Die deutsche auswärtige Kultur- und Sprachpolitik und ihr Einfluss auf den DaF-Unterricht im Ausland

Kritische Bestandsaufnahme und Ausblick


Diplomarbeit, 2002

79 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhalt

Abkürzungsverzeichnis

Vorwort

Einleitung

1. "Attraktivitäts-Faktoren" der internationalen Stellung einer Sprache

2.1 Sprache als Instrument der auswärtigen Politik
2.2 Sprachverbreitungspolitik: Sprachpolitik nicht gleich Sprachenpolitik

3. Rahmenbedingungen für Deutsch (als Fremdsprache) und Germanistik weltweit
3.1 Der Rückzug des Staates aus der Bildungs- und Kulturpolitik
3.2 Zur Sprach( en}politik der Bundesrepublik Deutschland in der EU
3.3 Sprach(en}politik anderer Länder - Dezentralisierung I Deregulierung

4. Fremdsprachenangebot und Sprachenfolge: Deutsch als 2. Fremdsprache

5. "Unterlassungspolitik" deutscher Mittlerorganisationen am Beispiel TestDaF

6.1 Spezifisch deutsche "Sprachloyalität" versus "Sprachilloyalität"
6.2 "Innere" versus "äußere Sprachloyalität" im Licht von Sprachkultur und –pflege
6.3 Das Phänomen deutscher Sprach(il)loyalität im Kontext von Daf im Ausland

7.DW-tv in Asien: "Der unsichtbare Spätankömmling"

8.Verhandlungssprache Deutsch als Wirtschaftsfaktor

9.Die Ökonomisierung der Fremdsprachenpolitik
9.1 Stellung der Deutschlehrkräfte und Deutschlerner

10.Kein Anlass zu Fatalismus: Hoffnungsfroh stimmende GUN-Erhebungen

11.Entwicklung der AKP im deutschen Auslandsschulwesen
11.1 Gegenwärtiger Stand der AKP im Schulbereich
11.2 Bildungseinrichtungen im Auslandsschulwesen: Deutsche Auslandsschulen
11.2.1 Deutschsprachige Schulen mit deutschem Schulziel
11.2.2 Zweisprachige Schulen mit integriertem Unterrichtsprogramm und bikulturellem Schulziel
11.2.3 Zweisprachige Schulen mit gegliedertem Unterrichtsprogramm und bikulturellem Schulziel
11.2.4 Schulische Einrichtungen mit berufsorientiertem Schulziel
11.2.5 Förderung des Deutschunterrichts an landessprachigen Schulen
11.2.6 Landessprachige Schulen mit Deutschunterricht und einheimischem Schulziel
11.2.7 Landessprachige Schulen mit deutscher Tradition und einheimischem Schulziel
11.2.8 "Sonnabendschulen"
11.2.9 Europäische Schulen
11.3 Lehrerentsendeprogramm
11.4 Deutsches Sprachdiplom der Kultusministerkonferenz

12.1 Englisch als dominierende Konkurrenzsprache
12.2 Antizyklische, wenngleich wenig beachtete Positiventwicklung
12.3 Deutsch neben Englisch: Argumente pro Sprachenvielfalt

13.Die künftige Basis für Deutsch als - zweite - Fremdsprache (L3)

14.Germanistik und Wissenschaftssprache Deutsch
14.1 Tendenzen bei der Sprachvermittlung im Hochschulbereich
14.2 Konsequenzen für die DAAD-Lektorenprogramme

15.1 Die traditionelle Germanistik
15.2 Neuen Entwicklungen "German (and European) Studies" / "Cultural Studies" Rechnung tragen

16. Aktuelles Volumen öffentlicher Deutsch-Fördermaßnahmen im Ausland

17.1 Deutsch-Aktivitäten vs. "Konkurrenzsprachen" in den südlichen GUS-Staaten
17.2 Deutsch-Aktivitäten vs. "Konkurrenzsprachen" in Nordamerika (USAlKanada)

18.Handlungsbedarf und Desiderata

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Vorwort

Die Öffnung Osteuropas, wo 16 neue Niederlassungen eröffnet wurden, und die Sparpolitik haben das GI und andere bundesdeutsche Mittlerorganisationen in eine doppelte Sinnkrise gestürzt, die sie nicht allein lösen können: Was kann, was sollen sie wo auf der Welt leisten? Was ist der Stellenwert von Sprache und Kultur in der Außenpolitik? Wie viel von den Leitsätzen zur AKP, die eine Enquetekommission des Bundestags 1970 unter Vorsitz von Ralf Dahrendorf formuliert hat, ist heute noch gültig? Stimmen die Programme vor Ort mit den Zielen überein, die sich die "Goetheaner" setzen und öffentlich verkünden? Wo sind die Prioritäten?

(Henard 2001: 1)

Dazu will ich in dieser Arbeit die Frage diskutieren, wie Realpolitik, Kulturpolitik und Sprachenpolitik zusammenhängen und welche Rolle Deutsch als Fremdsprache (DaF) hierbei spielt. Dabei sollen sowohl die Außen- wie die Innenperspektive berücksichtigt werden, d.h., welche Rolle spielt Deutsch in der Gemeinschaft der Sprachen, welche Tendenzen sind zu beobachten und wie versucht die deutsche Kulturpolitik lenkend in diese Entwicklungen einzugreifen. Weitere Fragen, die ich erörtern möchte, sind u.a.:

Welche Rolle spielt Deutsch in internationalen Organisationen? Wovon hängt das Prestige einer Sprache ab? Wie viel eigenes Sprachbewusstsein bzw. eigene Sprachloyalität ist vonnöten, um die Förderung des Deutschen international voranzubringen?

