Die Ich-Identität beim Kinde

Entwicklungstheorien und Moralerziehung als pädagogische Herausforderung


Masterarbeit, 2009

89 Seiten, Note: 1.1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Notwendige Begriffseinordnung
2.1 Empathie
2.2 Erziehung
2.3 Entwicklung

3 Identitätsbildung im Einfluss von Literatur und Erziehungskonzepten
3.1 Das Höhlengleichnis von Platon ­ Grundmetapher für Bildung
3.2 Identitätsbildende Faktoren repressiver und permissiver Erziehungsstile
3.3 Kinderbuchklassiker als literarische Einflussfaktoren der Ich­ Identität

4 Entstehung der Identität nach George H. Mead
4.1 Begriffsbestimmung: Identität
4.2 „Ich“ und der (das) verallgemeinerte „Andere“
4.3 „Ich“ und „ICH“ als Phasen der Identitätsbildung
4.4 Kritik an Kant

5 Theorien zur menschlichen Entwicklung
5.1 Theorie der affektiven Entwicklung von Erik H. Erikson
5.2 Die acht Phasen der psychosozialen Entwicklung von Erik H. Erikson
5.3 Theorie der kognitiven Entwicklung nach Jean Piaget
5.4 Identitätsbildung - Äquilibration durch Assimilation und Akkommodation
5.5 Kognitive Entwicklungsstufen
5.5.1 Die sensumotorische Stufe
5.5.2 Die präoperative Stufe
5.5.3 Die konkret-operative Stufe
5.5.4 Die formal-operative Stufe
5.6 Stadien der moralischen Entwicklung

6 Entwicklung der moralischen Urteilsfähigkeit
6.1 Die kognitive Entwicklungstheorie von Lawrence Kohlberg
6.2 Das Stufenmodell zur Entwicklung der moralischen Urteilsfähigkeit
6.2.1 Ebene 1: Präkonventionelle Moral
6.2.2 Ebene 2: Konventionelle Moral
6.2.3 Ebene 3: Postkonventionelle Moral
6.3 Moralische Dilemmata
6.4 Kritik an der Theorie zur Entwicklung moralischer Urteilsfähigkeit nach Lawrence Kohlberg

7 Der Kategorische Imperativ als Prinzip der Sittlichkeit von Immanuel Kant
7.1 Was kann ich wissen?
7.2 Was soll ich tun?

8 Zusammenfassung

9 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Was macht Kinder zu starken Persönlichkeiten? Wie können wir die Entwicklung der Ich-Identität bei unseren Kindern fördern? Moderne Eltern verstehen diese Fragen als pädagogische Herausforderung in ihrer Erziehungsarbeit. Sie kennen die weitreichende Bedeutung der Kindheit auf das spätere Leben ihrer Kinder. Daher möchten sie ihre Vorbildfunktion und ihren erzieherischen Einfluss als Eltern nutzen, um die Entwicklung ihrer Kinder unterstützen und die Heranreifung ihrer Persönlichkeit zu stärken.

Um die Kinder entwicklungsgerecht begleiten zu können, ist es wichtig zu verstehen, wie sich menschliche Entwicklung in ihren unterschiedlichen Aspekten vollzieht. Hier ist es notwendig, auf die Entwicklungstheorien zurückzugreifen, da sie über entwicklungspsychologische Zusammenhänge aufklären und Modelle für die moralische Entwicklung anbieten. Diese Arbeit geht daher den Fragen nach: Wie bildet sich die Ich-Identität des Kindes heraus? Wie verlaufen die emotionale und die kognitive Entwicklung des Kindes? Wie verläuft Moralerziehung?

Einführend erfolgt zunächst eine Einordnung der Begriffe Empathie, Erziehung und Entwicklung. Die Erziehung stellt einen bedeutenden Einflussfaktor auf die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes dar. Repressive und permissive Erziehungsstile wirkt sich dabei unterschiedlich auf die Identitätsbildung des Kindes aus. Auch Kinderbücher beeinflussen als Medium die Ich-Identität der Kinder. Hier werden die literarischen Einflüsse der Kinderbuchklassiker „Pippi Langstrumpf“ von Astrid Lindgren, und „Der Struwwelpeter“ von Dr. Heinrich Hoffmann untersucht.

