Die Problematik des Nationalitäten-Konzeptes von David Miller


Seminararbeit, 2006

26 Seiten, Note: 5.5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Prinzip der Nationalität (PdN)

3. Nationale Identität

4. Ethischer Stellenwert von Nationen

5. Politische Dimension eines Nationalitäten-Konzeptes

6. Zusammenfassung und abschliessende Bemerkungen

Abstract

Miller postuliert eine Hilfspflicht. Diese Hilfspflicht sei bei Mitbürgern extensiver wahrzunehmen als bei den Menschen im allgemeinen. Diese Priorität der Mitbürger basiert auf einem aufwendigen Prinzip der Nationalität (PdN), das stark mit der nationalen Identität von Personen, dem ethischen Stellenwert von Nationen und deren politischen Entscheidungsmöglichkeiten verwoben ist. Das natürlich daraus resultierende Nationalitäten-Konzept besitzt nach Miller die Funktion einer gerechtfertigten, rationalen Handlungsanleitung. Da sich diese Konzeption aber auf partikularistische Moralprinzipien stützt, steht sie in krassem Widerspruch mit universalistischen Moraltheorien.

1. Einleitung

Im Zusammenhang mit der aktuellen philosophischen Debatte über Weltarmut möchte ich mich in dieser Arbeit vor allem mit einem Unterthema beschäftigen, nämlich der Reichweiten-Problematik. Die Diskussion um die Reichweite von Pflichten und Rechten spielt meines Erachtens eine zentrale Rolle in der Weltarmuts-Debatte, da sie sich mit der generellen Auseinandersetzung zwischen partikularistischen und universellen Moraltheorien beschäftigt (Abs. 4). Die Stärke einer partikularistischen Moraltheorie liegt in der intuitiven Betrachtungsweise des Akteurs, im Gegensatz zu dem abstrahierten, unpersönlichen Betrachterstandpunkt einer universellen Theorie. In Anlehnung an meinen Vortrag zu David Miller, werde ich im Laufe dieser Arbeit dessen Nationalitäten-Konzept analytisch betrachten und seinen Überlegungen kritische Gedankengänge entgegenhalten. Millers Absicht besteht allerdings nicht darin, einen einheitlichen Lösungskatalog für nationale Fragen zu präsentieren, sondern das Prinzip der Nationalität als einen notwendigen, aber kritischen Reflexionsansatz in der Reichweiten-Problematik darzustellen. Ziel dieser Arbeit soll nicht sein universalistische Theorien zu stürzen, da solche Theorien sehr stark und in ihrem Unpersönlichkeitsanspruch gut begründet sind, sondern ich werde versuchen Millers Nationalitäten-Konzept als eine konkurrenzfähige Alternative und ein notwendiges Reflexionskriterium zu verteidigen. Ich hege auch nicht den Anspruch Millers PdN in all seinen Details zu diskutieren und sämtlichen feingliedrigen Probleme zu lösen, sondern setze eine Diskussion der ethischen Dimension seines Konzeptes ins Zentrum des Fokus.

Ich erachte es als sinnvoll, erst den Term Nationalismus etwas genauer zu erläutern und zu definieren. Anschliessend werde ich das Prinzip der Nationalität vorstellen, das auf drei von einander abhängigen Positionen basiert, einer subjektiven, einer ethischen und einer politischen, die zusammengenommen Millers Nationalitäten-Konzept definieren (Abs. 2). Inwieweit diese drei Positionen der kritischen Reflexion standhalten und auf welcher Grundlage sie gerechtfertigt werden können, soll in den Abschnitten 3 bis 5 ausführlich analysiert werden.

