Mit der Publikation eines Teils seiner Tagebücher legt André Gide 1932 – im Alter von 62 Jahren – ein leidenschaftliches Credo zum Kommunismus ab und macht sich fortan unter dem Banner des Antifaschismus zusammen mit anderen Intellektuellen zum engagierten Verteidiger der Sowjetunion und der auf ihrem Boden entstehenden kommunistischen Gesellschaft. In ihr sieht Gide eine „patrie idéale“, welche nach seiner Auffassung, der französischen Gesellschaft diametral gegenüber steht und in der er das Heil und die Zukunft der Menschheit sieht. Im Juni 1936 bricht Gide zu einer zweimonatigen Reise in die Sowjetunion auf, von welcher er enttäuscht und ernüchtert zurückkehrt. Konfrontiert mit einer sowjetischen Realität, die er in diesem Maße nicht für möglich gehalten hätte, wendet sich Gide vom sowjetischen Kommunismus ab und wird sein einstiges Utopia auf eine Ebene mit Hitler-Deutschland stellen. Doch im Gegensatz zu vielen anderen Intellektuellen, welche in dieser Zeit ähnliche oder gleiche Erfahrungen machen, veröffentlicht Gide seine persönlichen Erkenntnisse. Mit der Publikation von „Retour de l’U.R.S.S.“ im selben Jahr seiner Reise, sowie dem knapp ein Jahr darauf folgenden „Retouches à mon Retour de l’U.R.S.S.“ bricht Gide mit dem Kommunismus und macht sich unwiderruflich zum Renegaten der fortan von kommunistischer Seite aus geächtet wird. Einer der bedeutendsten Größen der französischen Literatur – der zugleich einer der prestigeträchtigsten Intellektuellen der Volkfront ist – vergreift sich am Kommunismus; und dies zu einem Zeitpunkt, da die Euphorie der ersten Stunde noch andauert, da der Faschismus immer weiter auf dem Vormarsch ist, und zudem der Bürgerkrieg in Spanien seinen Anfang nimmt.
Wie ist zu erklären, dass Gide – als gläubiger Christ mit bürgerlicher Herkunft – sich innerhalb nur weniger Jahre voller Überzeugung einem atheistischen und klassenlosen politischen System zuwendet, um sich alsbald wieder von ihm zu distanzieren? Gegenstand dieser Arbeit bildet damit die Analyse des Prozesses von Hin- und Abwendung Gides zum bzw. vom Kommunismus in den Jahren 1931 bis 1937.
Ziel der Arbeit soll letztendlich sein, die für Gide erfahrene Diskrepanz zwischen imaginärer Wunschgesellschaft und seiner Wahrnehmung der sowjetischen Realität transparent zu machen, um ein klares Bild der Gideschen Konzeption des Kommunismus zu erhalten.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- 1. André Gide: vers l'engagement
- 1.1 Zur Bedeutung moralischer, sozialer und politischer Fragen bei André Gide vor 1931
- 1.2 Die Hinwendung zu sozialen Themen
- 2. Engagement 1932-1936: Antifaschismus, Kommunismus und die Verteidigung der Kultur
- 2.1 André Gide auf politisierten Bühnen: das kommunistische Credo und seine Folgen
- 2.2 Apologet der Sowjetunion
- 3. Konstituenten des Gideschen Kommunismus
- 3.1 Die Synthese aus Kommunismus und Individualismus
- 3.2 Das gescheiterte Christentum
- 4. Zeugnisse eines Apostaten: Retour de l'U.R.S.S. und Retouches à mon Retour de l'U.R.S.S.
