Rainer Werner Fassbinder - Ein Repräsentant Deutschlands seiner Zeit?


Hausarbeit (Hauptseminar), 1998

21 Seiten, Note: 1-


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Zur Fassbinder - Rezeption
2.1. Rezeption in der Bundesrepublik
2.2. Rezeption in den Vereinigten Staaten von Amerika

3. Soziokultureller Hintergrund in der Bundesrepublik
3.1. Nationale Identität - nationale Kultur
3.2. Nationales Kino für Deutschland

4. Fassbinder repräsentiert Deutschland?
4.1. Der Balzac der Bundesrepublik oder Genreregisseur?
4.2. Zur Rolle von Medien und Selbstrepräsentationen bei Fassbinder
4.3. Macht und Unterwerfung

5. Zusammenfassung

Literaturliste

1. Einleitung

Im Ausland wurde Fassbinder seinerzeit sehr viel mehr geschätzt als in Deutschland. Nachdem er einige Bekanntheit im Ausland genoß und seine Filme zu kleinen Erfolgen wurden, sprach man auch langsam in Deutschland von Fassbinder als einen Repräsentanten. Diese Sicht hat sich besonders nach Fassbinders Tod 1982 verstärkt. Das Buch “Fassbinder´s Germany - Identity, History, Subject.” von Thomas Elsässer versucht u.a., der Frage nachzugehen, in welchem Maße Fassbinder als Repräsentant Deutschlands gelten kann.

Thomas Elsässer brachte Fassbinders ersten Filme 1971 auf ein englisches Filmfestival in Brighton, wo er mit Kritikern der Film-Avantgarde seinen Enthusiasmus für Fassbinder teilen konnte[1]. Nachdem Elsässer 1972 Fassbinders Essay über Douglas Sirk ins Englische übersetzte, schrieb er 1975 zwei Aufsätze in dem ersten englischen Buch über Fassbinder vomBritish Film Institute[2]. Es folgten mehrere Essays von Elsässer über Fassbinder, bis zu dem vorliegenden Buch.

In dieser Arbeit werde ich einige Punkte aus Elsässers Buch zusammenführen, um der Frage nachzugehen, weshalb Fassbinder so verschieden in Deutschland und im Ausland wahrgenommen wurde. Zunächst werde ich gegenüberstellen, wie sich die Rezeption Fassbinders gestaltete. Ich war erstaunt, wie stark sich die deutsche und die amerikanische Kritik voneinander unterschieden, auch in Bezug auf rein filmanalytische Fragen. Es ist schwierig eine deutsche Filmkritik zu Fassbinder zu finden, die sich alleine mit den Filmen beschäftigt und sich nicht um die Person Fassbinder schert. Im Vergleich dazu konzentrieren sich die amerikanischen Rezensionen sehr viel mehr auf die Filmsprache Fassbinders und kommen so zu ganz anderen Bewertungen der Filme.

Im nächsten Teil der Arbeit untersuche ich sehr kurz, in welchem kulturellen Zusammenhang das Feuilleton zur Zeit Fassbinders stand. Ich werfe Fragen auf, die in Westdeutschland nach dem 2. Weltkrieg bezüglich nationaler Kultur, nationaler Identität und populärer Unterhaltung bestanden, um herauszufinden, inwieweit die Wahrnehmung Fassbinders von diesen Fragen abhängen könnte. Außerdem untersuche ich, was für eine Rolle Kino im Prozeß der deutschen Identitätsfindung hatte.

Im letzten Teil der Arbeit, konzentriere ich mich auf Interpretationen, die überlegen, ob Fassbinder Deutschland repräsentiere. Es wird überlegt, in wie weit der Begriff “Repräsentation” auf Fassbinder überhaupt zutrifft, ob ein Vergleich Fassbinders mit Balzac aufrecht gehalten werden kann, ob Fassbinder mit Formen der Genredeutung interpretierbar ist, und was für stilistische und inhaltliche Themen eine Rolle in den Filmen spielen könnten.

