Wie mache ich eine Predigt? Wie trage ich sie vor? Was kann ich guten Gewissens sagen? Wen interessiert das?
Mit diesen Fragen habe ich das homiletische Seminar an der Augustana-Hochschule in Neuendettelsau begonnen. Ich hatte zwar schon ein paar Hausandachten gehalten, aber irgendwie fühlte ich mich immer inkompetent: Was will ich als junger Spund denn älteren Generationen an Lebensweisheiten auftischen? Dazu hatte ich kaum Ahnung wie, wo, wann und warum die Evangelien eigentlich entstanden sind. Historisch-kritische Exegese war ein Fremdwort für mich, systematische Theologie wie eine Tabellenkalkulation und feministische Theologie wie vom anderen Stern.
Im Predigtkurs habe ich vor allem gelernt mir Gedanken zu machen, was die Zuhörenden erwarten und was ich mitbringe.
In dieser Seminararbeit wird die Entstehung einer Predigt zu Lk 14, 25-33 aufgezeichnet. Schritt für Schritt erfolgt der Weg zu Predigt unter schonungsloser Offenlegung der eigenen Gedanken und Gefühle. Es werden dabei folgende Stationen beschritten: Der "1. Blick", Ideensammlung, historisch-kritische Exegese, systematisch-theologische Überlegungen, Persönlichkeitsstudie, Milieu-Studien und Kommunikationstheorie, Auswahl des des Themas "Wertekritik - auch heute", Gestaltung des Gottesdienstes und Halten der Predigt, Nachbetrachtung.
Inhaltsverzeichnis
0. Einleitung
I. BEOBACHTUNGEN AM TEXT
II. Exegetische Überlegungen
III. Systematisch-theologische Überlegungen
IV. Homiletische Überlegungen
V. Überlegungen zur Gestalt der Predigt
VI. Überlegungen zur Gestalt des Gottesdienstes
VII. Die Predigt
VIII. Nachbetrachtung
Anlagen:
Systematische Zusammenstellung von Nachfolge-Bibelstellen bei den Synoptikern
Persönlichkeitsmodelle - Auswirkungen für die Predigt:
Materialien für den Gottesdienst:
Eröffnung und Lesung
Gebete
Predigt
Abkündigungen
Veranstaltungskalender
Predigtentwicklung
Literaturverzeichnis
Endnotenverzeichnis
0. Einleitung
1. Die Entstehung einer Predigt
Wie mache ich eine Predigt? Wie trage ich sie vor? Was kann ich guten Gewissens sagen? Wen interessiert das? Wer bin ich schon? Warum soll ich das eigentlich tun?
Mit diesen Fragen habe ich das homiletische Seminar an der Augustana-Hochschule in Neuendettelsau begonnen. Ich hatte zwar schon ein paar Hausandachten gehalten, aber irgendwie fühlte ich mich immer inkompetent: Was will ich als junger Spund denn älteren Generationen an Lebensweisheiten auftischen? Dazu hatte ich kaum Ahnung wie, wo, wann und warum die Evangelien eigentlich entstanden sind. Historisch-kritische Exegese war ein Fremdwort für mich, systematische Theologie wie eine Tabellenkalkulation und feministische Theologie wie vom anderen Stern.
Im Predigtkurs habe ich vor allem gelernt mir Gedanken zu machen, was die Zuhörenden erwarten und was ich mitbringe. Das exegetische Handwerkszeug zur Bearbeitung des Bibeltextes sowie einen Einblick in die Vielfalt an systematischen Lehren und Deutungen habe ich bereits in meinem bisherigen Studium erworben.
2. Die Methodik
In dieser Arbeit wird die Entstehung einer Predigt zu Lk 14, 25-33 aufgezeichnet. Schritt für Schritt erfolgt der Weg zu Predigt. Jede Station lädt ein zum Ruhen und Zurückschauen: Warum bin ich so vorgegangen und nicht anders?
Nach intensiver Arbeit und umfangreichen Studien konnte ich schließlich guten Ge(h)wissens eine Predigt über die Nachfolge Jesu halten.
I. BEOBACHTUNGEN AM TEXT
1. Der erste Blick
Lk 14, 25-33 habe ich öfters für mich im stillen Kämmerlein gelesen. Nun soll ich darüber Predigen. Diesen Leseblick habe ich nun zum ersten Mal.
Den ersten Blick auf den Text werfe ich nach dem Austeilen der Predigttexte unter dem Aspekt der Auswahl. In sehr kurzer Zeit überfliege ich alle Texte, denn ich muss eine Wahl treffen. Diesen Text wähle ich, weil er mich mit „und haßt nicht seinen Vater“ unmittelbar in meiner Lebenssituation anspricht. Ich befinde mich im (spätpubertären) Ablöseprozess von meinen Eltern. Über diesen Text kann ich also „glaubwürdig“, d.h. mit persönlichem Bezug predigen. Umgehend unterstreiche ich im Text die mir ins Auge fallenden Schlagworte und verbinde damit geistig Fragen:
„große Menge“ > Situation? Kontext? Lk-Prägung?
„zu mir kommt“ > wörtlich oder übertragen?
„haßt“ > Griechischer Begriff? Wirklich so hart oder Luther-Prägung?
„sein Kreuz trägt“ > Bedeutung? Redaktioneller Eingriff (Passion später!)? Kreuzestheologie Lk?
„nachfolgt“ > wörtlich oder übertragen?
„Jünger“ > Bedeutung Antike/Heute?
„nicht lossagt, von allem, was er hat“ > hier auf einmal Besitz gemeint?
2. Gespräche im Seminar
Während der folgenden zwei Seminargespräche verbinde ich in mir den Text mit den kulturanthropologischen „Ecksteinen“ der Antike (vgl. Malina und Stegemann):
- Clan und dyadische Persönlichkeit ® „Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, ...“
- Ehre und Schande ® Gleichnisse Turmbau/Kriegsführung und „spotten“
Meine Proseminararbeit über Mt 19,1-9 (Frage nach der Ehescheidung) kommt mir dabei in den Sinn. Dort war ich zu folgenden Schlüssen gekommen:
- Jesus war Ehe (und Familie) nicht wichtig
Gott fügt zusammen – nicht menschliches Arrangement durch Clan, Standesamt oder gar Pfarrer. Eine entscheidende Deutungslü>- Jesus fordert implizit: Sei ein unabhängiges und introspektives Individuum!
Es steht nicht „ehebrechen“ (äußere Tat), sondern „verführt werden“ (inneres Geschehen) im Text. Vgl. die Ehebruch-„Radikalisierung“ Mt 5, 27-28: Es kommt auf das „im Herzen“ an.
Ich merke, wie das eigene Jesus-Bild prägt. Momentan habe ich folgendes Bild: Jesus ist als antiker Jude aufgewachsen und sozialisiert. Er hat später aber jüdische Praxis ebenso wie antike Wertevorstellungen in Frage gestellt. Damit hat er (gewollt oder ungewollt) „Anstoß erregt“. Die Perikope passt somit gut in mein Jesus-Bild.
