe stirbt. Die qualvolle Selbstliebe führt ihn zur Selbstzerstörung und der Tod scheint der einzige Ausweg davon zu sein. Narcissus stirbt an sich selbst. Er wünscht sich von seinem Körper zu trennen, um den anderen berühren zu können. Gleichzeitig ist er Geliebter und Liebender, Zünder und Entflammter. Er entbrennt in seiner leidenschaftlichen Liebe, aber trotz allem wird der Tod keine eigentliche Rettung von der qualvollen Liebe, denn Narcissus betrachtet sich selbst immer weiter im Wasser in der Unterwelt.

1.2. Der Autor und Werk

Der römische Dichter Publius Ovidius Naso (geb. 43v. Chr. - gest.17n. Chr.) erzählt in seinen in fünfzehn Bücher gegliederten „Metamorphosen“ viele unterhaltsame und anziehende Weltgeschichten, die den Zugang zum menschlichen Kern öffnen. Ovid vereinigt in seinem umfangsreichsten Werk sehr geschickt ganz verschiede Typen des Sagenberichtes. Erzählungen von Göttern und Helden, Frevel, Vergewaltigungen und Blutschande, Liebe und Selbstliebe – werden in dieser ganzen Kosmogonie miteinander verbunden.

Die Metamorphosen Geschichten verknüpfen die reversiblen Verwandlungen der griechischen/römischen Götter und Göttinnen und die irreversiblen, wunderlichen Verwandlungen der Menschen. Merkwürdigerweise werden nicht die Täterverwandelt, sondern die Opfer, dennoch bleiben die

Verwandelten ein integrativer Bestandteil des Ganzen.

Eine solche Verwandlungsgeschichte ist die des Narcissus, die im dritten Buch (vv. 339 – 510) der Metamorphosen steht. Unter allen anderen ist sie die ungewöhnlichste und herausragendste eben dadurch, dass Narcissus stirbt, als er sich letztlich nicht wandeln kann.

1.3. Der Mythos Narcissus

Mythen von Narcissus und Narzissen waren in Griechenland und Rom zu der Zeit ebenso geläufig wie Mythen von Göttern und Heroen. Doch erst Ovid produzierte durch seine Verse unabsichtlich eine eigenständige Thematik Narcissus und seine Verarbeitungen der Mythen gab Anstoß zu Übersetzungen, Auslegungen, philosophischen Kommentaren. Diese ist auch eine Quelle für Poesie und bildende Kunst.

2. Hauptteil

2.1 Die Prophezeiung Tiresias und ihre Rolle in der ganzen Geschichte

Ovid verknüpft die Narcissus - Erzählung mit den Vorausgehenden (3, vv. 316 -338) und dem Folgenden (v.511f.) Erzählungen durch die Gestalt des Tiresias. Er gibt in Bezug auf das Schicksal des Narcissus eine erste Probe seiner Fähigkeit als Seher (vv. 339 - 350), die er eben erst erhalten hatte (vv. 336 bis 338). Seine Weissagung – „ si se non noverit “ – und deren Erfüllung wird durch den Verlauf der Narcissus - Geschichte bestätigt. Liest man die Verse, die der Narcissus – Passage vorausgehen, so ist außerdem zu erfahren, dass Tiresias sein männliches Geschlecht wandelte, als er auf sich paarende Schlangen einschlug. Er kennt also die beiden Seiten des Venus, infolge seines Geschlechtswandels besitzt er die Erfahrung, Liebesgenuss, sowohl als Mann, als auch als Frau erlebt zu haben. Tiresias wurde von Juno geblendet, weil er die Geheimnisse der Götter ausgeplaudert hat. Bei Ovid ist diese Strafe insoweit abgemildert, als Tiresias vom obersten Gott, Jupiter, die Sehergabe, die Kenntnis der Zukunft erhielt. Tiresias, dem das Sehorgan, das Auge fehlt, durfte nun weiter sehen als ein gewöhnlicher Sterbliche.

Die Weissagung hat aber darüber hinaus auch Einfluss auf das inhaltliche Verständnis der Narcissus - Geschichte: Denn ob Narcissus ein hohes Alter erreichen wird - so lautet die Frage seiner Mutter Liriope - „ si se non noverit “ (v.408) erwidert der Seher. Wegen der doppelten Bedeutung von „ noscere “ als Bezeichnung der sinnlichen Wahrnehmung und der geistigen Erkenntnis1 bleibt zunächst einmal offen, ob es sich bei dem Vorgang, an den Tiresias denkt, um ein Sich – selbst - Erblicken oder um ein Sich – selbst - Erkennen handelt. Dieser Spruch hat in der Bedeutung: „wenn er sich nicht wahrnimmt“ eine pragmatische Funktion für den Ablauf der Fabel. Er warnt in einer rätselhaften Andeutung Mutter und Kind vor dem verhängnisvollen Spiegelbild. Da der Wortlaut des Spruches aber unzweifelhaft auf die in der Antike allgemein bekannte delphische Prophezeiung anspielt, enthält der Spruch auch den Sinn: „wenn er sich nicht (er)kennt“. Ovid verändert den Sinn des Spruches dadurch, dass er den verkürzten Spruch als vollständigen ausgibt. Der Dichter setzt aber nicht nur die Selbst – Erkenntnis, sondern auch die Todverfallenheit in Szene: Narcissus stirbt, weil er sich gesehen, erkannt und geliebt hat. Der delphische Spruch hat also bei Ovid eine psychologische, sogar eine existentielle Bedeutung.

