Beim biologischen Struktur- und Gestaltaufbau spielt Emergenz eine übergeordnete Rolle. Muster- und Gestaltentstehung erfolgt in einem räumlich - zeitlich verschachtelten Prozess der evolutiven Entwicklung von Generation zu Generation und einem Vorgang der ontogenetischen Individualentwicklung. Wesen verfügen über ein in evolutiver Optimierung entstandenes, fein abgestimmtes Binnenmilieu. Die rezente Forschung der BIONIC RESEARCH UNIT der Beuth-Hochschule für Technik Berlin behandelt computerbasierte, algorithmische Kalküle für die Modellierung biologischer Musterbildung mit innerer Selektion auf der Grundlage der Theorie einer Musterentstehung mit Diffusions-Differentialgleichungen.
Die Simulation biologischer Muster- und Gestaltentstehung in mathematischen und numerischen Modellen kann dazu beitragen, die Entstehung morphologischer Strukturen zu verstehen und der Übertragung von Prinzipien der belebten Natur in Technik dienen. Der vorliegende Aufsatz erklärt den evolutionsbiologistischen Ansatz einer Genese simulierenden Transformation zum Einsatz in Optimierungsstrategien.
Abstract. Beim biologischen Struktur- und Gestaltaufbau spielt Emergenz eine übergeordnete Rolle. Muster- und Gestaltentstehung erfolgt in einem räumlich - zeitlich verschachtelten Prozess der evolutiven Entwicklung von Generation zu Generation und einem Vorgang der ontogenetischen Individualentwicklung. Wesen verfügen über ein in evolutiver Optimierung entstandenes, fein abgestimmtes Binnenmilieu. Die rezente Forschung der BIONIC RESEARCH UNIT der Beuth-Hochschule für Technik Berlin behandelt computerbasierte, algorithmische Kalküle für die Modellierung biologischer Musterbildung mit innerer Selektion auf der Grundlage der Theorie einer Musterentstehung mit Diffusions-Differentialgleichungen.
Die Simulation biologischer Muster- und Gestaltentstehung in mathematischen und numerischen Modellen kann dazu beitragen, die Entstehung morphologischer Strukturen zu verstehen und der Übertragung von Prinzipien der belebten Natur in Technik dienen. Der vorliegende Aufsatz erklärt den evolutions-biologistischen Ansatz einer Genese simulierenden Transformation zum Einsatz in Optimierungs- strategien.
Vorüberlegungen zur biologischen Muster- und Gestaltentstehung.
In den Jahrmillionen der biologischen Evolution hat die belebte Natur eine erstaunliche Vielfalt von Mustern, Formen und Gestalt hervorgebracht. Die Vorgänge des Aufbaus und die des Vergehens von Struktur, des Wesens und Verwesens erfolgt in einem räumlich - zeitlich verwoben und verschachtelten Prozess der (vertikalen) evolutiven Entwicklung von Generation zu Generation und einem (horizontalen) Prozess der ontogenetischen Individualentwicklung. Die Entwicklung eines Lebewesens wird dabei als die Gesamtheit aller Prozesse des Form- und Funktionswechsels im Lebenszyklus eines vielzelligen Organismus angesehen. Von grundlegender Bedeutung bei der Individualentwicklung von Lebewesen sind Prozesse des Wachstums und der Differenzierung. Beim biologischen Struktur- und Gestaltaufbau spielen emergente Prozesse, das Auftauchen neuer Qualitäten eine übergeordnete Rolle. Emergenz gründet auf hierarchisch angeordneten Struktur- und Entwicklungsstufen. Die komplexe Struktur biologischer Systeme wird in jedem Generationenzyklus neu aufgebaut, dabei entstehen räumliche Verteilungen von Substanzen, die als Signalstoffe Prozesse des Wachstums und der Differenzierung lokal steuern. Die Organisation jener örtlich verteilten lokalen Signale, die eine ortsabhängige Zelldifferenzierung bewirken, sind als sich räumlich-zeitlich verändernde dreidimensionale Muster von Stoffkonzentrationen darstellbar. Kennzeichnend für biologischen Gestaltaufbau ist der Unstand, dass Inhomogenitäten in der Stoffverteilung aus gleichmäßig verteilten Ausgangsmustern entstehen können. Stoffliche Gradienten beeinflussen den Differenzierungsprozess einzelner Zellen, bzw. Zellen in einem Zellverband und basieren auf der Wechselwirkung von Molekülen. Eine hohe Stoffkonzentration an einer Stelle in einem sich entwickelnden Gewebes kann dabei als ein Signal dienen, die Anzahl, Position und Abstand von Differenzierungsereignissen zu bestimmen.