Ebenfalls merke ich, daß ich schon eine grobe, wolkige Vorstellung von meinem Predigtinhalt habe. Wohl „irgend etwas mit persönlichem Lebensbezug“ (heute: Pubertät) und historischen Konsequenzen (Antike: wenn ein Mann seine Frau/Clan verläßt), Bedeutung von Nachfolge und Jünger-Sein (kein Widerspruch zum modernen Individualismus und zur Aufklärung). Mein Lieblingsthema.
3. Arbeit am Computer
Nach dem ersten Seminar bin ich krank geworden. Mit „dickem Kopf“ kann und möchte ich mich nicht mit dem Text beschäftigen – und mache es auch nicht. Kurz vor der dritten Sitzung beginne ich mit der Arbeit am Computer. Dies ist für mich kein Problem, da ich es mittlerweile gewohnt bin auch am Computer kreativ zu arbeiten (z.B. Erstellung von mehrstimmigen Notensätzen zu Gesangbuchliedern).
Ich frage mich nun, ob ich mein Lieblingsthema nicht doch mehr in den Text hineinlese als es eigentlich herauszulesen gibt. Geht es vielleicht doch mehr um Verantwortungs-ethik (Konsequenzen bedenken)? Oder um das „allein Jesus“, um die Verehrung der (göttlichen) Person? Wie würde dies in meine Theologie passen?
Ich muss mir also zuerst über mein Gottesbild (incl. Trinität) Gedanken machen. Mein momentanes Gottesbild ist m. E. wesentlich feministisch-theologisch geprägt: Der traditionelle Patriarchen-Gott, der zornige und herrschsüchtige Vater-Gott ist tot. Auch aus meinem Vaterkonflikt[1] heraus suche ich die „weiblichen Seiten“ Gottes, darunter Dynamik (Gott entwickelt sich und bleibt nicht ewig gleich)[2] und Schwäche (Versagen)[3]. So sehe ich Jesus: Vom erwarteten Messias zum Versager am Kreuz. Er hatte wohl keine Ahnung, was ihm mit seiner Gesellschaftskritik blühen würde.
Ich merke beim Stichwort Vaterkonflikt, dass ich vorsichtig sein muss mit meinem persönlichem Lebensbezug. Die Gefahr ist groß, dass ich der Gemeinde meine Familienprobleme aufs Auge drücke.
Ich möchte mich bemühen, mich dem mir ungeliebten und wörtlich exklusiven „allein Jesus“ zu öffnen und meine Theologie daran weiterentwickeln.
Last but not least: Wenn ich lutherischer Pfarrer werden will, dann sollte ich die Predigt im Rahmen der lutherischen Bekenntnisse vertreten können.
4. Notizzettel-Sammlung
Von der Arbeit am Computer angeregt konnte ich nicht mehr schlafen und hatte im Wesentlichen folgende Ideen (hier nun gebündelt als Predigt-Vorentwurf):
Thema: Was tun mit Bibeltexten, die nicht schmecken?
I. Einklang:
1. „Vielleicht kennen Sie das auch: Wenn ich früher aus meiner Arbeit kam und zur Entspannung mal nicht glotzen wollte, sondern Appetit auf Bibellesen hatte, gerade dann bin ich auf Bibeltexte gestoßen, die mir gar nicht schmeckten. Zu diesen Texten gehört wohl auch der heutige Predigttext im Evangelium nach Lukas Kapitel 14, Verse 25 bis 33:“
2. Bibeltext lesen
II. Hinführung und Höhepunkt
1. Handabstimmung: „Wem schmeckt dieser Text?“
- oder -
Befragung einzelner KirchgängerInnen (ca. 4 Interviews)
z. B. „Spricht der Text Sie an? Warum (nicht)?“, „Gefällt Ihnen das „hassen“?“, „Haben Sie Geschwister? Was halten die wohl von diesem Text?“ ... ; Ergebnis: negativ => schmackhaft machen / positiv => verdeutlichen / bei unerwarteten Antworten etwa: „Hey, jetzt bringen Sie mein Predigtkonzept ins Wanken!“
2. Hinführung: „Was machen wir nun mit Bibeltexten, die uns nicht schmecken?“
- Beiseite legen => Nie etwas neues lernen
- Durchlesen und abhaken => keine Angst vor dem Fremden, aber fernhalten
- Durchlesen und versuchen zu verstehen => Internet, Bücher, Gespräche, Bibelkreise, ...
- Theologie studieren (Witz) => Was ich heute mit dem Text anfange
3. Auslegung:
- Antike Gesellschaft (Clan / honour and shame) und Konsequenzen der Nachfolgeforderung; evtl. Klärung Begriffe;
Heute für mich positive (!) Perspektive: (Spät-)Pubertät (und Individualismus)
- Mir schmeckt aber nicht: „Allein Jesus“ « Partnerschaft? (Erzählung Rangfolge-Gedanken);
Noch keine Lösung (unschlüssig wie damit umzugehen)!
- dieser Punkt kann auch entfallen -
III. Ausklang
1. Handabstimmung: „Wer hat am Text mittlerweile schon Geschmack gefunden?“
2. Für alle Unschlüssigen: Meine Empfehlung Internet (>Wikipedia, Homepage ausdrucken/zeigen), Lutherbibel mit Kommentar (mitbringen/zeigen), Angebote der Gemeinde (z. B. Bibelkreis am ???, Plakat zeigen) oder Gespräch im Anschluß an diesen Gottesdienst (im Freien? bei Regen?).
„Sie werden vielleicht einen ganz neuen Geschmack an Gott, der Welt oder sich selbst entdecken.“
II. Exegetische Überlegungen
0. Mein Vorverständnis
Mein Jesus-Bild und Gottesverständnis habe ich bereits oben angedeutet.[4] Ich bin keine Vertreter von Opfertheologie (Kreuzestod) - ein andromorph-gekränkter Gott mit zwanghaftem Sühnebedarf oder ein Nietzsche-Gott im Blutrausch ist mir fremd. Jesus ist für mich Mensch.[5] Der Gott in Jesus zeigt sich mir in der Auferstehung.[6]
Der Text Lk 14,25-33 hat mich nie abgestoßen, sondern angezogen. Früher war es die „volle Hingabe“[7], heute ist es die Legitimation zur Ablösung[8].
1. Der Text
Die wissenschaftliche Textausgabe von Nestle-Aland birgt bei Lk 14,25-33 (sowie Lk 18,29-30) keine wesentlichen textkritischen Probleme. Der Nestle-Aland-Text kann also als „Urtext“ (d.h. als rekonstruierte Kopienvorlage) betrachtet werden.
Hier nun meine Übersetzungen von Lk 14,25-33 und Lk 18,29-30:[9]
14,25 Es reiste aber mit ihm eine große Masse, und er drehte sich um und sprach zu ihnen: 26 a) „Wenn jemand zu mir kommt und nicht seinen eigenen Vater, Mutter, Frau, Kind, Brüder und Schwestern b) sowie außerdem seine eigene Seele hasst, c) der ist nicht fähig mein Schüler zu sein. 27 Wer nicht sein eigenes Kreuz schleppt und kommt mir nach, ist nicht fähig mein Schüler zu sein.
