Dummheit als literarisches Motiv in Grimmelshausens "Der abenteuerliche Simpicissimus Teutsch"


Hausarbeit, 2009

16 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Vorwort

2. Die Sprache im Roman

3. Dummheit als sozialgeschichtliches Kriterium

4. Aspekte von Dummheit

5. Instrumentalisierte Dummheit

6. Fazit

7. Quellenverzeichnis

1. Vorwort

Ein deutsches Sprichwort lautet.„Stell dich doof, dann geht’s dir gut“ , oder vielleicht eher „Stell dich dumm, dann geht’s dir gut.“. - In diesem Fall trifft es, etwas abgewandelt den Kern des Romans Grimmelshausens. Simplicius Simplicissimus, oder auch Simplicissimus Teutsch ist der Protagonist des Entwicklungsromans und schlägt sich sein ganzes Leben hindurch mit dem Ruf des Dummen herum.

Als Bauernsohn wächst er ohne schulische Bildung im Spessart auf und hilft dem Vater auf dem Hof. „Er begabte mich mit der herrlichsten Dignität, so sich nicht allein bei seiner Hofhaltung, sondern auch in der ganzen Welt befande, nämlich mit dem Hirtenamt:“(1.3.50)[1] der Junge hilft seinen Eltern bei dem Hüten der Schweine und der Ziegen- und Schafherde.

Hier zeichnet sich im Roman bereits ein paradoxes Verhältnis zwischen der beschriebenen Welt des Simplicius und den von ihm, zur Beschreibung, gewählten Worten. Das Leben des Jungen ist eintönig, schlicht und gleichförmig. Die zur Erzählung gewählte Sprache ist dagegen wortreich und stark differenziert. Sie wirkt, auch durch die Verwendung zahlreicher Vergleiche, die ihre Vorbilder in antiken Sagen, philosophischen Schriften oder in biblischen Erzählungen suchen,oft hochtrabend.

Damals gleichete ich wohl dem David, außer daß jener, anstatt der Sackpfeife, nur eine Harpfe hatte, welches kein schlimmer Anfang, sonder ein gut Omen für mich war, daß ich noch mit der Zeit, wann ich anders das Glück darzu hätte, ein weltberühmter Mann werden sollte;(1.3.51)

Zum Einen legt der Erzähler eine umfangreiche Bildung zu Tage,welche sich in der Vielzahl der Vergleiche, der Kenntnis der literarischen Stoffe und der langen, verschachtelten Sätze manifestiert, zum Anderen aber gibt die Verhältnismäßigkeit, zwischen der wiedergegebenen und der zum Vergleich herangezogenen Situation, eine unbeholfen naive, kindliche Weltanschauung zu Erkennen. Wie sich diese Ambivalenz erklären lassen kann, soll in dieser Hausarbeit geklärt werden. Eine Ursache, für die ungewöhnliche Art der Darstellung von Situationen und Umständen, lässt sich sicherlich mit dem Vorhandensein von Dummheit erklären.

Der junge Bauernsohn kann zweifelsfrei für dumm gehalten werden, als er im Gespräch mit dem Einsiedler keinerlei Auskünfte über seine bisherige Biographie oder seine Herkunft geben kann.

Einsiedel: Wie heißest du?

Simplicius: Ich heiße Bub.

Eins.: Ich sehe wohl, daß du kein Mägdlein bist, wie hat dir aber dein Vater und Mutter gerufen?

Simpl.: Ich habe keinen Vatter oder Mutter gehabt.

Eins.: Wer hat dir dann das Hemd geben?

Simpl.: Ei mein Meuder.

Eins.: Wie heißet dich dann dein Meuder?

Simpl.: Sie hat mich Bub geheißen, auch Schelm, ungeschickter Dölpel und Galgenvogel.

Eins.: Wer ist dann deiner Mutter Mann gewesen?

Simpl.: Niemand.

Eins.: Bei wem hat dann dein Meuder des Nachts geschlafen?

Simpl.: Bei meinem Knan.

Eins.: Wie hat dich dann dein Knan geheißen?

Simpl.: Er hat mich auch Bub genennet.

Eins.: Wie hieße aber dein Knan?

Simpl.: Er heißt Knan.

Eins.: Wie hat ihm aber dein Meuder gerufen?

