Die soziale Ordnung ist keine statische Struktur, sondern wird von den Gesellschaftsakteuren permanent durch deren Interpretationsleistungen und wechselseitige Abstimmung konstruiert. Diese These beschreibt den Grundgedanken der von Harold Garfinkel entwickelten Ethnomethodologie, eines handlungstheoretischen Ansatzes, „der die grundlegenden formalen Methoden (Basisregeln) aufzudeckenversucht, die die Gesellschaftsmitglieder bei ihren alltäglichen Handlungen anwenden, um Ereignisse und Handlungen zu interpretieren, d.h. ihnen Sinn zu verleihen.“ Der Garfinkelsche Ansatz ist äußert dienlich, um die Strukturen des menschlichen Interagierens und ihrer Wirklichkeitskonstitution in der sozialen Umwelt zu erläutern. Was ist aber der heuristische Wert dieser soziologischen Handlungstheorie, wenn die Interaktion aus dem weltlichen sozialen Raum in den virtuellen sozialen Raum verlagert wird? Greifen die für die Realwelt entwickelten „Basisregeln“ auch für eine elektronisch vermittelte Kommunikation oder wie müssen sie entsprechend modifiziert werden? Diese Fragen werden in dem hiesigen Essay, im Rahmen des Forschungsprojekts SocialTV – Fernsehen im Wandel des interdisziplinären Masterstudiengangs Medien und Gesellschaft, eruiert. Zu prüfen ist, ob die Garfinkelschen Leitsätze hilfreiche Implikationen für die Kreierung von SocialTV-Formaten, d.h. von Formaten, die wie der Name impliziert eine Interaktion im Sinne der soziologischen Interaktion, also „die Beziehung zwischen zwei oder mehr Personen, die sich in ihrem Verhalten aneinander orientieren“ ermöglichen.
Inhaltsverzeichnis
- 1,1. Einleitung: Von realen und virtuellen Interaktionen
- 2. Interaktion massenmedial realisiert?
- 3. Die Routinegrundlagen des Alltagshandelns
- 4. Garfinkels Ethnomethodologie und die Konstruktion der sozialen Wirklichkeit
- 5. Die Ethnomethodologie als heuristisches Instrument für die Entwicklung von SocialTV-Konzepten
- 6. Fazit
- Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Der Essay befasst sich mit der Frage, inwiefern soziologische Handlungstheorien, insbesondere die Ethnomethodologie von Harold Garfinkel, für die Entwicklung von SocialTV-Konzepten nutzbar sind. Der Fokus liegt dabei auf der Analyse der Strukturen des menschlichen Interagierens im virtuellen Raum und der Frage, ob die für die Realwelt entwickelten „Basisregeln“ auch für eine elektronisch vermittelte Kommunikation gelten oder modifiziert werden müssen.
- Die Relevanz der Ethnomethodologie für die Untersuchung von Interaktion im virtuellen Raum
- Die Frage, ob elektronisch gestütztes Interagieren als Interaktion bezeichnet werden kann
- Die Analyse der Routinegrundlagen des Alltagshandelns im Kontext der Chat-Kommunikation
- Die Anwendung von Garfinkels Krisenexperimenten auf die Strukturen der Online-Kommunikation
- Die Bedeutung der Interpretationsleistung der Akteure für die Konstruktion der sozialen Wirklichkeit im virtuellen Raum
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die Grundidee der Ethnomethodologie von Harold Garfinkel vor und erläutert die Relevanz dieses Ansatzes für die Untersuchung von Interaktion im virtuellen Raum. Es wird die Frage aufgeworfen, ob die für die Realwelt entwickelten „Basisregeln“ auch für eine elektronisch vermittelte Kommunikation gelten oder modifiziert werden müssen.
Kapitel 2 befasst sich mit der Frage, ob elektronisch gestütztes Interagieren von Menschen mit Berechtigung als Interaktion bezeichnet werden darf. Es wird argumentiert, dass die Betitelung einer elektronischen Kommunikation als Interaktion problematisch ist, da die Strukturen einer Face-to-Face-Kommunikation von denen einer mediengestützten Kommunikation divergieren.
Kapitel 3 stellt die Routinegrundlagen des Alltagshandelns im Kontext der Chat-Kommunikation vor. Es wird die Indexikalität, die Relation von Äußerungen zu dem dahinterliegenden Kontext, als zentrales Element der Interaktion beschrieben.
Kapitel 4 analysiert Garfinkels Ethnomethodologie und ihre Relevanz für die Konstruktion der sozialen Wirklichkeit im virtuellen Raum. Es werden die Methoden der Krisenexperimente und die Bedeutung der Interpretationsleistung der Akteure für die Interaktion erläutert.
Kapitel 5 untersucht die Ethnomethodologie als heuristisches Instrument für die Entwicklung von SocialTV-Konzepten. Es werden die Implikationen von Garfinkels Theorie für die Gestaltung von interaktiven Fernsehformaten diskutiert.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen die Ethnomethodologie, Harold Garfinkel, SocialTV, Interaktion, virtuelle Kommunikation, Chat-Kommunikation, Routinegrundlagen des Alltagshandelns, Krisenexperimente, Interpretationsleistung, soziale Wirklichkeit.
- Quote paper
- Laura Dorfer (Author), 2009, Die Garfinkelschen Leitsätze als soziologische Handlungstheorie für die Entwicklung von Social-TV-Konzepten, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/141574