Die wirtschaftliche und soziale Entwicklung im franquistischen Spanien


Hausarbeit (Hauptseminar), 1999

25 Seiten, Note: 1


Leseprobe


1. Einleitung

Anders als in anderen Industrienationen, in denen soziale Veränderungen in erster Linie durch soziale Reformen hervorgerufen werden, vollzog sich in Spanien ein gesellschaftlicher Wandel aufgrund der sich verändernden politischen und wirtschaftlichen Situation, die durch die Machtergreifung General Francisco Francos[1] gegeben war. Die wirtschaftliche Entwicklung läßt sich in zwei Phasen teilen, die zunächst die Zeit der Autarkiepolitik und später die einer Liberalisierung der Wirtschaft beschreiben. In der vorliegenden Arbeit werde ich mich im wesentlichen auf die 40er und 50er Jahre beschränken, also auf die Entwicklungsperiode der wirtschaftlichen Stagnation und der Anfänge einer politisch und wirtschaftlich freieren Gestaltung.

Um die Tatbestände sicher zu rekonstruieren, ist man zunächst von den überlieferten Quellen abhängig. Dabei treten jedoch Probleme auf, denn die staatlichen Archive Spaniens sind nur mit einer Einzelerlaubnis zugänglich. Ein Heranziehen der Massenmedien erscheint unmöglich, da diese bis in die 60er Jahre hinein kontrolliert wurden und somit bezüglich ihres Aussagewerts Schwierigkeiten mit sich bringen.[2] Aufgrund der Manipulation der öffentlichen Meinung und wegen der ideologischen Berieselung ist ein Zurückgreifen auf zeitgenössische Akten oder Kritikwerke unbefriedigend. Moderne Wissenschaftler wie BECK, BERNECKER, FRANZ, JACKSON, LOPEZ-CASERO, PAYNE, PIETSCHMANN oder WALDMANN sind sich einig, daß Spanien in dieser Zeit ein Land halber Entwicklungen war. Während die Industrie den ständigen Vorrang vor dem landwirtschaftlichen Sektor besaß, mangelte es an parallelen sozialen Reformen. Die Auswirkungen der forcierten Industrialisierung auf den gesellschaftlichen Bereich sind Bestandteil dieser Arbeit. Dazu werde ich zunächst den ideologisch organisierten Staatsaufbau beschreiben. Anschließend folgt mit Hilfe der modernen Literatur und trotz der oben beschriebenen Quellensituation eine Darstellung bzw. Charakterisierung der Autarkiepolitik. Es erscheint mir sinnvoll, deren Auswirkungen auf die Gesellschaft und die damit verbundenen Oppositionsbewegungen im nachhinein zu behandeln, da diese aus der staatlichen Politik resultieren.

2. Die ideologische Lenkung der Wirtschaft

Bei der Analyse der wirtschaftlichen Entwicklung Spaniens unter Franco sind dessen ideologische Grundsätze stets zu berücksichtigen. Ziel des Regierungschefs war die Errichtung eines autoritären, zentralistischen, antiliberalen, antikommunistischen und autarken Staates. Charakteristisch für die weltanschauliche Konzeption ist die Betonung der spanischen Geschichte und Tradition und der bewußten politischen und wirtschaftlichen Unabhängigkeit Spaniens von anderen westlichen Ländern. Das marxistische System der ehemaligen Sowjetunion mache den Menschen wertlos und verbreite unvergleichbares Elend, indem der Staat ihn versklave und selbst zum Kapitalisten, Arbeitgeber und Gendarmen werde.[3] In Spanien sei der Staat nicht Unterdrücker, sondern Organisator, der auf der Grundlage des vertikalen Syndikalismus` die Vielfältigkeit der wirtschaftlichen Interessen ordne.[4]