- 4.1 Zweifel vor der Reise in die Sowjetunion
- 4.2 Rahmenbedingungen der Reise in die Sowjetunion
- 4.3 Zentrale Kritik in Retour und Retouches und Interpretation
- 4.3.1 Soziale Ungleichheit und Armut
- 4.3.2 Konformismus
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit analysiert André Gides Hinwendung zum und Abwendung vom Kommunismus zwischen 1931 und 1937. Sie untersucht seine vorherige Einstellung zu sozialen und politischen Fragen, sein öffentliches Engagement für den Kommunismus und die Sowjetunion, und schließlich seine Kritik an der sowjetischen Realität in "Retour de l'U.R.S.S." und "Retouches à mon Retour de l'U.R.S.S.". Das Ziel ist es, die Diskrepanz zwischen Gides idealisierter Vorstellung der kommunistischen Gesellschaft und seiner Wahrnehmung der sowjetischen Realität aufzuzeigen und seine Konzeption des Kommunismus zu verstehen.
- Gides Entwicklung von einer apolitischen Haltung zu einem engagierten Kommunisten.
- Die Rolle des historischen Kontextes (Antifaschismus, Aufstieg des Kommunismus).
- Die Synthese von Kommunismus und Individualismus in Gides Denken.
- Gides Kritik an sozialen Ungleichheiten und Konformismus in der Sowjetunion.
- Die Diskrepanz zwischen Gides idealisierter Vorstellung und der sowjetischen Realität.
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung: Die Einleitung führt in die Thematik ein und beschreibt den Fokus der Arbeit: die Analyse von André Gides Hinwendung zum und Abwendung vom Kommunismus zwischen 1931 und 1937. Sie skizziert die zentralen Fragen, die die Arbeit zu beantworten sucht, wie Gides Wandel von einer apolitischen zu einer engagierten kommunistischen Haltung und die Diskrepanz zwischen seiner idealisierten Vorstellung und der sowjetischen Realität.
1. André Gide: vers l'engagement: Dieses Kapitel beleuchtet Gides frühe Haltung zu moralischen, sozialen und politischen Fragen vor 1931. Es wird seine Prägung durch den Symbolismus, seine anfängliche Abneigung gegen politische Themen und seine Hierarchie der Werte (Moral über Soziales über Politik) untersucht. Die Reise nach Kongo und Tschad 1925/26 wird als Wendepunkt erwähnt, der seinen späteren politischen Engagement beeinflusst haben könnte.
2. Engagement 1932-1936: Antifaschismus, Kommunismus und die Verteidigung der Kultur: Kapitel zwei konzentriert sich auf Gides öffentliches Engagement für den Kommunismus und die Sowjetunion zwischen 1932 und 1936. Es thematisiert sein kommunistisches Credo, seine Verteidigung der Sowjetunion als „patrie idéale“ und den historischen Kontext (Antifaschismus, Aufstieg des Kommunismus). Gides anfängliche Begeisterung und sein Glaube an das sowjetische Projekt werden detailliert dargestellt.
3. Konstituenten des Gideschen Kommunismus: Dieses Kapitel analysiert die Gründe und Ursachen für Gides Hinwendung zum Kommunismus. Es befasst sich mit der spannungsvollen Synthese von Kommunismus und Individualismus in seinem Denken sowie der Rolle seines gescheiterten christlichen Glaubens. Das Kapitel beleuchtet die innerlichen Konflikte und die Motive hinter Gides politischer Entscheidung.
4. Zeugnisse eines Apostaten: Retour de l'U.R.S.S. und Retouches à mon Retour de l'U.R.S.S.: Das letzte zusammenfasste Kapitel analysiert Gides Kritik am sowjetischen Kommunismus in "Retour de l'U.R.S.S." und "Retouches à mon Retour de l'U.R.S.S.". Es untersucht seine zentralen Kritikpunkte, wie soziale Ungleichheit, Armut und Konformismus, und setzt diese in den Kontext seiner Reiseerfahrungen. Gides Enttäuschung über die sowjetische Realität und seine spätere Abkehr vom Kommunismus werden ausführlich dargestellt.
