Prähispanische Kulturen in mexikanischen Schulgeschichtsbüchern. Glorreiche Vergangenheit einer Nation?


Hausarbeit, 2001

26 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


GLIEDERUNG

1. Schulbücher als Spiegel und Schöpfer von Alltags- meinungen über Ethnien?

2. Schulsystem und Schulbücher in Mexiko

3. Darstellung der prähispanischen Kulturen in mexika- nischen Schulgeschichtsbüchern
3.1 Umfang der Darstellung der prähispanischen Kulturen im Gesamtcurriculum des obligatorischen Geschichtsunterrichts
3.2 "Wichtige" und "unwichtige" Kulturen
3.3 Quellenangaben und Forschungsstand
3.4 Wertende Aussagen

4. Ethnisches und nationales Selbstverständnis der heutigen Mexikaner aus der Sicht der Schulgeschichtsbücher

5. Zusammenfassung der Beobachtungen

6. Bibliographie

Prähispanische Kulturen in mexikanischen Schulgeschichtsbüchern:

Glorreiche Vergangenheit einer Nation?

No fue triunfo ni derrota. Fue el doloroso

nacimiento del pueblo mestizo que es el México de hoy.

Inschrift auf der Gedenktafel am

"Platz der Drei Kulturen" in Mexiko-Stadt.

1. Schulbücher als Spiegel und Schöpfer von Alltagsmeinungen über Ethnien?

Auf dem "Platz der drei Kulturen" in Mexiko-Stadt stehen Bauwerke aus drei Zeitepochen dicht beieinander: ein zerstörter Aztekentempel, ein ehemaliges spanisches Kloster und moderne, mehrstöckige Zweckbauten des 20. Jahrhun-derts. Wenn hier die militärische Niederlage der Aztekenhauptstadt Tenochtit-lan als schmerzhafte Geburt eines gegenwärtigen mestizischen Mexikos inter-pretiert wird, so drückt sich eine Haltung aus, die man immer wieder im mexikanischen Alltag beobachten kann: das Andenken und die archäologi-schen Überbleibsel der prähispanischen Hochkulturen werden gepflegt und in Ehren gehalten; das Christentum und die modernere Kultur der europäischen Eroberer scheinen sich nicht nur in Form von Kolonialbauten über die früheren Kulturen gelegt und diesen ein jähes Ende bereitet zu haben, sondern bestim-men die Schicksale des Landes bis heute - die renovierungsbedürftigen Hoch-häuser rund um den Platz bilden ein lebendiges Zeugnis dafür. Doch wird die Zerschlagung der alten Kulturen nicht als Niederlage gewertet, denn ihr Erbe ist angeblich in den Bewohnern des heutigen Mexiko -einem Volk von Mestizen- noch lebendig.

Kaum jemand wird leugnen wollen, dass gegenwärtig ein Grossteil der mexi-kanischen Bevölkerung aus Mestizen besteht. Die Gedanktafel verschweigt jedoch, dass längst nicht alle Mexikaner Mestizen sind, so werden z.B. zwischen 8-12% unter ihnen auch heute noch einer indianischen Ethnie zuge-rechnet, d.h. als direkte Nachfahren der altamerikanischen Bewohner der Region betrachtet.[1] Doch diesen bleibt nur eine Existenz am Rande der sich als modern verstehenden mexikanischen Gesellschaft. Für das moderne Mexiko sind sie ein Dorn im Auge, gerne spielt man ihre Anzahl herunter oder blickt -nicht ohne Scham- von oben auf sie herab.

Nur vereinzelt hört man mexikanische Stimmen, die die widersprüchliche Hal-tung vieler ihrer Landsleute -Verherrlichung der prähispanischen Kulturen und Geringschätzung oder Vergessen der aktuellen Indígenas[2] - aufdecken und offen ankreiden. Einer dieser Kritiker ist der Anthropologe Guillermo Bonfil Batalla:

La presencia de lo indio en muros, museos, esculturas y zonas arqueológicas abiertas al púbico se maneja, esencialmente, como la presencia de un mundo muerto. Un mundo singular, extraordinario en muchos de sus logros; pero muerto. El discurso oficial traducido en lenguaje plástico o museográfico, exalta ese mundo muerto como la semilla de origen del México de hoy. Es el pasado glorioso del que debemos sentirnos orgullosos, el que nos asegura un alto destino histórico como nación, aunque nunca quede clara la lógica y la razón de tal certeza. El indio vivo, lo indio vivo, queda relegado a un segundo plano, cuando no ignorado o negado; ocupan, como en el Museo Nacional de Antropología, un espacio segregado, desligado tanto del pasado glorioso como del presente que no es suyo: un espacio prescindible (Bonfil, 91).

