Der polnische Novemberaufstand und die Reaktion in Deutschland

Polenfreundschaft als Ausdruck liberaler Ideen und Hilfsbereitschaft


Seminararbeit, 2009

14 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einführung

2. Der Novemberaufstand 1830/31
2.1. Historischer Abriss
2.2. Ursachen für das Scheitern
2.3. Die Auswirkungen des Aufstandes

3. Reaktion der deutschen Bevölkerung

4. Politische Situation in den deutschen Staaten

5. Unterstützungsleistungen als konkrete Form der Polenfreundschaft
5.1. Phase während der Kriegshandlungen
5.2. Phase der polnischen Emigration

6. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einführung

Seit mittlerweile mehr als sechzig Jahren befindet sich die Bundesrepublik Deutschland in einem stabilen und friedlichen Staatengefüge auf dem europäischen Kontinent. Allen Staaten Europas liegt eine republikanische Verfassung zugrunde, sowie eine politische Legitimation durch die eigenen Staatsbürger. Damit ist der theoretische Anspruch einer Willensbildung von unten nach oben zumindest formal erfüllt. Das Grundgesetz definiert die Bundesrepublik Deutschland als einen demokratischen, föderalen und sozialen Rechtsstaat und das Volk als Träger alle staatlichen Gewalt. Unabhängig von bestimmten staatlich gewährten Grundrechten durch ein Verfassungsdokument, existierte bis zur Gründung des Deutschen Reiches 1871 kein deutscher Einheitsstaat. Im Kontext eines sich im Verlauf der Befreiungskriege gegen Napoleon aufgekommenen Nationalbewusstseins und der erfolgreichen Umsetzung freiheitlich-liberaler Ideen in der Französischen Revolution oder dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, ist der Wunsch der bürgerlichen Bewegungen der deutschen Staaten nach einem vereinigten Nationalstaat zu verstehen. Die Zeit der zwanziger und dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts stellt, besonders für die zentraleuropäischen Staaten, eine elementare Umbruchphase dar, die sich in einem Wechsel von alten konservativen hin zu neuen konstitutionellen Strukturen widerspiegelt. Als prägende Hauptereignisse der Zeit haben besonders die Juli-Revolution in Paris 1830 und die Proklamierung der belgischen Unabhängigkeit Ende 1830 den liberalen Bewegungen der anderen europäischen Staaten die Möglichkeiten einer prinzipiellen innerstaatlichen Umgestaltung vor Augen geführt und somit auch Einfluss auf den polnischen Aufstand des gleichen Jahres genommen. Der polnische Staat war nach drei Teilungen im ausgehenden 18. Jahrhundert durch die Mächte Russland, Preußen und Österreich von der Landkarte verschwunden, auch die Restauration Europas im Zuge des Wiener Kongresses 1814/15 änderte an der Situation nicht viel. Das Königreich Polen wurde als sogenanntes ‚Kongresspolen‘ vom russländischen Zaren regiert und befand sich dementsprechend in einem Kontroll- und Abhängigkeitsverhältnis. Das Verlangen nach Selbstbestimmung und Unabhängigkeit führte erstmals am 29. November 1830 zur Erhebung und schließlich zum Krieg gegen das russländische Reich. Aufgrund der Verflochtenheit der europäischen Machtverhältnisse gerieten die Ereignisse auch in den Fokus der politisch interessierten Öffentlichkeit und führten zu unterschiedlichen Wahrnehmungen. Während die Höfe und Regierungen überwiegend ablehnend auf die Vorkommnisse reagierten, brachte ein Großteil der europäischen Völker den Polen Wohlwollen entgegen. Die größte Unterstützung, besonders was praktische Hilfeleistungen betraf, kam dabei aus Deutschland, im speziellen aus den süddeutschen Ländern.[1]

Die „liberalen Stammeslande“[2], wie Bayern, Württemberg, Baden oder Hessen-Darmstadt waren Schauplatz einer regelrechten Polenbegeisterung, die in individuellen karitativen Spendenaktionen, meist in Form von Geldsammlungen oder medizinischer Materiallieferung, ihren Ausdruck fand. Durch die Gründung von unzähligen Polenvereinen konnte, anhand der geschaffenen Organisationstrukturen, die Effizienz karitative Maßnahmen verbessert und koordiniert werden. Daraus leitet sich eine zentrale Fragestellung ab: Was sind in Deutschland die Motivationsgründe für die enorme ‚Polenbegeisterung’ und die geleistete Hilfsbereitschaft?