Die Falange[5] unterstützt und erweitert dieses Konzept durch ihre sozialen und vor allem wirtschaftlichen Vorstellungen: Diese beinhalten die Unterordnung der Wirtschaft unter die Politik und die Auffassung, daß jegliche Produktion im Dienst des Vaterlandes stehen solle. In diesem Zusammenhang sei Industrialisierung Ausdruck nationalen Prestiges.[6] Im Jahre 1941 wurde das staatliche Instituto Nacional de Industria (INI) gegründet, das zum einen die wirtschaftliche Autarkie sichern, die Rüstungsindustrie fördern und zum anderen Monopolbildungen beseitigen bzw, abbauen sollte. Das INI übernahm defizitäre Unternehmen, führte Sanierungen durch und trat bei Krisen wie z.B. im Schiffbau, bei Kohle- oder Stahl ein. PAYNE charakterisiert diese Politk folgendermaßen: „There is no doubt that the program of autarchy was generally inefficient.[...] State policy reinforced the existing structure of small enterprises by providing credit no matter how inefficient the firm.“[7] JACKSON definiert die Institution des INI als eine „Art von Betrug“: Importierte Maschinen seien verteuert und so die Produktionskosten erhöht worden. Dadurch habe es keine wettbewerbsfähigen Preise in der sich etablierenden Industrie geben können. Außerdem sei die Landwirtschaft zugunsten der Industrie besteuert worden, indem Exporteure landwirtschaftlicher Produkte mit ungünstigen Wechselkursen belastet gewesen seien.[8]

Trotz der Bürokratie und der beabsichtigten staatlichen Kontrolle profitierten die Unternehmer von der neuen Einrichtung, denn sie besaßen nur noch wenig Risiken, waren vor der internationalen Konkurrenz abgeschirmt und hatten einen leichten Zugang zu Krediten. Der Staat finanzierte seine Projekte durch übersteigerte öffentliche Kredite und Schuldverschreibungen und beschleunigte so eine Inflation, die wiederum einen enormen Preisanstieg zur Folge hatte.[9] Während die Lebenshaltungskosten zwischen 1940 und 1945 um 50% stiegen, sank das Pro-Kopf-Einkommen um etwa 10%. Dabei fand keine Angleichung der Löhne statt.[10] Abgesehen von den sozialen Gegenwirkungen, die ich später erläutern werde, entstanden enorme, oftmals unkontrollierte Ausgabesummen, die zu großen Verlusten der Institution beitrugen.

Viel problematischer war jedoch, daß im Falle einer Sättigung auf dem Binnenmarkt trotz der forcierten Industrialisierung keine weitere Absatzmöglichkeit bestand. Eine sich weiterentwickelnde Wirtschaft bzw. Industrie muß zwangsläufig multilaterale Handelsbeziehungen nach sich ziehen, um Devisen zu verdienen, mit denen erneut investiert oder Schulden abbezahlt werden können. Aus dieser Notwendigkeit heraus kann ein Staat ausschließlich durch den internationalen Vergleich nationales Prestige erlangen – mit Hilfe der Möglichkeit, sich hinsichtlich der Produktion oder Leistung mit anderen Staaten zu messen.

Neben der industriellen Intensivierung fehlte es an vergleichbaren Subventionsmaßnahmen innerhalb des primären Sektors. Dort mangelte es an Organisation und technischer Versorgung; erst 1952 verdoppelte sich die ohnehin niedrige Investition des Staates auf ca. 9,33% aller staatlichen Anlagen.[11] Hinzu kam die bereits angesprochene Exportbesteuerung zum Vorteil des sekundären Sektors. FRANZ veranschaulicht, inwiefern die Bedeutung der Landwirtschaft verkannt wurde: Der notwendige Import von Maschinen oder z.B. Öl als Energieträger hätte durch Devisen aus dem agrarischen Export finanziert werden können. Die Landwirtschaft habe traditionell den `Löwenanteil` am spanischen Export besessen; zudem sei die Industrie ausschließlich binnenmarktorientiert gewesen.[12] „Die Agrarreform hätte der für jegliche Modernisierung, gleich unter welchem Vorzeichen, unausweichliche Industrialisierung auf lange Sicht eine stabilere Grundlage verliehen.“[13]