Ausgehend von dieser Beobachtung im mexikanischen Alltag, die sich auch in einigen literarischen oder wissenschaftlich-essayistischen Schriften widerspie-gelt, geht es mir in der vorliegenden Arbeit darum, zu überprüfen, inwieweit die beschriebene Haltung durch mexikanische Schulbücher vermittelt wird. Da auch Wissenschaftler und Schulbuchschreiber niemals ganz von ihrer Erzie-hung und ihren persönlichen Werten absehen können, ist anzunehmen, dass sie in irgendeiner Form in die Schulbücher eingeflossen ist, und sich auf diese Weise in den Köpfen der nachfolgenden Generationen fortsetzen wird. Im fol-genden werde ich mich allerdings nur auf einen Teil dieses doppelseiten Bildes der indianischen Völker beschränken: Ich beabsichtige, die Darstellung der prähispanischen Kulturen in mexikanischen Schulgeschichtsbüchern zu verfol-gen, und dabei vor allem auf die Gewichtung dieses Themenkomplexes inner-halb des schulichen Curriculums, Schwerpunkte und Auslassungen, sowie wer-tende Stellungnahmen zu achten.[3] Zusätzlich wird mich die Frage beschäftigen, ob die Geschichtsbücher Aussagen bezüglich der ethnischen Identität der heuti-gen Mexikaner enthalten, die mit den prähispanischen Kulturen in Zusammen-hang stehen. Als Hintergrund und Vergleichsgrundlage dienen wissenschaftli-che Schriften zur Geschichte und Kulturgeschichte Mexikos.

Anmerkung zu den Begriffen "Nation", "Kultur" und "Volk":

a) Nation: In dieser Arbeit verwende ich "Nation" im Sinne von "Wir-Gruppe (hier: der Mexikaner), die nationalstaatlich organisiert ist", ohne dabei den Begriff mit "Volk" gleichzusetzen oder bestimmte ethnische oder kulturelle Gemeinsamkeiten (z.B. Sprache) zu unterstellen. Zu untersuchen gilt, ob die Schulbücher solche Gemeinsamkeiten behaupten.

b) Kultur/Volk: Die Schulbücher verwenden den Begriff "Kultur" in verschie-denen Bedeutungen, erstens im Sinne von "Gesamtheit der Verhaltenskonfigu-rationen eines Volkes (vgl. das Zitat auf S. 9 dieser Arbeit); weiterhin als Syno-nym von Volk (Wir-Gruppe die diese Verhaltenskonfigurationen -Sprache, Kü-che, Kunst, Technik usw.- teilt); aber auch in der Bedeutung von Entwicklungs-stufe, die mehrere Völker eint (z.B. kulturelle Eigenheiten, die von den Archäo-logen in die Kulturperioden Präklassik, Klassik und Postklassik zusammenge-fasst werden), und schliesslich im Sinne von "Hochkultur". Die Begriffe "Kul-tur" und "Zivilisation" werden dabei nicht eindeutig unterschieden (auch im spanischen Larousse werden sie übrigens als Synonyme ausgegeben), so spricht z.B. P5 sowohl von cultura als auch von civilización mesoamericana, olmeca usw. Eine Definition des Begriffes "Kultur" gibt es nur in P3, diese wird aber nicht durchgängig in allen Büchern respektiert. Ich werde im folgenden in Anlehnung an die Schulbücher "Kultur" sowohl im Sinne von Volk (hier: Grup-pen, denen von Historikern, Archäologen oder Anthropologen Gemeinsamkei-ten zugeschrieben werden, wie z.B. die Olmeken, Maya, Tarahumara usw.) verwenden, als auch im Sinne von Verhaltenskonfigurationen dieser Völker.

2. Schulsystem und Schulbücher in Mexiko

Das mexikanische Schulsystem ist nicht horizontal gegliedert, wie das deut-sche. Alle Schüler durchlaufen eine 6-jährige Grundschule (Primaria), an die sich eine 3-jährige Sekundärschule (Secundaria) anschliesst. Seit 1992 erstreckt sich die Schulpflicht bis zum Ende der Secundaria, doch die Realität ist von diesem Soll noch weit entfernt.[4] Wer noch weiterlernen will, besucht eine in der Regel 3-jährige Aufbauschule (escuela preparatoria oder bachillerato), deren Abschluss zur Aufnahme eines Studiums befähigt, bzw. das Recht erteilt, an der Aufnahmeprüfung einiger Universitäten teilzunehmen. Nun wäre es allerdings weit gefehlt zu glauben, diese Einheitsschule würde eine Chancen-gleichheit garantieren oder die Kinder verschiedener gesellschaftlicher Schich-ten zusammenbringen. Dies verhindert die Differenzierung der Schulen in Federales (die dem Bundesstaat unterliegen), Estatales (die hauptsächlich von den einzelnen Bundesländern getragen werden), Autónomas (ein geringer Prozentsatz der Schulen, die von einer einer öffentlichen, autonomen Universität verwaltet werden) und Privadas. Letztere verlangen teilweise ein recht hohes Schulgeld, sind unter Umständen konfessionell gebunden (die öffentlichen Schulen sind seit der Trennung von Staat und Kirche im Jahre 1857 laizistisch), und bieten bessere Lernbedingungen: eine bessere schuliche Ausstattung (Schulgebäude, Labore, Computer u.a.), oftmals besser qualifizierte Lehrkräfte und wesentlich kleinere Lerngruppen. Allerdings kann nur eine kleine Minderheit der mexikanischen Kinder und Jugendlichen solch eine Schule besuchen.[5]

