Bereit zum Krieg? - Zur Frage der Kriegsmentalität im Vorkriegsdeutschland im Kontext internationaler Systemkonkurrenz


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

31 Seiten, Note: 2+


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis :

1. Einleitung und Analysegang

2. Hauptteil
2.1. Kriegsbereitschaft und die Einstellung zum Krieg
2.1.1. Im politisch-gesellschaftlichen Raum
2.1.2. In Wissenschaft und Kultur
2.1.3. In der Religion
2.2. Feindbilder als Kriegsmobilisatoren
2.3. Die Rolle der Presse als / in der öffentlichen Meinung

3. Ergebnisse und Schlussbetrachtungen

4. Literaturverzeichnis

1. Einleitung und Analysegang

Beim Übergang ins 20.Jahrhundert war es die innere Dynamik von Prozessen wie Industrialisierung, Verbürgerlichung und Bürokratisierung, welche die Staatenwelt gesellschaftspolitisch grundlegend beeinflusste und damit auch zunehmend die Außenpolitik determinierte. Neben der Konzentration von außenpolitischen Aktivitäten in dazu neu entstehenden Ministerien, war es bereits in dieser Zeit ein entstehender Regelungsbedarf über den Nationalstaat hinweg, der ein Aufkommen gouvernementaler und nichtgouvernementaler internationaler Institutionen postulierte. Diese als Internationalismus bezeichnete Entwicklung war in den letzten Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg noch ein realer, aber nicht realistischer Kern von Hoffnungen auf eine nachhaltige Pazifizierung internationaler Beziehungen gewesen. Der Ausbruch des 1. Weltkrieges Anfang August 1914 stürzte nahezu die halbe Welt in ein Inferno bisher unbekannten Ausmaßes. Der Weg daraufhin, in einem ab dem letzten Jahrzehnt des 19.Jahrhunderts wettrüstenden Europa, brachte auch eine gesellschaftliche Krise nahezu des ganzen Kontinents mit sich, welche sich im nationalen Geltungsstreben der Hauptakteure nicht zu letzt auf gesellschaftlich - kultureller Ebene aus- und verbreitete.

Dieser zugespitzte machtpolitische als auch gesellschaftlich-kulturelle Konflikt entlud sich spätestens in der Julikrise 1914 in einer in Deutschland selten da gewesenen Bereitschaft in der Gesellschaft zum Krieg. Über Jahre hinweg künstlich geschaffene Feindbilder und Denkansätze hatten als Mittel einer Alldeutschen Nationalismusbewegung dazu ihr übriges getan. Somit zeichnet sich oft ein Bild, welches schon in den Jahren vor 1914 Kriegsbereitschaft für einen anscheinend unvermeidlich werdenden, gewollten und gerechten Krieg als vorherrschend darstellt.

In wiefern diese oftmals dargestellte langfristige Kriegsbereitschaft tatsächlich zutreffend war und wie groß der Einfluss der Darstellung und Bildung der öffentlichen Meinung durch die Presse war und in wieweit die veröffentlichte Suggestion eines mehrheitlich gewollten Krieges tatsächlich Einfluss und Antrieb auf diesen ausübte, soll Forschungsfrage dieser Hauptseminarschrift sein.

Hierbei wird der zeitliche Rahmenschwerpunkt auf die Jahre von der Jahrhundertwende bis vor den Beginn der Julikrise 1914 gerichtet sein, wobei es jedoch unablässig ist, bei der Darstellung bestimmter ideeller Strömungen in der Chronologie zurückzugreifen.

Die Literatur- und Quellenlage stellt sich auf den ersten Blick als gut dar, lässt jedoch bei eingehenderer Betrachtung ein nicht zu negierendes Übergewicht von direkt- oder indirekt staatlich beeinflussten Schriften erkennen. So gilt es also, insbesondere in der Betrachtung und Bewertung von Pressedarstellungen, zu differenzieren.

