Viele politische Entscheidungen wurden in der jungen Bundesrepublik bis in die 1970er-Jahre immer wieder in Frage gestellt und diskutiert. Doch kaum eine unter ihnen führte zu so konfliktreichen und kontroversen Situationen im innenpolitischen und gesellschaftlichen Bereich wie der NATO-Doppelbeschluss vom Dezember 1979. Das Programm wurde als Reaktion auf die Aufrüstung der Sowjetunion und dem damit entstandenen militärischen Kräfteungleichgewicht zwischen Ost und West aufgestellt. Das Ultimatum an die östliche Weltmacht sah eine Modernisierung und Verstärkung der nuklearen Systeme in Westeuropa und vor allem in Deutschland vor, falls die UdSSR nicht auf die Abrüstungsverhandlungen einging.
Innerhalb der deutschen Gesellschaft entstanden daraufhin starke Proteste. Die seit Mitte der 1950er-Jahre in den Abgrund versunkene Friedensbewegung erstarkte aus Angst vor einem Atomkrieg auf deutschem Boden. Man protestierte gegen den fortschreitenden Rüstungswettlauf und forderte eine Reduzierung der Nuklearwaffen auf beiden Seiten. Der Gedanke an einen nuklearen Overkill ließ viele Menschen in der Bundesrepublik erschrecken. Auch innerhalb der eigenen Partei des deutschen Bundeskanzlers stieg die Kritik am Vorhaben des NATO-Doppelbeschlusses. Helmut Schmidt hielt aber an seiner Strategie des Gleichgewichts fest, unterstütze weiterhin die Entwicklung des Doppelbeschlusses und stieß dabei immer öfter auf rege Kritik. Dass Schmidt den Beschluss befürwortete und ihn scheinbar in seiner Londoner IISS-Rede vorformulierte, war für viele Menschen und Politiker unverständlich. Für sie waren die Forderungen Schmidts inakzeptabel vor dem Hintergrund, der u. a. von Willy Brandt kurz zuvor eingeleiteten Entspannungspolitik und den Abrüstungsverhandlungen SALT ab 1972. Die Meinung verbreitete sich schnell, dass er mit dieser Aktion Brandts politische Erfolge zu nichte machte.
Die Meinungsspaltung innerhalb Deutschlands und der SPD, die nachlassende Unterstützung der Parteibasis und der Ablehnungen des Kanzlers sich dem Willen der Mehrheit des deutschen Volkes und der Partei zu beugen, leitete schließlich das Ende der sozialliberalen Koalition und den Beginn der Ära Kohl ein. Unter Helmut Kohl wurde der NATO-Doppelbeschluss dann in die Realität umgesetzt.
Inhaltsverzeichnis
1. Der NATO-Doppelbeschluss spaltet die deutsche Meinung – Eine Einleitung
2. Vorausgehende Verträge: SALT I und SALT II
3. Die Entstehungsphase des NATO-Doppelbeschlusses
3.1 Die IISS-Rede Helmut Schmidts in London am 28. Oktober 1977
3.2 Innenpolitische Dimensionen des Doppelbeschlusses für die Bundesrepublik
4. Der NATO-Doppelbeschluss
4.1. Doppelter Beschluss mit doppeltem Missverständnis
4.2. Auswirkungen auf die deutsche Gesellschaft – Die Friedensbewegung
5. Der Anfang vom Ende des Ost-West-Konflikts – INF-Vertrag
6. Letztlich doch die richtige Entscheidung? – Resümee
7. Literaturverzeichnis
1. Der NATO-Doppelbeschluss spaltet die deutsche Meinung – Eine Einleitung
Viele politische Entscheidungen wurden in der jungen Bundesrepublik bis in die 1970er-Jahre immer wieder in Frage gestellt und diskutiert. Doch kaum eine unter ihnen führte zu so konfliktreichen und kontroversen Situationen im innenpolitischen und gesellschaftlichen Bereich wie der NATO-Doppelbeschluss vom Dezember 1979. Das Programm wurde als Reaktion auf die Aufrüstung der Sowjetunion und dem damit entstandenen militärischen Kräfteungleichgewicht zwischen Ost und West aufgestellt. Das Ultimatum an die östliche Weltmacht sah eine Modernisierung und Verstärkung der nuklearen Systeme in Westeuropa und vor allem in Deutschland vor, falls die UdSSR nicht auf die Abrüstungsverhandlungen einging.