Einleitung

Deutschland muss sparen, wenn es - wie aus aktuellem Anlass - nicht gerade- um Terrorismusbekämpfung und innere Sicherheit geht, was sich aus zusätzlichen Eimiahmen aus erhöhter Tabak- und Versicherungssteuer (zwischen)finanzieren lässt. Bei der Finanzierung von auswärtiger Kultur- und somit Sprachpolitik sind die Ressourcen versiegt, sodass der verabschiedete Vierjahresplan zur Sanierung der öffentlichen Haushalte unweigerlich das Goethe-Institut Inter Nationes (GIIN), den staatlichen Auslandssender Deutsche Welle (DW) sowie die übrigen bundesrepublikanischen Mittlerorganisationen trifft. Im Falle des GIIN mit seinen 129 Außenstellen müssen die Ausgaben im Laufe des gerade angebrochenen Jahres 2002 dauerhaft um 12 Prozent oder 28 Millionen Mark zurückgefahren werden, was unverzüglichen Handlungsbedarf bedeutet, sowohl bei Entlassungen als auch bei Schließungen - 25 Auslandsvertretungen sind es insgesamt, wobei die Auswahl oftmals zufiUlig, wenn nicht gar willkürlich scheint. Man solle das Personal "auf den Stand vor 1989" zurückfUhren, lautet eine der Vorgaben der politischen Entscheidungträger. Der Kampf der GI "ums Überleben eröffnet ein weiteres trübes Kapitel der deutschen Sprachpolitik im Ausland, nachdem man hier zu Lande offenbar mehr und mehr davon überzeugt ist, dass die Deutschland-Werbung von den Werbeagenturen wirksamer betrieben wird als von den Sprachlehrern oder gar jenen Schriftstellern, die man auf schlecht besuchte Lesereisen durch die Welt schickt." (Ueding 2001: 1)

Neben der vorstehend erwähnten Kürzung der Finanzmittel aus dem Bundeshaushalt kommt erschwerend hinzu, dass "heute allenthalben vom schwindenden Interesse an der deutschen Sprache im Ausland die Rede ist" (Ueding 2001: 1) - so der Tenor auf dem letztjährigen Erlanger Germanistentag oder auf dem Weltkongress der- Deutschlehrer in Luzern im Sommer 2001. Als wichtigster Grund für die schwindende Attraktivität anderer europäischer Sprachen im Allgemeinen und des Deutschen im Besonderen dient der universale Siegeszug des Englischen. Dennoch mutet diese Tendenz antizyklisch an, da bekanntlich reale ökonomische ebenso wie politische Macht die Attraktivität einer Sprache erhöhen. Besetzen doch sowohl der Sprachraum als auch das Wirtschaftspotenzial der größten Gruppe deutscher Muttersprachler innerhalb Europas die unangefochtenen Spitzenplätze. Trotzdem lernen immer mehr Franzosen statt des Deutschen als zweite Fremdsprache (L3) das Spanische, sinkt die Zahl der deutsch sprechenden Osteuropäer und gelingt es ausschließlich mittels massiver politischer Interventionen, die Rechte des Deutschen als EU­Konferenzsprache wenigstens oberflächlich zu wahren. Die Realität gibt Auskunft über den tatsächlichen Status der deutschen Sprache innerhalb der EU-Institutionen: gerade mal ein Prozent aller offJZiellen Dokumente ist auf Deutsch abgefasst, ja es gibt zuweilen deutsche EU-Beamte, die das Englische, mitunter gar das Franzoeische besser beherrschen als die Muttersprache ihres Entsenderlandes, deren Gebrauch sie nach Möglichkeit vermeiden diesem spezifisch deutschen Phänomen von Anbiederungsgehabe bis hin zur Selbstaufgabe will ich im Verlauf dieser Arbeit ein eigenes Kapitel widmen (vgl. "Sprachilloyalität").

1. "Attraktivitäts-Faktoren" der internationalen Stellung einer Sprache

Die Attraktivität einer Sprache hängt von einer Fülle weiterer Faktoren ab:

- ihrer natürlichen Stärke (Größe der Sprecherzahlen von Mutter- und Fremdsprache, geographische Verbreitung, Verbreitung als Schulfremdsprache in der Welt);
- ihrer politischen und "symbolischen" Stärke (Verwendung in internationalen Organisationen, Verträgen und Konferenzen; akzeptierte Verwendung im zwischenstaatlichen Verkehr, Anzahl der Länder, in denen diese Sprache offiziellen Status besitzt [Amts- bzw. Staatssprache], politisches Gewicht eines oder mehrerer Länder der Sprachgemeinschaft);
- ihrer wirtschaftlichen Stärke (BIP oder BSP der Sprachmutterländer, Anteil am regionalen oder globalen Handel, Umfang der Auslandsinvestitionen, Konzernsprache in Großunternehmen, Berufsfachsprache, studienbegleitender Unterricht an Hochschulen);
- ihrer wissenschaftlichen Stärke (Verwendung in wissenschaftlichen Publikationen, als Konferenzsprache auf wissenschaftlichen Kongressen und in Datenbanken, Sprachstudium an Hochschulen)
- ihrer kulturellen Stärke (Verbreitung in Literatur, Printmedien, Film, Fernsehen; Nutzung deutscher Sprachkenntnisse ausländischer Gesprächspartner, privat und durch die Medien; Präsenz in der Unterhaltungselektronik, Jugendkultur, Sprache der Werbung und des Zeitgeists). (OebeI2000: 73)

Von nicht unerheblicher Bedeutung ist des weiteren die landesspezifische touristische Anziehungskraft etwa Frankreichs, das unter Urlaubern zum wiederholten Mal die unangefochtene Spitzenposition in der Destinationspopularität einnimmt - zweifellos begünstigende geographische oder klimatische Verhältnisse allein können hier als Begründung nicht genügen. Mit Deutschland hingegen wird "kein übermäßig faszinierender Lebensstil assoziiert, wie etwa mit Italien, Frankreich oder den USA 'Savoir vivre' lässt sich nicht ins Deutsche übersetzen und ein 'Gennan way of life' löst jenseits unserer Grenzen kaum Begeisterung aus." (Hoffmann 2001: 3).

