Gorbatschow und die deutsch-sowjetischen Beziehungen am Vorabend der Wiedervereinigung


Hausarbeit (Hauptseminar), 2009

25 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Literatur und Quellenlage

3. Die Ausgangslage

4. Von Breschnew zum neuen Pragmatismus

5. Deutsch-sowjetische Beziehungen
5.1.Gorbatschow und Kohl
5.2. Gorbatschow und Honecker
5.3. Gorbatschow in Berlin und der Sturz Honeckers

6. Fazit

7. Literatur- und Quellenverzeichnis

1. Einleitung

Als Michail Sergejewitsch Gorbatschow 1985 mit 54 Jahren zum Generalsekretär der KPdSU in der Sowjetunion gewählt wurde, konnte niemand die Tragweite seiner Reformen abschätzen. Für den deutschen Einigungsprozess kommt ihm eine besondere Rolle zu, da erst durch seine Entscheidungen oder auch Enthaltungen der Weg zur Einheit möglich war.

Zu den Populärsten Knotenpunkten der Politik von Gorbatschow zählen ohne Zweifel Glasnost und Perestroika. Das damit verbundene Reformkonzept sollte einen Beitrag zur Stabilität und Fortschrittlichkeit der UdSSR leisten. Offenheit und Umgestaltung, so die deutsche Übersetzung, sollte auch ein Leitfaden für die DDR ergeben, doch der Umgestaltungswille in Ost-Berlin konnte sich nicht festigen. Dagegen stießen die Signale aus Moskau in Bonn gegen Ende der 80er Jahre auf fruchtbaren Boden, was die bilateralen Beziehungen enorm verstärkte. Die Folge war eine Abwendung von der DDR hin zur BRD. Während in Ost-Berlin am status quo festgehalten und auf die alten Leitlinien geschworen wurden, veränderten sich die Verhältnisse zwischen Moskau und Bonn, deren Höhepunkt der Besuch des Generalsekretärs in der deutschen Hauptstadt war. Dieses Novum in der Geschichte der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion kann als erste Etappe zur Wiederherstellung der deutschen Einheit betrachtet werden.

Sehr sorgfältig wurden die Gespräche zwischen Gorbatschow und Kohl von Honecker verfolgt, der immer wieder versuchte den obersten Sowjet in die alten Bahnen zu lenken und sich vehement gegen den Klassenfeind aussprach. Gorbatschow aber erkannte das Potential der Bundesrepublik und versuchte seinen Reformkurs fortzuführen. Das Verhältnis zwischen DDR und der Sowjetunion spitzte sich zu und musste nun neu bewertet werden.

Diese Ambivalenz im Verhältnis der deutsch-sowjetischen Beziehungen soll den Hauptteil der vorliegenden Arbeit ausmachen. Nach einer kurzen Einführung in die Quellenlage, wird versucht werden die Situation zu skizzieren in der sich die DDR vornehmlich befand. Das Abrücken von der Breschnew-Doktrin und die damit verbundene Glaubwürdigkeit der UdSSR bilden ein weiteres Kapitel, um deutlich zu machen welchen Möglichkeiten damit die Tür geöffnet wurden. Die Besuche von Gorbatschow in Bonn und Ost-Berlin bilden schließlich den Kernpunkt der Arbeit.

2. Literatur und Quellenlage

Im Gegensatz zu anderen Themen der internationalen Politik, gibt es 20 Jahre nach der Wiedervereinigung eine wahre Flut von Publikationen. Was darüber hinaus auffällt sind vor allem die Ausführungen von noch lebenden Protagonisten. Dies ist insofern spannend, da die Möglichkeit besteht Sachverhalte aus beidseitiger Perspektive und Distanz anzuschauen, sollte der ehemalige Dualismus der Großmächte als einfache Unterteilung angenommen werden. Es stehen sich somit in der Wissenschaft nicht mehr Sieger und Besiegte gegenüber, sondern Protagonisten, die gewisse Umstände anders bewerten als ihre einstigen Widersacher.