Innerhalb der deutschen Gesellschaft entstanden daraufhin starke Proteste. Die seit Mitte der 1950er-Jahre in den Abgrund versunkene Friedensbewegung erstarkte aus Angst vor einem Atomkrieg auf deutschem Boden. Man protestierte gegen den fortschreitenden Rüstungswettlauf und forderte eine Reduzierung der Nuklearwaffen auf beiden Seiten. Der Gedanke an einen nuklearen Overkill[1] ließ viele Menschen in der Bundesrepublik erschrecken. Auch innerhalb der eigenen Partei des deutschen Bundeskanzlers stieg die Kritik am Vorhaben des NATO-Doppelbeschlusses. Helmut Schmidt hielt aber an seiner Strategie des Gleichgewichts fest, unterstütze weiterhin die Entwicklung des Doppelbeschlusses und stieß dabei immer öfter auf rege Kritik. Dass Schmidt den Beschluss befürwortete und ihn scheinbar in seiner Londoner IISS-Rede[2] vorformulierte, war für viele Menschen und Politiker unverständlich. Für sie waren die Forderungen Schmidts inakzeptabel vor dem Hintergrund, der u. a. von Willy Brandt kurz zuvor eingeleiteten Entspannungspolitik und den Abrüstungsverhandlungen SALT ab 1972. Die Meinung verbreitete sich schnell, dass er mit dieser Aktion Brandts politische Erfolge zu nichte machte.
Der SPD-Politiker Egon Bahr drückte in seinem Artikel „Ist die Menschheit dabei, verrückt zu werden?“ in der Zeitschrift „Vorwärts“ 1977 stellvertretend die Ängste und Sorgen der Deutschen aus, die die europäische Aufrüstung hervorbrachten, indem er die Nuklearwaffen als „Perversion menschlichen Denkens“ bezeichnete. Damit wurde Schmidt immer mehr unter Druck gesetzt, sich dem NATO-Doppelbeschluss nicht anzuschließen und somit eine Stationierung von Nuklearwaffen auf deutschem Boden zu verhindern.
Die Meinungsspaltung innerhalb Deutschlands und der SPD, die nachlassende Unterstützung der Parteibasis und der Ablehnungen des Kanzlers sich dem Willen der Mehrheit des deutschen Volkes und der Partei zu beugen, leitete schließlich das Ende der sozialliberalen Koalition und den Beginn der Ära Kohl ein. Unter Helmut Kohl wurde der NATO-Doppelbeschluss dann in die Realität umgesetzt.
Aufgrund der Komplexität der Themen rund um den NATO-Doppelbeschluss, werden nur einige Teilbereiche und nicht die gesamte Diskussion des Mitwirkens der deutschen Bundesregierung zum Beschluss in dieser Hausarbeit bearbeitet. Dabei werde ich Entwicklungen, die dem Doppelbeschluss unmittelbar vorausgingen näher behandeln, zu denen die SALT-Verhandlungen genauso wie die IISS-Rede Helmut Schmidts zählen.
Welche Auswirkungen die Verhandlungen und die Durchführungen des Beschlusses auf die deutsche Innenpolitik hatten sowie die Auseinandersetzungen in der SPD, denen sich Schmidt konfrontiert sah, behandele ich nachfolgend. Ebenso wie die Entwicklungen, die zur schlussendlichen Verabschiedung des NATO-Doppelbeschlusses führten. Darauf den Beschluss selbst, dessen Inhalt, die Folgen auf die Gesellschaft mit dem Erstarken der Friedensbewegung und inwiefern Helmut Schmidt und die Bundesregierung dafür verantwortlich waren. Beschließend behandle ich den Nachfolger des NATO-Doppelbeschlusses, den INF-Vertrag.
