Zwangsstörung - Erklärungsmodelle und Darstellung des verhaltenstherapeutischen Behandlungsablaufes


Hausarbeit, 2009

19 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Zwangsstörungen – Symptomatik, Epidemiologie und Verlauf

3 Psychologische Ursachen für Zwangsstörungen
3.1 Zwei-Faktoren-Modell nach Mowrer
3.2 Kognitiv-behaviorales Modell nach Salkovskis

4 Der Ablauf verhaltenstherapeutischer Behandlung
4.1 Vom Erstkontakt zur Therapie
4.2 Aufklärung über Krankheitsbild und Therapie
4.3 Den Zwang begreifen
4.4 Den Zwang herausfordern
4.5 Das Fühlen üben
4.6 Die Vorbereitung des Reizkonfrontationstrainings und die Durchführung der Reizüberflutung
4.7 Rückfallprophylaxe und Therapieende

5 Schlussbetrachtung

6 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

„Habe ich die Haustür wirklich abgesperrt oder nur ins Schloss fallen lassen? Sind die Fenster tatsächlich fest verschlossen oder nur angelehnt? Es ist furchtbar, wenn ich die Wohnung nicht einbruchsicher verlassen habe. Ich habe die Wohnung als letzter verlassen. Ich bin Schuld, wenn etwas passiert. Was ist, wenn Diebe kommen? In unserer Gegend ist ohnehin schon einmal eingebrochen worden. Das halte ich nicht aus! Ich muss sofort noch einmal umdrehen und zu hause nachschauen. Nein, es wird schon nichts passieren, ich versäume sonst den Bus zur Arbeit. Ich habe ohnehin alles mehrfach kontrolliert. Aber was ist, wenn ein Sturm ein Fenster öffnet, das doch nur angelehnt war? Bei einem Sturm sind nur wenig Menschen auf der Straße, und niemand sieht, wie leicht ein paar Ausländer unsere Wohnung ausräumen [...] und sofort unauffindbar aus der Gegend verschwinden [...]. Das Risiko ist zu groß. Das halte ich nicht aus. Mir wird ganz schlecht, wenn ich daran denke, was passieren kann“ (Morschitzky, 2004, S. 102).

Jeder Mensch vollzieht täglich die verschiedensten Rituale, die den Alltag erleichtern, Sicherheit und Struktur geben und auch eine Zeitersparnis darstellen können, wenn über routinierte Handlungsabläufe nicht mehr nachgedacht werden muss; bereits Kinder versuchen mit kleinen ritualisierten Spielchen ihr Schicksal zu bestimmen, indem beispielsweise das Ergebnis einer Schularbeit vom Vorbeifahren eines roten Autos oder der Schrittzahl bis zur nächsten Ampel abhängig gemacht wird; manche Menschen waschen sich häufiger als andere die Hände oder besitzen ein ausgeprägteres Verständnis für Ordnung und Sauberkeit. Aber was macht schlussendlich den Unterschied aus zwischen normalen sich aufdrängenden Gedanken, die jeder von Zeit zu Zeit erfährt, zu denen, die im oben dargelegten Beispiel eines Betroffenen mit Kontrollzwang beschrieben werden? In der vorliegenden Arbeit wird in einem ersten Schritt knapp die Symptomatik, Epidemiologie und der Verlauf einer Zwangsstörung dargestellt, um im darauf folgenden Kapitel auf die psychologische Ursachenbeschreibung eingehen zu können. Hierbei wird der Fokus auf Salkovskis kognitiv-behaviorales Modell zur Abgrenzung normaler gegenüber klinisch relevanter Gedanken gelegt. Zwangserkrankte verbringen den Großteil ihrer Zeit mit ihren krankhaften Gedanken und, je nach Krankheitsform, mit einhergehenden (routinierten) Handlungen. Aufgrund großer Scham und Angst vor Stigmatisierung findet im Laufe der Zeit ein sozialer Rückzug aus dem gesellschaftlichen Leben statt. Zwänge stellen noch immer eine große Herausforderung für Therapeuten und auch Theoretiker dar. Die Krankheit stand lange am Rande therapeutischer Behandlungsmöglichkeiten. Rückschläge und schwierige Behandlungsepisoden sind bei Betroffenen mit dieser manifestierten Störung nicht selten, aber gerade mit der Erarbeitung verhaltenstherapeutischer Behandlungsstrategien wurde die Möglichkeit der Genesung deutlich verbessert (vgl. Reinecker, 1999, S. 73). Daher wird im vierten Kapitel, vor der zusammenfassenden Schlussbetrachtung, der Ablauf dieser Behandlungsform aufgezeigt.

Abschließend verweise ich darauf, dass zur besseren Lesbarkeit geschlechtsneutrale Bezeichnungen verwendet werden, wobei die Patientin und der Patient sowie die und der Betroffene etc. selbstverständlich gleichermaßen gemeint sind.

