Verwendung von Wahlcomputern bei der Bundestagswahl 2005 verfassungswidrig


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2009

21 Seiten, Note: 1,1


Leseprobe


Verwendung von Wahlcomputern bei der Bundestagswahl 2005 verfassungswidrig [1]

In den parlamentarischen Demokratien stellt die stärkste politische Partei oder Parteienkoalition die Regierung und die Mehrheit im Parlament und beherrscht beide Organe."

Reinhold Zippelius

"Das Prinzip der Gewaltenteilung ist, wie andere organisatorische Verfassungs-prinzipien, nicht Selbstzweck, sondern soll bewirken, dass durch Aufteilung der Macht auf Träger unterschiedlicher Interessenrichtung die Machtträger sich gegenseitig zu größerer Richtigkeit steigern. Das Zusammenspiel der Machtträger soll eine möglichst große Richtigkeitschance für Gemeinschaftsentscheidungen sichern. Darin liegt der bleibende Sinn, dem das Gewaltenteilungsprinzip über alle Änderungen der politischen Kräfte und der staatlichen Einrichtungen hinweg zu dienen bestimmt ist."

Hans Herbert v. Arnim

„Die Macht ist ein knappes Gut. Also wird um sie gekämpft. Das ist die erste und zentrale Aufgabe der Politik“.

Richard von Weizsäcker

1. Der Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl aus Art. 38 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG gebietet, dass alle wesentlichen Schritte der Wahl öffentlicher Überprüfbarkeit unterliegen, soweit nicht andere verfassungsrechtliche Belange eine Ausnahme rechtfertigen.[2]
2. Beim Einsatz elektronischer Wahlgeräte müssen die wesentlichen Schritte der Wahlhandlung und der Ergebnisermittlung vom Bürger zuverlässig und ohne besondere Sachkenntnis überprüft werden können.[3]
3. Der Wähler selbst muss ohne nähere computertechnische Kenntnisse nachvollziehen können, ob seine abgegebene Stimme als Grundlage für die Auszählung oder jedenfalls als Grundlage einer späteren Nachzählung unverfälscht erfasst wird. Wird das Wahlergebnis durch rechnergesteuerte Verarbeitung der in einem elektronischen Speicherabgelegten Stimmen ermittelt, genügt es nicht, wenn anhand eines zusammenfassenden Papierausdrucks oder einer elektronischen Anzeige lediglich das Ergebnis des im Wahlgerät durchgeführten Rechenprozesses zur Kenntnis genommen werden kann.[4]
4. Der Gesetzgeber ist nicht gehindert, bei den Wahlen elektronische Wahlgeräte einzusetzen, wenn die verfassungsrechtlich gebotene Möglichkeit einer zuverlässigen Richtigkeitskontrolle gesichert ist. Eine ergänzende Kontrolle durch den Wähler, die Wahlorgane oder die Allgemeinheit ist beispielsweise bei elektronischen Wahlgeräten möglich, in denen die Stimmen neben der elektronischen Speicherung anderweitig erfasst werden. Ob es noch andere technische Möglichkeiten gibt, die ein auf Nachvollziehbarkeit gegründetes Vertrauen des Wahlvolks in die Korrektheit des Verfahrens bei der Ermittlung des Wahlergebnisses ermöglichen und damit dem Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl genügen, bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung.
5. Das Ziel, in kurzer Zeit eine handlungsfähige Volksvertretung bilden zu können, rechtfertigt keine Einschränkung des Grundsatzes der Öffentlichkeit.[5]

Die Wahlprüfungsbeschwerden[6] betreffen die Zulässigkeit des Einsatzes rechnergesteuerter Wahlgeräte, die auch als elektronische Wahlgeräte oder „Wahlcomputer“ bezeichnet werden, bei der Wahl zum 16. Deutschen Bundestag.