George H. Mead hat ein Modell zur Entstehung der Identität entwickelt. Das „Ich“ reift in verschiedenen Phasen heran. Dabei entwickelt sich die Fähigkeit des Kindes zur Übernahme von unterschiedlichen Rollen nach dem Prinzip der Reziprozität. Nach der Theorie der affektiven Entwicklung von Erik H. Erikson erfolgt die in Phasen verlaufende psychosoziale Entwicklung des Menschen indem er durch die Bewältigung von Krisen an Reife gewinnt. Seine Darlegungen werden durch die Theorie der kognitiven Entwicklung von Jean Piaget ergänzt. Auch die kognitive Entwicklung verläuft in verschiedenen Stadien. Die Ich-Identität des Menschen bildet sich dabei heraus, indem der menschliche Organismus danach strebt, ein Gleichgewicht auf jeweils höheren Stufen auszubilden.

Die Entwicklung des moralischen Bewusstseins wird in dieser Arbeit nach der Theorie von Lawrence Kohlberg untersucht. Kohlberg hat Piagets Ansatz zur moralischen Entwicklung weiterentwickelt und sein Stufenmodell der Moralentwicklung ausgearbeitet. Dabei dient ihm die Aufstellung von Dilemmata dazu, die individuelle Entwicklungsstufe der moralischen Urteilsfähigkeit eines Menschen zu ermitteln. Durch Anwendung der „Plus-eins-Methode“ wird das Kind in seiner Fähigkeit gefördert, moralisch zu urteilen.

Kohlbergs Stufenmodell der Moralentwicklung wird auch von Immanuel Kant beeinflusst. Der von Kant aufgestellte kategorische Imperativ als Prinzip der Sittlichkeit bildet die Gesetzesformel für moralisches Handeln. Er zeigt auf, wie der Mensch seine Pflicht zu moralischen Handeln wahrnehmen soll.

2 Notwendige Begriffseinordnung

2.1 Empathie

Empathie bezeichnet die Fähigkeit, sich in einen anderen Menschen einfühlen zu können, seine Emotionen nachempfinden zu können. Ein empathisch handelnder Mensch kann sich in die Lage des anderen hineinversetzen und dessen Sichtweise nachvollziehen. Er kann bei sich selbst Gefühle des Betroffenseins wahrnehmen, wenn er Menschen in Not erlebt. Empathie beinhaltet zudem die Fähigkeit, sich mittels der eigenen Vorstellung in fiktive Personen, wie sie beispielsweise in der Literatur und im Film auftreten, hinein zu versetzen und die Handlungen sowie die Gefühle der Darsteller nachvollziehen zu können (Zumkley- Münkel, 1994).

Körner (1998) fasst Empathie als eine Kompetenz auf, welche sich aus „... der Fähigkeit zur Gefühlsansteckung der Fähigkeit zur Perspektivenübernahme und der Fähigkeit den Kontext sozialer Situationen zu verstehen“ (Körner, 1998, S. 1) zusammensetzt. Diese kann ganz bewusst in die soziale Interaktion eingebracht werden, und wird im Erziehungsprozess insofern gefördert als das Kind lernt,empathisch wahrzunehmen und seine Wahrnehmung in eine empathische Handlung umzusetzen. In Anlehnung an Lévinas (2005)kann der Mensch mittels einer solchen empathischen Kommunikation und nicht durch Erkenntnisstreben seine Einsamkeit überwinden und sich als Mitmensch erleben. „Um in eine direkte Beziehung zum Anderen treten zu können müssen wir bereits sein den Anderen in seiner Andersartigkeit in unser Leben treten zu lassen“ (Raddatz, 2003, S. 93).

Rogers (1961) sieht das Ziel einer, von empathischen Kompetenz getragenen, Kommunikation im persönlichen Lernen und in der Förderung der Persönlichkeitsentwicklung. Er definiert Empathie als die Fähigkeit „... to sense the clientʼs private world as if it were your own, but without loosing the „as if“ quality...“ (Rogers, 1961, S. 284). Hier fließt der Gedanke, sein Gegenüber in seiner Andersartigkeit annehmen zu können, mit ein, ebenso wie der Aspekt, dabei gleichzeitig die Wahrnehmung des eigenen Erlebens nicht zu verlieren.