Simpl.: Knan, und auch Meister.

Eins.: Hat sie ihn niemals anders genennet?

Simpl.: Ja, sie hat.

Eins.: Wie dann?

Simpl.: Rülp, grober Bengel, volle Sau, und noch wohl anders, wenn sie haderte.

Eins.: Du bist wohl ein unwissender Tropf, daß du weder deiner Eltern noch deinen eignen Namen nicht weißt! (1.8.66)

Er wird auch im Verlauf der Erzählung immer wieder von Anderen „für dumm verkauft“ und soll im Erwachsenenalter sogar, mit Hilfe von Gehirnwäsche, dumm gemacht werden, um fortan als Narr zur Belustigung des Gouverneurs und seiner Gefolgsleute eingesetzt zu werden.

Ich möchte in dieser Arbeit herausarbeiten, in wie weit der Dummeitsbegriff in dem Roman aus der Zeit des Dreißigjährigen Kriegs Rückschlüsse auf die sozialgeschichtliche Bedeutung der Kategorie der Dummheit zulässt.

Auch möchte an dieser Stelle analytisch hinterfragen, auf welche Art im Roman die Vielzahl von Facetten der Dummheit aufgeschlüsselt werden.

Es gibt ein Spannungsfeld zwischen Mitgliedern der Gesellschaft, die Simplicius für dumm halten und dem Protagonisten selbst. Simplicius, dessen Name dem Leser zunächst unbekannt bleibt, und der später von Dritten den, hier verwendeten, sprechenden Namen erhält, ist nur am Anfang des Romans integriertes Mitglied einer, ausgesprochen kleinen, bäuerlichen Ge-meinschaft auf dem elterlichen Hof. Das Verlassen des geplünderten Hofs bedeutet für Simp-licius den unwiederbringlichen Verlust seiner Mitgliedschaft in einer intakten Gesellschaft und der Aufbruch in eine neue, ihm unbekannte Welt.

Fortan ist er außenstehender Beobachter der, ihn umgebenden, sozialen Strukturen. So ist er zu, teils naiven, teils bissigen, gesellschaftskritischen Urteilen über die Menschen in seiner Umgebung fähig und leitet daraus gelegentlich verallgemeinernde Rückschlüsse, in Bezug auf die restliche Menschheit, ab. „Ach!“ gedachte ich, „was für ein wunderfalscher Geist regiert doch die Menschen, indem er je den einen durch den andern zum Narren macht.“(2.5.156) Auf die Darstellung der Gesellschaftskritik und das o.g. Zitat werde ich im dritten Kapitel näher eingehen.

Dem Leser wird eine pikante Ambivalenz vor Augen geführt, die sich aus der naiven, unbescholtenen und ungetrübten Perspektive des Protagonisten auf die verdorbene, sündige Welt ergibt und die die Verhältnisse von Dichotomien wie: dumm – klug, Beobachter – Objekt, verschlagen – aufrichtig und deren Wechselwirkung in Frage stellt.

Im Roman kommen eine Reihe von verschiedenen Typen von Dummheit vor, das Phänomen Dummheit wird so zum literarischen Motiv, dessen Funktionsweise ich in dieser Arbeit auf die Spur kommen will. Die Rolle des Dummen ist in der Literaturgeschichte immer wieder zur Waffe gegen die gesellschaftlichen Missstände und als Instrument zur Gesellschaftskritik verwendet worden. In diesem Zusammenhang lassen sich beispielsweise die kritischen Äußerungen des Erasmus von Rotterdam in seinem Lob der Torheit anführen, welche in erster Linie durch die Personifizierung der Torheit funktionieren. Auch Cervantes' Don Quichote lässt sich in seinem unerbittlichen Kampf gegen die Riesen, die nur er sieht, und die alle Anderen, den Leser eingeschlossen, für Windmühlen halten, als Held deuten, welcher nur seinem eigenen Urteil und seiner individuellen, unkonventionellen Moralvorstellung zufolge handelt.

Wie in Grimmelshausens Roman die Dummheit eingesetzt wird, und ob damit letzten Endes die feudale Gesellschaft vorgeführt wird, soll ein weiterer Untersuchungsgegenstand in dieser Arbeit sein.