Auch hat die "'Lingua Tertii Imperii' (Klemperer) unser sprachliches Erbe wohl dauerhaft kontaminiert, und wir können sie nicht mehr umstandslos allein als Sprache Goethes oder Nietzsches, Thomas Manns oder Gottfried Benns präsentieren. Wer wird zum Beispiel auf absehbare Zeit das schöne, alte Wort 'Heil' noch unreflektiert in den Mund nehmen können!" (Hoffmann 2001: 3). Das Deutsche sei laut Peter Nelde von der Katholischen Universität Brüssel halt noch immer "von den Grausamkeiten der Deutschen im Zweiten Weltkrieg belastet (Kainberger 2001: 1). Anlässlich des von GdS im Spätherbst 2001 in Brüssel veranstalteten Kongresses "Deutsch im vielsprachigen Europa" erinnerte Petra Braselamm von der Universität Innsbruck in diesem Zusammenhang daran, dass das polnische Sprachengesetz vom Oktober 1999 an erster Stelle gegen das Deutsche und erst an zweiter Stelle gegen das Russische gerichtet sei (Kainberger 2001: 1). Der mittlerweile aus dem Amt geschiedene GI-Chef Hilmar Hoffmann rät angesichts einer solchen Deutsch-Phobie im Ausland zu "Gelassenheit – und pragmatischem Realismus" (Hoffmann 2001: 3), was man mit weniger Wohlwollen als Opportunismus verstehen mag.

Die zentrale Lage Deutschlands in Europa – keine andere Sprachgemeinschaft ist von so vielen anderen Sprachgemeinschaften direkt umgeben wie die deutsche – ist ein weiterer, wenn auch auf den ersten Blick nicht zwangsläufiger Nachteil für die Lernattraktivität des Deutschen in den Nachbarländern. Darüber hinaus leben in vielen europäischen Ländern Deutschsprachige als mehr oder minder geschützte Minderheiten, weshlab das Deutsche sich mit vielen anderen Sprachsystemen und Ideologien in Kontakt bzw. in Konflikt befindet. Offensichtlich besteht die Neigung, solchen Konflikten auszuweichen.

Nicht von der Hand zu weisen ist bei alledem sicherlich der überaus hohe Schwierigkeitsgrad des Deutschen mit drei Genus, lernunfreundlichem Flexionssystem, Groß- und Kleinschreibung etc. Ein weiteres Problem, mit dem Deutschlerner konfrontiert werden, sind die vielen unterschiedlichen Ausprägungen mit zahlreichen Dialekten und selbst Unterschieden im Standarddeutsch; es sei nur an die z.T. gravierenden Unterschiede zwischen dem Norddeutschen, Bayerischen, Österreichischen und dem Schweizerischen erinnert. Ein Beispiel: "Was die Franzosen mit dem Wort 'boucher' und Briten mit 'butcher' bezeichnen, ist auf Deutsch 'Schlächter', 'Schlachter', 'Metzger', 'Fleischer', 'Fleischhauer und 'Fleischhacker'. Oder: Was in Westdeutschland neudeutsch 'Aerobic' heißt, nennt man in Ostdeutschland 'Popgymnastik', der westdeutsche 'Revierpolizist ' kommt dem ostdeutschen 'Abschnittsbevollmächtigten' gleich." (Kainberger 2001: 1)

2.1 Sprache als Instrument der auswärtigen Politik

Die Möglichkeit, die eigene Sprache in Außenbeziehungen und im internationalen Verkehr benützen zu können, bringt :für einen Staat, :für seine Wirtschaft und seine Bevölkerung erhebliche Vorteile mit sich. Solche Vorteile sind:

- bei Verträgen: Verbindlichkeit der Auslegung, Anwendung eigener vertrauter Rechtsvorstellungen;
- in Verhandlungen und Diskussionen: Vertraute Argumentationsstrukturen, Metaphern, präzise verbale Ausdrucksmög1ichkeit;
- bei Ausschreibungen und Angeboten: Schnelle und direkte Reaktionsmöglichkeit ohne Zwischenschaltung von Übersetzern;
- in Medien und Film: Durch Fallbeispiele aus dem eigenen Land, Wahl der Schauplätze, Wahl eigener Autoren oder Darsteller Vermittlung des Eindrucks der "universellen" Gültigkeit der eigenen Zivilisation und Tradition - wie heute in der angelsächsischen Medien- und Kulturproduktion ganz deutlich wird.
- Dominanz in der Kulturproduktion führt wiederum zu beträchtlichen ökonomischen Vorteilen;
- kontinuierliche Anpassung der eigenen Sprache an den globalen Fortschritt (Ausbau und Modernität der eigenen Sprache);
- Abbau von Bildungsschranken - und damit Klassenschranken - in der eigenen Gesellschaft durch die Möglichkeit, neue wissenschaftliche und technische Zusammenhänge sowie Informationen aus dem Ausland der eigenen Bevölkerung in ihrer Muttersprache vermitteln zu können. Dies verbreitert die soziale Basis für die Rezeption der Informationen. (Oebel 2000: 75)

Wegen dieser Vorteile hat "jede Sprachgemeinschaft ein gewissermaßen natürliches Interesse an einer möglichst starken internationalen Stellung der eigenen Sprache" (Ammon 1991: 1). Von allen Sprachgemeinschaften oder Ländem,'die auf Grund ihrer Größe und ihres internationalen Gewichts dazu in der Lage sind, wird deshalb eine Politik der Förderung und Verbreitung der eigenen Sprache im Ausland betrieben. (Ammon 1991: 3).

Die Stärke der internationalen Stellung einer Sprache ist u.a. das Resultat einer Anzahl aktueller und geschichtlicher Einflussfaktoren - die Sprachverbreitungpolitik gehört dabei zu den besonders wirksamen Faktoren. In dieser Politik zeigen sich erhebliche Unterschiede in den Zielsetzungen und den Methoden der großen sprachverbreitenden Nationen Frankreich, Großbritannien, den USA einerseits und Deutschland andererseits.