28 Wer nämlich von euch will ein Wirtschaftsgebäude bauen, und setzt sich nicht zuerst hin und berechnet die Kosten, ob er zur Fertigstellung (genug Geld) hat? 29 Damit nicht - wenn er das Fundament gelegt hat und er nicht potent genug ist fertig zu werden - alle Beobachtenden ihn zu verspotten beginnen 30 und sagen, daß dieser Mensch angefangen hat ein Haus zu bauen und nicht potent genug war fertig zu werden.
31 Oder welcher König reist zu einem anderen König um Krieg zu führen, und setzt sich nicht zuerst hin und geht in sich, ob er mächtig ist Zehntausend dem entgegenzustellen, der mit Zwanzigtausend gegen ihn zieht? 32 Falls nicht - wenn er noch fern ist - sendet er einen Ältesten und bittet um Frieden.
33 So ist folglich jeder von euch, der nicht von allem was er hat Abschied nimmt, nicht fähig mein Schüler zu sein.“
(18,29 Er aber sprach zu ihnen: „Amen, ich sage euch: Es gibt keinen, der Haus, Frau, Bruder, Schwester oder Kind wegen der Königsherrschaft Gottes verlässt, 30 der nicht Vielerlei in dieser Zeit und in der kommenden Zeit ewiges Leben hat.)
2. Die Eigenschaften
In der Textanalyse von Lk 14,25-33 fällt folgendes auf:[10]
- Klare Gliederung
- Einleitung (V25)
- Bedingung 1/2 mit Folge (V26): Wenn jemand ... nicht hasst ... (1) Familie / (2) seine eigene Seele, nicht fähig ...
- Bedingung* 3 mit Folge (V27): Wer ... nicht trägt (3) sein eigenes Kreuz ... , nicht fähig ...
- Beispiel 1 (V28-30): Wer nämlich ... ?
- Beispiel 2 (V31-32): Oder welcher ... ?
- Bedingung** 4 mit Folge (V33): So ist folglich jeder ..., der (4) nicht alles was ihn beherrscht aufgibt, nicht fähig ...
- Viele seltene Wörter in den Gleichnissen
- Hapaxlegomena: Kosten, Fertigstellung, fertig zu werden, entgegenzustellen
- Selten: Wirtschaftsgebäude, Fundament, Abschied nehmen; V27: schleppen
- Deutliche Stilmittel
- Wiederholungen (incl. doppelter Binnenreim):
- 3x nicht fähig mein Jünger zu sein (ou dynatai einvai mou mathätäs) (V26/27/33)
- 2x sich zuerst hinsetzen (planen) (V28/31)
- Doppelte Verneinungen statt positiver Aussage: Wer nicht ..., ist nicht ... (V26/27/33)
- komplexe Satzstrukturen (Neben-/Beiordnungen): v.a. bei den zwei Gleichnissen (V28-32)
- Rahmung der zwei Gleichnisse durch Bedingung/Folge mit Höhepunkt Bedingung 4 (V33): So ist folglich ...
- Deutliche Abgrenzung Lk 14,25-33 mit wenig Zusammenhang zum Kontext
Die Textstelle ist m.E. klar nach unten abgegrenzt.[11] Auch nach oben ist sie inhaltlich abgegrenzt. Ein einheitliches Thema des lk Reiseberichts (Lk 9,51-19,29) ist nicht ersichtlich. Es liegt eher eine lockere und wechselnde Themen-Anordnung vor.[12]
- Wortfelder und Story: Beziehung sowie Planung/Erfolg
Es dominiert insgesamt das Wortfeld Beziehung (Familienangehörige hassen, Schüler werden; verspottende Betrachter, Königskrieg). Die Sachbezüge „Kreuz tragen“ (V 27) und den „Besitz aufgeben“ (V33) passen nicht in das Wortfeld. In den zwei Gleichnissen treten daneben die Wortfelder Planung/Erfolg (mit den Teilwortfeldern Bau/Krieg) hervor.
3. Die Herkunft
- Lukasevangelium: Parusieverzögerung und Arme/Reiche
Der heidenchristliche Autor Lk (4. Generation)[13] hat um 90 n. Chr. Anstößiges von seiner Quelle Mk beseitigt und die Hauptbotschaft wie folgt geändert: Die Geschichte Jesu als Vorbereitung der Wirksamkeit der Jünger nach Ostern.[14] Lk hat mit der Parusieverzögerung und der Verachtung von Armen durch die Reichen zu in seiner heidenchristlichen Gemeinde zu kämpfen.[15]
- Literarkritik: Lk 14,25-33 sehr wahrscheinlich Lk-Redaktion bis auf V26a/c
- V25: Als erzählende Einleitung Lk zuzurechnen.[16]
- V28-32: Die zwei Gleichnisse entspringen Lk-Sondergut.[17] Wegen der deutlich abgesetzten Sprache (s.o.) und der paarweisen[18] Anordnung meine ich, daß Lk diese Gleichnisse selbst evtl. unter Rückgriff auf „Binsenweisheiten“ (nicht-jesuanisch) komponiert hat.[19] Im übrigen greift das erste Beispiel deutlich die Arme/Reiche-Thematik (verspotten) des Lk auf!
- V33: Die Arme/Reiche-Thematik findet sich auch hier.[20] V33 ist ebenfalls Lk zuzurechnen.[21]
- V27: Sekundär, da die Wortkombination „sein Kreuz schleppen/tragen“ nachösterlich ist und vorher nicht existiert.[22] Ebenso sekundär Lk. 9,23 par (incl. sich selbst verleugnen).[23]
- V26b: Die Selbstverleugnung seine eigene Seele hassen fehlt bei den Parallelstellen. Bei Lk ist er nur im Sondergut zu finden (Vorgeschichte: 1,46/2,35; 9,36) und den Parallelen (14,26, 21,19), dort als Abweichung von Mt/Mk. Der Begriff ist eher Hinzufügung des Lk.[24] Seele kommt in den Evangelien relativ selten vor und meint eher die Physis (den Körper).[25] Hassen betont die bewusste Nachordnung (also nicht: emotional).[26]
- V26c: Lk hat hier gegenüber Mt die ursprünglicher Variante aus Q.[27]
- V26a ist in der Dreifachüberlieferung des Mk par und der Zweifachüberlieferung von Q belegt.[28] Allerdings mit unterschiedlichen Folgen aus der Bedingung:
Bei Lk 14,26 (Q) geht es um das „Schüler sein“, bei Mt 10,37 (Q) um „würdig sein“, bei Mk 10,29-30 par (Mk) einheitlich um das „ewige Leben erhalten“. Allerdings gibt es bei Mk 10,29-30 par unterschiedliche Gründe: „wegen mir und dem Evangelium“ (Mk), „wegen meinen Namen“ (Mt), „wegen der Königsherrschaft Gottes“ (Lk). Letzterer ist wohl ursprünglich (erst in Deutero-Mk mit Hinblick auf Mk-Thema 1,1.15 geändert).