2. Die Sprache im Roman

In dem, im Jahr 1668 erschienenen, Roman lässt sich eine große Bandbreite verschiedener Dialekte und Sprachstile ausmachen.

Diese sprachliche Vielfältigkeit ergibt sich, auf epischer Ebene, aus der bewegten Geschichte des Protagonisten, die mit der Begegnung mit vielen verschiedenen Figuren aus den unterschiedlichsten Regionen und sozialen Schichten einhergeht.

Auf philologischer Ebene lässt sich darüber hinaus anbringen, dass der Autor über einen feinen Sinn, für die Wirkung von Sprache und über eine umfassende Kenntnis der deutschen Dialekte, verfügt, die er sich zunutze macht, um bei der Figurenrede, die regionale und gesellschaftlichen Herkunft der handelnden Figuren zu verdeutlichen.

Zudem gewährleistet Grimmelshausens verwendete Darstellungsweise und Personenkonstellation, dass ein Spannungsfeld aufgetan wird zwischen der Rolle, die er dem Protagonisten Simplicius zuteilt, indem er ihn am Rande der Gesellschaft positioniert, und der daraus erwachsenden Beobachtungsgabe, welche Simplicius, aufgrund seiner Position, als außenstehender Betrachter, zuteil wird.

So wird Simplicius zum kritischen Beobachter. Die durch diese Sonderstellung erzeugte Macht des Kritikers wird durch die ungetrübte, von gesellschaftlichen Normen losgelöste, Beobachtungsgabe geprägt. Simplicius stellt in Frage, was, fest integrierte, Mitglieder der Gesellschaft unreflektiert als Tatsache anerkennen.

De Reibung zwischen dem kritisierenden Beobachter und der kritisierten Gesellschaft wird in einer beispielhaften Situation, dem, für sich stehenden, Protagonisten zum Verhängnis.

So erlebt der heranwachsende in feiner Gesellschaft eine, für ihn nicht verständliche harte Maßregelung, als er, in Beisein von geladenen Gästen des Gouverneurs, offensichtlich und unter höchst merkwürdigen Gebaren furzt.

Er selbst stellt, anschließend resümierend, dieses ihm vorgeworfene öffentliche Ärgernis, den höchst verwerflichen und seltsamen Verhaltensweisen der Gäste nach einem ausschweifenden Gastmahl, gegenüber.

Hierdurch bekam ich wohl Linderung in meinem Eingeweid, dagegen aber einen ungnädigen Herrn an meinem Gouverneur; seine Gäst wurden über diesem unversehenen Knall fast wieder alle nüchtern, ich aber, weil ich mit aller meiner angewandten Mühe und Arbeit keinen Wind bannen können, in eine Futterwanne gespannet und also zerkarbeitscht, daß ich noch bis auf diese Stund daran gedenke (1.31.135)

[...]Es war eben ein wunderliches Faßnachtspiel an ihnen zu sehen, und war doch niemand, der sich darüber verwundert' als ich; einer sang, der ander weinet', einer lachte, der ander traurete, einer fluchte, der ander betete, einer schrie überlaut Courage, der ander konnte nicht mehr reden, einer war stille und friedlich, der ander wollte den Teufel mit Raufhändeln bannen, einer schlief und schwieg still, der ander plaudert', daß sonst keiner vor ihm zukommen konnte; einer erzählte seine liebliche Buhlerei, der ander seine erschrecklichen Kriegstaten, etliche redeten von der Kirch und geistlichen Sachen, andere von Ratione Status, der Politik, Welt- und Reichshändeln; teils liefen hin und wider und konnten an keiner Stelle bleiben, andere lagen und vermochten nicht, den kleinesten Finger zu regen, geschweige aufrecht zu gehen oder zu stehen, etliche fraßen wie die Drescher und als ob sie acht Tage Hunger gelitten hätten, andere kotzten wieder, was sie denselbigen ganzen Tag eingeschlucket hatten. Einmal, ihr ganzes Tun und Lassen war dermaßen possierlich, närrisch, seltsam, und dabei so sündhaftig und gottlos, daß der mir entwischte üble Geruch, darum ich gleichwohl so greulich zerschlagen worden, nur ein Scherz dagegen zu rechnen.(1.32.137)

Die altkluge Reflektion über die Vorkommnisse lässt Rückschüsse auf die zeitliche Distanz, zwischen dem Erlebnis und der, davon handelnden, Erzählung, zu. Wie am Ende des Romans eingeräumt wird, hat Simplicius erst im vorangeschrittenen Lebensalter begonnen, seine Historie niederzuschreiben, als er, als Schiffbrüchiger, auf einer einsamen Insel strandet und beschließt, dort als Einsieder zu leben.