Der bisherige Forschungsstand zur Thematik zeigt sich zwar als erschlossen aber als noch nicht klar genug positioniert und beschränkt sich oft auf die rivalisierenden Positionen zwischen dem konservativem Lager und der Sozialdemokratie. Um sich diesem Thema zu nähern, sind jedoch vielschichtigere Betrachtungsperspektiven als ein Desiderat zu erachten.

Ausgehend von den, in der zu untersuchenden Zeit gerade im Abschluss der Etablierung als eigenständigem Wissenschaftszweig befindlichen, Theorien der Internationalen Beziehungen, wenden wir hierzu mit dem Nationalstaat als Analyseebene den subsystemischen Forschungsansatz an.

Entgegen zu der im englischsprachig geprägten Wissenschaftsraum als Disziplin etablierten Forschungsrichtung der Friedens- und Konfliktforschung wird hierbei ein historisch-gesellschaftstheoretisch orientierter Ansatz angewandt.

2. Hauptteil

2.1. Kriegsbereitschaft und die Einstellung zum Krieg

Der Überblick über die Einstellungen zum Thema `Krieg im Kaiserreich´, determiniert eine Eingrenzung des Begriffes Krieg an sich. Krieg ist somit keine einheitlich definierte Kategorie für den organisierten kollektiven militärische Austragung von Konflikten.[1] Hier ist wichtig den Kriegsbegriff entsprechend der Auffassung in seiner Zeit des Analysezeitraums zu betrachten, auch da sich dieser letztlich aufgrund seiner Historizität nicht epochenübergreifend definieren lässt.[2]

Die Erwartungen differierten insbesondere hinsichtlich der in Kauf zu nehmenden Gegner unter den Großstaaten, vor allem aber über die Dauer und die dabei zu erwartenden Opfer. Der „Blitzkrieg“-vorstellung standen vom älteren Moltke über Friedrich Engels bis hin zu Bethmann-Hollweg Vorstellungen von einem lange andauernden Krieg gegenüber.[3] Letztlich drängt sich für einen Definitionsansatz in dieser Zeit die vereinfachende Unterscheidung auf, einen Krieg als von anderen Mächten aufgezwungen anzusehen und nur passiv hinzunehmen - oder aktiv an dessen Auslösung mitzuwirken.[4]

Die daraus resultierenden verschiedensten individuellen Einstellungen in der Bevölkerung zu einem Krieg basierten letztlich insbesondere auch auf den persönlichen Grundwerten und Denkweisen des politisch-gesellschaftlichen und religiösen Hintergrunds eines jeden Staatsbürgers. Diese Hintergründe sind hierbei in ihrer Bedeutung für die Genese des 1.Weltkriegs herauszustellen.

2.1.1. Im politisch-gesellschaftlichen Raum

Die seit der Boulanger-Krise 1887 steigende europäische Kriegserwartung schwächte in der breiten Bevölkerung die Resistenz gegenüber kriegerischen Tendenzen und stellte einen möglichen Fall des ‚casus belli’ als unumgängliche nationale Notwendigkeit zur Wahrung des 1871 abgeschlossenen Einheitswerkes dar.[5] Insbesondere konservative Kreise maßen sogar einem möglichen Kriege die Chance einer revitalisierenden Wirkung auf die deutsche Gesellschaft bei, welche sich in ihren Augen in der langen Friedenszeit in eine saturierte, in materialistischem Gewinnstreben erstarrte bürgerliche Kultur gewandelt hatte.[6]

Diese Theorie eines Krieges als eine Art Gesundbrunnenfunktion für die Gesellschaft wurde offen in konservativen Tageszeitungen publiziert. - So schrieb zum Beispiel

Die Post in ihrer Ausgabe vom 28.Januar 1912 als Reaktion auf ein Plädoyer für einen Angriffskrieg: „Wenn wir, ganz allgemein gesprochen, den Krieg und damit die größte nationale Kraftanspannung, deren ein Volk fähig ist, als im Interesse unseres Volkes liegend erachten, so geschieht dies lediglich aus dem Gedanken heraus, dass es das einzige Mittel ist, das uns heute noch als Nation vor der unserer rettungslos harrenden physischen und psychischen Erschlaffung und Entnervung retten kann.“[7]