In Deutschland wurden in dieser Hinsicht vom Bundeskanzleramt unter der Regierung Kohl, weit vor dem üblichen Ablauf der Sperrfristen die Archive des Bundeskanzleramtes für zwei Forschungsprojekte geöffnet. Die zentralen Quellen aus dem Zeitraum Mai 1989 bis Oktober 1990 wurden frei gegeben, wobei vor allem für dieses Thema die Verhandlungen des Kanzlers mit dem KPdSU Sekretär Michael Gorbatschow von Bedeutung sind. Entstanden sind daraus eine Sonderedition „Deutsche Einheit“[1] und eine vierbändige Edition zur „Geschichte der Deutschen Einheit“[2], die allesamt einen Einblick hinter die Kulissen gewährleisten.

Auf der anderen Seite stehen dem beispielsweise „Das Neue Denken“[3] von Michael Gorbatschow und „Meine Wahl“[4] von Edward Schewardnadse gegenüber. Zu nennen wären in diesem Punkt auch noch die letzten schriftlichen Aufzeichnungen von Erich Honecker[5] aus dem BRD Besuch von 1987.

Da es wie oben schon angedeutet eine riesige Auswahl, vor allem an Sekundärliteratur gibt, möchte ich hier nur auf das Buch von Andreas Rödder verweisen, der aus einer Distanz von nahezu 20 Jahren schreibt und viele Mythen über die Einheit geschickt zu entzaubern versteht.[6]

3. Die Ausgangslage

Die Beziehungen zwischen den beiden Deutschen Staaten haben stets und oft empfindlich auf die geringsten Veränderungen im weltpolitischen Klima des Dualismus zwischen USA und der UdSSR reagiert. Die Grenze zwischen BRD und DDR war absolut gesehen die Grenze der Systeme und beide Staaten standen unter dem Einfluss ihrer Großmächte. Diese unmittelbare Konfrontation zweier entgegengesetzter Ideologien, die Bewaffnung, welche für den Ernstfall vorgesehen waren einerseits, sowie das gemeinsame kulturelle Erbe, die fehlenden Sprachbarrieren und die zahlreichen familiären Verbindungen zwischen Ost- und Westdeutschland andererseits, zeigen welches besondere Verhältnis dem geteilten Deutschland zugestanden werden müssen.[7]

Um der Frage nachzugehen, welche Faktoren nun dazu führten, dass es in der DDR 1989 zu einer Revolution kam, müssen verschiedene Erklärungsmodelle zu Hilfe genommen werden. Ein Ansatz beschreibt die Unsicherheit über die Position der UdSSR in Erinnerung an die Niederschlagung des Arbeiteraufstandes von 1953, wonach die Macht der SED in letzter Konsequenz auf sowjetischen Bajonetten ruhte[8]. Es war demnach nicht vorhersehbar wie und mit welchen Mitteln Gorbatschow reagieren würde, wenn ein Staat des RGW seine eigenen Absichten verwirklichen wollte. Die geostrategische Lage der DDR, „als Perle in der Krone des sowjetischen Imperiums“[9], war für das sowjetische System von größter Bedeutung und unschätzbarem Wert. Aber Moskau war mit dem Umwandlungsprozess und Reformbestrebungen von Glasnost und Perestroika beschäftigt und hatte nicht mehr die Kraft des einstigen weltbestimmenden Riesen vorzuweisen. Den Versprechungen nach den ersten Jahren der Politik von Gorbatschow stand die harte Realität des sowjetischen Alltags gegenüber. Tatsächlich konnte keine spürbare Verbesserung der Verhältnisse festgestellt werden, wobei die steigenden Preise in der Sowjetunion die Perestroika zunehmend unglaubwürdiger erscheinen ließen.[10]

Bis zu diesem Zeitpunkt war es der UdSSR gelungen sich unter der Ideologie des Kommunismus seit 1917 ständig zu modernisieren. In vielen Bereichen, wie der Raumfahrt oder im Militär, konnte die UdSSR zur Weltspitze aufsteigen, obwohl diese Bestrebungen mit hohen Kosten und humanitären Katastrophen verbunden waren.[11] Die Wissenschaft stand freilich unter dem Banner einer marxistisch-leninistische Weltanschauung, sodass die Geistes- und Sozialwissenschaften immer mit Tabus belegt und technische Erfindungen bevorzugt wurden.