- Überlieferungskritik: Lk 18,29-30 ursprüngliches Jesus-Wort
Aufgrund der weitreichenden Überstimmungen zwischen den Parallelen Lk 18,29-30 || Mk 10,29-30 || Mt 19,29 (Mk), der Überstimmung im Thema Beziehungskonflikt innerhalb Lk zwischen Lk 14,26 @ Lk 18,29 (@ Lk 12,53 par) sowie dem nachösterlich anzusetzenden Wort in vom Kreuz schleppen/tragen in Lk 14,26 par und Lk 9,23 par (Q) schließe ich, Lk 18,29-30 die ursprünglichere Fassung des Jesus-Wortes bietet.[29] Die Herkunft von Jesu ist sehr wahrscheinlich. Sowohl das Differenzkritierum (Verstoß 4. Gebot) wie auch das Wahrscheinlichkeitskriterium (Königsherrschaft Gottes als Erfüllung 1. Gebot) greifen.
4. Die Entstehung
- Redaktionsgeschichte:
Lk hat das nicht ursprüngliche Jesus-Wort aus Q in Lk 14,25-33 eingefügt und ausgestaltet (s. Textanalyse).[30] Die Bedingung 2 („seine eigene Seele hassen“) und Bedingung 4 (Besitz-aufgabe) lassen sich unter das Lk-Gemeindeanliegen Arme/Reiche subsumieren. Lk betont mit dem „Hinsetzen“ in den Gleichnissen die kritische Selbstprüfung vor Beginn (der Nachfolge).[31]
5. Die Auslegungsgeschichte
Lk 14,25-33 (sowie Mehrfachüberlieferungen mit Parallelen) wurde seit den ersten Gemeinden über das Mönchtum bis heute meistens als „volle Hingabe“ (incl. Leiden) an Gott verstanden mit einer „ordo der Liebe: Gott, Vater, Mutter, Kinder“.[32]
Luther warnt davor, V26 zum „Vorwand“ für das „Ausleben pubertärer Regungen“ zu nehmen.[33] Calvin fordert hingegen eine Verschiebung von der Handlung zur Gesinnung.[34] Im Katholizismus war bis zur Hälfte des 20. Jh. für die „freiwillig geübte Selbstverleugnung“ die „Abtötung der Phantasie, der leibseelischen Affekte und der fünf Sinne“ entscheidend.[35]
Das Doppelgleichnis wird bis heute allegorisch gelesen und moralisch verstanden.[36]
6. Mein Verständnis
Unter kulturanthropologischer sowie tiefenpsychologischer, existentialistischer und feministischer Perspektive komme ich zu folgender Auslegung:
- Damals: Die Jesus-Bewegung als neue Familie mit anderen Werten.
Lk hat in unserer Textstelle Lk 14,25-33 die Probleme in seiner Gemeinde (Parusieverzögerung, Arme/Reiche, Verfolgungen[37]) aufgegriffen - deswegen u.a. die Forderung nach Selbstaufgabe. Im ursprünglichen Jesus-Wort Lk 18,29-30 war die Königsherrschaft Gottes der Grund, daß die NachfolgerInnen (wörtlich) Jesu ihre Familie, ihr Haus und ihre Arbeit verlassen sollten. Der evtl.[38] wirtschaftliche Schaden (Verlust Arbeitskraft) und Ehrverlust (Verstoß gegen das 4. Gebot) scheinen dabei keine Rolle zu spielen. Die Gemeinschaft der Jesus-Bewegung ersetzt den Clan,[39] d.h. die die den Willen Gottes tun (Mk 3,35; Mt 12,50) bzw. das Wort Gottes hören und tun (Lk 8,19-21) sind die neue Familie.[40]
Ob aus Zeitdruck wegen der Naherwartung (Entbindung von den Clan-Pflichten) oder aus prinzipieller Clanfeindlichkeit[41] – Jesus und seine Bewegung weicht faktisch von dem Wert des Clans[42] in der mediterranen Kultur ab[43].
Das spezielle[44] Lehrer-Schüler-Verhältnis in der Jesus-Bewegung beinhaltet eine innere Kom-ponente (d..h.: Wertegemeinschaft). Schon allein im sprachlichen Gegenstück zu den Jüngern (wörtlich: Schüler) war Jesus Lehrer[45] (Rabbi). Es geht also um Lehren und damit auch um die hinter den Lehren stehenden Werte; die (äußere) ethnische Zugehörigkeit zu Israel scheint hin-gegen keine Rolle zu spielen (immerhin haben zwei Jünger griechische Namen[46]).
Eine Wertegemeinschaft setzt Introspektion voraus (d.h. Selbstreflexion ob ich die Werte teile und mich der Bewegung anschließe). Das geforderte Umsetzen der Werte im Tun ist ein individueller[47] Akt. Ob gewollte „Aufklärung“ oder nur faktisch: Hier findet sich ein introspektiv-individuelles Moment, das von der antiken Kultur und v.a. der vorherrschenden dyadischen Persönlichkeit[48] abweicht.[49]
- Heute: Aufklärung christlicher Werte!
War das Jesus-Wort Lk 18,29-30 als ewige Lehre intendiert oder nur situationsgebunden (Stichworte Naherwartung und Kontext)?[50] In beiden Fällen müssen wir uns heute in unserer Wahl-Familie der christlichen Gemeinschaft fragen, ob wir nicht immer noch antike Werte fortführen (z. B. im Verständnis „der“ „christlichen Ehe“[51]). Denn die Königsherrschaft Gottes und das Tun des Wortes Gottes erfordert offensichtlich eben nicht die Werte[52] der antiken Kultur.
Hier kommt die Aufklärung (Habe Mut, deinen Verstand zu benutzen) und die Frauenbewegung zu ihrem Recht (Frauen im Beruf, Beendigung Patriarchat). Auch die anti-autoritäre Phase der Pubertät und generell Ablöseprozesse sind legitimiert und nicht verworfen.[53]
III. Systematisch-theologische Überlegungen
1. Eigene Forschungen zu „Nachfolge“
Eine systematische Zusammenstellung von Nachfolge-Bibelstellen bei den Syn-optikern (siehe Anlage) führt zu folgenden Ergebnissen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Der historische Jesus hat m. E. erwartet, daß
- alle drei Gruppen (Erste Jünger, Zwölf Jünger, weitere NachfolgerInnen) der familia dei (Gemeinschaft der NachfolgerInnen Jesu, Wertegemeinschaft) Vorrang gegenüber ihren Clan einräumen.
Anmerkung: Dabei gibt es m. E. keine Hierarchie „erste Jünger > zwölf Jünger > weitere Jüngerschaft“.[54] So werden z. B. die ersten Jünger im weiteren Verlauf weder komplett (bei den Synoptikern nur Petrus, bei Johannes auch Johannes) noch als solche besonders hervorgehoben.