In Abschnitt 3 werde ich mich daher vorwiegend mit der nationalen Identität (Position 1 des PdN) von Personen auseinander setzen, im Unterschied zu und in Abgrenzung von anderen Identitäten, wie der persönlichen Identität. Zuerst werde ich die nationale Identität von der Staatszugehörigkeit, sowie von der ethnischen Herkunft abheben und auf vermeintliche Missverständnisse hinweisen. Die nationale Identität ihrerseits besteht aus fünf konstitutiven Aspekten und einem mythischen Element, das einerseits der Schwachpunkt dieser Definition ist, da mythische Aspekte keiner rationalen Prüfung standhalten können, aber dennoch unverzichtbar in ihrer praktischen Relevanz sind. Es wird sich zeigen, dass Millers Verständnis von nationaler Identität auf subjektiven Grundannahmen basiert und nicht durch logische Deduktion auffindbar ist.

Im nachfolgenden vierten Abschnitt werde ich überprüfen, inwiefern der von Miller vertretene ethische Stellenwert einer Nation (Position 2 des PdN) innerhalb dieses Konzeptes gutgeheissen werden kann. Hierbei wird sich herausstellen, dass es sich um eine grundsätzliche Debatte zwischen dem ethischen Partikularismus und dem ethischen Universalismus handelt. Die Akzeptanz einer Nation als ethische Gemeinschaft ist stark verwoben mit der Annahme, dass spezielle Beziehungen unter den Menschen extensivere Pflichten implizieren, als die generellen Pflichten qua Menschsein. Es wird klar werden, dass Millers ethische Position des PdN nur innerhalb des ethischen Partikularismus gut fundiert ist und gerechtfertigt werden kann, während sie sowohl von einem radikal-universalistischen, als auch von einem moderat-universalistischen Standpunkt aus als irrelevant verworfen werden muss. Doch dem Vorwurf dem Gleichheitsprinzip zu widersprechen wird Millers Konzept standhalten können.

Trotz des Hauptaugenmerks dieser Arbeit auf der ethischen Position, werde ich die politische Position drei des PdN im fünften Abschnitt kurz genauer betrachten, um auf einige Probleme und Missverständnisse aufmerksam zu machen. Nach einer Diskussion von Millers Argumenten für die politische Selbst-Bestimmung, werde ich unter anderem auch Probleme ansprechen, die das Verhältnis der Rechte und Pflichten unterschiedlicher Gemeinschaften innerhalb einer Nation oder internationaler Gemeinschaften untereinander betreffen. Inwiefern die politische Souveränität einer Nation auch mit den Grenzen eines Staates zusammenfallen soll, was für Vor- und Nachteile sich dadurch ergeben oder welches Nation-Staat-Verhältnis als ideal angestrebt werden soll, werde ich hier nicht erörtern, sondern für den Fokus dieser Arbeit als weitgehend unproblematisch voraussetzen. Es ist mir selbstverständlich bewusst, dass sich die Diskussion der politischen Dimension eines Nationalitäten-Konzeptes viel weitrechender gestalten würde als hier verhandelt, doch um sowohl den Rahmen dieser Arbeit, als auch den ethischen Fokus nicht zu sprengen, werde ich diese komplexe Thematik nur soweit nötig aufnehmen.