Dennoch kommt Klaus Segbers zu dem Schluss, dass die Sowjetrepublik für die meisten Menschen ein Fortschritt war, der selbst von der Bevölkerung mit einem nicht nur vorgetäuschten Sowjetpatriotismus begleitet wurde.[12]

Die strikte Weigerung der UdSSR, sich nicht in den Machtbereich der DDR einzumischen, führte allerdings zu einem Machtverlust auf Seiten der SED und bestärkte die Oppositionsbewegung in der DDR um ein Vielfaches.[13] Als die Bevölkerung zudem wiedererwartend erkennen musste, dass sich die DDR selbst den Reformbestrebungen von Glasnost und Perestroika des großen „Bruders Sowjetunion“ nicht anschließen werde, begann sich das Legitimitätsdefizit der DDR-Regierung noch auszuweiten.[14] Es verstärkte einerseits das Abwenden von jeglicher Politik, andererseits kam es immer mehr zu Protestgruppen, die sich oft im Umfeld der evangelischen Kirche wiederfanden.

Die Ursachen für den Protest sind in einer Zweiklassengesellschaft zu suchen. Im Ostblock hatte sich DDR die im Vergleich zu Polen oder Rumänien auf einigen Gebieten etablieren können, im Vergleich zur Bundesrepublik mussten die DDR-Bürger jedoch feststellen, dass ihre Mark viel weniger wert war. Spürbar wurde dieser Umstand besonders im sozialistischen Ausland zur Urlaubszeit. Dort trafen Westdeutsche Urlauber auf Ostdeutsche FDGB Reisende, die nun ihre wirtschaftlichen Verhältnisse vergleichen konnten.

Die reichhaltige und immer vorhandene Produktpalette im Westen, die jedem DDR-Bürger qualitativ überlegen schien, sowie das unterdrückte Freiheitsbedürfnis einer eingesperrten Nation, ließen selbst dem noch so überzeugtesten DDR-Systematiker am eigenem System zweifeln.

Die Ursprünge dieser schleichenden Krise umfassten ausnahmslos alle Strukturen des gesellschaftlichen Lebens, wobei ein immanenter Grundkonsens in der Bevölkerung bestand, dass die derzeitige Regierung der DDR die vorhandenen Probleme über kurz oder lang nicht zu lösen vermochte. Der oft propagierte Arbeiter und Bauernstaat auf deutschem Boden hatte sein Vertrauen bei eben jenen Klassen verspielt, für die er vorgab da zu sein.[15] Ohne aber diesen Grundkonsens der in der Bevölkerung immanent vorhanden war, wäre eine friedliche Revolution wohl schwer vorstellbar gewesen.

4. Von Breschnew zum neuen Pragmatismus

Am 12. November 1968 verkündete der damalige Staatschef Leonid Breschnew auf dem 5. Parteitag der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei seine Vorstellung bezüglich der Souveränität der sozialistischen Staaten. Er geht dabei von einer beschränkten Souveränität der Satellitenstaaten der UdSSR aus, mit der Maßgabe in jene Staaten eingreifen zu können, wenn der dortige Sozialismus bedroht sein würde.

Mit dieser Doktrin wurde nachträglich der Einmarsch in die Tschechoslowakei 1968 und die Militärintervention in Afghanistan 1979 gerechtfertigt.[16]

Seit dem Machtantritt von Gorbatschow rückte die UdSSR jedoch immer mehr von der Breschnew-Doktrin ab, wobei es keinen klaren Schnitt gegeben hat und manche Satellitenstaaten den Wechsel nicht als solchen hinnehmen wollten. Als erste große Reaktion in Bezug auf die Abkehr, kann die Rede Gorbatschows auf dem XXVII. Parteitag der KPdSU gewertet werden.[17] Die Indizien welche sich schon seit 1985 angedeutet haben, müssen hierbei immer unter der Möglichkeit zur Ambiguität gesehen werden, da auch oft interne Besprechungen nicht mit den offiziellen abgedruckten identisch waren.

In seiner Parteitagsrede wurden die Forderungen nach einer direkten Demokratie innerhalb des politischen Systems bei gleichzeitiger Beibehaltung des Regimes der Bürokratie sowie radikale Reformen in Wirtschaft und Gesellschaft betont. Das bedeutende an der Rede von Gorbatschows ist ihre Direktheit mit der er für seine Vorhaben Anhänger gesucht hat. In den folgenden Jahren zeigt sich dann auch wie ernst es der sowjetische Staatschef mit seinen Ideen von Glasnost und Perestroika gemeint hat. Schon kurz nach der Unterzeichnung des KVAE-Dokuments[18] am 19. September 1986, gab Gorbatschow intern den RGW-Mitgliedsstaaten bekannt, welche Perspektive diese zu erwarten hatten:

[...]