2.2 Sprachverbreitungspolitik: Sprachpolitik nicht gleich Sprachenpolitik

Bevor ich näher auf diesen Unterschied eingehe, noch die folgenden theoretischen Überlegungen:

Häufig werden die Termini "Sprachpolitik" und "Sprachenpolitik" nebeneinander verwendet, obwohl es zweckmäßig ist, diese Bezeichnungen jeweils bestimmten Aktivitäten zuzuordnen. Den Terminus "Sprachpolitik" reserviert man besser für Aktivitäten, die sich nach "innen", d.h. auf die eigene Sprache richten (z. B. Normierung, Reform, Ausbau). In der "Sprachenpolitik" dagegen, von manchen Autoren auch als "Sprachverbreitungspolitik" (engl.: "language spread policy", frz.: "politique de la diffusion de langue") bezeichnet, geht es um die Einflussnahme des Staates oder anderer gesellschaftlicher Machtgruppen auf die Stellung der eigenen Sprache im Kontext von bzw. in der Konkurrenz mit anderen Sprachen. Sie zielt in ihrer offensiven Ausrichtung auf die Verbreitung der eigenen Sprache und in ihrer defensiven Ausrichtung auf die Verhinderung ihrer Verdrängung. (vgl. auch Glück 1992~ Ammon 1991 ~ Kleinandam 1992; Phillipson 1994)

Nicht wenige kritische Intellektuelle, die jede Äußerung eines Nationalgefühls ablehnen, fragen: Warum sollen Staaten oder Sprachgemeinschaften überhaupt wünschen, dass sich ihr Idiom außerhalb des eigenen Sprachgebiets verbreitet, wenn nicht aus Nationalstolz oder gar nationalistischer überheblichkeit.

ZweIfellos liegt der Verbreitungsabsicht der eigenen Sprache auch so etwas WIe Nationalstolz zugrunde. Sprache ist unter anderem Ausdruck der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Großgruppe (Nation) und ihrer kulturellen Tradition.

Wenn diese Großgruppe oder Sprachgemeinschaft an den Wert ihrer Kultur und Zivilisation auch für andere Völker glaubt, liegt es nahe, für den Hauptträger dieser kulturellen Werte, die eigene Sprache, zu werben. Diese Werbung kann von einem behutsamen Anbieten bis zu einem "kulturmissionarischen" oder gar "kulturimperialistischen" Agi(ti)eren reichen. Außerdem kann diese Verbreitungspolitik offen oder eher verdeckt praktiziert werden.

Deutlich ist ein "kulturmissionarisches" Motiv in der Sprachverbreitungspolitik Frankreichs. Weil seine politische Klasse und die Eliten diese überzeugung nicht verhehlen, betreibt Frankreich seine Sprach- und Kulturverbreitungspolitik nicht nur mit massivem finanziellen Aufwand, sondern auch ganz offen. So schreibt der Abteilungsleiter im Pariser Außenministerium Jean-David Levitte: Fester Bestanteil der Außenpolitik Frankreichs sei es,

"Ideen, universelle Werte und seine Sprache in der ganzen Welt zu verbreiten ... Wir zielen (dabei) auf ein bestimmtes Publikum ab. Es geht uns nicht darum, jedem Französisch beizubringen, sondern es geht uns um die Entscheidungsträger. Wichtig ist, dass die Eliten .. , in der Lage sind, sich auf Französisch auszudrücken und Frankreich ... als Vorbild an(zu)sehen".

Diesen "kulturpolitischen Auftrag" Frankreichs "gewährleisten 12.000 Personen in 150 Ländern" und Finanzmittel von "fiinfMilliarden Franc jährlich".

Darüber hinaus diene die Sprach- und Kulturverbreitungspolitik Frankreichs aber auch dazu, "ein günstiges Umfeld für die französische Diplomatie zu schaffen und unternehmerischen Aktivitäten den Weg zu bereiten." (Levitte 1994: 1-4; vgl. ferner Kleinadam 1992).

In dieser letzten Äußerung klingt bereits an, dass es über den Nationalstolz hinaus ein weiteres und - eher noch wichtigeres - Motiv für die Verbreitung der eigenen Sprache gibt: Wirtschaftliche und auch machtpolitische Interessen.

Dieses Motiv tritt erkennbar in den Vordergrund, wenn man die britische und die US­amerikanische Sprachverbreitungspolitik betrachtet. Sie richtet sich im Vergleich mit der französischen von vornherein und direkter auf die Durchsetzung der genannten Interessen. Und sie wird verdeckter als im Falle Frankreichs praktiziert.

Schon in der zu Ende gehenden kolonialen Epoche der SOer Jahre hieß es in vertraulichen britischen Regierungsberichten, dass man britische Interessen auch in der postkolonialen Zeit dadurch schützen müsse, dass man in die akademische Infrastruktur der bisherigen Kolonien investiert und Sprachverbreitung unter dem Dach des Commonwealth und dem Schutz der Vereinigten Staaten treibe. Englisch solle innerhalb einer Generation zur allgemeinen Zweitsprache in der Welt gemacht werden.

"Regierungs- und Privatstiftungen in der Zeit von 1950 bis 1970 große Summen aufgewendet, vielleicht die größten in der Geschichte, dieje für die Verbreitung einer Sprache ausgegeben wurden ( ... ) Die Verbreitung des Englischen wurde als Mittel zu politischem Einfluss gesehen, als eine Möglichkeit, über Rivalen zu siegen." (phillipson 1997: 47).

Großbritannien wendet dafür - vor allem über das British Council - erhebliche Finanzmittel auf. Die USA dagegen bedienen sich vorwiegend der Arbeit der internationalen Organisationen sowie von Stiftungen wie der Ford- und der Rockefeller Foundation und Freiwilligenorganisationen wie dem "Peace Corps".

Die rapide Ausbreitung des Englischen nach dem Zweiten Weltkrieg wird häufig als eine "natürliche Entwicklung", als ein "Selbstläufer" betrachtet. Es ist zwar richtig, dass diese Ausbreitung zu einem Teil auf der Attraktivität der weltweit verbreiteten Jugendkultur; der Dominanz bei Filrn- und Fernsehproduktionen - kurz: der Unterhaltungselektronik - und neuerdings des Computers und des Internets - beruht, wodurch diese Sprache ein Image der Modernität gewonnen hat. Es trifft auch bis zu einem gewissen Grad zu, dass die Verbreitung des Englischen "eine unvermeidliche Begleiterscheinung der amerikanischen wirtschaftlichen, militärischen und politischen Hegemonie war." Gleichwohl war und ist diese Entwicklung kein "Selbstläufer" , sondern vollzog und vollzieht sich auch "verschanzt hinter internationalen Organisationen ( ... ) und wurde nicht dem Zufall überlassen." (Phillipson 1997: 49).

