"Polenaktion" 1938

Die erste Ausweiseaktion der nationalsozialistischen Regierung an polnischen Juden


Hausarbeit (Hauptseminar), 2009

21 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Vorgeschichte
2.1 Deutschland
2.2 Polen

3. osteuropäische Juden im Dritten Reich

4. Das polnische Märzgesetz

5. Ereignisse und Verhandlungen im Verlauf des Jahres 1938

6. Die Ausweisung der polnischen Juden aus Deutschland im Oktober 1938
6.1 Beginn der Polenaktion
6.2 Ankunft an der Grenze Neu-Bentschen – Zbaszyn

7. Verhandlungen zwischen Deutschland und Polen

8. Folgen der Ausweisungsaktion

9. Schlussbetrachtung

10. Bibliographie

1. Einleitung

Im Verlauf dieser Seminararbeit werde ich auf die Ereignisse im Bezug auf die sogenannte „Polenaktion“ eingehen. Dabei möchte ich der Fragestellung nachgehen: Wie konnte es dazu kommen, dass 17 000 Menschen abgeschoben und größtenteils für ein halbes Jahr im Niemandsland leben mussten.“ Meine These „Beide Staaten, Polen und Deutschland, wollten sich durch ihre Gesetzgebung und Aktionen der polnischen Juden, die in Deutschland lebten, entledigen.“ soll im Laufe dieser Arbeit bewiesen werden und zur Beantwortung der Fragestellung beitragen.

Die „Polenaktion“ war die erste Ausweiseaktion, vom 27. bis 28. Oktober 1938, der nationalsozialistischen Regierung von ca. 17 000 polnischen Juden. Dies war eine Reaktion auf das März-Gesetz Polens von 1938. Durch dieses hätten ca. 70 000 polnische Juden, die in Deutschland lebten, ihre Staatsangehörigkeit verloren und hätten in Deutschland bleiben müssen. Dies wollte die deutsche Regierung nicht hinnehmen und ließ die Juden an die deutsch-polnische Grenze bringen. Dort lebten ca. 8 000 Menschen im Niemandsland unter katastrophalen Bedingungen, da sich die polnische Regierung weigerte sie nach Polen einreisen zu lassen.

Vorab gibt es einen kleinen Überblick über die Situation der polnischen Juden in Polen und Deutschland in den vorangegangenen Jahrzehnten. Im Anschluss wird noch explizit auf den Umgang mit Ostjuden in den dreißiger Jahren des Dritten Reichs eingegangen. Im vierten Kapitel wird sich mit dem März-Gesetz der polnischen Regierung befasst. Daran anschließend wird im fünften Kapitel auf die Ereignisse zwischen Polen und Deutschland im Frühjahr, Sommer und Herbst 1938 eingegangen. Das sechste Kapitel beschäftigt sich mit der eigentlichen Abschiebungsaktion. Dabei werden besonders die Ereignisse an der deutsch-polnischen Grenze bei Bentschen und Zbaszyn geschildert. Anschließend werden die Verhandlungen zwischen der polnischen und deutschen Regierung und deren Unterbrechung durch die Reichspogromnacht behandelt. Im achten Kapitel wird der weitere Verbleib der Juden im Niemandsland beschrieben und wie sich die diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Polen entwickelten.

Das Thema der Ausweisung der polnischen Juden aus Deutschland im Jahr 1938 wurde von den Historikern eher am Rande behandelt, da die Ereignisse um den 9. November 1938 besser erforscht wurden. In der älteren Literatur wird die Problematik meist nur auf ein paar Seiten beschrieben als Vorgeschichte zur Reichspogromnacht. Die Literatur, die sich mit dem Thema Polenaktion beschäftigen ist größtenteils schon etwas älter, aber dennoch sehr informativ. 1957 wurde Helmut Heibers Artikel „Der Fall Grünspan“ veröffentlicht. Er geht sehr präzise auf Grünspans Leben und seine Beweggründe für das Attentat an Ernst von Rath ein. Er beschreibt die einzelnen Abläufe des Tages des Attentats sehr detailliert. Trude Maurer befasst sich in ihrem Artikel „Abschiebung und Attentat. Die Ausweisung der polnischen Juden und der Vorwand für die ‚Kristallnacht‘“, von 1988, sehr genau mit den Ereignissen im Oktober 1938. Sie gibt einen kurzen Überblick über die Vorgeschichte der Aktion und schlägt den Bogen über die Polenaktion bis hin zur Reichspogromnacht. Zwei Jahre später erschien der Artikel Sybil Miltons „Menschen zwischen Grenzen. Die Polenausweisung 1938“. Auch Milton befasst sich sehr ausführlich mit den Ereignissen im Oktober 1938. Jedoch finden sich bei ihr kleine Fehler und Ungereimtheiten, die durch die Beschäftigung mit der Thematik schnell auffallen.

