Anhand des Romans „Aus guter Familie. Leidensgeschichte eines Mädchens“ (1895) von Gabriele Reuter wird in der vorliegenden Arbeit untersucht, wie eine weibliche Schriftstellerin um die Jahrhundertwende den herrschenden Weiblichkeits- und Hysteriediskursen begegnete. Dafür erfolgt eine Betrachtung der kulturellen Deutungen, sozial verbindlichen Normen und Werten einerseits sowie weiblichen Handlungspotentialen, Mustern der Selbstwahrnehmung und konformen wie abweichendem Verhalten andererseits. Die ambivalente Haltung der Autorin zum eigenen Geschlecht und ihrer eigenen literarischen Tätigkeit soll untersucht werden, ebenso wie die Frage, inwieweit ihre Werke von bestehenden Weiblichkeitsideologien und Diskurspraktiken der Zeit beeinflusst wurden. Die widersprüchliche Position der Frauen soll beleuchtet und erklärt werden. Es soll die Frage beantwortet werden, ob Hysterie als soziale Rolle behandelt wird und welche Funktion sie besaß. Warum wählten Frauen die Charakterzüge der Hysterie, um ihr Unbehagen oder ihren Ärger auszudrücken? Welche Intention verfolgt Reuter selbst mit ihrem Werk?
Den Hauptteil der vorliegenden Arbeit bildet die Analyse des Romans „Aus guter Familie. Leidensgeschichte eines Mädchens“ von Gabriele Reuter. Die ‚Leidensgeschichte‘ der Protagonistin Agathe Heidling wird durch die Faktoren dargestellt, die zum Verlust ihrer Identität und Individualität beitrugen und letztendlich zum Ausbruch der Hysterie führen: die widersprüchliche bürgerliche Mädchenerziehung, die Analyse von Parallelbiographien zu Agathe, die unterdrückte Sexualität sowie der Wahnsinnsausbruch der Protagonistin. Neben der vordergründig textimmanenten Interpretation sollen theoretische Ausführungen zu Weiblichkeit miteinbezogen werden. Auf eine detaillierte Inhaltswiedergabe wird zugunsten einer Beschreibung der Erzählstruktur und vorliegender Forschungsdiskurse verzichtet.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Hysterie-Diskurse in Medizin und Patriarchat
- 2.1 Kurze Einführung in die Geschichte der Hysterie
- 2.2 Hysterie als Modekrankheit im 19. Jahrhundert
- 2.3 Zirkulierende Weiblichkeitskonzepte um die Jahrhundertwende
- 3. Sigmund Freuds Hysteriebegriff als Krankheit
- 3.1 Die Entdeckung des Unbewussten – Anna O...
- 3.2 Die Entdeckung der sexuellen Ätiologie der Hysterie – Dora
- 3.3 Poststrukturalistische feministische Hysteriediskurse anhand von Luce Irigarays Differenzfeminismus
- 4. Analyse der Hysterie in „Aus guter Familie. Leidensgeschichte eines Mädchens“..
- 4.1 Die paradoxe bürgerliche Mädchenerziehung.
- 4.2 Parallel gestaltete weibliche Lebensentwürfe zu Agathe
- 4.3 Die unterdrückte Sexualität - zwischen Anpassung und Auflehnung
- 4.4 Der, Wahnsinn“ bei Agathe – vom Verlangen zur Verzweiflung..
- 5. Autobiographische Bezüge von Gabriele Reuter in „Aus guter Familie“..
- 5.1 Hysterie als Sozialkritik
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Masterarbeit analysiert Gabriele Reuters Roman „Aus guter Familie. Leidensgeschichte eines Mädchens“ (1895) im Kontext der Hysterie-Diskurse um 1900. Die Arbeit befasst sich mit den kulturellen Deutungen von Weiblichkeit und Hysterie und untersucht, wie eine weibliche Schriftstellerin der Zeit diese Diskurse in ihrer literarischen Arbeit reflektiert.
- Die Konstruktion von Weiblichkeit im 19. Jahrhundert
- Die medizinische und gesellschaftliche Deutung von Hysterie
- Die Darstellung weiblicher Handlungs- und Selbstwahrnehmungspotenziale in „Aus guter Familie“
- Die ambivalente Haltung der Autorin zum eigenen Geschlecht
- Die Rolle der Hysterie als soziales Phänomen und Ausdruck von Unbehagen
Zusammenfassung der Kapitel
- Kapitel 1: Die Einleitung bietet einen historischen Überblick über die Unterordnung des weiblichen Geschlechts und die Entstehung des „Zwei-Geschlechter-Modells“ im 18. Jahrhundert. Es werden die kulturellen Codes von Männlichkeit und Weiblichkeit und die Pathologisierung der Frau beleuchtet, wobei der Fokus auf dem Krankheitsbild der Hysterie liegt.
- Kapitel 2: Dieses Kapitel befasst sich mit Hysterie-Diskursen in Medizin und Patriarchat. Es werden die Geschichte der Hysterie, ihre Relevanz als Modekrankheit im 19. Jahrhundert und die zirkulierenden Weiblichkeitskonzepte um die Jahrhundertwende beleuchtet.
- Kapitel 3: Hier wird Sigmund Freuds Hysteriebegriff und dessen Entstehung anhand von Fallstudien wie Anna O. und Dora analysiert. Zudem werden poststrukturalistische feministische Hysteriediskurse im Kontext von Luce Irigarays Differenzfeminismus vorgestellt.
- Kapitel 4: In diesem Kapitel wird die Hysterie in „Aus guter Familie“ analysiert. Es werden die paradoxe bürgerliche Mädchenerziehung, die Lebensentwürfe von Agathe und ihre unterdrückte Sexualität untersucht, wobei der Fokus auf der Darstellung des „Wahnsinns“ bei Agathe liegt.
- Kapitel 5: Dieses Kapitel befasst sich mit autobiographischen Bezügen in Reuters Roman und betrachtet die Hysterie als sozialkritische Komponente.
Schlüsselwörter
Hysterie, Weiblichkeit, Geschlecht, Medizin, Patriarchat, Sigmund Freud, Luce Irigaray, Gabriele Reuter, „Aus guter Familie“, bürgerliche Gesellschaft, Mädchenerziehung, Sexualität, soziale Rolle, Sozialkritik.
- Quote paper
- Marie Gründer (Author), 2023, Hysterie und Weiblichkeit in der deutschen Literatur um 1900. Eine Analyse von Gabriele Reuters "Aus guter Familie. Leidensgeschichte eines Mädchens" (1895), Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1404108