Die stürmische Verbreitung des Englischen war auch das Ergebnis bewusster und zielgerichteter Sprachverbreitung. Als 1990 die kommunistischen Regime Osteuropas zusammenbrachen, bot sich den USA und Großbritannien die Möglichkeit, Englisch auch in einer Region zu verbreiten, in der es bisher hinter Deutsch noch zurücklag. Der britische Außenminister Douglas Hurd proklamierte damals das Ziel, alles zu tun, um Englisch auch in Osteuropa rasch zur führenden Fremdsprache zu machen. Und das British Council vermerkt stolz in seinem Jahresbericht 1991/92:

"The Council responded with speed and imagination to the truly enormous demand ... for what Britain signifies to them: liberal democracy, the free market and above all, the English language."

Der dänische Linguist Rohert Phillipson, einer der besten Kenner der angelsächsischen Sprachenpolitik, knüpft an dieses Zitat die Frage:

"One wonders whether the German Foreign Minister considered making a comparable proclamation of German as the language of eastern European liberation and economic incorporation." (Phillipson 1994).

Angelsächsische Entwicklungspolitik für andere Länder zielte und zielt vor allem auf Verbreitung und Stellung seiner eigenen Sprache ab. Dabei wird Englisch meist ideologisiert, nämlich als eine anderen Sprachen überlegene Sprache, in der demokratische Werte, Menschenrechte und individuelle Freiheit transportiert werden. Weil die Sprachverbreitungsabsicht - anders als im Falle Frankreichs. - eher verdeckt bleibt, ist sie ein besonders wirksames Mittel zur Durchsetzung eigener politischer und wirtschaftlicher Interessen. Generell versteht es die angelsächsische Sprachenpolitik, nationale Interessen nicht als solche erscheinen zu lassen, sondern sie als übernationales, globales Interesse zu präsentieren. Robert Phillipson charakterisiert diese Sprachenpolitik drastisch als "Sprachimperialismus" (Phillipson 1990/1994/1997; vgl. ferner die "Annual Reports" des British Councils).

Die spezifisch auf politische und ökonomische Interessen ausgerichtete Sprachenpolitik Großbritanniens und der USA sowie die zusätzlich "kulturmissionarisch" akzentuierte Sprachenpolitik Frankreichs werden auch dadurch deutlich, dass sie nicht - wie die deutsche - auf alle Schichten der Bevölkerung zielt, sondern vorwiegend auf die großstädtischen Eliten. Also auf die Meinungs-, Funktions- und Machtträger von morgen sowie auf die Bediensteten des Wissenschafts- und Kulturbetriebs. Deshalb erscheint es der angelsächsischen und französischen Sprachenpolitik also durchaus hinnehmbar, dass bis heute in den meisten mittel- und osteuropäischen Ländern Deutsch an den Grund- und den Berufsfachschulen häufiger als Englisch gelernt wird und Französisch nur eine marginale Rolle spielt.

Diese kurzen Informationen zur französischen und englischen Sprachenpolitik habe ich vorausgeschickt, weil nicht wenige Kommentatoren und Multiplikatoren in Deutschland nur den Aspekt des ihnen unerwünschten Nationalstolzes sehen, aber offensichtlich die Wirksamkeit und Wichtigkeit des Instruments Sprache in der politischen und wirtschaftlichen Konkurrenz unterschätzen. Oder, wenn sie diese Wirksamkeit doch erkennen, zumindest glauben, es sei für Deutsche - und Österreicher - auf Grund ihrer unheilvollen jüngsten Geschichte unzulässig, davon Gebrauch zu machen. Sie fürchten, selbst eine angemessene und mit Augenmaß betriebene Sprachverbreitung könnte von anderen Völkern als Rückkehr zu einer nationalistischen deutschen Politik gedeutet werden. Doch dies ist eine Fehleinschätzung. Wohl würden die europäischen "Sprachkonkurrenten" Deutschlands, vor allem also Frankreich und Großbritannien, aber auch Italien und Spanien, mit einer Verstärkung ihrer politisch­diplomatischen Aktivitäten reagieren. Aber niemand würde Deutschland und den anderen deutschsprachigen Staaten das Recht absprechen, die eigenen Interessen auch im Bereich der Sprache stärker zu vertreten.

Wenn ich an dieser Stelle diese deutsche Zurückhaltung kritisch beurteile, plädiere ich jedoch keineswegs fur das andere Extrem. Weder der weltweite Anspruch noch die Rigidität der Durchführung, wie ich sie für die angelsächsische und französische Sprachenpolitik zu skizzieren versucht habe, können und sollen Vorbild für eine deutsche Sprachenpolitik sein. Der richtige Weg liegt m.E., wie so oft, irgendwo in der Mitte. Es wäre aber politisch naiv, Sprachverwendung nicht als auch politisches Instrument zu erkennen und auf eine Verteidigung eigener Interessen in bestimmten Regionen (Europa) zu verzichten.

Sprachenpolitik ist auch Außenpolitik und Wirtschaftspolitik. Selbst ein des Nationalismus unverdächtiger Politiker wie Willy Brandt hatte seinerzeit die auswärtige Kulturpolitik als "dritte Säule der deutschen Außenpolitik" charakterisiert. Wer in internationalen Beziehungen seiner Sprache Geltung verschaffen kann, hat Vorteile im regionalen oder globalen Wettbewerb. Sprachenpolitik ist immer auch "Standortpolitik" und "wirkt auf den nationalen Arbeitsmarkt, auf das Preisniveau und auf die Steuerquote - letztlich also "auf den Geldbeutel der Bürger".