Mathematische Modelle der Musterbildung
Die Erforschung der chemischen und informationellen Zusammenhänge während des biologischen Gestaltaufbaus waren Motiv und Anlass, die komplexen Geschehnisse in handhabbaren Modellen abzubilden um mit diesen Instrumenten die Prinzipien der Natur zu entschlüsseln. Alan Turing [Tur-52] erkannte schon vor der Verfügbarkeit erster Elektronenrechner die Wichtigkeit der numerischen Simulation von biologischen Muster- und Gestaltbildungsvorgängen. Als grundlegend auf dem Gebiet der Analyse der biologischen Musterbildung und ihrer Simulation mit Computerprogrammen sind die Arbeiten von Hans Meinhardt und Alfred Gierer anzusehen. Sie entwarfen in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts Modelle der biologischen Musterentstehung auf der Basis von Diffusionsgleichungen für den nichtstationären Fall. Meinhardt und Gierer entwickelten eine Theorie biologischer Musterbildung, die von der Erkenntnis ausgeht, dass dem biologischen Strukturaufbau Selbstorganisationsprozesse zu Grunde liegen und voraussagt, dass eine Wechselwirkung von mindestens zwei ursprünglich homogen verteilten Substanzen erforderlich ist, um ein lokales Konzentrationsmaximum zu generieren [Gie-72][Mei-82][Mei-84][Mei-01].
Diffusion. Die Basis der Meinhardt`schen Theorie bilden Diffusionsprozesse, die auf der Grundlage von Reaktionsgleichungen die Vorgänge bei der biologischen Musterbildung in mathematischen Modellen darstellen. Einfache Diffusions-gleichungen gehen von einem konstanten Diffusionsfluss über eine kleine Wegstrecke δs aus:
- D δ(X) / δs = const ( 1 )
Mit D [cm²/s], dem Diffusionskoeffizienten und dem Konzentrationsgradienten δ(X)/δs. Reaktionsgleichungen 2. Grades beschreiben die Dynamik (zeitliche Änderung im nicht stationären Fall) einer Konzentration eines Stoffes X als Funktion der Zeit t und des Ortes.
d(X) / dt = f(X,Y, ...) + [ D δ²(X) / δs² ] ( 2 )
Die Funktion f(X,Y,...) beschreibt den Reaktionsteil. Instationäre Diffusion besagt, dass der Diffusionsfluss nicht als konstant angesehen werden darf. Die Diffusion stellt eine Beziehung zwischen zeitlichen und örtlichen Konzentrationsunterschieden dar.
[ D δ²(X) / δs² ] ( 2.1 )
Sie stammt aus dem 2. Fickschen Gesetz [Mor-03] und beschreibt die Diffusion für den instationären Fall (in Erweiterung des 1.Fickschen Gesetztes, das einen zeitlich konstanten Diffusionsfluss beschreibt).
Δ = δ² / δx² + δ² / δy² ( 2.2 )
Verallgemeinernd mit dem Laplace- Operator für den zweidimensionalen Fall (ebene Diffusion), folgt die instationäre Diffusion eines Stoffes. Diese Gleichung bildet die Basis der Theorie von Meinhardt und Gierer.