2. Vorausgehende Verträge: SALTIund SALTII
Da der doppelte Beschluss der NATO natürlich nicht der erste Vertrag zur Regelung der Rüstung zwischen den USA und der Sowjetunion war, werden nun die im engen Zusammenhang mit dem Beschluss und unmittelbar vorausgehenden bzw. partiell überschneidenden SALT-Verträge kurz erläutert:
SALT (S trategic A rms L imitation T alks): Die Gespräche über die Begrenzung strategischer Waffen bezeichnen die bilateralen Verhandlungen zwischen den USA und der Sowjetunion über die Reduzierung und Begrenzung strategischer Offensivwaffen. Die Verhandlungen führten zu zwei Abkommen und einiger informeller Vereinbarungen. Im November 1969 wurden die SALTI– Verträge aufgenommen und am 26. Mai 1972 in Moskau beschlossen. Sie bestanden aus dem ABM[3] – Vertrag und dem Interimsabkommen. Dabei traf man Vereinbarungen über Höchstgrenzen für weitere Aufrüstungen und Modernisierungen von Massenvernichtungswaffen beider Vertragsstaaten. Im September 1972 wurden dann die SALTII– Gespräche aufgenommen, zu deren Abschluss man am 18. Juni 1979 kam. Das dazu zählenden Wladiwostok-Abkommen legte die Verringerung der Höchstzahl der beiderseitig erlaubten verschiedenen Fernwaffen fest und beschränkte die Menge der Raketenwaffen mit Mehrfachsprengköpfen. Einige Waffenkategorien wurden bei den gegenseitigen Rüstungskontrollen aber nicht berücksichtigt. Diese „Lücken“ in den Verträgen nutzten beide Seiten zur Entwicklung und Stationierung neuer Waffentypen aus, sodass das erhebliche Misstrauen zwischen den USA und der UdSSR bestehen blieb.
SALTIIwurde daraufhin als Reaktion auf den Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan im Dezember 1979 durch den amerikanischen Kongress auf Bitten von Präsident Jimmy Carter nicht ratifiziert. Die Ost-West-Beziehungen erreichen einen neuen Tiefpunkt.
3. Die Entstehungsphase des NATO-Doppelbeschlusses
Für den Entscheidungsprozess des NATO-Doppelbeschlusses ist es wichtig zu betrachten, warum das Kräfteungleichgewicht zwischen der NATO und dem Warschauer Pakt überhaupt entstanden ist.
Mitte der 1950er-Jahre stationierten die USA provisorische Kurz- und Mittelstreckenraketen in Europa, die das Gebiet des Ostblocks erreichen konnten. Dies galt zur Überbrückung der Zeit bis zur endgültigen Entwicklung der Interkontinentalraketen, die dann auch genauere Ziele in der Sowjetunion treffen sollten. Als diese Pläne Mitte der 1960er-Jahre in die Tat umgesetzt wurden, zogen die USA die kurz zuvor aufgestellten Mittelstreckenraketen sofort wieder ein, sodass die NATO ihre neuen Interkontinentalraketen ohne weiteres aufstellen konnte. Aufgrund dessen gründete die Sowjetunion das Militärbündnis Warschauer Pakt und rüstete ebenfalls auf. Sie stoppte die Aufrüstung jedoch nicht als das strategische Waffengleichgewicht mit den USA wieder hergestellt war. Ganz im Gegenteil: Ein regelrechtes Wettrüsten begann, denn anstatt „nur“ aufzurüsten, modernisierten sie ihre SS-4- und SS-5-Geschosse bzw. ersetzten diese durch weitaus zerstörungsfähigere SS-20-Raketen, mit bei weitem größerer Treffsicherheit. Eine solche Handlung der Sowjetunion war trotz der 1979 ratifizierten SALTII– Verträge möglich, weil diese zu den eurostrategischen Waffen zählenden Raketen nicht in den Verträgen eingeschlossen waren. Die Forderungen Westeuropas nach dem Einbezug eurostrategischer Waffen in die SALT – Verträge wurde zuvor nicht berücksichtigt. Im Zusammenhang mit dem „Backfire – Bomber“ waren dies „Waffensysteme, denen die NATO nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen hatte.“[4] Somit entstand das starke Kräfteübergewicht der UdSSR. Die Phase der Entspannung zwischen den Supermächten war seit dem endgültig vorbei.
[...]
[1] Das Vernichtungspotential, das im Laufe des nuklearen Wettrüstens angesammelt wurde und in der Lage war den Gegner mehrfach vollständig zu vernichten.
[2] Rede von Helmut Schmidt am 28. Oktober 1977 vor dem Internationalen Institut für Strategische Studien (IISS) in London
[3] A nti- B allistic M issile Treaty (Antiraketen-Vertrag)
[4] Notz, Anton: Die SPD und der NATO-Doppelbeschluss. Abkehr von einer Sicherheitspolitik der Vernunft, Nomos Universitätsschriften: Politik, Band 4, Baden-Baden 1990, S. 13
- Arbeit zitieren
- Julia Krüger (Autor:in), 2007, Die Bundesrepublik Deutschland und der NATO-Doppelbeschluss, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/139494