Mit seinem Film „Pulp Fiction“ wurde Quentin Tarantino zu einem Starregisseur, dessen Werk nicht selten zu einem „der wichtigsten Gangsterfilme der 90er Jahre“ gekürt und „als Prototyp des postmodernen Films“ angesehen wurde. Was ihn als „postmodern“ auszeichnet ist eine Form von Literarizität und aktiv gestalteter Künstlichkeit. Er entwickelt eine Aura der Selbstreferentialität des Films, die sich in der Parodie amerikanischer Filmkultur, insbesondere Hollywood, auf der Ebene des Genres, vor allem aber in den Charakteren der Hauptdarsteller ausdrückt.
Das Zitat spielt im postmodernen Kino eine herausragende Rolle. Motive und Bildformeln der Filmgeschichte werden übernommen und in ausgeklügelte Verweissysteme eingebunden, die offenbar selbst nur noch auf immer wieder neue Zitatebenen verweisen. Einen festen Bezugspunkt gibt es nicht mehr. Unter diesem Gesichtspunkt ist der Film nun endlich auf dem Niveau der anderen Künste angelangt.
Zunächst soll sich anhand ausgewählter Forschungsansätze mit der Stereotypendefinition beschäftigt und in Folge dieser dann Figuren Pulp Fictions betrachtet werden. In diesem Kontext gehen auch Genres im Sinne von „Superstereotypen“ sowie die Imagebildung von Schauspielern in den Stereotypenbegriff ein.
Anschließend wird es explizit um Stereotypen in Pulp Fiction gehen: Inwieweit sind Tarantinos Protagonisten Stereotypen? Was zeichnet sie als solche aus und was kennzeichnet sie letztlich als „antistereotyp“? Dies soll, unter Berücksichtigung der im ersten Kapitel formulierten Definition, erörtert werden. Einerseits soll es in einer Analyse von ausgewählten Figuren aus Pulp Fiction erfolgen, andererseits in Hinblick auf die jeweiligen Schauspieler, die ebenso stereotyp erscheinen in ihrer filmischen Laufbahn.
Schlussendlich wird herauszuarbeiten sein, warum Tarantino Stereotypen aufgreift, sie jedoch gleichzeitig in einem völlig anderen Licht erscheinen lässt, aber auch warum er sich der Genrezugehörigkeit so stark entzieht. Dabei soll der Genrebegriff eng mit dem der Stereotypen verknüpft werden, um eine Verbindung herzustellen, gegebenenfalls eine Kritik zu enthüllen.
Inhaltsverzeichnis
1. Vorwort
2. Stereotypen – Versuch einer Definition, Forschungsexkurs
3. Stereotypen in Pulp Fiction
3.1 Vincent und Jules
3.2 Mia Wallace
3.3 Weitere
4. Schluss:
Quellenverzeichnis
Anhang
1. Vorwort
Mit seinem Film „ Pulp Fiction“ wurde Quentin Tarantino zu einem Starregisseur, dessen Werk nicht selten zu einem „ der wichtigsten Gangsterfilme der 90er Jahre “ gekürt und „ als Prototyp des postmodernen Films “[1] angesehen wurde. Was ihn als „postmodern“ auszeichnet ist eine Form von Literarizität und aktiv gestalteter Künstlichkeit. Er entwickelt eine Aura der Selbstreferentialität des Films, die sich in der Parodie amerikanischer Filmkultur, insbesondere Hollywood, auf der Ebene des Genres, vor allem aber in den Charakteren der Hauptdarsteller ausdrückt.
Das Zitat spielt im postmodernen Kino eine herausragende Rolle. Motive und Bildformeln der Filmgeschichte werden übernommen und in ausgeklügelte Verweissysteme eingebunden, die offenbar selbst nur noch auf immer wieder neue Zitatebenen verweisen. Einen festen Bezugspunkt gibt es nicht mehr. Unter diesem Gesichtspunkt ist der Film nun endlich auf dem Niveau der anderen Künste angelangt.