Alle diese Schulen -auch die privaten- unterliegen der Kontrolle des auf natio-naler Ebene organisierten staatlichen Erziehungsministeriums (SEP). Dieses erstellt u.a. die Programme für jedes Fach und jeden Jahrgang. Seit 1959 gibt es das libro gratuito heraus, das kostenlos an alle Schüler der Primaria verteilt wird. So soll weitgehend sichergestellt werden, dass alle Kinder in Mexiko Zu-gang zu Schulbüchern der Grundschule haben und ausserdem ein und demsel-ben Programm folgen (einzelne Privatschulen tanzen aber auch hier aus der Reihe und arbeiten mit anderen Büchern, die allerdings demselben Programm folgen). Ab der Secundaria ist jeder Schüler bzw. dessen Eltern selbst für die Anschaffung der Schulbücher verantwortlich. Das Erziehungsministerium gibt jährlich eine Liste mit den autorisierten Lehrbüchern pro Fach heraus (ca. 8 bis 15 verschiedene Titel), aus welcher sich die einzelnen Schulen oder Lehrer das für das jeweilige Jahr zu verwendende Buch heraussuchen. Oftmals bleibt die gültige Liste für ein Fach über mehrere Jahre hinweg konstant, die Schulen wechseln aber trotzdem das Lehrbuch mit jedem neuen Schuljahr, so dass für jüngere Geschwister wieder neu gekauft werden muss.

[...]


[1] Das nationale statistische Datenamt (INEGI) nimmt als Kriterium der ethnischen Zugehörig-keit lediglich das Beherrschen einer indianischen Sprache. Eine juristische Definition des Indígena existiert in Mexiko nicht. Bonfil (vgl. S. 46-49) sieht die Sprache als unzulängliches Definitionskriterium an und spricht von einem "etnocidio estadístico".

[2] Zwar wird das Wort "Indio" noch häufig in der deutschen und mexikanischen wissenschaftli-chen Literatur verwendet (vgl. Zitat v. Bonfil), doch hat es in beiden Sprachen eine abwertende Konnotation. Ich werde im folgenden das spanische "Indígena" bzw. das auch nicht so recht befriedigende deutsche Wort "Indianer" u. das dazugehörige Adjektiv "indianisch" verwenden.

[3] Die in dieser Arbeit verwendeten Kürzel für die Schulbücher sind in der Bibliographie aufge-schlüsselt.

[4] Nach Schätzungen haben gegenwärtig ca. 65% aller 18-jährigen Mexikaner die Secundaria beendet. Die Primaria beendeten im Jahr 2000 schätzungsweise 84,5% der Kinder, die diese 6 Jahre vorher begannen. Zu Beginn der 90-er Jahre waren es laut Statistik nur 70,1%. Daten ent-nommen aus der Homepage der SEP (siehe Bibliographie).

[5] Bezogen auf das gesamte Ausbildungssystem von Vorschule bis Universitát besuchen 12,1% der Schüler und Studenten private Institutionen, für die Primaria sind es nur 7,4% ( SEP)

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Prähispanische Kulturen in mexikanischen Schulgeschichtsbüchern. Glorreiche Vergangenheit einer Nation?
Hochschule
FernUniversität Hagen  (Institut für Interkulturelle Erziehungswissenschaft)
Note
1,3
Autor
Jahr
2001
Seiten
26
Katalognummer
V14001
ISBN (eBook)
9783638195126
ISBN (Buch)
9783638681056
Dateigröße
440 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Autorin ist Lehrkraft an der Benemerita Universidad Autonoma de Puebla, Mexiko.
Schlagworte
prähispanisch, Schulgeschichtsbücher, Mexiko, Schulbuch
Arbeit zitieren
Magister Artium Dorit Heike Gruhn (Autor:in), 2001, Prähispanische Kulturen in mexikanischen Schulgeschichtsbüchern. Glorreiche Vergangenheit einer Nation?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/14001

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