Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Erfolgsgeschichte von Gustav Freytags "Ingo und Ingraban", dem ersten Buch des mehrteiligen Werkes "Die Ahnen". "Die Ahnen" verlor mit jedem neuen Teil immer mehr an Popularität und die späteren Bücher konnten nie mehr an die Erfolge der ersten Teile anknüpfen.
Inhalt
Einleitung
1. Künstlerische Freiheit
2. Atmosphäre
3. Genreeinflüsse und inhaltliche Beschaffenheit
4. Sprachliche Gestaltung
Literaturverzeichnis
Einleitung
Gustav Freytag galt zu Lebzeiten als einer der erfolgreichsten deutschen Schriftsteller. Seine Werke Soll und Haben und Die Ahnen erreichten Auf- lagen in Millionhöhe1 und zählten noch bis weit ins 20. Jahrhundert hin- ein zur Populärliteratur. Wenngleich Freytag mittlerweile in der Öffent- lichkeit vergessen scheint und für das Deutschland der Nachkriegszeit nur noch „ein überholter Autor, ein Nationalist und Antisemit“2 ist, merkt man auch als Leser der heutigen Generation noch, dass sich die Romane von Freytag, im Gegensatz zu vielen anderen Werken, die dem historischen Roman oder Professorroman zugerechnet werden, durchaus angenehm lesen lassen. Zu den Gründen vermerkt bereits 1898 das Brockhaus Konversationslexikon:
„Seine Charaktere sind klar und durchsichtig, aus einem Guß, ebenso ist die Technik in der Komposition höchst verständig, die Sprache fesselnd und frei von Schwulst. Sein gesunder, tüchtig strebender Geist hat F. zum populärsten Romanschriftsteller der neuern deutschen Litteratur ge- macht.“3
Um ein Verständnis von dem zu bekommen, was hier so knapp auf den Punkt gebracht wird, soll in der vorliegenden Arbeit am Beispiel von Ingo, der ersten Erzählung in der Ahnen -Reihe, der Wirkungsweise von Freytags Literatur ausführlicher nachgegangen werden.
1. Künstlerische Freiheit
In der Ahnen -Saga waren die ersten Bände die erfolgreichsten4 und gal- ten besonders bei jugendlichen Lesern des Bürgertums als gerne gesehe- nes Weihnachtsgeschenk.5 Dies dürfte den Schriftsteller gefreut haben, der die Absicht hatte, „ein Lesebuch zu schreiben, das einst unserer Ju- gend die Art unseres Volkes wert machen soll“ und sich „ganz beson- ders freuen [werde], wenn das junge Geschlecht sich dafür erwärmen kann“.6
Doch wie gelang es Freytag, seinen Roman zu derart beliebter Literatur zu machen? Und warum konnten die späteren Bände der Ahnen nicht mehr an diese Erfolge anknüpfen? Zunächst einmal liegt es sicherlich an der Tatsache, dass über die Zeit, in der diese „Urgeschichte“ des deut- schen Volks spielt, kaum etwas bekannt ist. Zwar gibt es vereinzelte Quellen, anhand derer man nachvollziehen kann, wie das Leben im germanischen Raum vor knapp 2000 Jahren in etwa ausgesehen hat, wirkliche Details und ausführliche Überlieferungen, wie es sie etwa zu den Persönlichkeiten der Antike gibt, fehlen aber. Für einen Schriftsteller ist das natürlich von Vorteil, denn auf diese Weise wird ihm ein erheb- lich größerer künstlerischer Freiraum eingeräumt, als das etwa bei der Beschreibung aktuellen Zeitgeschehens der Fall wäre. Gustav Freytag bemerkt dazu in seiner in Ingo und Ingraban enthaltenen Widmung: „Das
Buch will Poesie enthalten und gar nicht Kulturgeschichte.“ und „Dieser Band führt in Zeiten, welche der Dichter leichter versteht als der Histori- ker.“7