Wenn der politische Status einer Sprache der demographischen und ökonomischen Stärke, der geographischen Lage und der wissenschaftlich-kulturellen Tradition der Sprachgemeinschaft nicht entspricht, ist dies ein Indiz der (außen)politischen Schwäche der Länder dieser Sprachgemeinschaft. Im Falle Deutschlands und Österreichs reflektiert die unzureichende Verteidigung des Status der eigenen Sprache eine Außenpolitik des "low profiles", die sich aus der angesprochenen historischen Belastung erklären lässt. Weniger leicht erklärbar ist jedoch, dass diese Zurückhaltung mit wachsendem Abstand von dieser Vergangenheit nicht abgenommen, sondern -

3. Rahmenbedingungen für Deutsch (als Fremdsprache) und Germanistik weltweit

3.1 Der Rückzug des Staates aus der Bildungs- und Kulturpolitik

Konnte man bis etwa zum Ende des Kalten Krieges noch weitestgehend davon ausgehen, dass die Bundesrepublik Deutschland (BRD) es bei den ausländischen Partnern der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik (AKBP) - und hier besonders bei der Förderung der deutschen Sprache durch das Auswärtige Amt (AA) und seine Mittlerorganisationen - im Wesentlichen mit staatlichen oder staatlich gelenkten Institutionen zu tun hatte, so hat sich dies im Laufe des vergangenen Jahrzehntes in vielen Teilen der Erde grundlegend geändert. In den Entwicklungsländern ebenso wie in den westlichen Industrienationen und vor allem in den aus der Planwirtschaft entlassenen Staaten Mittel-, Südost- und Osteuropas (MSOE) sowie in der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) hat sich der Staat zunehmend aus der Verantwortung für weite Teile der nationalen Bildung, demzufolge u.a. fiir den Fremdsprachenerwerb seiner Bürger, zurückgezogen. Abhängig von unterschiedlich nationalen Traditionen vollzieht sich der Aufbau von nicht-staatlichen Alternativen noch unter staatlicher Kontrolle, dennoch ist ein von ephemären Markttendenzen und Profitmaximierungsstrategien motivierter "Wildwuchs" an vermehrt privatwirtschaftlieh ausgerichteten Einrichtungen im Bereich der Sprachlern- und universitären Wissenschaftsangebote unverkennbar.

Somit multiplizieren sich die potenziellen Partner fiir eine koordinierte Zusammenarbeit und mit der Multiplizierung der Partnerorganisationen geht eine gewisse Unberechenbarkeit einher. Die eingespielten Kooperationsmechanismen und das ~bilang bilateral geteilte Selbstverständnis greifen nicht mehr. Zudem werden völkerrechtliche Instrumente wie Kulturabkommen - unter die bisher die Aktivitäten der Mittlerorganisationen im Bereich DaF /Germanistik subsumiert worden sind - bis auf die Vereinfachung von Statusfragen von Außenvertretungen der Mittler inhaltlich relativiert. Aus der jüngst veröffentlichten Auswertung der "Länderkonzeptionen deutscher Sprache/Germanistik" (LKZ) ist nicht ablesbar, "ob die Existenz eines oder zweier Kulturabkommen die Förderung von Deutsch/Germanistik durch die deutsche Seite und/oder das Partnerland befördert hat" (Stassen 2001: 4).

Bis auf die Länder in MOE/GUS, die z. T. zahlreiche bilinguale Schulen bzw. solche mit erweitertem Deutschunterricht unter Autbringung erheblicher nationaler Mittel unterhalten, und die Volksrepublik (VR) China - die am Tongji-Kolleg in Shanghai Deutschkurse für künftige chinesische StudentInnen an deutschen Hochschulen finanziert, gibt es offenbar keine nennenswerten Anstregungen seitens der Partnerländer, die Vorbereitung von Deutsch/Germanistik über das für westliche Kultumationen übliche bzw. von den früheren Kolonialherren der Länder der Dritten Welt tradierte curriculare Engagement - beispielsweise in insgesamt 47 frankophonen Staaten - hinaus zu befördem

3.2 Zur Sprach(en)politik der Bundesrepublik Deutschland in der EU

Die staatliche Förderung der deutschen Sprache außerhalb der Sprachgemeinschaft richtet sich traditionell vor allem auf ihre Stellung von Deutsch im Schulwesen der betreffenden Länder. In geringerem Umfang wird Deutsch auch an den Hochschulen durch Stipendien, Entsendung von Lektoren o.ä. gefördert. Die GI als die Hauptträger deutscher Sprachförderung im Ausland sehen ihre Aufgabe weniger in einer Bedarfsweckung als in der Bedarfsdeckung - ohne allerdings diesen Bedarf mit dem vorhandenen Budget wirklich decken zu können. Ziel ist.also weniger, für noch mehr Deutsch zu werben, sondern den bereits existierenden Unterricht einheimischer Lehrkräfte durch Fortbildung und Bereitstellung moderner Lehrmittel zu unterstützen. Diese sprachenpolitische Haltung Deutschlands - Konzentration auf Deutsch als Schulfremdsprache - hat eine lange Tradition, die bis in die Weimarer Republik, in den Ansätzen sogar bis in die Kaiserzeit zurückreicht (vgl. Dürell 1976; Thierfelder 1956/57).

Auch wenn eine solche Ausrichtung der Sprachförderung auf Kooperation und soziale "Klassenlosigkeit" - objektiv betrachtet - zweifellos positiv zu bewerten ist, bleibt doch die Frage, ob ihre Wirksamkeit nicht durch die wesentlich "politischere" Variante Frankreichs, Großbritanniens und der USA z.T. wieder aufgehoben wird. Eine offensive Sprachverbreitung, die sich vor allem auf die Eliten richtet und gleichzeitig die Sprachverwendung in internationalen Organisationen gezielt für die Verwendung der eigenen Sprache instrumentalisiert, dürfte einen Teil der deutschen Anstrengungen zur auswärtigen Sprachförderung wieder zunichte machen. Die Annahme, dass sich dies am Ausmaß der Verschiebung der Sprachanteile zwischen Englisch und Deutsch in Osteuropa seit Anfang der 90er Jahre ablesen lässt, ist nicht von Hand zu weisen, auch wenn kein Zweifel daran besteht, dass Englisch dort vor der Wende in nicht mehr zeitgemäßer Weise unterrepräsentiert war und ein großer Nachholbedarf bestand.

Mir erscheint deshalb sinnvoll, die Auswirkung fehlender sprachenpolitischer "Gegenwehr" einmal am Beispiel von Deutsch in der EU zu betrachten und sich die Mechanismen der stufenweisen und schließlich nur noch schwer umkehrbaren Verdrängung einer Sprache in einer internationalen Organisation bewusst zu machen. Zugleich werden dabei noch einmal die politisch-ökonomischen Motive erkennbar, die hinter einer konsequenten Sprachenpolitik stehen.