2. Zur Rezeption von Fassbinder

Bis heute scheinen in Deutschland, Fassbinders Werke noch nicht ohne emotionale Ressentiments betrachten werden zu können. Aktuell wird in der Tagespresse die geplante Wiederaufführung von Fassbinders Stück Der Müll, die Stadt und der Tod am BerlinerMaxim Gorki Theaterdiskutiert. Schon 1985 hatte das in den 70er Jahren zum sogenannten “Häuserkampf” in Frankfurt entstandene Stück zu einer erbitterten Diskussion geführt. Zur Frankfurter Uraufführung 1985 wurde sogar die Bühne durch Mitglieder der Jüdischen Gemeinde besetzt, welche dem Stück und Fassbinder Antisemitismus vorwarfen. Die jetzt wieder aufkommende Diskussion um den Inhalt des Stücks liest sich wie ein Remake der damaligen Kontroverse[3].

Im Folgenden werde ich zunächst betrachten, wie Fassbinder seinerzeit in Deutschland wahrgenommen wurde, um dann exemplarisch für das Ausland die Entwicklung des Interesses an Fassbinder in den USA dem gegenüber zu stellen.

2.1. Rezeption in der Bundesrepublik Deutschland

Die deutsche Kritik behandelte Fassbinder schon zu Lebzeiten (und teilweise geschieht das heute noch) als eine Art Mythos. Er wurde als Person zu einer monströsen und phantasmageladenen Figur stilisiert, dessen Filme das Publikum spalteten.

1969 entstand sein erster Spielfilm Liebe ist kälter als der Tod, der auf den 19. Internationalen Filmfestspielen am 26.6.1969 in Berlin uraufgeführt wurde und größtenteils auf Unverständnis stieß. Seitdem war Fassbinder ein willkommenes Thema in den Medien, auch außerhalb der Feuilletons. Er schien ein Verlangen des Kulturbetriebes nach Stars und Skandalen, nach Mythen und künstlerischem Genie zu befriedigen. Fassbinders provokantes Auftreten und sein nicht eben bürgerlicher Lebensstil waren häufiges Thema in der Boulevardpresse und überschattete bzw. verdeckte zumeist die Rezeption seiner Werke. So ist es nicht selten, daß in der Literatur seine Filme oft als Schlüsselfilme betrachtet werden, in denen Fassbinders Lebensumstände deutlich werden sollen.

1976 faßt Hans C. Blumenberg in derZeitzusammen, was für Skandale der “Buhmann des Kulturbetriebs” in den vergangenen sieben Jahren angesammelt hat und fragt sich:

“Was ist eigentlich dran an diesem Typ Fassbinder, daß sich alle Welt so ausdauernd und laut über ihn aufregt, ihn mit Zuckerbrot und Peitsche traktiert, je nachdem? Sie küssen ihn und schlagen ihn mit einer Inbrunst, als ginge es um den Fortbestand der abendländischen Kultur, sie stilisieren ihn zum Ungeheuer von Loch Ness der Feuilletons: Wenn auch sonst nichts passiert, Fassbinder ist immer für eine Meldung gut.”[4]

Blumenberg scheint, den Rummel um Fassbinder zu durchschauen. Es wird deutlich, daß es nicht bloß um die Werke Fassbinders ging, wenn über ihn geschrieben wurde, sondern daß alleine Fassbinders Person ein Ereignis darstellte. Doch kann sich auch Blumenberg, wie ich finde, nicht vollkommen von dieser Sichtweise trennen. Im selben Text bilanziert Blumenberg über die letzten Filme seit Fontane Effi Briest, daß sie “die Qualität von therapeutischen Konfessionen” hätten und bloß noch “endlose Schluchzer über die Schlechtigkeit der Welt” seien, was Blumenberg schließlich mit Vermutungen über Fassbinders Privatleben verbindet. Blumenberg findet zwar, daß sich Fassbinder mit seinem damals jüngsten Film Satansbraten von “seiner fatalistischen Lethargie” befreit habe, doch beim Publikum kommt dieser Film nicht an: Nach der Premiere des Films auf der Mannheimer Filmwoche 1976 fiel ein “zähnefletschendes Publikum über ihn her, das nur noch Blut sehen wollte”[5].