„Because you are a character doesn’t mean you have a character.”[2]
“Nur weil du ein Charakter bist, bedeutet das nicht, dass du einen Charakter hast“ wirft Mr. Wolf Raquel vor. Genau mit dieser Problematik beschäftigt sich die vorliegende Arbeit. Denn es soll eine Unterscheidung vorgenommen werden zwischen Typ - ein Charakter sein - und Charaktere - Charakter besitzen. In Anbetracht dessen werden verschiedene Protagonisten aus Tarantinos Pulp Fiction einer Stereotypenanalyse unterzogen. Zunächst soll sich anhand ausgewählter Forschungsansätze mit der Stereotypendefinition beschäftigt und in Folge dieser dann Figuren Pulp Fictions betrachtet werden. In diesem Kontext gehen auch Genres im Sinne von „Superstereotypen“[3] sowie die Imagebildung von Schauspielern in den Stereotypenbegriff ein.
Anschließend wird es explizit um Stereotypen in Pulp Fiction gehen: Inwieweit sind Tarantinos Protagonisten Stereotypen? Was zeichnet sie als solche aus und was kennzeichnet sie letztlich als „antistereotyp“? Dies soll, unter Berücksichtigung der im ersten Kapitel formulierten Definition, erörtert werden. Einerseits soll es in einer Analyse von ausgewählten Figuren aus Pulp Fiction erfolgen, andererseits in Hinblick auf die jeweiligen Schauspieler, die ebenso stereotyp erscheinen in ihrer filmischen Laufbahn.
Schlussendlich wird herauszuarbeiten sein, warum Tarantino Stereotypen aufgreift, sie jedoch gleichzeitig in einem völlig anderen Licht erscheinen lässt, aber auch warum er sich der Genrezugehörigkeit so stark entzieht. Dabei soll der Genrebegriff eng mit dem der Stereotypen verknüpft werden, um eine Verbindung herzustellen, gegebenenfalls eine Kritik zu enthüllen.
2. Stereotypen – Versuch einer Definition, Forschungsexkurs
Stereotyp ([fest]stehend, unveränderlich; übertr. für ständig [wiederkehrend], leer, abgedroschen; mit feststehender Schrift gedruckt)
Die obenstehende Definition aus dem Duden macht deutlich, dass der Begriff „ stereotyp “ einer eher negativen Vorstellung zugrunde liegt. „ Stereotype “ Darstellungen, zum einen der gesellschaftlichen Realität, zum anderen - um diese soll es hier gehen - von klar und deutlich erscheinenden Minderheiten und Fremdartigen in Film und Fernsehen, sind immer wieder als „ ein systematischer Defekt der Massenmedien kritisiert worden “[4]. So schrieb Roland Barthes bereits 1975:
„Das Stereotyp kann in Ausdrücken der Müdigkeit abgeschätzt werden. Das Stereotyp ist das, was mir langsam auf die Nerven geht“[5]
In den 1930er Jahren sprachen Kritiker vom Kino als einer „ Taylorisierung, Normierung und Konfektion “[6] im kulturellen Feld, es zerstöre Individualität und kulturelle Besonderheit – ein Diskurs der uns bis in die Gegenwart begleitet hat.[7]
Im Folgenden sollen zunächst die Eigenschaften von Stereotypen herausgearbeitet werden um sich anschließend einigen Forschungsperspektiven zu widmen und letztlich eine für diese Arbeit gültige Definition zu formulieren, anhand derer sich der Fallstudie Pulp Fiction angenähert werden soll.