2 Zwangsstörungen – Symptomatik, Epidemiologie und Verlauf

Unter einem Zwang sind Impulse, Gedanken, Vorstellungen und Handlungen zu verstehen, die sich einem Menschen immer wieder stereotyp aufdrängen, gleichwohl er versucht sich intensiv dagegen zu wehren. Die Zwänge werden als quälend, psychovegetativ und sinnlos belastend erlebt, sie lösen zudem Schuldgefühle aus, da sie als eigene Gedanken wahrgenommen werden.

Zwangshandlungen, wie auch klinisch relevante Rituale (einfache Wiederholung einer Handlung bis hin zu extrem komplizierten Abfolgen: desinfizierende Waschungen, ins Endlose wiederholte Formeln und Gebete etc.), tragen nicht zur Durchführung nützlicher, gewinnbringender Tätigkeiten bei, sondern vermindern lediglich Anspannungen und dienen der Abwehr vermeintlicher Gefahren (vgl. Morschitzky, S. 98).

Es existieren zwei große Gruppen von Zwangsstörungen, die sich differenzieren in Zwangsgedanken, -befürchtungen und –impulse (obsessions) und Zwangshandlungen (compulsions) (vgl. ebd., S. 98). Circa 80 Prozent aller Patienten mit einer Zwangsstörung sind sowohl von Zwangsgedanken als auch von Zwangshandlungen betroffen (vgl. Emmelkamp & Oppen, 2000, S. 5). Zu den am häufigsten vorkommenden Zwangshandlungen zählen Waschen und Kontrollieren. Patienten mit Reinigungszwang haben oft Angst davor, andere anzustecken; Kontaminationsangst führt wiederum zum ständigen sorgfältigen Waschen von Händen, Armen und/oder Kleidung (vgl. ebd., S. 5). Beim Kontrollzwang befürchten die Patienten, dass das Nicht-Kontrollieren zum Eintreten von Katastrophen führe. Um dies zu verhindern, werden Gashähne, Türen und Schlösser sowie Schecks etc. häufig kontrolliert. Die am meisten auftretenden Zwangsgedanken beziehen sich auf die Möglichkeit, seinen Mitmenschen etwas antun zu können (z.B. jemanden zu überfahren) (vgl. ebd., S. 5).

Bereits im 18. Jahrhundert wurde in der Literatur über Zwangsphänomene berichtet und der deutsche Psychiater und Neurologie Carl Friedrich Otto Westphal (1833 – 1890) beschrieb sie vor mehr als einem Jahrhundert (1878) als „absortive insanity“, eine leichte Form der Schizophrenie, bei der sich bizarres Verhalten und sich aufdrängende Gedanken von Patienten mit einer Zwangsstörung verbinden. Heute findet sich eine differenzierte Klassifizierung neben jener des DSM-IV im ICD-10[1], auf die an dieser Stelle auszugsartig eingegangen werden soll: Ein Kriterium zur Diagnose der Zwangsstörung (F42) ist das Auftreten von Obsessionen oder Compulsionen innerhalb eines Zeitraums von zwei Wochen an den meisten Tagen, wobei der Betroffene mindestens eine als unangemessen oder übertrieben anerkennt. Trotz des Versuchs der Unterdrückung der Zwangshandlungen oder - gedanken, gibt es wenigstens eine Handlung bzw. einen Gedanken, der nicht erfolgreich verdrängt werden kann. Zwangsstörungen verursachen Beschwerden und/oder beeinträchtigen meist aus Zeitmangel die Alltagsbewältigung sowie das soziale Leben. Als häufigstes Ausschlusskriterium gilt, dass die Zwangsgedanken oder –handlungen nicht das Ergebnis anderer psychischer Störungen sind (wie z.B. einer Schizophrenie und verwandten Störungen (F2) oder affektiven Störungen (F3)) (vgl. Dilling et al., 1994, S. 122 f.). Tritt sie komorbide auf, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Depression zu einer bereits manifestierten Zwangsstörung hinzukommt, dreimal so groß wie der umgekehrte Fall (vgl. Demal et al., 1992).

In Deutschland liegt die Lebenszeit-Prävalenz bei einem bis zwei Prozent, wobei jedoch von einer deutlichen Unterschätzung dieser Rate aufgrund einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden kann (vgl. Reinecker, 1999, S. 73). Bei 39 Prozent der Zwangskranken trat über einen Beobachtungszeitraum von sieben Jahren eine Verschlechterung und Chronifizierung ein. Zwangsstörungen sind meist durch eine schleichende Entwicklung gekennzeichnet, wobei jedoch ein akuter Beginn durch bestimmte Auslöser ebenfalls möglich ist (vgl. Morschitzky, 2004, S. 115). Sie entstehen meist im Alter zwischen 20 und 25 Jahren, bereits vor dem zehnten Lebensjahr treten die Beschwerden bei zehn Prozent, bei neun Prozent nach dem vierzigsten auf (vgl. Emmelkamp & Oppen, 2000, S. 11). Zu den Zwangskranken zählen etwa 55 Prozent Frauen und 45 Prozent Männer, die ein bis vier Jahre früher erkranken (vgl. Oelkers et al., 2007, S. 7).