Die Wahlgeräte werden über einen Mikroprozessor und ein Softwareprogramm gesteuert. Die abgegebenen Stimmen werden ausschließlich auf einem elektronischen Speicher abgelegt und am Ende des Wahltages durch das Wahlgerät elektronisch ausgezählt. Nach der elektronischen Ergebnisermittlung zeigt das Wahlgerät die für die jeweiligen Wahlvorschläge insgesamt abgegebenen Stimmen an; die Ergebnisse können über einen im Wahlgerät integrierten Drucker ausgedruckt werden. Die Wahlgeräte weisen ein Tastenfeld auf („Wählertableau“), über das ein Einlegeblatt mit einer dem amtlichen Stimmzettel nachempfundenen Abbildung des Stimmzettels gelegt ist. Oberhalb des Tastenfeldes befindet sich eine Anzeige (LCD-Anzeige), die den Wählenden durch den Wahlvorgang führt und ihm eine Überprüfung seiner Eingaben ermöglicht. Tastenfeld und LCD-Anzeige sind von zwei seitlichen Trennschirmen als Sichtschutz umgeben. An der Rückseite des Wahlgerätes befinden sich der erwähnte Drucker sowie ein Steckplatz für das Stimmspeichermodul. Die Wahlgeräte sind mit einer Bedieneinheit auf dem Tisch des Wahlvorstandes verbunden. Die Bedieneinheit zeigt dem Wahlvorstand die Abgabe der Stimmen durch den jeweiligen Wähler dadurch an, dass sich die Anzeige über die Zahl der Wähler um eins erhöht. Nachdem der Wähler seine Stimmen abgegeben hat, ist das Wahlgerät für weitere Stimmabgaben so lange gesperrt, bis der Wahlvorstand es für den nächsten Wahlberechtigten freischaltet.

Bestandteil des von der Firma H. vertriebenen „Integralen Wahlsystems“ ist ein Programmier- und Auslesegerät, das es der Gemeindebehörde ermöglicht, in Verbindung mit einem Personalcomputer die Stimmspeichermodule vor der Wahl vorzubereiten und nach der Wahl die Stimminformationen aus dem Speichermodul auszulesen und für die weitere Datenverarbeitung zur Verfügung zu stellen.

Der Beschwerdeführer legte Einspruch gegen das Ergebnis der Wahl zum 16. Deutschen Bundestag ein. Er trägt vor, der Einsatz rechnergesteuerter Wahlgeräte habe gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl und den Grundsatz der Amtlichkeit der Wahl verstoßen. Darüber hinaus seien die Wahlgeräte nicht mit den Richtlinien für die Bauart von Wahlgeräten vereinbar.

Der Öffentlichkeitsgrundsatz solle die ordnungsgemäße Durchführung der Wahl und die richtige Zusammensetzung des Parlaments gewährleisten.[7] Die Kontrolle der Wahlhandlung müsse sich vor allem darauf erstrecken, dass die Kennzeichnung der Stimme geheim erfolge und dass die von den Wählern abgegebenen Stimmen ohne eine Veränderung in die Urne eingebracht, die Stimmen nachträglich nicht mehr verändert und am Ende des Wahlganges nur die Stimmen aus der Urne ausgezählt würden.

[...]


[1] BVerfG, Urteil vom 03. März 2009 – 2 BvC 3/07 und 2 BvC 4/07 mit vertiefenden Anmerkungen von Prof. Dr. Dr. Siegfried Schwab, Mag. rer. publ. unter Mitarbeit von Diplom-Betriebswirtin (BA) Silke Schwab.

Will: Wahlcomputer und der verfassungsrechtliche Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl, NVwZ 2009, 700ff - Das Wahlcomputer-Urteil des BVerfG ist nicht nur aus dem Grund zu begrüßen, dass es dem aus verfassungsrechtlicher Perspektive unverantwortlichen Einsatz der Nedap-Wahlcomputer einen Riegel vorschiebt. Noch wichtiger ist die Aufwertung, welche der ungeschriebene Wahlrechtsgrundsatz der Öffentlichkeit der Wahl aus Art. 38 Abs. 1GG i. V. mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG erfährt. Das Urteil macht aber auch deutlich, dass die verschiedenen Dimensionen der Öffentlichkeit, namentlich die Transparenz einerseits und die Nachprüfbarkeit andererseits, weiterer Differenzierung und Präzisierung bedürfen, um den Gefahren elektronischer Wahlen nachhaltig begegnen zu können. . "Auch Internetwahlen hat das Gericht keinen endgültigen verfassungsrechtlichen Riegel vorgeschoben", sagte Vizepräsident Andreas Voßkuhle. Die Vorschrift des Bundeswahlgesetzes, die "Wahlgeräte" zulässt, bleibt in Kraft, FZ vom 4. März 2009. Wahlcomputer sparen eine Stange Geld und erleichtern zudem die Auszählung bei Urnengängen, die kompliziertes Kumulieren und Panaschieren zulassen. Und natürlich sind Fehler und Manipulationen auch bei papierenen Stimmzetteln möglich. Ganz rational ist also ein grundsätzliches Verbot computerisierten Wählens nicht. Doch eine Wahl ist gerade keine Messung irgendeines Volkswillens, sondern ein Verfahren, um allen Bürgern in gleicher Weise die Möglichkeit zu geben, Einfluss auf die Geschicke des Gemeinwesens zu nehmen. Dieser Einfluss ist aber nur ein statistischer, der im Nachhinein - anders als eine fehlgeleitete Banküberweisung - individuell weder zurückverfolgt noch korrigiert werden kann. Genau darum ist weniger die Tatsache, sondern der technisch-emotionale Eindruck von Bedeutung, dass alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Wahlhelfer aus Fleisch und Blut können diesen Eindruck vermitteln, Software nun einmal nicht, vgl. von Rauchhaupt, Frankfurter Sonntagszeitung. Bundesverfassungsgericht stellt hohe Anforderungen an elektronische Wahl