- eine individuell-rationale Überprüfung von Werten („Tut Buße“, „Bleibt wach“) stattfindet. JüngerInnen sollen sich bewußt für ihn und seine Lehre entscheiden.
- Werte öffentlich-diskursiv vertreten werden („verkündigen“, „Salz“, „Licht“; vgl. Diskussionskultur in den synoptischen Evangelien).
Bei summarischer Exegese komme ich zu dem Schluß, daß die Wortfelder „Leiden“, „bezeugen“ und „dienen“ (der NachfolgerInnen) eher nachösterlichen Verfolgungen (durch Rom) sowie einer beginnenden Institutionalisierung (Gemeinden) entspringen.
2. Fremde Forschungen zu „Nachfolge“
Aus der Literatur habe ich „Nachfolge“ (Bonhoeffer), den entsprechenden Artikel der TRE (Luz) und „Der historische Jesus“ (Theißen/Merz) herausgegriffen. Damit scheint mir das theologische Spektrum von orthodox bis liberal ausreichend abgedeckt.
- Dietrich Bonhoeffer :
„ Der Ruf Jesu Christi in das gehorsame Leben, in seine Gemeinschaft, ergeht wie immer so auch heute an uns.“[55]
- „In dem Ruf Jesu ist der Bruch mit den natürlichen Gegebenheiten [Familie] ... bereits vollzogen. ... Kein Mensch kann Christus nachfolgen, ohne daß er den bereits vollzogenen Bruch anerkennt und bejaht. ... Der Bruch ... ist nichts anderes als die Erkenntnis Christi als des Sohnes Gottes“.[56] Die unmittelbare Beziehung zur (Um-)welt ist eine Täuschung, nur über Christus, sein Wort und unsere Nachfolge, führt der mittelbare Weg zu anderen: „Christus steht dazwischen. Nur durch ihn hindurch geht der Weg zum Nächsten.“[57]
- Jesus ist der „Grund ganz neuer Gemeinschaft.“[58]
- Leiden ist das „Kennzeichen der Nachfolger Christi. Der Jünger ist nicht über seinen Meister. Nachfolge ist passio passive, Leidenmüssen. ... Wer sein Kreuz nicht aufnehmen will, wer sein Leben nicht zum Leiden und zur Verwerfung durch die Menschen geben will, der verliert die Gemeinschaft mit Christus, der ist kein Nachfolger. ... Leiden ist Gottesferne. Darum kann der, der in der Gemeinschaft Gottes steht, nicht leiden.“[59]
- „Das Gebot Jesu ist unmenschlich hart, für den, der sich dagegen wehrt. Jesu Gebot ist sanft und nicht schwer für den, der sich willig darein gibt.“[60] Jesu Ruf ist „seine Gnade, die aus dem Tod in das neue Leben des Gehorsames ruft.“[61] „Der ungehorsame kann nicht glauben, nur der Gehorsame glaubt.“[62] Ein Seelsorgegespräch soll unterbrochen werden mit dem Satz: „Du bist ungehorsam, du verweigerst Christus den Gehorsam, du willst ein Stück eigener Herrschaft für dich behalten. ... Deine Not ist deine Sünde.“[63]
- (Fromme) Entscheidungen und psychologische Gründe von Menschen sind in der Bibel egal, weil es nur eine einzige gültige Begründung gibt: Jesus Christus.[64]
- „Komm zur Kirche! Das kannst du kraft deiner menschlichen Freiheit. Du kannst am Sonntag dein Haus verlassen und zur Predigt gehen. Tust du es nicht, so schließt du dich willkürlich von dem Ort aus, an dem geglaubt werden kann.“[65]
Die Ansichten Bonhoeffers sind zeitgeprägt (3. Reich) und greifen nicht auf die Methode der historisch-kritischen Exegese zurück. Ich kann mit ihm teilen, daß mit Jesus eine neue Gemeinschaft entsteht, welche einen Bruch mit dem Umfeld beinhalten kann. Die Leidensnachfolge hingegen ist m. E. klar redaktionell. Der geforderte „Gehorsam“ Bonhoeffers ist in den Evangelien nicht zu finden[66] und erinnert mich an Führerkultur.[67] Über Bonhoeffers schwarz-weiß-Schema legt sich der Grauschleier, wer tatsächlich zum Gehorsam ruft – die Pfarrer!
- Ulrich Luz[68]:
Die Nachfolge Jesus wird bei den Evangelisten zur v.a. Leidensnachfolge.
- Keine Unterscheidung JüngerInnen/SympathisantInnen; Nachfolge als Existenzform aller ChristInnen, auch derer in seßhaften Gemeinden.
- Kennzeichen der Nachfolge: Verzicht auf Familienleben (aus praktischen Gründen, d.h. ohne a-familiären Ethos), Verzicht auf Berufsausübung und demonstrative Armut (aber ohne generellen Besitzverzicht)
- Sinn der Nachfolge: Gemeinschaft mit Jesus, Beteiligung an der Verkündigung
- Unterschiedliche Weiterentwicklung:
- Mk: Leidensnachfolge (erste Christenverfolgungen)
- Mt: Leidensnachfolge (Anlehnung an Mk) und bessere Gerechtigkeit (z. B. Familien-verzicht als Weg zur Vollkommenheit)
- Joh: Leidensnachfolge und Sich-auf-Erfahrungen-mit-Jesus-Einlassen
- Lk: Historisierung (Begrenzung Familienverzicht auf Zeit Jesu) und Aktualisierung durch den Heiligen Geist (Apg)
- Pls: < Fehlen der Nachfolgetradition aus den Evangelien >
Die Ergebnisse von Luz teile ich in den wesentlichen Punkten (Ausnahmen: kein Unterschied JüngerInnen/Masse, Verzicht auf Beruf und demonstrative Armut). Luz stellt die nachösterlich-redaktionelle Umgestaltung der Nachfolge zur Leidensnachfolge sehr gut dar.[69]
- Gerd Theißen / Anette Merz[70]:
JüngerInnen (Sekundärcharismatiker: Charisma-Teilhabe, Selbststigmatisie-rung, Missionsaskese, Gruppenmessianität) und aktive Sympathisanten (Tertiär-charismatiker) sind Teil der familia dei.
- Die JüngerInnen partizipieren an Jesu Sendung und Vollmacht (Charismen; vgl. Propheten). Sie können Segen und Fluch aussprechen, heilen und Dämonen austreiben. Sie sind nach dem Primärcharistmatiker Jesu Sekundärcharismatiker. Als „Täter des Wortes“ sind sie Teil der familia dei.
- Die JüngerInnen partizipieren an der Außenseiterrolle Jesu und stigmatisieren sich damit selbst. Bei provokanten Akten (z. B. Verstoß gegen das 4. Gebot in Lk 14,25-33) durften sich die JüngerInnen nicht wundern, wenn sie genauso angefeindet worden wie der Meister.