Im Folgenden meiner Seminararbeit werde ich einige Aspekte, Grundlagen und Problematiken beleuchten, um diese Frage untersuchen zu können. Anfänglich werde ich erläutern, aus welchen politischen und gesellschaftlichen Gründen der polnische Aufstand von 1830/31 scheiterte und inwiefern die Situation des polnischen Gebietes durch das russländische Reich verändert wurde. Daraufhin analysiere ich die Stimmung der Bevölkerung in den deutschen Staaten und die politischen Gegebenheiten, um die unterschiedlich starken Unterstützungsleistungen besser einordnen zu können. Die deutsche Hilfsbereitschaft differenzierte nicht nur auf lokaler Ebene, sondern auch auf temporärer, weshalb ich zwischen den deutsch-polnischen Verbindungen zur Zeit des eigentlichen Novemberaufstandes und im Rahmen der polnischen Emigration eine Trennung vornehme. Abschließend werde ich das spezielle Konzept der Polenvereine, deren institutioneller Charakter Sinnbild für die deutsch-polnische Freundschaft war, beurteilen.

2. Der Novemberaufstand 1830/31

2.1. Historischer Abriss

In der polnischen Geschichtsschreibung wird das gesellschaftlich und politisch bedeutende Ereignis des Novemberaufstandes von 1830/31 in drei zeitliche Hauptabschnitte gegliedert. Die erste Phase umfasst die Vorbereitungen für die Unruhen im damaligen Königreich Polen, entweder von Personen aus Untergrundorganisationen innerhalb der eigenen Grenzen oder von Emigranten und Befürwortern aus dem Exil heraus geplant, womit außerdem, sowohl logistische und geistige Voraussetzungen, als auch die gesamtpolitische Lage des damaligen Europa und des Königreichs Polen unter russländischer Besatzungspolitik mit eingeschlossen sind.[3] Die zweite Phase setzt mit dem Einmarsch russischer Soldaten in Polen ein und umfasst die Schlachten und Kämpfe im Februar 1831. Dazu zählen Liw, Dobre, Staczek, Grochów, Białołęka und Praga. Die Aufständischen wurden in dieser Zeit auf die linke Seite der Weichsel zurückgedrängt. Katastrophaler Wendepunkt des Krieges für die Aufständischen stellt die Schlacht bei Ostrołęka[4] dar, welche die letzte Phase einleitet. Es folgten weitere kriegerische Auseinandersetzungen in Litauen, Polesien, Wolynien und Podolien. Schlusspunkt des Polnisch-Russischen Krieges bildet die Eroberung der Warschauer Vorstadt am 06. September und die Kapitulation Warschaus zwei Tage danach.[5]