Das Bundesverfassungsgericht habe für den Einsatz elektronischer Systeme bei Wahlen hohe Ansprüche an Sicherheit und Transparenz formuliert, sagte Bundeswahlleiter Roderich Egeler. «Die elektronische Wahl ist sicherlich der Weg der Zukunft. Aber die Bedingungen, die das Bundesverfassungsgericht aufgestellt hat, müssen natürlich erfüllt werden.» Egeler verwies dazu auf die Entscheidung der Bundesrichter gegen den Einsatz von Wahlcomputern. Die Richter hatten im März 2009 den Einsatz solcher Geräte zwar für grundsätzlich zulässig erklärt, aber angeordnet, die Stimmabgabe müsse auch für Wähler ohne Computerkenntnisse nachvollziehbar und überprüfbar sein. Die elektronische Auszählung der Stimmen sei vom Wähler aber bei den bisher eingesetzten Geräten nicht kontrollierbar. Das sei bei Zweifeln an der Auszählung bei der klassischen Wahl mit Stimmzettel und Wahlurne anders, so Egeler: «Bei einer Wahlurne drehen Sie sie um und zählen noch einmal».

Das Grundgesetz hat sich bewusst für das Formprinzip der rechtsstaatlich gebundenen, durch Wahl und Gesetz als Quelle personeller und sachlicher Legitimation vermittelten demokratischen Herrschaft entschieden.

[2] Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben sich bemüht, ein funktionsfähiges parlamentarisches Regierungssystem zu schaffen, das die Parteien dazu zwang, Macht und Verantwortung integrativ zu sehen.

Hervorzuheben sind drei strukturelle Entscheidungen:

1. Die Zuweisung des Legitimationsmonopols an das Parlament, das als einziges Staatsorgan unmittelbar aus dem Wählerwillen hervorgeht: dem demokratischen Prozess sollen dadurch institutionalisierte Nebenwege verschlossen bleiben.

2. Die Anerkennung der verfassungspolitischen Funktion der Partei (Transmissionsriemen der Politik), welche ihr Wirken wenigstens normativ aus verdachtsumwitterten Grauzonen herauslöst.

3. Die erstmals in der deutschen Verfassungsgeschichte konsequente Einführung des parlamentarischen Regierungssystems, das durch seine Exklusivaufgabe, Regierung zu bilden und stabil zu halten, das Parlament in die Verantwortung zwingt.

[3] Bundeswahlleiter Egeler befürchtet hohe Kosten

Der Aufwand für die Sicherheit einer Stimmabgabe im Internet wäre nach Meinung Egelers enorm hoch. «Man muss auch die Frage stellen, welche Kosten bei Wahlen produziert werden», sagte er. Außerdem stelle sich die Frage, ob es dem Bürger nicht zumutbar sei, «dass er beim Sonntagsspaziergang beim Wahllokal vorbeischaut»; vgl. Bremke, Internetwahlen - Eine Analyse einer Wahlverfahrensergänzung für das 21. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung rechtlicher Anforderungen, LKV 2004, 102 - eDemocracy (elektronische Demokratie) und eVoting (elektronisches Wählen) sind Themenbereiche, die bislang nicht so sehr im Mittelpunkt des Interesses stehen.

eVoting als Bestandteil von eDemocracy bezeichnet den Einsatz von Netztechnologien für Wahlen und Abstimmungen, während unter eDemocracy allgemein die Möglichkeit verstanden wird, den Bürger über das Netz stärker an politischen Meinungsbildungs-prozessen zu beteiligen. Unter Internetwahlen schließlich soll hier die Nutzung von elektronischen, computerbasierten Wahlsystemen für Wahlen in offenen Netzen (Internet) verstanden werden. Internetwahlen sinnvoll und effektiv eingesetzt, können eine lohnende Ergänzung zu herkömmlichen Wahlverfahren von verschiedenen Gremien sein. Dafür sprechen unterschiedliche Argumente:

Das neue Wahlverfahren wird den gestiegenen Mobilitätsanforderungen unserer Gesellschaft gerechter. Schon heute stimmen in einigen städtischen Regionen bei staatlichen Wahlen bis zu 30% der Wähler im Briefwahlverfahren ab, um sich am arbeitsfreien Wahltag ihre Mobilität zu erhalten. Im Unterschied zur Briefwahl bietet die Internetwahl den Vorteil, zeitgleich am Wahltag zu wählen, also nicht wie der Briefwähler den Wahlakt der eigentlichen Wahl vorzuziehen und Vorkehrungen zum rechtzeitigen Eintreffen der Wahlentscheidung treffen zu müssen. Das ist angesichts der Tatsache, dass viele Menschen sich ihre Wahl bis zum Wahltag offen halten möchten, ein nicht zu unterschätzender Vorteil, insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich ja auch in der Bundesrepublik Kandidaten noch kurz vor der Entscheidung Rededuellen stellen, die wahlentscheidende Bedeutung haben können. Auch bei der Wahl im Wahllokal wäre ein Mehr an Mobilität möglich, da es technisch ohne weiteres machbar ist, dem Wähler in einem deutschen Wunschwahllokal (z. B. am Urlaubsort) den Stimmzettel seines Heimatwahlkreises anzubieten. Die Attraktivität von Wahlen kann durch den Einsatz der neuen, spannenden Medien besonders für junge Wähler gesteigert werden. Zusätzlich bietet das Internet die technologischen Möglichkeiten, durch ein Mehr an Informationen, Wahlen attraktiver und informativer zu gestalten: Hierzu zählt die Idee einer „Informationsumgebung“, die dem Wähler neutral zusätzliche Informationen über Kandidaten und Programme liefert. Unbewusst ungültige Stimmabgaben können durch Internetwahlen minimiert werden, da durch Hilfefenster auf eine falsche Stimmzahl-vergabe (Stichwort „Kumulieren und Panaschieren“) hingewiesen werden kann.

[4] Man darf es nicht vor keuschen Ohren nennen, was keusche Herzen nicht entbehren können.“ Mit diesem Wort Mephistos, des Geistes also, der stets verneint, aus Goethes Faust (Erster Teil, Verse 3294/5) hat Gustav Radbruch, Strafrechtslehrer und Rechtsphilosoph, in den Zwanzigerjahren des vorigen Jahrhunderts Mitglied des Reichstags (SPD) und Reichsjustizminister (1921 bis 1923), jene Haltung „sprödester Abwehr“ (Leo Wittmayer) beschrieben, mit der das deutsche Verfassungsrecht noch zurzeit der Weimarer Republik den Parteien begegnet ist. Diese Haltung beruhte teils auf einer an Rousseau orientierten Demokratietheorie, teils auf der Staatsdoktrin der konstitutionellen Demokratie. Jene glaubt an die Hervorbringung des Staatswillens durch die Diskussion selbstbestimmte Individuen, in welcher die Bündelung partikularer Interessen und Meinungen durch organisierte Gruppen nur als Störfaktor wahrgenommen werden kann.

Das Grundgesetz nimmt in Art. 21 GG Kenntnis von der Parteilichkeit aller Politik – es stellt sich, mit anderen Worten, der Einsicht in die Unentbehrlichkeit der Parteien für die Funktionsfähigkeit des – jedes! – demokratischen politischen Systems. Sie folgt daraus, dass der politische Wille des Volkes nicht etwas fertig Vorhandenes und bloß Aufzufindendes, sondern der Formung bedürftig ist, um sodann in die Organe des Staates hineingetragen zu werden. Daran wirken die Parteien in der Weise mit, dass sie „zwischen ungeregelter gesellschaftlicher Meinungs- und Interessenvielfalt und organisierter staatlicher Handlungs- und Wirkungseinheit“ vermitteln (Dieter Grimm). Den Parteien – und das unterscheidet sie von allen anderen an der politischen Willensbildung des Volkes Beteiligten – obliegt es, die Vielzahl der in der Gesellschaft vorhandenen Meinungen und Interessen zu unterscheidbaren programmatischen Aussagen zu bündeln. Parteien sind Koalitionen vielfältiger Interessen (Ulrich von Alemann).