- Von kynischen Wanderphilosophen oder Essenern sollen sie sich durch Überbietung (in Form von weniger Reise-Equipment) an Vertrauen auf die Fürsorge Gottes unterscheiden („Missions-Askese“).
- Aus der Jüngerschaft folgt die Teilhabe an der Verheißung auf den zwölf Thronen zu sitzen und über die zwölf Stämme zu richten. Allen JüngerInnen wird messianische Vollmacht zugesprochen (Gruppenmessianismus).
- Von den JüngerInnen unterscheiden sich die Tertiärcharismatiker (d.h. aktiv unterstützende SympathisantInnen, die nicht die Familie verlassen), welche als „Hörer des Wortes“ noch Teil der familia dei sind.
- In einigen Überlieferungen wird der Clan mit der familia dei kontrastiert: Abwertung der Verwandten/Mutter Jesu, Absage an die väterliche und generell irdische Macht.
Dieses Gesamtbild deckt sich mit wesentlichen Ergebnissen meiner Exegese: Jesus-Bewegung als familia dei und Außenseiterrolle wegen anderer Werte.
Die Überbietung (Ausstattung bei Aussendung) scheint mir nachösterlich zu sein, der Gruppenmessianismus (Stellvertretung Gottes, himmlische 12 Throne, Beschränkung auf Israel) ist m. E. nicht sicher belegbar (vgl. dazu auch: 2 der 12 Jüngern haben griechische Namen!).
Insgesamt bewege ich mich mit meiner Auslegung folglich im üblichen Rahmen (post)moderner Auslegungen.
3. Leiden
Das Reich Gottes ist schon dort angebrochen, wo Jesus heilt – faktisch oder in Form der heilsbringenden Gemeinschaft mit Gott. Die Leidensnachfolge ist nachösterliches Motiv der Urgemeinden; ihre Leidensdeutung dient der Leidensbewältigung.[71]
Ich teile sowohl die protestantische Ethik (Ablehnung mönchischer Asketik[72] wegen Rechtfertigung) also auch atheistische[73] Kritik am Christentum (Jenseitsvertröstung). Die Vermeidung von Leiden (z. B. durch naturwissenschaftliche Forschung in der Medizin) ist in meinen Augen ein erreichbares Ziel.[74]
IV. Homiletische Überlegungen
1. Allgemeine Lebensweltforschung
Während die herkömmlichen Schichten-/Klassen-/Standesmodelle sich an äußeren Merkmalen wie v.a. Beruf und Status orientieren, nehmen moderne Milieumodelle innere Merkmale in den Blick. Es zeigt sich eine Entwicklung vom Standesdenken (Beruf/Status begründet Beziehungen) zum Wertedenken.[lxxv]
a) Ästhetische Milieus (Schulze 1992)
Grundthese: Soziale Milieus bilden sich durch Beziehungswahl, die Beziehungswahl ist stark bestimmt vom Geschmack und Existenzverständnis. Diese Thesen wurden verifiziert per Umfragen (mündlich, schriftlich, Interview). Zugrunde liegt eine für Großstädte repräsentative Stichprobe mit 1014 Befragten (Nürnberger Raum).[lxxvi]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
b) Sinusmilieus (Nowak/Becker; Heidelberger Sinus Institut; seit 1979)
Grundthese: wie oben. Das Sinusmodell wurde für die Wirtschaft (Marketing) entwickelt. Die Modelle werden ständig angepasst, so daß die Anzahl und die Namen der Mileus öfters wechseln.[lxxvii] Überblick und Vergleich mit Schulze:[lxxviii]
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2. Milieus in der Kirche
Für die Kirche gibt es ebenfalls Milieumodelle. Ich habe hier zwei herausgegriffen, die auf o.g. Modelle rekurrieren. Danach stelle ich noch zwei Typisierungen vor.[lxxix]
a) Ästhetische Milieus in der Kirche (Ebertz 2003)
Ergebnis: Aktive Kirchenmitglieder kommen vor allem aus dem Harmoniemilieu und zum Teil aus dem Integrationsmilieu und Niveaumilieu.[lxxx]
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b) Sinus-Milieus in der Kirche (Schiess/Schwyter 2006)
Ergebnis: Es gibt Milieus, die nicht aktiv im Kirchenleben teilnehmen, die aber für kirchliche Anliegen offen sind.
[...]
[1] Mein Vater ist Pfarrer und mein Gottesbild somit von ihm wesentlich und in Hinblick auf das „Gottvater“-Bild doppelt geprägt!
[2] Der dynamische Gott kommt m. E. auch dem Postulat nach Allmacht näher als der statische Gott Könnte Gott sich nicht weiterentwickeln, wäre er nicht allmächtig. Das Postulat nach Allwissenheit steht dem nicht entgegen: „Ich weiss dass ich nichts weiss“ ist auch ein Wissen. Das Wissen um die Notwendigkeit der Suche nach Wissen ist also Teil der Allwissenheit.
[3] vgl. theologia gloriae vs. theologia crucis
[4] M. E. ist es notwendig zu Beginn jeder Exegese das eigene Vorverständnis transparent zu machen. Wegen der individuellen Fragestellungen und Vorverständnisse kommt es zu den verschiedensten Auslegungen; so auch z. B. von Soden, S. 50.
[5] Hierbei denke ich auch an die Wunder-Frage (neben Gleichnissen und Passion wesentliches biographisches Element). Ich habe mich damit noch nicht tiefer beschäftigt, allerdings drängt sich mir aus dem philosophischen Kontext der Theodizeefrage folgende Deutung der Wunder-Überlieferungen auf: Wunder (insbesondere Heilungen) nicht gegen physikalische Gesetze.
D.h. Jesus hat geheilt im dem er physikalische und psychologische Heilungsmöglichkeiten nutzte (z. B. Wärmetransfer, Psychotherapie, Placebo-Effekt) - sei es bewußt oder unbewußt. Ansonsten stellt sich nämlich die Frage, warum er nicht von sich aus alle Israeliten oder alle Menschen dieser Welt mit einem Schlag geheilt und von Leiden befreit hat, wenn er die Macht zur Brechung physikalischer Gesetze hat. Jede Verzögerung wäre moralisch anstößig und unverantwortlich. Ganz abgesehen davon, daß die Brechung physikalischer Gesetze unabsehbare Folgen im System nach sich ziehen und der no-better-world-defense (Gott hat die Welt als Beste erschaffen) entgegenlaufen würde.
Bei dieser Deutung wird es schwierig mit der „echten“ Auferstehung Jesu vom Tod, d.h. innerhalb der physikalischen Gesetze. Argumente für die Auferstehung Jesu sind die ungeklärte Leib-Seele-Frage (Physikalismus oder Substanzdualismus; vgl. Mathematik und Physik gehen von noch unbekannten Dimensionen aus!) sowie uns noch völlig verborgene naturwissenschaftliche Erkenntnisse („Schuldschein“-Argument): So wie zur Zeit Jesu z. B. Kernfusion unbekannt war, so gibt es auch heute Unentdecktes und damit Undenkbares (Analogie-Schema).