2.2. Ursachen für das Scheitern

Die Hauptgründe für das Scheiterns der Aufstände sind einerseits gesellschaftlicher, andererseits politischer Natur. Obwohl die Erhebung anfangs lediglich von jungen Kadetten der Warschauer Offiziersschule und den Studenten der Warschauer Universität getragen wurde, konnte die Begeisterung vieler Bevölkerungsteile entfacht werden. Trotz alledem bestand zu keinem Zeitpunkt ein wirklicher Konsens in der Gesamtbevölkerung, da die Ansichten von Hochadel, Gutsadel, liberalem Bürgertum, städtischen Unterschichten und Bauern zu weit auseinander lagen und unklare Vorstellungen bezüglich der Absichten und des Verlaufs des Aufstandes herrschten.[6] Als elementarer Fehler erwies sich die oft thematisierte aber immer noch unerledigte ‚Bauernfrage‘. Die Bauern stellten die zahlenmäßig größte Schicht Polens, besaßen jedoch unzureichende Mitsprache- und Mitwirkungsrechte. Selbst in der polnisch-litauischen Maiverfassung[7] vom 3. Mai 1791, die als die erste moderne Verfassung Europas gilt, wurden die Interessen der Bauern keinesfalls berücksichtigt. Aufgrund der konservativen Haltung der Magnaten, also des Hochadels, die eine Beibehaltung des Feudalsystems forderten, blieben die Bauern in einem mittelalterlichen Gebilde gefangen. Wenige Adelsgruppen, die sich an den westeuropäischen Lösungsmöglichkeiten orientierten und die rückständischen Feudalstrukturen abschafften, konnten sogar Bauern für den Aufstand gewinnen.

Auf militärischer Ebene erfolgten im Gesamtkonzept strategische, in den einzelnen lokalen Teilgebieten taktische Fehler. Zwar schlossen sich große Teile der polnischen Armee dem Aufstand an, jedoch sorgte das Fehlen einer einheitlichen und organisierten Armeeführung für starke Verunsicherung unter den Soldaten. Es ist dennoch erwähnenswert, dass ein enormer Kampfgeist unter den Aufständischen vorhanden war, der sich für das mutige Standhalten an allen Kriegsfronten als ausschlaggebend erwies und vereinzelte militärische Erfolge nach sich zog.[8]

Der folgenschwerste Fehler der getroffen wurde, war politischer Natur. Der am 25. Januar 1831 getroffene Reichstagsbeschluss, die Dynastie Romanow für abgesetzt zu erklären, war nicht nur naiv und kurzsichtig, sondern verhinderte jeden bis dahin noch möglichen Verhandlungsspielraum mit dem Zaren Nikolaus I. auf diplomatischer und deeskalierender Basis. Das russische Zarenhaus konnte sich besonders außenpolitisch diesen Beschluss nicht bieten lassen und unternahm alles, um die eigene Machtposition wieder zu festigen. Unmittelbare Folge war das Einrücken der russischen Armee mit 115000 Mann in Polen.[9] Nicht zuletzt aufgrund dieses politischen Fehltrittes gelang es der polnischen Diplomatie nicht eine internationale Vermittlung in diesem Konflikt zustande zu bringen.

2.3. Die Auswirkungen des Aufstandes

Die Kriegsfolgen sind für das Königreich Polen als katastrophal einzustufen. Das gesamte Gebiet östlich der Weichsel, das nicht ohnehin schon durch die kriegerischen Auseinandersetzungen beschädigt worden war, wurde beabsichtigt durch die Russen zerstört. Eine Bearbeitung der Felder fand nicht mehr statt, die Viehbestände waren aufgrund der eineinhalbjährig-andauernden Truppenversorgung extrem zurückgegangen, woraus wiederum Hungersnöte resultierten. In vielen Gebieten kam es zu Seuchenausbrüchen, allen voran Pest und Cholera. Komplette Dörfer verschwanden vom Erdboden, zudem kam es zu Flüchtlingsbewegungen in andere Ortschaften. Nahezu jede Familie in Warschau hatte Angehörige bei den Kämpfen verloren und befand sich außerdem in finanziellen Schwierigkeiten, da die gesamte Wirtschaft unter dem vorangegangenen Kriegsdruck litt. Die leeren Kassen konnten nicht mit Steuergeldern aufgefüllt werden, aufgrund der Tatsache, dass Wirtschaftssektoren nicht mehr genutzt werden konnten und somit zu keinen Einnahmen mehr führten. Auslandkredite, die zumindest kurzfristig für Stabilität hätten sorgen können, wurden wegen mangelnder Sicherheiten nicht gewährt.[10]

[...]