Von dieser Gesundung versprachen sich die konservativ-monarchistischen Schichten insbesondere eine Unterdrückung der Sozialdemokratie sowie eine Eindämmung des demokratischen Parlamentarismus. Dazu, diese Gesundung herbeizuführen, sahen sich die noch dominierenden konservativen Kräfte im Kaiserreich berufen. So schreibt Die Post am 5. Januar 1913: „Bethmann Hollwegs Schwäche in der Unterstützung deutscher Interessen mache es besonders notwendig, die öffentliche Meinung auf den Krieg vorzubereiten, den seine Haltung unvermeidlich mache.“[8] Die hierbei angesprochenen Interessen stellen dabei verständlicherweise nur konservative Werthaltungen und Ansichten dar.

Der hohe Stand der Militarisierung des Kaiserreiches, welche Krieg als ein naturgegebenes Mittel der Auseinandersetzung zwischen Völkern betrachtet, basierte maßgeblich auf dem Einfluss der konservativen Schichten. Hier ergeben sich nun interessante gesellschaftliche Querverbindungen zum Kaiserlichen Heer sowie den Millionen von in Kriegervereinen organisierten Bürgern. Diese parapolitische Speerspitze als ausführendes Organ eines möglichen Krieges trat hier forcierend im Hinblick auf eine etwaige offene Konfliktaustragung auf.[9]

Der allgemein hohe Grad der Militarisierung einer Gesellschaft, die administrativ noch vornehmlich nach dem Leitbild Preußens als Militär- und Beamtenstaat ausgerichtet worden war, bildete hierbei eine der wichtigsten Rahmenbedingungen. Die darin traditionell herausragende gesellschaftliche Stellung, die das Offizierskorps innerhalb der deutschen Gesellschaft dabei genoss, garantierte militärischen Wertidealen einen entsprechend hohen Stellenwert innerhalb des gesellschaftlichen Bewusstseins. Die lange Friedensphase seit 1871 hatte auch im Militär einen Generationswechsel vollzogen. Die neue Offiziersriege war unter der Erblast der erfolgreichen Kriege von 1864 bis 1871 einem Krieg gegenüber offensiv eingestellt. So urteilte unter anderem der Korvettenkapitän Georg Alexander von Müller, der spätere Chef des Kaiserlichen Marinekabinetts, im Jahre 1896 : „Auch hier heißt es ganz oder gar nicht. Mit der ganzen Kraft der Nation einsetzen, rücksichtslos, auch den großen Krieg nicht scheuend.“[10]

Das besondere an diesem Drang zur Offensive im Militär, getreu dem alten Leitspruch `Angriff ist die beste Verteidigung´, ist im ausgehenden 19.- beginnenden 20.Jahrhundert, der Umstand der massiven geistigen und ideellen Unterstützung in diesem Bestreben aus breiten Gesellschaftsschichten. Die 2,8 Millionen Mitglieder (Veteranen der Einigungskriege, Ehemalige und Reservisten, militärisch interessierte loyale Bürger) zählenden Kriegervereine übten dabei mit ihrer Nähe zur legitimen Truppe einen nicht zu vernachlässigenden geistigen Einfluss auf diese aus. Gemeinsame Teilnahme an Paraden, Veranstaltungen, öffentlichen Anlässen und Manövern sowie gegenseitige Truppenbesuche gehörten zur Tagesordnung.[11]

Ideologische Einheizung dieser Gedanken kam von den nationalistischen Agitationsverbänden.[12] Hier tat sich insbesondere der ‚Alldeutsche Verband’ als militant-konservative Massenbewegung hervor. Dieser Verband zählte zwar lediglich 80.000 Mitglieder, erreichte aber mit seiner Agitation ein Vielfaches der Mitgliederzahl im Volk.[13] Eindeutige Kriegsverherrlichung regierte in den alldeutschen Publikationen, so zum Beispiel in der 1912 erschienenen Schrift des Agitators Schmidt-Gibichenfels: „Der Krieg als Kulturfaktor, als Schöpfer und Erhalter der Staaten“.[14] Diesem Verband gelang es eine skurrile Sammlung von Feindbildern aller Art für eine Vorstellung eines Krieges als Mittel zum Zweck der Feindbildbekämpfung zu instrumentalisieren. - Die Nähe solcher Argumentationsmuster zu agitierten konservativen Parteiinteressen wird hierbei sehr offensichtlich.