[6] Wobei ich zugeben muss, dass es nach obigen Argumentationen eng wird für eine physische leibliche Auferstehung. Hier greife ich gedanklich auf Science(!)-fiction zurück: In einer Folge der Serie „Raumschiff Enterprise“ (TNG) entwickelt sich eine humanoide Lebensform weiter zu einer energetischen Lebensform (und wird deswegen von den Machthabern des Planeten aus Angst verfolgt). Eine Anspielung auf Jesus ist in dieser Serie unverkennbar (die energetische Lebensform kann heilen). Ein solcher Entwicklungsprozess scheint im Rahmen der Evolutionstheorie (spontane Mutationen) und der Physik (Energieerhaltungsgrundsatz) nicht undenkbar.
[7] Absolute Prinzipientreue (wie sie aus der Perikope gelesen werden kann) ist für Prinzipienethiker natürlich ein hohes Ideal.
[8] Sei es von Personen (Eltern in der Pubertät) oder Werten.
[9] Begründungen: siehe unten
[10] Zur Verdeutlichung werden die Stellen „verdeutscht“.
[11] Mich verwundert, dass die meisten Kommentare ohne Begründung das folgende „Salz-Wort“ bei der Exegese mit hinzunehmen. M. E. ist weder semantisch (Wortfelder!) noch syntaktisch (Zerschlagung der Rahmung!) ein Zusammenhang zw. Lk 14,25-33 und Lk 14,34-35 offensichtlich.
[12] vgl. Lk-Prolog
[13] Zum Generationenkonflikt der ersten Christen: Malina, The Synoptic Gospels as Third Generation Phenomena, S. 72-74
[14] Kümmel, S. 85-91
[15] Schnelle, Einleitung, S. 289-291;
Gegenmeinung: Lk als vertrauenswürdiger Historiker, d.h. keine tiefgreifende Traditions-Umbildung oder gar Neubildungen. Grund: Fortführung der rabbinischen „Traditions-Tradition“. Die Bedürfnisse der Gemeinden werden gewaltsam in die synoptischen Texte hineingelesen (Riesner, S. 33-40).
[16] EKK III/2, S. 526
[17] EKK III/2, S. 529
[18] EKK III/2, S. 529
[19] vgl. Mineshige, S. 65 und Spr 24,3-6 (Weisheit die irh Haus klug baut und ihren Krieg wohl führt); Gegenmeinung: EKK III/2, S. 529 – Aber warum sollte eine Binsenweisheit ohne Anwendung tradiert werden? Bovon argumentiert mit weisheitlicher Lehre. Aber zu Jesu Zeit sind dies keine neuen Weisheiten (vgl. AT: Spr 24,3-4 und 24,5-6).
[20] Mineshige, S. 66ff (Die Frage ob es Lk dabei um radikalen oder nur teilweisen Besitzverzicht geht, kann hier offen bleiben)
[21] EKK III/2, S. 527
[22] TRE Kreuz S. 720, Mineshige, S. 65;
Gegenmeinungen:
a) EKK III/2, S. 526 – Aber: Gerade die Grafik S. 528 kann nicht überzeugen, da eben kein einheitliches Bild!
b) EKK I/2, S.144 – Aber: Eine Formelbildung durch die Urgemeinde ohne christologischen Bezug ist plausibel, weil mit der Metapher „sein eigenes Kreuz schleppen“ die eigenen Gemeindeglieder aufgefordert werden zu handeln (erdulden) und gleichzeitig das Kreuzesgeschehen bei den Gemeindegliedern (Insider-Wissen) mitschwingt. Der ethische Aspekt (erdulden) würde bei einer christologischen Formulierung wie z. B. „mein Kreuz tragen“ fehlen. D.h. gerade die Formel V26 ermöglicht two-in-one!
[23] EKK I/2, S. 489; vgl. unten
[24] Redaktionelle Arbeit des Lk wie die Lk-Vorgeschichte - vgl. Kümmel, S. 82-84; siehe auch sich selbst verleugnen bei EKK I/2, S. 489;
Mineshige, S. 64: Lk bewahrt mit hassen die Schärfe des Spruchs (hier steht m. E. aber eher ein bestimmtes Jesus-Bild im Hintergrund als sachliche Überlegungen; Mineshige schränkt seine Aussage durch Bezug auf hebräische komparative Bedeutung aber zugleich in einer Fußnote wieder ein!), sich selbst ist auch nach Mineshige ein Lk-Hinzufügung
[25] ThWNT IV, S. 687-698, insbesondere S. 692 Z.1 und S. 687 Z.28f
[26] Mineshige, S. 64
[27] EKK III/2, S. 535
[28] vgl. EKK III/3, S. 238
[29] Mk war in seiner Überlieferung redaktionell tätig: um des Evangeliums willen (vgl. Mk 1,1.15) und wegen den Verfolgungen; Lk lässt als Städter das Feld weg
[30] vgl. Mineshige, S. 72
[31] Mineshige, S. 66
[32] EKK I/2, S. 141; der/die PartnerIn fehlt bezeichnenderweise!
[33] EKK I/2, S. 141
[34] EKK I/2, S. 141
[35] EKK I/“
[36] EKK III/2, S. 548
[37] vgl. Theißen, S. 270ff
[38] vgl. Wenzelmann, S. 30f: Alternative Möglichkeit zur Sohnespflicht wäre Tagelöhner anzuwerben
[39] Wenzelmann, S. 21
[40] vgl. unten Überlegungen zum Verhältnis Gott-Mensch-Mitmensch;
Weitere Anmerkung: Die Verheißung von „Vielerlei in dieser Zeit“ (Lk 18,30) ist unkonkret. Mk führt sie ausdrücklich im Sinn einer neuen Familie, einem neuem Haus und einem neuen Feld aus. Dies kann auch bei Lk (und Mt) implizit unter Rekurs auf die Forderung gelesen werden. Ist mit der neuen Familie die Jesus-Bewegung gemeint? Diese war der Forderung nach aber gerade nicht seßhaft und mit fester weltlicher Arbeit ausgestattet. Ist die Verheißung allegorisch zu deuten? Dies würde einen etablierten Code zwischen Jesus und dem Gesprächspartner vorrausetzen. Bei Lk 18,29-30 par ist dies Petrus (in-group!). Damit kann die Verheißung allegorisch gedeutet werden: Die neue Familie ist die Jesus-Bewegung (das Haus der gemeinsame Auftrag, das Feld die Menschen).
[41] h. M. negiert diese, z. B. Wenzelmann, S. 23; Gegenmeinung: Theißen/Merz, S. 202
[42] Malina S. 9.139 und S.114-140
[43] Ob im harten Kontrast (Lk 14,26 hassen) oder in weicherer Färbung (semitischer Ursprung) ist hierfür belanglos.