Zu der aktuelleren Literatur, die sich mit dem Thema beschäftigt, gehört das Kapitel über die „Polenaktion“ in Thomas Urbans Buch „Der Verlust. Die Vertreibung der Deutschen und Polen im 20. Jahrhundert“. Urban versucht seine These, dass die Polenaktion der Auftakt zum Holocaust war, zu bestätigen. Dies gelingt ihm jedoch nicht, da zu diesem Zeitpunkt den Nationalsozialisten selbst noch nicht klar war wie sie weiter mit den Juden umgehen sollten. Man könnte sagen, dass sie die aus der Polenaktion gemachten Erfahrungen später verwendeten, nicht aber, dass dies der Auftakt zum Holocaust war. Drei Jahre vor Urbans Buch veröffentlichte der polnische Professor Jerzy Tomaszewski sein Buch „Auftakt zur Vernichtung. Die Vertreibung polnischer Juden aus Deutschland im Jahre 1938“. Tomaszewski war der Erste, der sich in einer Monographie umfassend mit dem Thema beschäftigt. Auf ca. 300 Seiten beleuchtet er jeden wichtigen Aspekt der Polenaktion, sowohl von polnischer als auch von deutscher Seite. Er belegt seine Argumente mit vielen Quellenauszügen und Beispielen.

2. Vorgeschichte

Im folgenden Kapitel soll die Situation der Juden in Deutschland und Polen geschildert werden. Dabei wird insbesondere auf Polen eingegangen, da gezeigt werden soll, dass der Antisemitismus sich im Laufe der Jahre verschärfte und die Judenfeindschaft kein Phänomen in der polnischen Gesellschaft war, sondern auch in der Politik präsent war. Die polnische Regierung versuchte die Juden zur Auswanderung zu bewegen und benutzt für dieses Ziel verschiedene Strategien.

In den vergangenen zwei Jahrzehnten gab es immer wieder vereinzelte Fälle von Ausweisung polnischer Juden aus Deutschland. Polen lehnte aber immer häufiger die Aufnahme dieser Menschen ab. Beide Seiten, Deutschland und auch Polen, versuchten im 1938 „sich der ganzen Bevölkerungsgruppe zu entledigen.“[1]

2.1 Deutschland

Nach den Pogromen 1881 in Russland kam es zu Massenauswanderungen der Juden aus Russland und Österreich-Ungarn. Ihr Hauptziel waren die USA. Deutschland war nur ein Durchgangsland. Aber ein kleiner Teil dieser Auswanderer wurde in Deutschland ansässig. 1910 waren es ca. 70 000. Im April 1918 kam es zu einer Grenzsperre für ostjüdische Arbeiter. Als Grund wurde die „Gefahr der Einschleppung von Fleckfieber“ genannt, der aber schon damals nicht belegbar war.[2] Die Einreise ins Reich wurde nur noch aufgrund eines speziellen befristeten Visums und nach der Prüfung der Einreisegründe gewährt. 1919 und 1920 kamen noch tausende osteuropäische Juden nach Deutschland. Sie waren auf der Flucht vor Pogromen in Polen und der Ukraine. Zunächst wurden diese Flüchtlinge geduldet, sofern „sie sich nichts zu schulden kommen ließen“[3] und jüdische Organisationen für ihren Unterhalt aufkamen.