[5] Die Komplexität des Wahlrechts hat einen so hohen Grad erreicht, dass es der überwiegenden Mehrzahl der Wähler nicht mehr verständlich ist. Der Bürger hat ein Recht darauf, das Wahlrecht aufgrund dessen er sein Parlament wählt, ohne die Inanspruchnahme von Wahlrechtsexperten und Mathematiker verstehen zu können, Kleine, FAZ vom 14.8.2008, S. 7. Das Mehrheitswahlrecht gibt regelmäßig dem Wähler die Entscheidung darüber in die Hand, wer regieren soll, es erhöht den Einfluss des Bürgers und schränkt das politische Feilschen um taktische Vorteile im Parteienwettbewerb ein. Das Verhältnis-wahlsystem bringt in aller Regel ein Mehrparteiensystem hervor und führt mit zu einem Ergebnis, das zu Koalitionsverhandlungen zwingt und den Parteien die Entscheidung überlässt, wer die Regierung bildet.

[6] Die Wahlprüfung ist aufgrund der Parlamentsautonomie, die gewährleisten soll, dass der Bundestag seine Organisation und das Verfahren selbst gestaltet und rechtlich absichert, Sache des Bundestages (Rechtskontrolle), BVerfGE 44, 314f; 104, 332; 108, 274; Magiera, aaO., Art. 41 GG, RN 14. Das eingeräumte Selbstprüfungsrecht steht unter dem Vorbehalt, dass die Wahlprüfungsentscheidung des Bundestages durch das Parlament überprüfbar ist. Die Wahlprüfung ist daher eine organisatorische „Mischform“, bei der die Entscheidung des Bundestags – diese vorbereitet durch den Wahlprüfungsausschuss – als wesentliches Element parlamentarischer Selbstkontrolle gleichsam den „erstinstanzlichen Spruch“ darstellt und dann den Weg zum BVerfG als „zweiter Instanz“ eröffnet. Die Wahlprüfungs-zuständigkeit des Bundestags und Wahlprüfungskompetenz des BVerfG sind so „verklammert“ Löwer, in HStR III § 70 RN 159. Gegenstand der Wahlprüfung ist die Gütigkeit der Wahl; erfass wird das gesamte Verfahren. Die Wahlprüfung verfolgt das Ziel, eine ordnungsgemäße Zusammensetzung des Bundestages zu gewährleisten, BVerfGE 89, 304. Deshalb sind nur solche Wahlfehler relevant, die auf die Mandatsverteilung Einfluss gehabt haben können (mandatsrelevante Fehler). Dafür spricht auch, dass die Wahl (und die Auszählung) zügig durchgeführt werden soll, so dass das Wahlverfahren schnellstmöglich mit einem sicheren und richtigen Ergebnis abgeschlossen wird. Unmittelbare Folge des gestuften Verfahrens ist gleichzeitig, dass durch Art. 41 GG die Wahlprüfung der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs 4 GG entzogen ist, BVerfGE 22, 275, 281; 66, 232, 234. Der Rechtswegausschluss betrifft auch den verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz gegen subjektive Wahlbeeinträchtigungen während der Wahl, einschließlich der unmittelbaren Wahlvorbereitung, BVerfGE 28, 214, 219; krit. Magiera, in Sachs, Art. 41 GG, RN 7 – soweit das Wahlprüfungsverfahren nicht beeinträchtigt ist, besteht kein Rechtfertigungsgrund, den Individualrechtsschutz durch Vorenthaltung des Rechtsweges - Art 19 Abs. 4 GG oder der Verfassungsbeschwerde – Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG zu verhindern. . Dies ist rechtlich unbedenklich, da der „grundsätzlich garantierte Rechtsweg“, BVerfGE 103, 131, 136 ff = NJW 2001, 1048, 1052 f, durch Art. 41 Abs. 2 GG dadurch gewahrt wird, dass die Wahlprüfungsentscheidung des Bundestags unmittelbar vor dem BVerfG mit der Wahlprüfungsbeschwerde angegriffen werden kann. Art. 41 Abs. 2 S. 2 GG macht keine feste zeitliche Vorgabe, innerhalb derer der Bundestag über Wahleinsprüche entscheiden muss, um den „Weg zum BVerfG frei zu machen“. Formal ist das Wahlprüfungsverfahren damit insgesamt zeitlich lediglich auf das weite Zeitfenster zwischen der durchgeführten Wahl bis zum Ablauf der betreffenden Wahlperiode des Deutschen Bundestags beschränkt, Klein, in Maunz/Dürig, GG Art. 41 GG RN 68; Brocker, aaO., RN 10.1. Die Wahlprüfung durch den Bundestag hat daher auch von Verfassungs- wegen innerhalb einer angemessenen Zeitspanne zu erfolgen (sog Zügigkeitsgebot); Horn, in Festschrift für Isensee 2007, 437 f; Magiera, aaO., RN 13 „zwei Monatsfrist“.