Dem entgegen waren die liberalen Strömungen im Reich zweigespalten:

Die Nationalliberalen waren zu einer Speerspitze des Radikalnationalismus geworden. Dieser proklamierte eine kraftvolle Weltpolitik und sah einen Krieg schlicht weg als das probate Mittel dazu an. Somit unterschied sich in diesen Ansichten der Nationalliberalismus keineswegs mehr von den konservativen Interessen.[15]

Die Linksliberalen gingen zwiespältig mit der Vorstellung eines potentiellen Krieges um. Während eine Strömung die Zustimmung zu einer aggressiven Außenpolitik betonte, ging die andere Denkweise eher nüchtern und kritisch an selbige heran. Die Liberalen waren gefangen in diesem parteiinternen Zwiespalt, was sie neutralisierte und mit schwindender gesellschaftlicher Bedeutung verbunden war.[16]

Somit scheint auf den ersten Blick der Sozialdemokratie die Rolle der einzigen eindeutigen Opposition gegen einen möglichen Krieg zuzukommen. Die stetig wachsende Zahl der Arbeiterschaft bildete eine breite Rekrutierungsbasis für die Idee der Sozialdemokratie, repräsentierte letztlich jedoch nahezu alle politischen Strömungen des Kaiserreichs. Aufgrund des lange ausgefochtenen Kampfes zur Verbesserung der sozialen Lage im ausgehenden 19.Jahrhundert bestand bereits in breiten Schichten der Industriearbeiterschaft eine gewisse natürliche Distanz zu konservativen Bestrebungen. Pazifistische Organisationen unter der ideologischen Federführung von Gelehrten trafen hier auf nicht abgeneigte Ohren.[17]

[...]


[1] Gantzel, 1997, S.257

[2] Wegner, 2000, S.7

[3] Dülffer/Holl 1986, S.12

[4] Messerschmidt, 1975, S.27

[5] Mommsen, 1995, S.840

[6] Mommsen 1995, S.840

[7] Dülffer/Holl 1986, S.198

[8] Rosenberger 1998, S.77

[9] Messerschmidt, 1975, S.37

[10] Wehler, 1995, S.1151

[11] Wehler, 1995, S.1150

[12] Wehler, 1995, S.1150

[13] Dülffer/Holl, 1986, S.198

[14] Dülffer/Holl, 1986, S.198

[15] Holl/Lüst, 1975, S.32

[16] Holl/Lüst, 1975, S.34

[17] Wehler, 1995, S.1151

Ende der Leseprobe aus 31 Seiten

Details

Titel
Bereit zum Krieg? - Zur Frage der Kriegsmentalität im Vorkriegsdeutschland im Kontext internationaler Systemkonkurrenz
Hochschule
Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald  (Historisches Institut)
Veranstaltung
Hauptseminar: Deutsches Reich und Französische Republik - Systemkonkurrenz und internationale Rivalität
Note
2+
Autor
Jahr
2005
Seiten
31
Katalognummer
V141539
ISBN (eBook)
9783640518418
ISBN (Buch)
9783640518616
Dateigröße
540 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Geschichtswissenschaft, Politikgeschichte, Contemporary History, Gesellschaftsstudien
Arbeit zitieren
Thomas M. Scholz (Autor:in), 2005, Bereit zum Krieg? - Zur Frage der Kriegsmentalität im Vorkriegsdeutschland im Kontext internationaler Systemkonkurrenz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/141539

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