2. Prinzip der Nationalität (PdN)

Um dem Thema dieser Arbeit, der Problematik des Miller’schen Nationalitäten-Konzeptes, gerecht zu werden, will ich auf der semantischen Ebene zuerst einige Begrifflichkeiten klären und allfällige Einschränkungen vornehmen. So erscheint es mir durchaus sinnvoll, den Begriff Nationalismus genauer zu beschreiben. Die Bedeutung dieses Terms ist leider nicht völlig eindeutig und besitzt in der Umgangssprache eine andere Konnotation als in der politischen Definition. Ich werde mich in dieser Arbeit daher nicht auf das volkstümliche Verständnis von Nationalismus stützen, das oft auf eine Überhöhung der eigenen Nation abstellt, sondern den Begriff als eine „politische Ideologie verstehen, die auf eine Kongruenz zwischen einer (meist ethnisch definierten) Nation und einem Staatsgebilde abzielt, wobei das Nationalgefühl des Einzelnen als gefühlsmäßige Bindung an die Idee der Nation gilt und nicht zwingend einen Staat voraussetzt.“[1] Auf die eher problematische Beziehung zwischen Nation und Staat einerseits, sowie Nation und Ethnie andererseits, werde ich im Verlaufe dieser Arbeit noch genauer eingehen (Abs. 3). In Anlehnung an Isaiah Berlins Verwendung des Terms Nationalismus, birgt diese Definition vier zentrale Eigenschaften in sich: die Charaktere von Menschen werden massgeblich durch deren Gruppenzugehörigkeit beeinflusst; diese Gruppen sind quasi-organischer Natur; die Ziele der Individuen sind als Werte der entsprechenden nationalen Gruppierung zu interpretieren; die Interessen der Nation gelten als übergeordnet.[2] Es ist allerdings festzuhalten, dass es sich hierbei nicht um eine naturalistische Sichtweise handelt, wo Nationalismus eine elementare Kraft ausserhalb unseres menschlichen Einflussbereiches ist und uns unbewusst lenkt. Es lässt sich also sagen, dass es Miller nicht darum geht eine weitere ‚Nationalismus-Theorie’ aufzustellen, welche die Herkunft und Funktionalität nationaler Identitäten erklärt, sondern wie man über Nationalismus denken und welche Haltung man adaptieren soll:

„By this I mean a philosophy which, rather than dismissing ordinary beliefs and sentiments out of hand unless they can be shown to have a rational foundation, leaves them in place until strong arguments are produced for rejecting them. [...] In moral and political philosophy, in particular, we build upon existing sentiments and judgements, [...]. [...] What we can do is to start from the premise that people generally do exhibit such attachments and allegiances, and then try to build a political philosophy which in incorporates them.”[3]

Die Leitfrage, an der es sich zu orientieren gilt, lautet demnach: Wie müssen wir uns selbst verstehen als Mitglieder einer bestimmten Nation und was für Konsequenzen ergeben sich daraus gegenüber Co-Mitgliedern oder Fremden, die ausserhalb stehen? Es geht ihm um Überlegungen zum Stellenwert unserer nationalen Kultur und Identität bei Handlungen, sowie die Frage welches Pflichtensystem daraus abzuleiten ist.

Zentral für Millers Nationalitäten-Konzept sind drei von einander abhängige Positionen, die zusammengenommen das Prinzip der Nationalität ausmachen:

1. Subjektive Position:

Nationalität kann, muss aber nicht, ein konstitutives Element der persönlichen Identität sein und sich auf mehrere Objekte erstrecken. Die nationale Identität konfligiert aber nicht mit anderen Identitäten, da sie eine inklusive Identität ist.[4]

2. Ethische Position:

Nationen sind ethische Gemeinschaften, was das Moralverständnis beeinflusst und spezielle Pflichten gegenüber den Mitbürgern einschliesst, die extensiver sind als Pflichten gegenüber Mitmenschen allgemein. Dies bedeutet nicht, dass man Menschen gegenüber im allgemeinen nicht verpflichtet ist.[5]

3. Politische Position:

Nationale Gemeinschaften mit einem ihnen spezifischen Territorium haben ein Recht auf politische Selbst-Bestimmung. Solche Gemeinschaften müssen aber nicht zwingend einen souveränen Staat bilden.[6]

Ich werde diese drei Positionen und deren zugrunde liegenden Prinzipien in den kommenden Abschnitten genauer diskutieren und auf allfällige Einwände eingehen, wie beispielsweise aus philosophischer Sicht, dass moralische Verpflichtungen aufgrund nationaler Grenzen rational nicht rechtfertigbar sind, oder von einem politischen Standpunkt aus, dass diese Betrachtungsweise zu Autoritarismus (=autoritäres Regierungssystem) führt.