[7] Demokratie ist Bereitschaft zum Wagnis, die Selbstregierung eines souveränen Staatsvolkes durch Repräsentanten. Demokratie ohne politisch interessierte und informierte Staatsbürger gibt es nicht. Im Mittelpunkt der Demokratie steht der Wähler. Das heißt, die Demokratie baut darauf, dass die Menschen in Deutschland, wie in jeder anderen Demokratie, sich prinzipiell persönlich interessieren für das, was unser Gemeinwesen betrifft, sich in der Politik einschalten, sich kritikfähig machen. Das ist ein hohes Vertrauen auf den einzelnen Wähler.

Der Staat setzt voraus, dass der Bürger sich aus eigenem Antrieb sich informiert, sich prinzipiell interessiert, sich auch nicht entmutigen lässt, wenn wir gelegentlich Parlamentsdebatten haben, die möglicherweise nicht jedermann ansprechen, die auch den Eindruck erwecken könnten, dass sie mehr Reden zum Fenster hinaus sind als unmittelbare Reden unter den Parlamentariern. Da müssen wir jeden Tag, jede Woche unsere demokratische Kultur wieder neu zurückgewinnen. Der Staat muss dem Bürger vertrauen. Unerlässlich ist die legitimatorische Rückbindung politischer Macht durch freie, gleiche und geheime Wahlen. Deutschland ist zu einer freiheitlichen, gewaltenteilig organisierten Bürgergesellschaft gereift. Alexis de Tocqueville war sich 1848, im Jahr der europäischen Revolution sicher, der Demokratie gehört die Zukunft. Ausheutiger Sicht gibt es keine legitime Alternativ zur Demokratie. Das bedeutete freilich längst nicht, dass die Demokratie der effizienteste Mechanismus für Problemlösungen ist. Die Erfahrung in 60 Jahren GG zeigen, dass Demokratien nicht nur Stärken, sondern auch Schwächen haben. Zukunftsgewissheit für die Demokratie gibt es auch im 21. Jahrhundert, Graf Kielmannsegg, Strukturen der Ungleichheit, FAZ 2004, S. 7. Die repräsentative Demokratie gewinnt im Bundestag ihre Entscheidungsmitte, Kirchhof, Das Parlament als Mittel der Demokratie, Festschrift Badura 2004, 237, oder ihr Gravitationszentrum, Dreier, JuRA 1997, 249ff. Hinzu tritt mit Art 21 GG eine dritte Fundamentalnorm neben Art. 20 Abs. 2 und Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG. Art. 21 bestimmt den Anteil der politischen Parteien an der Willensbildung des Volkes und räumt den Parteien einen eigenen verfassungsrechtlichen Status ein.

In den letzten Jahrzehnten ist die liberale klassische Theorie der Gewaltenteilung in Demokratien, wie Hayek in seinem berühmten Werk über „Recht, Gesetzgebung und Freiheit“ zeigt, allerdings als selbstverständlich in Vergessenheit geraten. Montesqieus Konzeption mündete in eine Entwicklung ein, die zur unbegrenzten Macht demokratisch gewählter Körperschaften führte. Für Hayek ist dieser Prozess der Hauptgrund dafür, dass sich demokratische Institutionen heutzutage weniger um allgemeine Interessen kümmern, sondern eher jene politischen Kräfte stützen, welche Partialinteressen verfolgen

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Details

Titel
Verwendung von Wahlcomputern bei der Bundestagswahl 2005 verfassungswidrig
Hochschule
Duale Hochschule Baden-Württemberg Mannheim, früher: Berufsakademie Mannheim
Note
1,1
Autor
Jahr
2009
Seiten
21
Katalognummer
V139344
ISBN (eBook)
9783640474585
ISBN (Buch)
9783640474684
Dateigröße
468 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Verwendung, Wahlcomputern, Bundestagswahl
Arbeit zitieren
Prof. Dr. Dr. Assessor jur., Mag. rer. publ. Siegfried Schwab (Autor:in), 2009, Verwendung von Wahlcomputern bei der Bundestagswahl 2005 verfassungswidrig, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/139344

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