Ab 1923 sollten grundsätzlich keine Ausländer, die bereits vor 1914 eingewandert waren, aus Preußen ausgewiesen werden. Ebenso keine Ausländer, die vier Jahre ununterbrochen im Reich gewohnt haben und deren Existenz wirtschaftlich gesichert war. 1925 lebten 107 747 jüdische Ausländer in Deutschland, davon waren 50 993 polnischer Staatsangehörigkeit. Die polnischen Behörden hielten deshalb in vielen Fällen das „Heimatrecht“ nicht für erwiesen und verweigerten die Einreise nach Polen.[4]

2.2 Polen

Aufgrund eines ununterbrochenen Aufenthalts von vier Jahren in Deutschland sahen die polnischen Behörden die Zugehörigkeit der polnischen Juden zu Polen nicht mehr belegt und verweigerten immer häufiger die Einreise bzw. Rückwanderung nach Polen. Der Staat verweigerte Juden häufiger einen Pass oder erpressten sie bei der Antragsstellung, z.B. mit dem Kauf polnischer Staatsanleihen oder mit dem Eintritt ins Militär. In Deutschland war es für Ausländer strafbar, wenn sie keinen Pass besaßen.[5] Auch Jozef Lipski, der polnische Botschafter in Berlin beschrieb, warum die polnischen Juden, die in Deutschland lebten, keine wirklichen polnischen Staatsbürger mehr seien. Er beschreibt das Verhältnis zwischen diesen Juden und dem Staat Polen folgendermaßen:

„Die Mehrheit der polnischen Juden kam schon in den Vorkriegsjahren nach Deutschland. Ihre Kinder sind also in Deutschland geboren und aufgewachsen und können daher kein Polnisch. Die Alten beherrschen zwar noch das Polnische, benutzen diese Sprache jedoch nicht mehr im täglichen Leben.“[6]

Auf der Pariser Konferenz 1919 wurden die Minderheitenschutzverträge beschlossen. Nach diesen mussten nationalen Minderheiten eine bürgerliche Gleichberechtigung gewährleistet werden. Außerdem sollte die Errichtung eigener Schulen, sowie Institutionen religiöser, sozialer und wohltätiger Art und Weise gestattet werden. 1931 lebten 3,1 Mio. Juden in Polen, das waren 9,8 Prozent der Gesamtbevölkerung Polens. Sie wurden wirtschaftlich und gesellschaftlich diskriminiert und fast gänzlich aus der Beamtenschaft ausgeschlossen, ab 1937 auch aus verschiedenen Berufsverbänden. In den Universitäten gab es gesetzlich keinen Numerus clausus, aber einen faktischen für Juden. Jüdische Studenten mussten auf besonderen Bänken, während der Veranstaltung, Platz nehmen. Jüdische Kaufleute und Unternehmer wurden bei der Vergabe von Staatsauträgen zurückgewiesen. Auch das Sonntagsruhegesetz trug zur weiteren Diskriminierung der Juden in Polen bei. Der jüdische Sabbat beginnt mit dem freitäglichen Sonnenuntergang und endet mit dem Sonnenuntergang am Samstag. Schlussfolgernd waren die Juden gezwungen zwei Tage frei zu nehmen. Gemischte Betriebe hatten keinen Grund mehr Juden einzustellen.[7]

Die offizielle Politik und die Haltung des größten Teils der polnischen Gesellschaft waren antijüdisch. Die Gesellschaft in Ostpolen war „traditionell überwiegend antisemitisch eingestellt.“[8] Als 1935 Marschall Jozef Pilsudski starb, der die extremen Nationalisten immer in die Schranken verwies, setzten sich Politiker an die Spitze der Politik, die die Juden als Fremdkörper in der polnischen Gesellschaft betrachteten und 1938 das März-Gesetz verabschiedete. Aber es gab keine Verbrechen an den Juden im staatlichen Auftrag, wie dies in Deutschland geschah.[9]