Einen allgemeinen Überblick über die Sprachenpolitik der BRD hat illrich Ammon 1989 mit seinem Aufsatz "Zur Geschichte der Sprachverbreitungspolitik der Bundesrepublik Deutschland seit ihren Anfangen" geliefert. Der Aufsatz hat ­abgesehen von seiner zeitlichen Relevanz - bis heute nichts von seiner Gültigkeit verloren. Ausfiihrliches Material enthält auch sein Standardwerk "Die internationale Stellung der deutschen Sprache" (1991). Auch deshalb verzichte ich im Rahmen dieser auf 50 Seiten Gesamtumfang beschränkten Arbeit darauf. die einzelnen Stationen allgemeiner deutscher Sprachenpolitik noch einmal darzustellen. Im Folgenden mächte ich mich den Beobachtungen in Bezug auf die deutsche Sprachenpolitik in und gegenüber den europäische Institutionen, insbesondere der EU-Kommission, zuwenden.

In der Gründungsphase und in den Anfangsjahren der europäischen Institutionen hatte die Bundesrepublik durchaus eine aktive Sprachenpolitik betrieben. Bis etwa 1970 hatte sie sich auch nicht gescheut, dies offen zu bekennen, wenn auch. allgemein nur von "Sprachförderung" gesprochen wurde. Zum Beispiel wehrte sich Bonn während der Verhandlungen zur Gründung der Montanunion 1951 heftig und ausdauernd gegen den Versuch Frankreichs, Französisch zur alleinigen Amtssprache zu machen (vgl. Pfeil 1996; Hemblenne 1992). Wie Hemblenne schreibt, überraschten die Deutschen von Anfang an mit ihrer Festigkeit in der Sprachenfrage:

"Dès le deépart, les délegués allemands surprennent par la fermeté de leurs propos concernant le régime linguistique. Ils exigent - sans compromis possible - que la langue allemande soit mise sur le même pied que la langue française. On envisage par conséquent quatre languages officielles ... et deux langues de travail: l'allemand et le français." (Hemblenne 1992: 112).

Als Frankreich nur noch verlangte, Französisch zur alleinigen Sprache für Streitigkeiten vor dem Gerichtshof zu machen, stimmten die anderen Mitgliedsländer zu, während der deutsche Vertreter auch dies ablehnte. Alle vier Sprachen - also auch Deutsch, Italienisch und Niederländisch - sollten zugelassen sem. Nach zahlreichen Verhandlungen wurde im Juli 1952 in Paris ein Protokoll zur Sprachenregelung unterzeichnet, das den französischen Anspruch endgültig zurückwies und alle vier Sprachen zu Amts- und Arbeitssprachen der Montanunion erhob. Diese konsequente Vertretung deutscher Interessen nur sieben Jahre nach dem Ende der Nazi-Diktatur wirkt aus heutiger Sicht erstaunlich. Zugleich zeigte sich aber auch, dass eine solche Interessenvertretung - schon damals - durchaus möglich war.

Bei Gründung der EWG 1957 verzichtete Paris von vornherein auf den Versuch, die eigene Sprache zur offiziellen Sprache der Wirtschaftsgemeinschaft zu machen. Stattdessen entschied der Ministerrat der Gemeinschaft mit der Verordnung Nr. 1 vom 15. April 1958: "Die Amtssprachen und die Arbeitssprachen der Organe der Gemeinschaft sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Niederländisch". Mit den Beitritten weiterer Länder wurde diese Verordnung immer wieder aktualisiert, sodass die EU heute mit 15 Mitgliedern offiziell elf Amts- und Arbeitssprachen besitzt. Nur das Letzebuergische, eine der drei Sprachen Luxemburgs, besitzt diesen Status nicht und das Irisch-Gälische ist nur Vertrags-und Gerichtssprache. (Grundlegend zur Sprachregelung: Labrie 1993; ferner Coulmas 1991).

Die Bestimmung aller Sprachen auch zu Arbeitssprachen war eine rein theoretische Entscheidung, um die Brisanz der Privilegierung einzelner Sprachen zu umgehen. Natürlich war klar, dass nach einem Beitritt weiterer Länder - und damit einer Vermehrung der Amtssprachen - nicht alle Sprachen auch in der Tagesarbeit verwendet werden konnten. Zumal nicht in der Kommission, dem größten Organ. Deshalb wurde im Artikel 6 der Verordnung Nr. 1 jedem Organ eingeräumt, zu entscheiden, welcher Sprachen es sich als Arbeitssprachen bedienen will. Die Kommission verzichtete in dieser sensiblen Frage jedoch auf eine Entscheidung bzw. ließ es dabei, dass alle Amtssprachen auch Arbeitssprachen seien.

Intern war allerdings klar, dass sich der Kreis der verwendeten Sprachen rasch auf die heiden wichtigsten, Französisch und Deutsch, einengen würde. Französisch besaß dabei von Anfang an einen gewissen Vorrang, weil es auch "Sitz-Sprache" war - der Amtssitz in Brüsselliegt im frankophonen Sprachgebiet. Außerdem waren mit Rücksicht auf den damaligen politischen Führungsanspruchs Frankreichs auch französische Verwaltungsstrukturen und Bezeichnungen übernommen worden. Es bildete sich rasch eine Sprachpraxis heraus, bei der französische und italienische Kommissionsbeamte meist Französisch und deutsche und niederländische Beamten meist Deutsch verwendeten. Die Sprachanteile werden von damals Tätigen auf etwa 60 zu 40 oder zwei Drittel zu einem Drittel zugunsten von Französisch geschätzt.

Der erste Präsident der EG-Kommission, der Deutsche Walter Hallstein, hatte diesen Vorrang des Französischen immer akzeptiert, andererseits aber auch dafür Sorge getragen, dass Deutsch als zweite Arbeitssprache verwendet wurde. Die deutschen Kommissare dieser Anfangszeit, sprachen, wie einer von ihnen, Hans von der Groeben, bestätigt,

"in den Kommissionssitzungen stets Deutsch, und alle Dokumente wurden gleichzeitig in Französisch und Deutsch vorgelegt ( ... ) Die deutsche Sprache war bis (zum Ende meiner Amtszeit) 1970 als Arbeitssprache gleichberechtigt und gleichgestellt" (Die Zeit Nr. 33/1992).