Fassbinders rastlose Produktivität über das Medium Film hinaus, die zunehmende internationale Beachtung seiner Filme und politische Kontroversen um seine Themen, wie z.B. Terrorismus, Homosexualität und die Situation von Frauen machten ihn schon zu Lebzeiten zu einer sensationellen Legende. Seine Rolle als Impressario und Kopf des Neuen Deutschen Films, die sich Mitte der 70er Jahren festigte, änderte nichts an diesem Spektakel.

Auch als etablierter deutscher Filmemacher[6], waren die Meinungen zu seinen Filmen stets gespalten. Fassbinders Privatleben und die Schwierigkeit ihn politisch zuzuordnen, lösten inhaltliche Kontroversen aus, die eine rein filmische Analyse der Werke in Deutschland verhinderten und Fassbinder zwischen politische und teils militante Fronten warf. Eine zugespitzte Gegenüberstellung macht deutlich, daß Fassbinder nicht einfach mit bestehenden linken oder rechten Kategorien zu fassen war: Während er in Deutschland von einigen Linken als ein “kryptischer Faschist” denunziert wurde und von rechter Seite als einen “verantwortungslosen maoistischen Demagogen” bezeichnet wurde, bekamen in Ausland seine Filme einen hohen künstlerischen Stellenwert und Fassbinder wurde als “German Wunderkind” gefeiert.

Nach Fassbinders Tod 1982 verfestigte sich in Deutschland auf der einen Seite das Bild vom Genie, vom produktivsten und beunruhigendsten deutschen Filmemacher der deutschen Nachkriegsgeneration. Auf der anderen Seite stärkte sich das Bild vom bürgerlichen Publikumsschreck, was vor allem an seinen “Biographen” (Kurt Raab, Peter Chatel, Harry Baer, u.a.) lag, die in vielen Interviews und Essays das Bild einergay-communityvoll von Perversität, Abhängigkeiten und Psychoterror in die Öffentlichkeit trugen.

Zum 10. Todestag Fassbinders gab es im Sommer 1992 in Berlin eine erste umfassende Rainer Werner Fassbinder Werkschau in Zusammenarbeit mit demDeutschen Filmmuseum, derFassbinder Foundationund derStiftung Deutsche Kinemathek Berlin. Doch bis heute scheinen Fassbinders Filme in Deutchland einer breiten Öffentlichkeit unzugänglich.

2.2. Rezeption in den Vereinigte Staaten von Amerika

Am selben Tag, an dem Hans C. Blumenberg 1976 Bilanz über die Skandale um Fassbinder zog, schrieb der Kritiker Vincent Canby in derNew York Times, Fassbinder sei der “faszinierendste, talentierteste, produktivste und originellste junge Filmemacher in der Bundesrepublik”[7]. Während Fassbinder in Deutschland unter heftiger Kritik stand, galt er für Canby als “eine der größten Entdeckungen desNew York Film Festivals”. Beate Uhrmeister schreibt dazu:

“In Amerika wird Fassbinder zu dieser Zeit zum internationalen Star gemacht. Bereits mit dreißig Jahren zählt man ihn zu den bedeutendsten europäischen Filmemachern überhaupt; sein Renommee in den USA steht in krassem Widerspruch zu seinem Image in Deutschland.”[8]

Um diesem scheinbaren Widerspruch und der amerikanische Begeisterung nachzugehen, ist es nötig, zu betrachten, wie sich das Interesse an Fassbinders Filmen in Amerika entwickelt hat.

Nach Beate Uhrmeister hat die Wahrnehmung von Fassbinder 1971 in New York angefangen. Auf demNew York Film Festivalwurden seit Ende der 60er Jahre auch eine kleine Zahl deutscher Filme vorgestellt. Doch zumeist lehnte das amerikanische Publikum die Filme von z.B. Herzog, Schlöndorf oder Kluge ab. Auch 1971, als Fassbinders Pioniere in Ingolstadt in New York gezeigt wurde, waren die Reaktionen nicht anders. Zwar fand der Kritiker Vincent Canby den Film in Bezug auf die Brecht-Tradition lobenswert[9], doch sein Kollege Paul Zimmermann bezeichnete den Film als “schwerfällig” und “affektiert”[10].