Mitte der dreißiger Jahre verschärfte sich die Weltwirtschaftskrise in Polen und als Folge verschärfte sich der Antisemitismus. Im Osten Polens kam es immer häufiger zu Übergriffen nationalistischer Gruppen auf Juden. Zwischen 1935 und 1937 wurden vermehrt jüdische Geschäfte zerstört. Es gab tätliche Angriffe, bei denen 14 Menschen zu Tode kamen. Der Premierminister Felicjan Skladkowski verurteilte 1936 dieses Verhalten gegenüber den Juden in der Sejm. Gewalt gegen Juden wäre nicht zu tolerieren, aber man dürfe ihre Geschäfte boykottieren. Auch von kirchlicher Seite, durch Kardinal August Hlond, wurde körperliche Gewalt gegen Juden verurteilt, da es sich dabei um eine Sünde handelte. Aber auch er sprach sich für einen Boykott der jüdischen Geschäfte aus.[10]

Die polnische Gesellschaft nahm die Juden als Ganzes war und nicht als Individuen. Besonders betroffen von antisemitischen Aktionen waren „vor allem die armen, kleinbürgerlichen Schichten, die nur schlecht Polnisch sprachen und zur nichtjüdischen Bevölkerung Distanz wahrten. Diese Juden blieben Fremde, stets unter dem Verdacht Geheimnisse zu verbergen oder die Rechtsordnung zu umgehen. In den weniger gebildeten Kreisen [der polnischen Gesellschaft][11] hielten sich düstere Vorurteile auf religiöser Grundlage […].“ Diese religiösen Vorurteile wurden teilweise von kirchlichen Beamten noch weiter geschürt.[12]

Ab 1936 verfolgte die polnische Regierung den Plan der Massenauswanderungen der Juden. Sie unterstützte zionistische Bewegungen in Palästina und „wünschte zum Zweck der Judenansiedlung auch Völkerbundsmandate für Kolonien.“[13] Ebenso wurde Madagaskar als mögliches Ansiedlungsgebiet ins Auge gefasst. Unbesiedelte Teile der Insel sollten den Juden als Siedlungsgebiet zur Verfügung stehen. Dieses Konzept wurde später vom Generalgouverneur Hans Frank aufgegriffen.[14]

In einem Memorandum des polnischen Außenministeriums von 1938 werden die Ziele der polnischen Politik nochmals deutlich:

[...]


[1] Maurer, Trude: Abschiebung und Attentat. Die Ausweisung der polnischen Juden und der Vorwand für die „Kristallnacht“, In: Pehle, Walter H.: Der Judenpogrom 1938. Von der ‚Reichskristallnacht‘ zum Völkermord, Frankfurt/Main 1988, S. 54.

[2] Ebd.

[3] Ebd.

[4] Vgl. Ebd., S. 54-55.

[5] Vgl. Ebd., S. 55.

[6] Zitiert nach: Urban, Thomas: Der Verlust. Die Vertreibung der Deutschen und Polen im 20. Jahrhundert, Bonn 2005, S. 44.

[7] Vgl. Maurer, Trude: Abschiebung und Attentat, S. 55-56.

[8] Urban, Thomas: Der Verlust, S. 46.

[9] Vgl. Ebd.

[10] Vgl. Ebd., S. 46-47.

[11] Anmerkung der Verfasserin

[12] Vgl. Tomaszewski, Jerzy: Auftakt zur Vernichtung. Die Vertreibung polnischer Juden aus Deutschland im Jahre 1938, Osnabrück 2002, S. 81.

[13] Maurer, Trude: Abschiebung und Attentat, S. 56.

[14] Vgl. Urban, Thomas: Der Verlust, S. 47.

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Details

Titel
"Polenaktion" 1938
Untertitel
Die erste Ausweiseaktion der nationalsozialistischen Regierung an polnischen Juden
Hochschule
Universität Bremen
Note
2
Autor
Jahr
2009
Seiten
21
Katalognummer
V140311
ISBN (eBook)
9783640484409
ISBN (Buch)
9783640484225
Dateigröße
444 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Polenaktion, Ausweiseaktion, Regierung, Juden
Arbeit zitieren
Katharina Krabbe (Autor:in), 2009, "Polenaktion" 1938, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/140311

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