Darüber hinaus bestätigte Hans von der Groeben 1992 in einer Femsehdokumentation der ARD, dass auch "in den Besprechungen der unteren und der mittleren Ebene die Mitarbeiter das Deutsche gebrauchten". Mit Blick auf die seither eingetretene Verdrängung des Deutschen führte von der Groeben an:

"Ich kann mir nicht vorstellen, dass es zu einer politischen Union kommt, ohne dass die deutsche Sprache in gleicher Weise wie Französisch und Englisch berücksichtigt wird". (Sendung "Deutsch im neuen Europa", ARD, 8.11.1992).

Diese Situation hat sich nach 1970 einschneidend verändert, und sowohl die Außenpolitik Bonns wie die Haltung deutscher Beamter in der Kommission hatten ihren Anteil daran. Auslöser war der Beitritt Großbritanniens im Jahr 1973 und damit das Hinzukommen der englischen Sprache. Zwar war Englisch fallweise auch schon vorher als Verkehrssprache in Außenkontakten verwendet worden, doch einen offiziellen Status besaß es nicht. Es war klar, dass nun die Weltsprache Englisch in den Kreis der tatsächlich und regelmäßig verwendeten Arbeitssprachen aufrücken würde. Frankreich, das um die privilegierte Position seiner Sprache in der EG fürchtete, hatte auch deshalb den Beitritt Großbritanniens verzögert. Erst nachdem - laut damaligen Presseberichten ­Großbritanniens Premierminister Heath dem französischen Präsidenten Pompidou schriftlich zugesichert haben soll, dass die von England entsandten Beamten ausnahmslos die französische Sprache beherrschen würden, war der Weg für den Beitritt Londons frei. Die Bundesregierung dagegen erhob eine ähnliche Forderung für Deutsch nicht einmal in abgeschwächter Form.

Diese Zurückhaltung fügte sich in das Konzept einer geänderten Sprachenpolitik ein, die sich während der Regierungszeit der sozialliberalen Koalition besonders im AA feststellen lässt. So hieß es z.B. in den "Leitsätzen fu.r die auswärtige Kulturpolitik" (AA, Dez. 1970), die unter Verantwortung des damaligen Staatssekretärs Ralf Dahrendorf erarbeitet wurden: "Die deutsche Sprache ist Träger, nicht Ziel unseres Wirkens im Ausland." Es gebe traditionelle Gebiete, in denen die Förderung der deutschen Sprache verstärkt werden könne, aber

"in anderen Teilen der Welt dürfte es für die Ziele des Austausches und der Zusammenarbeit zweckmäßiger sein, sich der jeweils gebräuchlichsten Sprache als Kommunikationsmittel zu bedienen."

Ob nun in Auslegung dieses Leitgedankens oder aus eigener betont "europäischer Haltung" gingen deutsche Beamte in Brussel noch einen Schritt weiter. Der Soziolinguist Florian Coulmas berichtet über seine Nachforschungen (Coulmas 1980: 180):

"When the United Kingdom joined the EC in 1973, it was German Commission members who spontaneously announced that they would refrain from using their own language in meetings and use French or English instead."

Einige Jahre später, so schreibt Coulmas unter Bezug auf Kusterer (1980):

"The head of the language service of the FRG foreign office published a 'plea for pragmatism' advocating a policy which amounts to the de facto recognition of French and English as the sole working languages ofthe EC at the supranational level ... The desire to avoid anything that smacks of nationalism has affected language attitudes in the German speech community ... as a result of World War II, the identity of language, state, and nation ... has been destroyed in Germany" (Coulmas 1980: 181).

Auch Bemard Hemblenne bestätigt die Bereitschaft Deutschlands (und Italiens), einen Vorschlag des damaligen Kommissionspräsidenten Gaston Thorn zu akzeptieren, mit dem Hinzukommen des Englischen künftig nur noch Französisch und Englisch als

"Au moment de l'entrée de la Grande-Bretagne dans la Communauté, Gaston Thorn affirme avoir convaincu les Italiens et les Allemands d'accepter le français et l'anglais comme langues de travail." (Hemblenne 1992: 142)

Nur wegen des Widerstands der flämischen Belgier wurde der Vorschlag Thorns nicht zur verbindlichen Regelung. Gleichwohl verhielten sich die meisten deutschen Beamten freiwillig so, als ob sie verbindlich wäre.

[...]

Ende der Leseprobe aus 79 Seiten

Details

Titel
Die deutsche auswärtige Kultur- und Sprachpolitik und ihr Einfluss auf den DaF-Unterricht im Ausland
Untertitel
Kritische Bestandsaufnahme und Ausblick
Hochschule
FernUniversität Hagen  (Geisteswissenschaften)
Veranstaltung
KulturManagement
Note
2
Autor
Jahr
2002
Seiten
79
Katalognummer
V141129
ISBN (eBook)
9783640517411
ISBN (Buch)
9783640517244
Dateigröße
700 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Öffnung Osteuropas, wo 16 neue Niederlassungen eröffnet wurden, und die Sparpolitik haben das GI und andere bundesdeutsche Mittlerorganisationen in eine doppelte Sinnkrise gestürzt, die sie nicht allein lösen können: Was kann, was sollen sie wo auf der Welt leisten? Was ist der Stellenwert von Sprache und Kultur in der Außenpolitik? Wie viel von den Leitsätzen zur AKP, die eine Enquetekommission des Bundestags 1970 unter Vorsitz von Ralf Dahrendorf formuliert hat, ist heute noch gültig?
Schlagworte
Deutsch als Fremdsprache, DaF, Sprachenpolitik, Sprachloyalität
Arbeit zitieren
Prof. Dr. Guido Oebel (Autor:in), 2002, Die deutsche auswärtige Kultur- und Sprachpolitik und ihr Einfluss auf den DaF-Unterricht im Ausland , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/141129

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