Zwangsstörungen gelten als „heimliche Krankheit“, da Patienten aus Scham und Stigmatisierungsangst versuchen, sie so lange wie möglich geheim zu halten und alleine zu bewältigen. Erst durch verschiedenste Folgeprobleme, d.h. ernste depressive Beschwerden (vgl. ebd., S. 12, zit. nach Marks, 1987), Beziehungsprobleme (vgl. Emmelkamp & Oppen, 2000, S. 12, zit. nach Emmelkamp, de Haan & Hoogduin, 1990) und Alkoholmissbrauch (vgl. ebd., S. 12, zit. nach Karno et al., 1988), fallen sie auf.

Der Störungsverlauf ist ohne adäquate Behandlung ungünstig; dauert die Zwangsstörung bei Erwachsenen länger als ein Jahr an, ist von einer Spontanheilung in den seltensten Fällen und von einer Chronifizierung der Krankheit auszugehen. Die Schwere der entwickelten Symptome fluktuiert bei den meisten Patienten (vgl. Emmelkamp & van Oppen, 2000, S. 12, zit. nach Wittchen, 1988). Nur bei wenigen setzen die Zwangsbeschwerden zeitweilig aus oder klingen spontan ab, meist verschlimmern sie sich jedoch im Laufe der Zeit. Die vollständige Heilung einer langjährigen Symptomatik ist eher die Ausnahme, aber eine wesentliche Besserung durch Kombination von Verhaltenstherapie und Psychopharmakotherapie bei therapiemotivierten Patienten, ist sehr wahrscheinlich (vgl. Morschitzky, 2000, S. 116).

3 Psychologische Ursachen für Zwangsstörungen

„Wie wollen diese Hände denn nie rein werden? (...)

Noch immer riecht es hier nach Blut;

Alle Wohlgerüche Arabiens würden diese kleine Hand

Nicht wohlriechend riechen machen. Oh, oh, oh!...“[2]

Shakespeares literarische Beschreibung der Lady Macbeth, auf deren Machtgier Schuldgefühle und Selbstbestrafung folgen und die sich verzweifelt in Reinigungsrituale flüchtet, ist nicht allzu weit vom ersten, durch Sigmund Freud (1856 - 1939) begründeten Erklärungsmodell (1894) einer Zwangsstörung entfernt. Diese beschrieb er erstmals (vorher Ausdruck eines Teufelswerks) als Resultat benennbarer psychischer Prozesse innerhalb des Menschen (triebhafte (unmoralische) Wünsche vs. Forderungen des Gewissens) und gab ihnen somit den Stellenwert einer psychischen Erkrankung. Obgleich bis heute eine vielfache Überarbeitung seines Konzepts stattgefunden hat und zur Erklärung statt psychoanalytischer Verfahren lern- und verhaltenstheoretische Modelle sowie kognitive Konzepte herangezogen werden, so wurden dennoch viele Generationen von Psychiatern und Psychotherapeuten durch seine Darstellung beeinflusst. Dies führte letztendlich, den Kreis hiermit schließend, zu den vorherrschenden Erkenntnissen und Modellen seit Mitte des 20. Jahrhunderts.

[...]


[1] Es ist anzumerken, dass, obwohl die Kriterien der ICD-10 grundsätzlich mit den im DSM-IV verwendeten Kriterien übereinstimmen, die Störung im DSM-IV jedoch etwas genauer beschrieben wird (siehe ausführlich hierzu Emmelkamp & van Oppen (2000), S. 2 ff. und Morschitzky, 2004, S. 98 ff.).

[2] Macbeth, 5. Akt, I. Szene.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Zwangsstörung - Erklärungsmodelle und Darstellung des verhaltenstherapeutischen Behandlungsablaufes
Hochschule
Universität Hildesheim (Stiftung)
Note
1,7
Autor
Jahr
2009
Seiten
19
Katalognummer
V141099
ISBN (eBook)
9783640517930
ISBN (Buch)
9783640517640
Dateigröße
430 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Zwangsstörung, Erklärungsmodelle, Darstellung, Behandlungsablaufes
Arbeit zitieren
Undine Thiemeier (Autor:in), 2009, Zwangsstörung - Erklärungsmodelle und Darstellung des verhaltenstherapeutischen Behandlungsablaufes, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/141099

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