Im Frühjahr 1972 wurde imMuseum of Modern Artin New York in einem Sonderprogramm der Neue Deutsche Film vorgestellt. Die Reihe wurde von Presse und Publikum interessiert wahrgenommen, und der Film Warum läuft Herr R. Amok? wird von Roger Greenspun als ein hervorragendes Beispiel deutscher Filmkunst besonders hervorgehoben[11]. Schon auf dem folgendemNew York Film Festivalerhielt Händler der vier Jahreszeiten überwiegend positive Kritiken, worauf der Film bald in das Programm eines New Yorker Kinos aufgenommen wurde.

In den folgenden Jahren waren Fassbinders Filme jährlich beimNew York Film Festivalvertreten, und im Gegensatz zu anderen deutschen Filmemachern fand Fassbinder auch einen Verleih.

“Allerdings gelangen die Filme weder im Jahr der Herstellung noch in chronologischer Reihenfolge in die amerikanischen Kinos. Und natürlich erreicht man nicht das breite Publikum: New York, einige Städte der Ostküste und San Francisco; neben den Universitäten werden zur wichtigsten Abspielstätte die sogenannten »arthouse´s«.”[12]

Von einem durchschlagenden Erfolg kann also noch nicht die Rede sein. Eher scheint es, als hätten die Filme Fassbinders zunächst den Status einer kulturellen Besonderheit und eines Geheimtips für Cineasten, Intellektuelle und andere Kunstinteressiete gehabt.

[...]


[1]Thomas Elsaesser:Fassbinder, Lola und die Logik des Mehrwerts - oder: Nicht nur wer zahlt, zählt.In:Der zweite Atem des Kinos, Frankfurt am Main, 1996, S.54.

[2]Tony Rayns (Hg.):Fassbinder, London, 1976.

[3]dokumentiert in: Lichtenstein, Heiner (Hg.):Die Fassbinder-Kontroverse oder Das Ende der Schonzeit.Königstein/Taunus 1986.

[4]Hans C. Blumenberg: “Schreie und Flüstern. Neues von und über Rainer Werner Fassbinder: Zwischenbilanz nach 28 Filmen. In:Die Zeit, 15.10.1976.

[5]Kraft Wetzel: “Ein Höllenspektakel in Mannheim”. In:FAZ, 9.10.1976.

[6]1978 erhielt Fassbinder den Deutschen Filmpreis für den Film Despair - Eine Reise ans Licht. Auch der Film Deutschland im Herbst, an dem Fassbinder mitwirkte, bekam eine Auszeichnung, die Fassbinder jedoch ablehnte.

[7]In:The New York Times, 15.10.1976.

[8]Beate Uhrmeister:»It was indeed a German Hollywood Film« Fassbinder-Rezeption in den USA: Notizen zu einem produktiven Mißverständnis. In: Text + Kritik, Heft 103, Juli 1989, S.80.»

[9]The New York Times, 11.10.1971.

[10]Newsweek, 18.10.1971.

[11]The New York Times, 13.4.1972.

[12]Beate Uhrmeister: “»It was indeed a German Hollywood Film« - Fassbinder-Rezeption in den USA: Notizen zu einem produktiven Mißverständnis.” In:Text + Kritik, Heft 103, Juli 1989, S.81.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Rainer Werner Fassbinder - Ein Repräsentant Deutschlands seiner Zeit?
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Institut für Theaterwissenschaft)
Veranstaltung
Hauptseminar Rainer Werner Fassbinder
Note
1-
Autor
Jahr
1998
Seiten
21
Katalognummer
V1415
ISBN (eBook)
9783638108782
ISBN (Buch)
9783638882552
Dateigröße
434 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Fassbinder, Rainer Werner, Deutschland, Film, Thomas Elsaesser
Arbeit zitieren
Tillmann Allmer (Autor:in), 1998, Rainer Werner Fassbinder - Ein Repräsentant Deutschlands seiner Zeit?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1415

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