Stereotypen bilden sich, daraus lässt auch der eingangs angebrachte Dudeneintrag schließen, wenn er von „ ständig [wiederkehrend] “ spricht, nie innerhalb eines einzigen Textes[8] heraus, sondern in einem wiederholten Auftreten in einer größeren Menge von Texten. Dahingehend muss vorausgesetzt werden, dass die Strukturen der Texte weitestgehend identisch sind. So definiert Hartmut Winkler unter diesem Aspekt Stereotypen als „ eine Art semantische[] Makrostruktur “[9], die eine Vielzahl von einzelnen Texten miteinander verbindet.[10] Jörg Schweinitz erklärt sich das Phänomen der Stereotypisierung des Films mit einem „ Wiederholungs- und Reduktionszwang[] im Filmbetrieb “, vor allem in der ersten Hälfte der zwanziger Jahre.[11] Damit funktionieren sie auch als Bestandteil unseres kulturellen Gedächtnisses, da sie als „ Wiedergebrauchs-Text “ auftreten und sich in ihrer „ Pflege “ stabilisieren und vermitteln.[12] Es besteht das kollektive Wissen der Zuschauer über Struktur und Aufbau des stereotypen Textes beziehungsweise der stereotypen Filmfigur. Sie verweisen daher auf bestimmte Handlungsmuster und lösen dadurch ein Erwartungsbild beim Zuschauer aus.
In diesem Kontext soll auf den DDR-Wissenschaftler Jörg Schweinitz eingegangen werden, welcher ein Instrumentarium zur Analyse von Film- und Fernsehproduktionen auf Basis kognitiver Psychologie entwickelt hat.
In einem Text von 1987 referiert Schweinitz wie die DDR-Adaption der allgemeinen Psychologie Pawlows[13] und der Sozialpsychologie den Stereotypenbegriff zum einen mit der marxistischen Widerspiegelungstheorie und zum anderen mit der Systemtheorie verschmolzen hat.[14] Mit der Widerspiegelungstheorie legt Schweinitz den Verweischarakter von Stereotypen offen, wobei er an dieser Stelle stereotype Vorstellungen immer mit Vorstellungen von ‚etwas‘ definiert. So schreibt Schweinitz: Stereotypen sind „relativ stabile Invarianzerscheinungen in der filmischen Gestalt, also komplexere Gestaltungsphänomene, die in einer größeren Gruppe von Filmen im wesentlichen invariant bleiben. ‚Im wesentlichen invariant‘ soll heißen, daß sie zumindest in ihrer Struktur isomorph, also gleichgestaltig erscheinen.“[15]
Weiterhin zieht Schweinitz zur Konkretisierung seiner Definition verschiedene sozialwissenschaftliche Konzepte heran, die dem Begriff der Stereotypen einen ganzen Katalog von Qualitäten zuweisen, die auch ich an dieser Stelle zum herausarbeiten der Eigenschaften aufgreifen werde: Dabei sind sechs für diese Arbeit von hoher Gewichtung:
1. Stabilität
2. Konformität
3. Second-Hand-Charakter
4. Reduktion
5. Affektive Färbung
6. Schablonenwirkung
„ Stabilität “ bedeutet in diesem Kontext, dass sie beim Zuschauer dauerhaft mental verankert zu sein scheinen, „ Konformität “ verweist auf die Intersubjektivität, das heißt, dass sie je nach Konsens in bestimmten (sozialen)[16] Formationen verbreitet sind. „ Secound-Hand-Charakter “ - der Begriff deutet es schon an: aus zweiter Hand – dass das Wissen beziehungsweise Empfinden über stereotype Darstellungen nicht unmittelbar aus eigenen Erfahrungen resultieren muss, sondern primär gesellschaftlich und damit kommunikativ vermittelt wird. Mit der „ Reduktion “ erklärt sich, dass Stereotypen auf die simple Kombinationen weniger Merkmale beschränkt sind, eine „ Affektive Färbung “ von Stereotypen kennzeichnet ihre mit starken Gefühlen besetzte Darstellung. Die „ Schablonenwirkung “ definiert, wie stereotype Darstellungen als Automatismen massiv in die Wahrnehmungs- und Urteilskraft der Zuschauer eingreifen, sie leiten und überformen.[17]
Diese sechs Qualitäten sollen im Folgenden nützlich sein, Aspekte und Ebenen der Stereotypisierung des Films, insbesondere der Filmfiguren, auszuarbeiten. In dem Sinne wie es die Sozialwissenschaften begriffen – was in den sieben[18] Qualitäten herausgearbeitet wurde – waren Menschenbilder meist auf Bilder von „Anderen“ bezogen. Aus dieser Perspektive soll herausgestellt werden, wie Figuren des Filmes bestimmte Menschenbilder repräsentieren.
