Rationalität gilt in der Philosophie seit Anbeginn als zentrales menschliches Merkmal, doch gelegentlich scheint die menschliche Vernunft an ihre Grenzen zu stoßen. Das Phänomen der Willensschwäche ist sicher jedem Menschen aus seinem täglichen Leben hinlänglich bekannt, und wir können dafür beliebig viele Beispiele liefern. Wir verspüren den Wunsch, uns gesünder zu ernähren. Wir denken nach, wir wägen Argumente ab, wir sehen die Vorteile einer nährstoffreichen gegenüber einer zuckerhaltigen Ernährung, und treffen eine Entscheidung: aus guten Gründen ist es ist vernünftig, sich ab sofort besser zu ernähren. Doch kurz darauf, beim Anblick einer leckeren Torte, werfen wir sehenden Auges unsere Entscheidung über den Haufen, essen die Torte, und spüren neben dem Genuss in vielen Fällen zusätzlich ein schlechtes Gewissen, sowie ein Unverständnis gegenüber unseren eigenen Handlungen.
Willensschwäche scheint also die Struktur zu haben, dass sich Menschen unter dem Einfluss einer Versuchung gegen ihre besten Gründe entscheiden und sich damit praktisch irrational verhalten. Die Irrationalität liegt in der Diskrepanz zwischen einem handlungsbezogenen Werturteil (es ist besser, sich nährstoffreich zu ernähren) und der tatsächlich vollzogenen Handlung (ich habe jetzt Lust auf diese Torte und esse sie), die offensichtlich das Werturteil nicht abbildet. Philosophisch betrachtet beschäftigen wir uns mit dem Verhältnis von Evaluation und Motivation, der Frage, warum Akteure zwar am meisten für eine Handlung motiviert sein können, diese aber dennoch nicht zwangsläufig ausführen, obwohl dies möglich wäre.
Die antiken Diskussionen bei Platon und Aristoteles betrachteten die Willensschwäche im Wesentlichen unter moralphilosophischen Aspekten und als Handeln wider besseres Wissen. 1969 behandelt Donald Davidson Akrasia als ein grundlegendes Problem kausaler Handlungstheorien, indem er die Korrelation der Stärke von Gründen und Ursachen hinterfragt und damit die gesamte Konzeption von Rationalisierungserklärungen als Spielart von Kausalerklärungen in Frage stellt. Sein Aufsatz wurde in der philosophischen Welt breit diskutiert, und auch kritisiert – u.a. von C.C.W. Taylor, der in seinem 1980 in "Mind" veröffentlichten Aufsatz "Plato, Hare and Davidson on Akrasia" die These vertritt, dass selbst wenn Davidson’s logische Schlussfolgerungen korrekt seien, sie nicht erfolgreich zur Lösung des Problems beitrügen. Hat er recht?
Inhaltsverzeichnis
- EINLEITUNG
- PLATON UND ARISTOTELES - DIE ANTIKE DISKUSSION
- PLATON
- ARISTOTELES
- DONALD DAVIDSON 1970: WIE IST WILLENSSCHWÄCHE MÖGLICH?
- C.C.W. TAYLOR 1980: PLATO, HARE AND DAVIDSON ON AKRASIA – EINE KRITIK AM ENTWURF VON DONALD DAVIDSON
- TAYLOR'S KRITIK AN DAVIDSON - EIN KOMMENTAR
- ZUSAMMENFASSUNG
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Der Text untersucht das Phänomen der Willensschwäche, auch bekannt als Akrasie, aus philosophischer Perspektive. Die zentrale Frage ist: wie ist es möglich, dass Menschen trotz besserem Wissens gegen ihre eigenen Überzeugungen und Ziele handeln? Die Analyse bezieht sich auf die antike Philosophie, insbesondere Platon und Aristoteles, sowie auf moderne Konzeptionen von Donald Davidson und C.C.W. Taylor.
- Die antike Diskussion über Akrasie und ihre moralphilosophischen Implikationen
- Davidson's handlungstheoretischer Ansatz zur Erklärung von Willensschwäche
- Taylor's Kritik an Davidson's Theorie und seine alternative Perspektive
- Der Zusammenhang zwischen Vernunft, Motivation und Handlung im Kontext der Akrasie
- Die Rolle von Wissen, Überzeugung und Affekten bei der Entstehung von Willensschwäche
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Das Phänomen der Willensschwäche wird eingeführt, indem es mit einem alltäglichen Beispiel illustriert wird. Die Verbindung zwischen rationalem Handeln und Willensschwäche sowie die Frage nach der Motivation von Akteuren werden aufgeworfen.
- Platon und Aristoteles - die antike Diskussion: Die antiken philosophischen Perspektiven auf Akrasie werden dargestellt. Platons Annahme, dass Akteure niemals bewusst das Falsche tun, wird mit seiner monistischen Strebentheorie und dem sokratischen Intellektualismus in Verbindung gebracht. Aristoteles' differenziertere Analyse von Akrasie als Charaktereigenschaft und seine Theorie der verschiedenen Formen von Wissen werden vorgestellt.
Schlüsselwörter
Willensschwäche, Akrasie, Rationalität, Handlungstheorie, moralische Philosophie, Platon, Aristoteles, Davidson, Taylor, Wissen, Motivation, Handlung, Affekte, Begierden, Strebentheorie, Intellektualismus, praktischer Syllogismus.
- Arbeit zitieren
- Wolfgang Seifert (Autor:in), 2021, Donald Davidsons Text "Wie ist Willensschwäche möglich?". Eine kritische Betrachtung der Kritik an dieser Theorie durch C.C.W. Taylor, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1400292