2.1 Die Phase der Autarkie

Nach der Auffassung VINAS`[14] läßt sich die Autarkiephase in drei Teilabschnitte gliedern. Der erste ist zeitlich mit den Jahren des Zweiten Weltkriegs gleichzusetzen und beschreibt den Beginn der zwanzigjährigen wirtschaftlichen Stagnation nach dem Ende des spanischen Bürgerkriegs: Der Staat will die Haltung der neutralen, nicht kriegführenden Nation bewahren.[15] Dennoch bleibt die Anziehung faschistischer Mächte auf das Franco-Regime bestehen, so daß es am 22. Juni 1939 zu einer Entsendung spanischer Kampftruppen an die Ostfront, der sog. „Blauen Division“ kommt. Daß diese Einmischung in den Krieg durch die antikommunistischen Vorstellungen Francos bedingt war, wird von JACKSON dargelegt.[16] Dennoch ist allein die Tatsache, daß Hitler auf das spanische System Einfluß nehmen konnte, von Bedeutung: Die Unterstützung Deutschlands durch Franco beeinträchtigte später die außenpolitische Entfaltungsmöglichkeit Spaniens.

Die erste Teilphase war außerdem von einer inneren Inflationspolitik geprägt, indem man auf zu hohen Wechselkursen bestand. Somit verschlechterte sich die Handelsbilanz enorm, zumal Importe ausschließlich durch gleichwertige Exporte bezahlt werden konnten. Es kam zu einer drastischen Verringerung des Außenhandels.[17] Spanien galt zunehmend als kreditunwürdig, so daß ihm keine Auslandsdarlehen für den inneren Wiederaufbau gewährleistet wurden. Nach den verheerenden Folgen des Bürgerkrieges und des Zweiten Weltkriegs wirkte sich zusätzlich der Ausschluß Spaniens aus der Marshall-Plan-Hilfe aus.

[...]


[1] Im folgenden nur noch Franco.

[2] Vgl. Franz (1981), 246-250.

[3] Vgl. Walther L. Bernecker, in: Waldmann, Bernecker, Lopez-Casero (1984), 395-423, 404.

[4] Ebd.

[5] Nach der Ernennung Francos zum Regierungschef am 29.September 1936 wurden sämtliche politische Parteien verboten. Die 1934 gegründete Falange war die einzige in der Franco-Ära zugelassene politische Organisation. Auf diese Weise sollte eine gleichmäßige Ausrichtung der politischen Meinung gewährleistet sein. Die Falange war – historisch betrachtet – vor allem innenpolitisches Instrument Francos zur Absicherung seiner Macht. Zur Entwicklung und Bedeutung der Falange: Vgl. Bruoe/ Temime (1968), 567-570.

[6] Vgl. Bernecker/ Pietschmann (1993), 337.

[7] Payne (1987), 384.

[8] Vgl. Jackson (1982), 146f.

[9] Vgl. Ulrich Zelinsky, in: Waldmann/ Bernecker/ Lopez-Casero (1984), 279-303, 284f.

[10] Vgl. Jackson (1982), 142.

[11] Vgl. Payne (1987), 386-388.

[12] Vgl. Franz (1981), 274f.

[13] Ders., 273.

[14] Vgl. Angel Vinas, in: Waldmann, Bernecker, Lopez-Casero (1984), 266.

[15] Ebd.

[16] Vgl. Jackson (1982), 133. Die weitere Diskussion über die Haltung Spaniens im Zweiten Weltkrieg würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Vgl dazu: Bernecker/ Pietschmann (1993), 333-336.

[17] Vgl. Payne (1987), 384. Dazu auch: Bernecker/ Pietschmann (1993), 337.

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Die wirtschaftliche und soziale Entwicklung im franquistischen Spanien
Hochschule
Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover  (Historisches Seminar)
Veranstaltung
Hauptseminar
Note
1
Autor
Jahr
1999
Seiten
25
Katalognummer
V1405
ISBN (eBook)
9783638108720
Dateigröße
427 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Franco, Spanien, Faschismus, Wirtschaft
Arbeit zitieren
Miriam Riekenberg (Autor:in), 1999, Die wirtschaftliche und soziale Entwicklung im franquistischen Spanien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1405

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