Narcissus hat nur bei Ovid einen Gott zum Vater – der Flussgott Cephisos – und eine Halbgöttin zur Mutter – die Quellnymphe Liriope. Daher ist er ein Halbgott, der mit einem neunmal so langen Leben wie gewöhnlichen Sterblichen ausgestattet ist. Durch dem Spruch Tiresias ergibt sich die entscheidende Frage, ob in Narcissus seine menschliche oder göttliche Seite überwiegt. Falls er eher göttlich war, so brauchte er sich nicht zu erkennen, denn das Selbsterkennen (die Botschaft/Anspruch „Erkenne dich selbst“) galt nur für Menschen. War er dagegen eher einem Sterblichen vergleichbar, so musste er sich erkennen, das aber wird für ihn den Tod bedeuten.

2.2. Narcissus Jugend

Im ersten Hauptteil der Erzählung (vv. 351 - 406) zeigt Ovid das abweisende und hochmütige Verhalten des Narcissus gegenüber Mädchen und Jungen. Obwohl er sich für niemanden interessiert, lebt er keineswegs isoliert. Mit Gefährten streift er durch Felder und Wälder, um Hasen zu fangen und Hirschen zu jagen – berichtet der Dichter. Als er dann sechzehn Jahre alt wurde, erregte er die Begehrlichkeit von allen - so zauberhaft schön war er:

multi illum iuvenes, multae cupiere puellae “(353)

Dieser Satz verdeutlicht den Kontrast zwischen seinem schönen Äußeren und seinem kalten Inneren, zwischen Anziehungskraft und Sprödigkeit anhand eines variierten Catullzitats. Dort wird die Schönheit einer Blume – flos - besungen, die alle pflücken und besitzen möchten. Sobald sie aber gepflückt ist, will niemand mehr etwas von ihr wissen. Bei Catull ( Hochzeitslied 62, 64) heißt es:

Multi illum pueri, multae optavere puellae

Der erste Vers ist fast identisch zu dem Catulls, nur „ optavere” ist durch das bedeutungsstärkere „ cupiere “ ersetzt. Stärker noch als die Blume bei Catull hat der Liebreiz des jungen Narcissus die Begehrlichkeit aller gereizt. Es wird gezeigt, wie sich der harte Hochmut hinter dem schönen Antlitz verbirgt, und „ superbia “ bekommt dadurch besonderes Gewicht. Obwohl er ein Halbgott war, unterstellte man ihm damit eine Überheblichkeit, die nur Götter straflos praktizieren durften.

2.3 Die Begegnung von Echo und Narcissus

Echo, die von Juno mit Sprachverlust bestraft wurde, wird bei Ovid als Waldnymphe beschrieben. Sie beobachtet Narcissus bei der Hirschjagd im Wald und folgt heimlich seine Spur und entbrennt in leidenschaftlicher Liebe zu dem schönen Jüngling. Dass sie sich in den Knaben, ohne ihn zu kennen, verliebt und ihn begehrt, ist weder in den Mythen, noch in Rom zu jener Zeit ungewöhnlich. Echos erbärmliches Schicksal ist es, dass sie nichts sagen, sondern nur die Rede anderer wiederholen kann. Zu der Zeit ist sie bereits unfähig, selber ein Gespräch zu beginnen.

Die Nymphe umwirbt Narcissus zunächst aus der Ferne durch Widerhall seiner eigenen Worte und nähert sich erst nach der Aufforderung zum „Zusammenkommen“. Narcissus hört also eine, seiner eigenen ähnliche, Stimme, doch verzögert und verändert, aus dem Munde Echos und nimmt an, es seien die verlorenen Gefährten, die zurückrufen.

Coeamus “ kann eine einfache Aufforderung sein zusammenkommen, aber auch miteinander zu schlafen. Es ergab sich ein merkwürdiges Wortspiel der Irrungen. Sie benutzen beide die gleichen Worte, meinten aber ganz Verschiedenes. Echo zieht sich, beschämt über die Zurückweisung, in den Wald zurück, und wird dort von ihrem Liebeskummer verzehrt, bis sie nur noch eine Stimme ohne Körper geworden ist (v. 398). Der Reiz der Szene besteht gerade darin, dass die Worte eines, der nicht lieben will, durch ein kunstvolles Spiel mit dem Echo - Effekt von einem anderen zum Ausdruck der Liebe und des erotischen Begehren verwendet wird.

[...]


1 Vgl. Dörrie, Heinrich: Echo und Narcissus (zu Ovid, Met |||, 341 – 510), in: AU, X – 1967 – H.1, S.61

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Die Narcissuserzählung bei Ovid
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn  (Philosphische Fakultät)
Veranstaltung
Proseminar: Narziß
Note
2,00
Autor
Jahr
2002
Seiten
17
Katalognummer
V13920
ISBN (eBook)
9783638194440
ISBN (Buch)
9783638901444
Dateigröße
583 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Narcissuserzählung, Ovid, Proseminar, Narziß, narziss, narcissus
Arbeit zitieren
Milena Vasileva (Autor:in), 2002, Die Narcissuserzählung bei Ovid, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/13920

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