d(X) / dt = f(X,Y, ...) + [ DX Δ(X) ] ( 3 )
Ist die homogene Verteilung der Stoffe instabil, reichen zufällige Schwankungen oder minimale Asymmetrien aus, um eine Musterbildung zu initiieren. Ein einfaches Musterbildungsmodell aus Reaktionsteil und Diffusion, in dem lediglich zwei Stoffe am Prozess beteiligt sind, beschreibt einem langsam (oder garnicht) diffundierenden Aktivator A, der zunächst stochastisch in bestimmten Zellen einer Gewebeschicht gebildet wird. Dieser Aktivator verstärkt seine eigene Bildung autokatalytisch und induziert gleichzeitig die Entstehung eines rascher diffundierenden Inhibitors H, der aufgrund seiner größeren Reichweite die Aktivatorbildung in der Umgebung der „aktivierten“ Umgebung verhindert. Für das ebene Zweistoffsystem aus Aktivator und Inhibitor gilt als Basisbeziehung für Stoffwechselwirkung und Diffusion:
δ(A) / δt = ρA ( A² / H - A) + [ DA ΔA ] ( 3.1 )
δ(H) / δt = ρH ( A² - H) + [ DA ΔH ] ( 3.2 )
Die Reaktionsteile f(A,H) der Gleichung (2), hier die Produktionstherme für Aktivator f(A,H)A = ρA ( A² / H - A) und Inhibitor f(A,H)H = ρH ( A² - H) beschreiben die Stoffwechselwirkungen: Autokatalyse, Kreuzkatalyse sowie Zerfallsprozesse. Die Produktionsterme f(A,H)A und f(A,H)H können nun für die Modellierung der unterschiedlichen Szenarien der beobachteten biologischen Musterbildung determiniert werden. Es ist offenbar, dass die autokatalytische Produktion nichtlinear sein muss (mindestens A²). Inzwischen existiert eine Schar von Diffusionsmodellen, die sehr gut etwa die biologische Musterbildung, die Dynamik chemischer Vormuster bei der Embriogenese und ganz allgemein grundlegende Mechanismen der des biologischen Gestaltaufbaus simulieren.
Die Herangehensweise Meinhardts ist konsequent wissenschaftlich- analytisch. Die beobachtete Natur, das gut untersuchte biologische System, der beschriebene Prozess der biologischen Musterentstehung, wird in einem komplexen Modell abgebildet und dient dazu, die Wechselwirkungen, das stoffliche und informationelle Geschehen, die Rückkopplungen und Selbstorganisationsvorgänge zu erklären. Die Entwicklungsabsicht der Meinhardt’schen Modelle ist die die Simulation einer biologischen Wirklichkeit.
Die Genesetransformation
Abstraktionen sind der Stoff, aus denen die wissenschaftliche Bionik Lösungen generiert. Die Idee einer Transformation, die ein System aus einen einfachen, homogenen Zustand in eine komplexe Zielformation verwandelt, verfolgt eine andere Intension als die die Wirklichkeit beschreibenden Modelle Meinhardts. Nicht die Abbildung, sondern die Herbeiführung von Selbstorganisation in einem Modellsystem ist hier das Motiv. Ganz im Sinne der Bionik, als einer Wissenschaft, die die Phänomene der belebten Natur entschlüsselt um biologische Gestaltungsprinzipien auf Technik, oder allgemein ausgedrückt, auf Künstliches zu übertragen, unterscheidet sich die hier beschriebenen Herangehensweise bei der Entwicklung der „Genesetransformation“.
Der Satz „Gänseblümchen lösen keine Differentialgleichungssysteme“ führt auf eine Arbeit von James Lovelock [Lov-88] zurück, in der mit einfachsten mathematischen Modellen die komplexen Rückkopplungsszenarien der Entwicklung eines ganzen (unseres) Planeten simuliert werden. Hier werden diskreten Einheiten (Gänseblümchen) die Fähigkeit zur lokalen Reaktion und der Änderung ihrer binärer Eigenschaften zugeschrieben und das Verhalten des Gesamtsystems beobachtet. Diese „Daisy-World“ genannte Anordnung finiter Akteure funktioniert analog einem ebenen Spielfeld Zellulärer Automaten und liefert grundlegende Erkenntnisse über sich selbst organisierende Systeme und adaptive Rückkopplung, sobald die Spielfelder genügend groß und die Beobachtungszeiträume lang genug sind.
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- Arbeit zitieren
- Dipl.-Ing. Michael Dienst (Autor:in), 2006, Synthetische Muster für lokale Suchalgorithmen , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/139593