Schlüsselwörter
André Gide, Kommunismus, Sowjetunion, Antifaschismus, Retour de l'U.R.S.S., Retouches à mon Retour de l'U.R.S.S., politisches Engagement, moralischer Individualismus, soziale Ungleichheit, Konformismus, Ideal und Realität, literarische Produktion, Selbstreflexion.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zu: Analyse von André Gides Hinwendung zum und Abwendung vom Kommunismus
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese Arbeit analysiert André Gides Hinwendung zum und Abwendung vom Kommunismus zwischen 1931 und 1937. Sie untersucht seine vorherige Einstellung zu sozialen und politischen Fragen, sein öffentliches Engagement für den Kommunismus und die Sowjetunion, und schließlich seine Kritik an der sowjetischen Realität in "Retour de l'U.R.S.S." und "Retouches à mon Retour de l'U.R.S.S.". Das Ziel ist es, die Diskrepanz zwischen Gides idealisierter Vorstellung der kommunistischen Gesellschaft und seiner Wahrnehmung der sowjetischen Realität aufzuzeigen und seine Konzeption des Kommunismus zu verstehen.
Welche Kapitel umfasst die Arbeit?
Die Arbeit gliedert sich in vier Kapitel: 1. André Gide: vers l'engagement (Gides frühe Haltung zu sozialen und politischen Fragen); 2. Engagement 1932-1936: Antifaschismus, Kommunismus und die Verteidigung der Kultur (Gides öffentliches Engagement); 3. Konstituenten des Gideschen Kommunismus (Analyse der Gründe für Gides Hinwendung zum Kommunismus); 4. Zeugnisse eines Apostaten: Retour de l'U.R.S.S. und Retouches à mon Retour de l'U.R.S.S. (Analyse von Gides Kritik am sowjetischen Kommunismus).
Wie entwickelt sich Gides Haltung zum Kommunismus im Laufe der Zeit?
Die Arbeit verfolgt Gides Entwicklung von einer anfänglich eher apolitischen Haltung zu einem engagierten Kommunisten und schließlich zu einem scharfen Kritiker des sowjetischen Systems. Sie zeigt den Einfluss des historischen Kontextes (Antifaschismus, Aufstieg des Kommunismus) auf seine politische Orientierung.
Welche zentralen Themen werden behandelt?
Zentrale Themen sind Gides Entwicklung von einer apolitischen Haltung zu einem engagierten Kommunisten, die Rolle des historischen Kontextes, die Synthese von Kommunismus und Individualismus in Gides Denken, Gides Kritik an sozialen Ungleichheiten und Konformismus in der Sowjetunion, und die Diskrepanz zwischen Gides idealisierter Vorstellung und der sowjetischen Realität.
Welche Rolle spielen "Retour de l'U.R.S.S." und "Retouches à mon Retour de l'U.R.S.S."?
Gides Reiseberichte "Retour de l'U.R.S.S." und "Retouches à mon Retour de l'U.R.S.S." stehen im Mittelpunkt der Analyse. Sie zeigen Gides Enttäuschung über die sowjetische Realität und seine Kritik an sozialen Ungleichheiten, Armut und Konformismus. Diese Werke verdeutlichen seine Abkehr vom Kommunismus.
Welche Schlüsselwörter charakterisieren die Arbeit?
Schlüsselwörter sind: André Gide, Kommunismus, Sowjetunion, Antifaschismus, Retour de l'U.R.S.S., Retouches à mon Retour de l'U.R.S.S., politisches Engagement, moralischer Individualismus, soziale Ungleichheit, Konformismus, Ideal und Realität, literarische Produktion, Selbstreflexion.
Welche Schlussfolgerungen zieht die Arbeit?
Die Arbeit zeigt die Komplexität von Gides Beziehung zum Kommunismus auf, die durch eine spannungsvolle Synthese von Ideal und Realität, Individualismus und Kollektivismus gekennzeichnet ist. Sie betont die Diskrepanz zwischen Gides anfänglicher Idealisierung der sowjetischen Gesellschaft und seiner späteren Ernüchterung durch die erlebte Realität.
- Arbeit zitieren
- Martin Völkner (Autor:in), 2009, André Gide und der Kommunismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/139617