[44] ThWNT IV, S. 417-464 insbesondere S. 448-458: Im Gegensatz zur rabbinischen Lehrer-Schüler-Beziehung keine temporäre Beziehung mit Ziel selbst Lehrer zu werden, sondern eher idelle und persönliche Verbundenheit mit Mithelfer- und Zeugencharakter.
[45] Es kann also dahingestellt bleiben, ob mit dem Messias-Titel auch das Element des endzeitlichen Lehrers verbunden war (vgl. Riesner, S. 298-352).
Im Gegensatz zu Riesner, S-437-452, hatte Jesus m. E. keine feste „Schule“ im institutionellen Sinn (keine Nennung oder deutliche Hinweise in den Evangelien oder Paulus-Briefen). Insbesondere Jesu Haus in Kapernaum war m. E. wenn, dann nur „Zwischenstation“. Auch ist angesichts der Naherwartung Jesu kein Interesse an Institutionenbildung während seiner Wirkungszeit ersichtlich. Von einem schulmäßigem Memorieren wie in festen, lokalen antiken Philosophen- oder Rhetorenschulen ist deswegen m. E. nicht auszugehen. Dies bringt weitreichende Konsequenzen für die Formkritik. Denn dann kann nicht angenommen werden, daß Jesu Worte über die Generationen quasi wortwörtlich überliefert seien (so Riesner, S. 33) - ganz abgesehen von den Taten Jesu.
[46] Wenzelmann, S. 19 (Simon und Andreas), evtl. auch Zöllner Matthäus (Levi?);
Gegenmeinung: Namensgebung auf hellenistischen Einfluß zurückzuführen (vgl. Riesner, S. 412-414)
[47] vgl. EKK I/2, S. 146; Der ursprüngliche Kontext von tun in Lk 8,19-21 par ist unklar - zumindest kann neben kollektiven Tun auch individuelles Tun vorkommen, m. E. steht aber die individuelle Handlung im Vordergrund und damit auch eine bewußte Entscheidung; Gegenmeinung: Wenzelmann, S. 26 – „Gehorsam als einzig mögliche, dem machtvollen [!] Ruf korresponierende Antwort“, d.h. unausweichliche Schicksals-Fügung statt bewußte Entscheidung
[48] Malina, S. 67-87
[49] Gegenmeinung: EKK III/2, S. 533 mit Rekurs auf Dt 33,9-10 (Familienlosigkeit der Leviten mit der Folge des göttlichen Schutzes). Hier ist aber nicht vom Tun die Rede.
[50] Selbst wenn man davon ausgeht, daß Jesus „ewige Werte“ verkündet hat, so muss man zur Kenntnis nehmen, daß faktisch bereits ein Wertewandel stattgefunden hat. Die Welt Jesu hatte eine völlig andere Wirtschafts-, Sozial- und Rechtsordnung als die modernen Industriegesellschaften. (Stegemann, Werte, S. 161-172)
[51] vgl. N. Reck in „Ehe – Norm christlichen Lebens?“ (Werkstatt Schwule Theologie Nr.2 Juni 1999): Es gibt nicht „die“ christliche Ehe - seit den Urgemeinden bis heute gab es ganz verschiedene Verständnisse von Ehe.
Ob Jesus selbst verheiratet war oder nicht ist unsicher. Contra verheiratet: Wäre in den Evangelien im Kontext der Ehefragen erwähnt worden (Roloff, Jesus, S. 68). Pro verheiratet: Nicht erwähnt, weil es damals für einen jüdischen Mann mit 30 Jahren selbstverständlich war (vgl. die zwölf Jünger, insbesondere Petrus der eine Schwiegermutter hatte, von dessen Frau wir aber explizit nichts in den Evangelien finden). Beide Argumentationslinien sind nahezu gleich wahrscheinlich.
[52] vgl. Malina
[53] Dies entspricht m. E. auch der Schöpfungsvorstellung von Gen 2,24 (Vater und Mutter verlassen und an seiner Frau hängen).
[54] So z. B. auch Wenzelmann, S. 45 und Stegemann, Werte, S. 169
[55] Bonhoeffer, Einband
[56] Bonhoeffer, S. 47f
[57] Bonhoeffer, S. 49f
[58] Bonhoeffer, S. 53
[59] Bonhoeffer, S. 43f
[60] Bonhoeffer, S. V
[61] Bonhoeffer, S. 21
[62] Bonhoeffer, S. 22
[63] Bonhoeffer, S. 24
[64] Bonhoeffer, S. 13
[65] Bonhoeffer, S. 20
[66] zumindest nicht wörtlich: vgl. Schmoller-Konkordanz
[67] Ich bin mir klar, dass ich aus meiner heutigen Perspektive leicht reden habe und ein Vergleich Bonhoeffers mit Hitler für protestantische Christen ersteinmal schwer zu verdauen ist. Doch ich habe den Eindruck, dass Bonhoeffer hier insoweit im Geist seiner Zeit gefangen ist, als er denselben (absoluten) Gehorsam fordert wie Hitler - nur eben für eine andere Sache.
[68] TRE Bd. 23 Nachfolge Jesu I
[69] Sehr überrascht hat mich, daß Befreiungstheologen die Deutung als Leidensnachfolge übernehmen. Grund: Römisch-katholische Prägung und somit keine bzw. kaum Literarkritik (van Ool, S. 183-189.347).
[70] Theißen/Merz, S. 198-203
[71] TRE Bd. 20 Leiden III
[72] Luthers biographisch bedingtes Kernthema - allgemein: „Werkgerechtigkeit“, d.h. gute Werke als „Bonuspunktprogramm für den Einlass in den Himmel“.
[73] vgl. Nitzsche, z. T. auch Feuerbach (Theologe!).
[74] Wenn diese Sicht unter Kulturprotestantismus subsumiert werden sollte, so führt dies nicht zum Ergebnis, daß dieser mit dem 1. Weltkrieg „widerlegt“ worden sei. Denn ebensowenig kann die Neo-Orthodoxie nur mit dem Hinweis auf den 2. Weltkrieg und die Schoa beiseite geschoben werden (wie z. B. manche feministische Theologien argumentieren: Theologie nach Ausschwitz). Ich denke es ist mehr als hinterfragbar, daß Kriegszeiten ein Indikator für „schlechte“ Theologien seien sollen.
[lxxv] Wikipedia: Sozialstruktur 20.06.2007
[lxxvi] Schulze, S. 277.282; folgender Überblick Schulze, S. 283-330.731-749. 279
[lxxvii] Wikipedia: Sinus-Milieu 20.06.2007
[lxxviii] Grafiken aus: Moeller, Grundzüge der Markenführung; Hinweis: Wegen dem Vergleich Sinus-Schulze wurden die Daten von 1990 herangezogen.
[lxxix] Modelle und Typen aus: Schiess/Schwyter, S. 4-18
[lxxx] vgl. Haberer, S. 16
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- Diplom-Verwaltungswirt (FH) Peter Schmidt (Autor:in), 2007, Seminarpredigt über Lk 14, 25-33, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/139418