3. Nationale Identität

Ich werde in diesem Abschnitt die subjektive Position des PdN genauer unter die Lupe nehmen und kritisch analysieren, was es überhaupt bedeutet eine nationale Identität zu besitzen und inwiefern es möglich ist, eine solche Identität rational zu begründen. Hierfür scheint es mir angebracht, zuerst das Verhältnis zwischen Nation und Staat, sowie zwischen Nation und Ethnie zu klären, um allfälligen Missverständnissen vorzubeugen, denn die nationale Identität ist streng von Staatszugehörigkeit oder ethnischer Herkunft zu trennen.

Eine Nation ist keine homogene Entität, die sich so eindeutig beschreiben und beobachten lässt wie zum Beispiel ein Stein. Es herrscht kein wirklicher Disput darüber, was einen Stein ausmacht, es gibt aber annähernd keine Einigkeit über Kriterien, die Nationen definieren. Es herrscht beispielsweise weit verbreitete Uneinigkeit darüber, ob die Waliser (in Grossbritannien) eine eigene Nation bilden. Dies liegt nicht nur an der Vagheit oder Komplexität der Kriterien, wie eine Nation zu definieren ist, sondern an einem Element des Glaubens, nämlich wie und ob man glaubt, einer Nation angehörig zu sein. Es liegt also auf der Hand, dass man mit empirischen Untersuchungen diese Problematik nicht aus der Welt zu schaffen vermag. Einen Waliser zu fragen, was die walisische Nation ausmache, ist zirkulär. Einen Nicht-Waliser zu fragen, wäre irrelevant für die Problemlösung. Um ein besseres Verständnis des Nationalitäten-Problems zu gewinnen, werde ich nun das Verhältnis von Nation und Staat abwägen. Im Alltag werden Nation und Staat häufig synonym gebraucht, was falsch ist. Denn wenn wir von einer Nation sprechen, dann referieren wir auf eine Gruppe von Personen mit gemeinsamen Grundprinzipien und dem Wunsch nach politischer Selbst-Bestimmung, während der Begriff Staat auf das Set politischer Institutionen verweist, die eben diese Gruppe für sich beansprucht. Der Staat repräsentiert die Nation: „’the nation’ conveys the idea of a circumscribed body of people bound together by common customs and capable of being represented [...].“[7] Es gibt auf der einen Seite multi-nationale Staaten, die mehrere Nationen in sich schliessen, wie zum Beispiel die alte Sowjetunion, deren politische Institutionen sich weit über hundert Nationen erstreckten. Andererseits, eher weniger häufig, gibt es Einzel-Nationen, die beispielsweise aus historischen Gründen in mehrere Staaten aufgeteilt waren, wie Deutschland (BRD – DDR) vor der Wiedervereinigung, respektive aufgeteilt sind, wie Nord- und Süd-Korea bis zum heutigen Tage. Die Situation, in der Nation und Staat zu einem Nationalstaat zusammenfallen, d.h. wenn eine Gruppe von Personen eine Nation bildet und innerhalb eines Einzel-Staates politisch vereint wird, kann also nur in historischer Abhängigkeit belegt werden.

[...]


[1] siehe Brockhaus, Der Brockhaus Geschichte

[2] Isaiah Berlin, Nationalism: Past Neglect and Present Power, S. 341-345

[3] David Miller, In Defence of Nationality, S. 4

[4] siehe David Miller, On Nationality, S. 10

[5] ebd., S.11

[6] ebd., S.11

[7] David Miller, On Nationality, S. 30

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Die Problematik des Nationalitäten-Konzeptes von David Miller
Hochschule
Universität Zürich
Note
5.5
Autor
Jahr
2006
Seiten
26
Katalognummer
V139700
ISBN (eBook)
9783640477364
ISBN (Buch)
9783640477050
Dateigröße
566 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Nation, Staat, Weltarmut, Ethik, David Miller, Prinzip der Nationalität, Ethnie, Kultur, Grenzen, Autonomie, Selbstbestimmung
Arbeit zitieren
Michael Eugster (Autor:in), 2006, Die Problematik des Nationalitäten-Konzeptes von David Miller, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/139700

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