So wird deutlich, wie es zu den eklatanten, intellektuellen Qualitätsunterschieden kommt, zwischen dem kindlich wirkenden Verhalten und den damit einher gehenden Handlungsmotivationen auf der einen Seite und dem, dem entgegen gerichteten, scharf kalkulierten Rückschluss, „daß der mir entwischte üble Geruch, darum ich gleichwohl so greulich zerschlagen worden, nur ein Scherz dagegen zu rechnen“(1.32.137) auf der anderen Seite.

In der eben geschilderten Episode wird deutlich, dass der Bildungsstand des Protagonisten massiv von dem des jungen Simplicius abweicht. Spätestens an dieser Stelle, lässt sich wohl ausschließen, dass es sich bei dem „Abenteuerlichen Simplicissimus“ um einen biographischen Roman handelt. Es gibt zwar einige Deckungsgleichheiten zwischen der deutschen Geschichte, und den Geschehnissen im Roman, die genannten Schlachten haben tatsächlich stattgefunden, die Kriegsszenen sind ebenfalls ausgesprochen realistisch dargestellt, da Grimmelshausen selbst im Dreißigjährigen Krieg Dienst geleistet hat, und doch lassen die phantastischen Episoden, wie beispielsweise das Kapitel „Wie Simplicius zu de Hexen auf den Tanz gefahren.“(2.17.200-203) den Leser darauf schließen, dass die Nähe zwischen dem Protagonisten und dem Autor durch Grimmelshausen selbst kalkuliert und, im Sinne der inneren Logik der Erzählung, eingesetzt und dosiert ist.

Hierbei spielst Grimmelshausen jedoch ganz ausdrücklich mit der Rolle des Erzählers, der sich als Sprecher an implizierten Leser wendet.

Durch die Verwendung eines autodiegetischen, „Ich-Erzählers“, welcher die Rahmenhandlung wieder gibt, wird es für den Leser schwer, Autorenkommentare von der eigentlichen Erzäh-lung exakt abzugrenzen. So spricht er den Leser im Kontext der Ich-Erzählung direkt an.

Ich antwortet: „Er brachte eine Jungfer zu mir hinein.“ „Was tät er aber weiters?“ sagte mein Herr. Ich antwortet: „Mich deuchte, er wollte im Stall sein Wasser abgeschlagen haben.“ Mein Herr fragte: „Was tät abei die Jungfer darbei, schämte sie sich nicht?“ „Jawohl mein Herr!“ sagte ich, „sie hub den Rock auf, und wollte darzu (mein hochgeehrter zucht- ehr- und tugendliebender Leser verzeihe meiner unhöflichen Feder, daß sie alles so grob schreibt, als ichs damals vorbrachte) scheiße.“(2.3.154)

[...]


[1] Alle Zitate aus:Grimmelshausen, Hans Jakob Christoph von: Der abenteuerliche Simplicissimus. Hrsg. u. komm. v. Hans Heinrich Borcherdt. Stuttgart: Reclam 1961 (= Reclam Universalbibliothek 761-66/66a-f) werden in folgender Weise im Fließtext nachgewiesen: (Buch.Kapitel.Seite).

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Dummheit als literarisches Motiv in Grimmelshausens "Der abenteuerliche Simpicissimus Teutsch"
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum  (Germanistisches Institut)
Veranstaltung
Dummheit in der Literatur
Note
2,3
Autor
Jahr
2009
Seiten
16
Katalognummer
V141417
ISBN (eBook)
9783668168640
ISBN (Buch)
9783668168657
Dateigröße
402 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Literaturgeschichte, Dummheit als literarisches Motiv
Arbeit zitieren
Lucie Holtmann (Autor:in), 2009, Dummheit als literarisches Motiv in Grimmelshausens "Der abenteuerliche Simpicissimus Teutsch", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/141417

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