[1] Dokumente zur Deutschlandpolitik. Deutsche Einheit Sonderedition aus den Akten des Bundeskanzleramtes 1989/90. Bearbeitet von Hanns Jürgen Küsters und Daniel Hofmann. Wissenschaftliche Leitung Klaus Hildebrand, Hans-Peter Schwarz, München 1998.

[2] Geschichte der deutschen Einheit in vier Bänden: Band 1, Karl-Rudolf Korte: Deutschlandpolitik in Helmut Kohls Kanzlerschaft, Band 2, Dieter Grosser: Das Wagnis der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, Band 3, Wolfgang Jäger: Die Überwindung der Teilung, Band 4, Werner Weidenfeld: Aussenpolitik für die Deutsche Einheit, Stuttgart 1998.

[3] Michael Gorbatschow: Erinnerungen, Berlin 1995.

[4] Eduard Schewardnadse: Meine Wahl, Moskau 1991.

[5] E. Honecker: Moabiter Notizen. Letztes schriftliches Zeugnis und Gesprächsprotokolle vom BRD-Besuch 1987 aus dem persönlichen Besitz Erich Honeckers. Berlin 1994.

[6] Andreas Rödder: Deutschland einig Vaterland: Die Geschichte der Wiedervereinigung, München 2009.

[7] Vgl. Nikolai Pawlow: Die deutsche Vereinigung aus sowjet-russischer Perspektive, Frankfurt am Main, 1996.

[8] Vgl. Stefan Wolle: Der Weg in den Zusammenbruch. Die DDR vom Januar bis zum Oktober 1989, in: Eckhard Jesse / Armin Mitter (Hrsg.): Die Gestaltung der deutschen Einheit . Geschichte – Politik – Gesellschaft, Berlin 1992, S. 78.

[9] Georgie Schachnasarow: Preis der Freiheit. Eine Bilanz von Gorbatschows Berater, Bonn 1996, S. 135.

[10] Vgl. Hans Henning Schröder: Sowjetische Rüstungs- und Sicherheitspolitik zwischen >>Stagnation<< und <<Perestrojka>>. Eine Untersuchung der Wechselbeziehung von auswärtiger Politik und innerem Wandel in der UdSSR (1979-1991), S. 165.

[11] Vgl. Andreas Rödder: Deutschland einig Vaterland, S. 18f.

[12] Vgl. Klaus Segbers: Was ist eigentlich „perestrojka“? in: Wolfgang Schwegler-Rohmeis / Klaus Segbers (Hrsg.): Perestrojka passé? Eine Zwischenbilanz, Oppladen 1992, S. 11.

[13] Vgl. Andreas Rödder: Deutschland einig Vaterland, S. 62f.

[14] Vgl. Thomas Rüdiger: DDR: Politisches System, in: Werner Weidenfeld / Karl-Rudolf Korte: Handbuch zur deutschen Einheit, Frankfurt am Main 1993, S. 120.

[15] Vgl. Nikolai Pawlow, Die deutsche Vereinigung aus sowjet-russischer Perspektive S. 53.

[16] Vgl. Wolfgang Seiffert: Abschied von der Weltrevolution. Das Ende des Stalinismus und die Zukunft Europas, Wien 1989, S. 67.

[17] Michail Gorbatschow: Gorbatschow. Die wichtigsten Reden, herausgegeben von Dietrich Busch, Köln 1987, S. 25-162.

[18] Der Vertrag über Vertrauensbildung und Abrüstung in Europa

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Gorbatschow und die deutsch-sowjetischen Beziehungen am Vorabend der Wiedervereinigung
Hochschule
Technische Universität Chemnitz  (Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Deutsche Einheit
Note
1
Autor
Jahr
2009
Seiten
25
Katalognummer
V139470
ISBN (eBook)
9783640494194
ISBN (Buch)
9783640493913
Dateigröße
576 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gorbatschow, Wiedervereinigung, UdSSR
Arbeit zitieren
Norman Giolbas (Autor:in), 2009, Gorbatschow und die deutsch-sowjetischen Beziehungen am Vorabend der Wiedervereinigung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/139470

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