[...]
[1] Vgl. Hickethier, 2002; S. 97.
[2] Mr. Wolf in Pulp Fiction, in der deutschen Version mit „ Natürlich hast du Charakter. Die Frage ist, ob du einen guten Charakter hast…. “ (127. Filmminute) übersetzt.
[3] Vgl. Wuss 1989; S. 80.
[4] Vgl. Winkler, 1993; S. 14. Winkler versucht in seinem Aufsatz „ Stereotypen – ein neues Raster intertextueller Relationen? “ sich von dem etablierten Stereotypenbegriff, seiner pejorativen Konnotation und seinem Schein von unmittelbarer Evidenz zu distanzieren, um ihn als präziseres Werkzeug innerhalb der Analyse nutzbar zu machen.
[5] Vgl. Barthes, 1978; S. 97.
[6] Vgl. Eberlin, 2002; S. 285-298.
[7] Vgl. Schweinitz, 2006; S. 161-195. Schweinitz umreist hier die Diskursgeschichte über Standardisierung des Filmes versus Kunstkonzept.
[8] Den Textbegriff verwende ich hierbei auch innerhalb des Mediums Film.
[9] Vgl. Winkler, 1993; S. 14.
[10] Ebd.
[11] Vgl. Schweinitz, 2006; S. X.
[12] Nach der Definition Jan Assmanns: Kulturelles Gedächtnis als ein Sammelbegriff für „ den jeder Gesellschaft und jeder Epoche eigentümlichen Bestand an Wiedergebrauchs-Texten, -Bildern und –Riten […], in deren >Pflege< sie ihr Selbstbild stabilisiert und vermittelt, ein kollektiv geteiltes Wissen vorzugsweise […] über die Vergangenheit, auf das eine Gruppe ihr Bewusstsein von Einheit und Eigenart stützt “.
[13] Mit der Entdeckung des bedingten Reflexes legte Pawlow den Grundstein für die Entwicklung der modernen Lernforschung und Lerntheorie in der Psychologie. Im Anschluss an diese Entdeckung begann Pawlow mit der systematischen Erforschung der verschiedensten Konditionierungsphänomene, die zur Grundlage fast aller Lerntheorien geworden sind: Extinktion, Verstärkung (Reinforcement), Generalisation, spontane Erholung usw.; Vgl. „Die Lehre des I. P. Pawlows und die philosophischen Fragen der Psychologie. 15 Aufsätze in 1 Sammelband.“ Verlag Volk und Gesundheit. Berlin-Ost 1955.
[14] Vgl. Schweinitz, 1987. In seinem Beitrag „Stereotyp . Vorschlag und Definition eines filmästhetischen Begriffs “ entwarf Schweinitz die Möglichkeit den sozialwissenschaftlichen Stereotypenbegriff, auf den an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden kann, in die Medienwissenschaft einzubringen.
[15] Ebd. S. 121.
[16] „Sozial“ wird hier deshalb in Klammern gesetzt, da dies aus einer sozialwissenschaftlichen Studie entnommen wurde und in diesem Kontext „filmisch“ besser erscheint.
[17] Vgl. Schweinitz, 2006; S. 5. Schweinitz übernimmt noch eine siebte Qualität, die Inadäquatheit. Sie umreist den Begriff der Vorurteile, der jedoch für die Zwecke dieser Arbeit in erster Linie ungebräuchlich ist.
[18] In dieser Arbeit werden nur sechs davon behandelt.
- Arbeit zitieren
- Mathias Jansen (Autor:in), 2009, Stereotypen und ihre Funktion in Quentin Tarantinos "Pulp Fiction", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/139680