[1] Brudzynska-Nemec, Gabriela: Polenvereine in Baden. Hilfeleistung süddeutscher Liberaler für die polnischen Freiheitskämpfer 1831-1832, S. 13.

[2] Gerecke, Anneliese: Das deutsche Echo auf die polnische Erhebung von 1830, S. 54.

[3] Vgl. Gill, Arnon: Freiheitskämpfe der Polen im 19. Jahrhundert: Erhebungen – Aufstände – Revolutionen, S. 184f.

[4] Erst Ende Mai sollte sich das Blatt zugunsten der Petersburger wenden. Jan Skrzynecki, der polnische Oberbefehlshaber, der bereits eine ganze Serie kleinerer Einzelerfolge aufweisen konnte, wurde am 26. Mai bei Ostrołęka von Diebitsch angegriffen und geschlagen. Aber der russische Sieg war nur unter schweren Verlusten erfochten, dazu wütete nach wie vor die seuche in den reihen der Russen, und der Oberbefehlshaber der kaiserlichen Armee wagte wiederum nicht, seinen erfolg auszunutzen. Skrzynecki konnte sich in das stark befestigte Praga zurückziehen. Doch wenn Ostrołęka auch nicht die in Petersburg bereits ungeduldig erwartete Entscheidung gebracht hatte, es konnte keinem Zweifel unterliegen, daß die polnischen Verluste an Offizieren und Mannschaften nicht wieder aufzufüllen waren und daß der bis dahin geradezu Wunder wirkende Enthusiasmus der Insurgenten empfindlich getroffen war. (Gerecke, Anneliese: Das deutsche Echo auf die polnische Erhebung von 1830, S. 12.

[5] Vgl. Gill, Arnon: Freiheitskämpfe der Polen im 19. Jahrhundert: Erhebungen – Aufstände – Revolutionen, S. 185.

[6] Vgl. Hoensch, Jörg K.: Geschichte Polens, S. 200.

[7] Die vom vierjährigen Sejm angenommene polnische Verfassung war das erste Grundgesetz in der Geschichte Europas und nach der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika die zweite der Welt. Dieser wichtige politische und soziale Akt kam gegen Ende der ersten Republik, an der Schwelle langer Jahre der Unfreiheit, zustande. Die Verfassung vom 3. Mai ließ die damals herrschende Ständeteilung unangetastet, schwächte aber die Position der Magnatenschaft. Sie beseitigte das tragische, libero veto d.h. das Recht, den Sejm auf den Ruf eines einzigen Abgeordneten: Ich gestatte es nicht! Aufzulösen, sowie die freie Königwahl, schränkte die Rolle des aristokratischen Senats ein, erweiterte die Rechte der Bürger und gratulierte den Bauern die Betreuung durch Gesetz und Regierung. (http://www.3ro.de/polnische_verfassung.php)

[8] Vgl. Gill, Arnon: Freiheitskämpfe der Polen im 19. Jahrhundert: Erhebungen – Aufstände – Revolutionen, S. 187.

[9] Vgl. Hoensch, Jörg K.: Geschichte Polens, S. 199.

[10] Vgl. Gill, Arnon: Freiheitskämpfe der Polen im 19. Jahrhundert: Erhebungen – Aufstände – Revolutionen, S. 188.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Der polnische Novemberaufstand und die Reaktion in Deutschland
Untertitel
Polenfreundschaft als Ausdruck liberaler Ideen und Hilfsbereitschaft
Hochschule
Universität der Bundeswehr München, Neubiberg  (Historisches Institut)
Veranstaltung
Aufstände und Revolutionen im russländischen Reich
Note
2,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
14
Katalognummer
V140275
ISBN (eBook)
9783640473489
ISBN (Buch)
9783640473793
Dateigröße
462 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
Novemberaufstand, Reaktion, Deutschland, Polenfreundschaft, Ausdruck, Ideen, Hilfsbereitschaft
Arbeit zitieren
Alexander Christian Pape (Autor:in), 2009, Der polnische Novemberaufstand und die Reaktion in Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/140275

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