Der Autor erkennt, dass es aufgrund der fehlenden Quellen niemals möglich wäre, den Anspruch einer historisch auch nur annähernd kor- rekten Darstellung zu erheben. Daher versucht er es auch gar nicht erst. Freytag weiß außerdem, dass es den Leseeindruck negativ beeinflusst, wenn in einem Werk der Fiktion zu viele historische Fakten verarbeitet werden. In seinen Erinnerungen aus meinem Leben äußert er sich zu die- sem Thema:
„Bei einem Werk, welches freie und moderne Dichtung sein soll, sind geo- graphische, historische und antiquarische Erklärungen, die aus dem Reiche freier Erfindung in Zustände des wirklichen Lebens hinüberführen, immer vom Übel. Die Wißbegierde des Lesers wird in diesem Falle zur Neugierde herabgedrückt, das Hinweisen auf Gebiete unseres gelehrten Wissens be- einträchtigt die gehobene Stimmung, welche hervorgerufen werden soll.“8
Die „gehobene Stimmung“ (Freytag: Erinnerungen, 659) kann also nur dann entstehen, wenn die Fakten reduziert werden und Dichtung eine Ausgeburt der Fantasie des Verfassers bleibt.9 Ansonsten würde das Ein- tauchen in die Erzählung gestört. Durch die Reduzierung der Fakten wird eine Welt geschaffen, die jeder Leser nach eigenem Belieben durch
[...]
1 Vgl. Claus Holz: Flucht aus der Wirklichkeit. „Die Ahnen“ von Gustav Freytag. Untersuchungen zum realistischen historischen Roman der Gründerzeit 1872 - 1880. Frankfurt am Main: Lang, 1983 (Europäische Hochschulschriften; I/624). S. 9. (Im Folgenden zitiert als Holz: Flucht.)
2 Jürgen Matoni: „Ingo und Ingraban“, der erste Band der „Ahnen“. Zum hundertsten Todestag von Gustav Freytag. In: Palmbaum 9 (1995). S. 6.
3 Brockhaus’ Konversationslexikon. 14. Auflage. Bd. 7: Foscari - Gilboa. Leipzig: Brockhaus, 1898. S. 302.
4 Der erste Band war bereits 1897 in 24 Auflagen mit jeweils 2.000 bis 5.000 Exemplaren erschienen. Vgl. Holz: Flucht, 88.
5 Vgl. Claus Holz: „…wird’s die Maus aus dem Berge sein“. Gustav Freytag zur Entstehung seiner „Ahnen“. In: Gustav-Freytag-Blätter 27/28 (1983/1984), S. 23. (Im Folgenden zitiert als Holz: Entstehung.)
6 Gustav Freytags Briefe an Albrecht von Stosch. Hrsg. v. Hans F[erdinand] Helmoldt. Stuttgart: DVA, 1913. Brief vom 28.11.1872. S. 90. (Im Folgenden zitiert: Freytag an Stosch.)
7 Gustav Freytag: Die Ahnen. Bd 1: Ingo und Ingraban. Leipzig: Reclam, o.J. [ca. 1926].
S. 5. (Im Folgenden zitiert als Freytag: Ahnen.)
8 Gustav Freytag: Erinnerungen aus meinem Leben. Leipzig: Hirzel, o.J. [ca. 1887] (Gesammelte Werke; II/8). S. 659.
9 Eine Beobachtung, mit der Freytag später noch in Konflikt kommen sollte. Je näher er mit den Ahnen an seine eigene Zeit heran gelangte und je mehr Belege für die Ereignisse der jeweiligen Epoche somit vorlagen, desto schwieriger fiel es ihm - als früherem Professor - sich an seinen eigenen Grundsatz zu halten. Schließlich gelangte er zur Einsicht, dass die Geschichtsschreibung der Poesie im Endeffekt überlegen sei. Vgl. Holz: Entstehung, 25 und Holz: Flucht, 84.
- Arbeit zitieren
- Jano Rohleder (Autor:in), 2007, Fast schon Fantasy, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/141291
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