Rogers (1961) hat drei notwendige und hinreichende Bedingungen aufgestellt, die der Erzieher als Helfer in der Gesprächssituation ausdrückt. Der Erzieher nimmt eine Haltung des „Einfühlenden nicht - wertenden Verstehens“ ein, um sich in die Innenwelt des Kindes hineinzuversetzen. Er bewertet die gewonnenen Erkenntnisse nicht, sondern steht dem Kind „respektvoll - warm - sorgend“ gegenüber. Diese Annahmen entsprechen auch seinem tatsächlichen inneren Empfinden. Er kann sein „Echtsein-Ohne Fassade sein“ dem Kind übermitteln, so dass es dies in der Kommunikation auch wahrnehmen kann (Tausch & Tausch, 1990).

Das Einfühlen in die kindliche Innenwelt drückt sich in Anteilnahme, fehlender Kritik und fehlender Bedrohung aus. Es ist zunächst ein aufmerksames, sensibles und genaues Hören der Äußerungen des Kindes. Es geht darum, tiefer liegende Botschaften zu verstehen, die sich äußern können als „...ein Bemühen die leisen „Klopfzeichen“ des anderen zu hören, etwa seinen kaum wahrnehmbaren Wunsch nach Anteilnahme, Zuwendung oder Anerkennung seiner kaum ausgesprochenen Bedürfnisse...“(Tausch & Tausch, 1990, S. 33). Dieses Verstandene wird wiederum dem Kind mitgeteilt. Diese Möglichkeit sich mitzuteilen löst Erleichterung beim Kind aus und klärt seine Erlebnisse. Das der Erzieher das Kind achtet schließt die Bereitschaft mit ein, es als Person mit allen Stärken und Schwächen zu akzeptieren. Diese respektvolle, wärmende und sorgende Qualität orientiert sich dabei nicht am Verhalten des Kindes. In diese Haltung fließen viele Aspekte mit ein, wie beispielsweise dem Erzieher eigene Gefühle, Wertmaßstäbe und Ziele, welche sich von denen des Kindes deutlich unterscheiden können. Aus diesem Blickwinkel heraus ist diese Haltung eine ideale Richtlinie, die nicht in vollem Umfang ausgelebt werden kann.

Beide vorangegangenen Haltungen umschließen das Echtsein des Erziehers. Er verhält sich authentisch und versteckt sein wahres Selbst nicht hinter einer Fassade. Er spielt nicht nur eine Rolle, vielmehr stimmt sein Fühlen mit seinem Denken überein. Auch diese Haltung gelingt nie vollständig, aber nur durch ein Echtsein können reale Beziehungen entstehen.

„Nur auf diese Art und Weise kann die Beziehung Realität besitzen. Nur indem ich die authentische Realität, die in mir ist, bin, kann der andere mit Erfolg nach der Realität in sich suchen ... Mir gefällt der Ausdruck „Kongruenz“. Er heißt für mich, dass das, was ich in mir erfahre, in meinem Bewusstsein gegenwärtig ist und in der Kommunikation zutage tritt. Wenn ich diese Eigenschaft habe, bin ich sozusagen als ein Ganzes in unserer Beziehung“ (Tausch & Tausch 1990, S. 87).

Diese Echtheit findet sich auch in Winnicotts „wahrem Selbst“ wieder. Das Kind kann sein „wahres Selbst“ nur in der Beziehung mit einer Bezugsperson, die in der Regel die Mutter ist, entwickeln, die „ gut genug“ ist, und somit authentisch auf das Kind reagieren kann.

„The not- good- enough mother fails to meet the gesture and substitutes her own, with which the infant complies with the beginnig of a False Self. „It is an essential part of my theory,“ writes Winnicott, „ that the False Self does not become a living reality except as a result of the motherʼs repeated success in meeting the infantʼs spontaneous gesture or sensory hallucination“ (Rodman, 2003, S. 265).

Gelingt es der Mutter nicht, sich empathisch auf das Kind einzulassen, und sich ohne Fassade in die Beziehung einzubringen, kann es sein „wahres Selbst“ nicht entwickeln. Das Kind versteckt dieses vielmehr hinter einer Fassade. Es baut eine Panzerung auf und entwickelt statt dessen ein „falsches Selbst“. Diese Entwicklung kann sich nach Winnicott schon in frühen Entwicklungsphasen anbahnen.

„The protest against being forced into a false existance“, he finds, „can be detected from the earliest stages“, since „at the earliest stage the True Self is the theoretical position from which come the spontaneous gesture and the personal idea“ (Rodman, 2003, S. 265).

2.2 Erziehung

Rousseau (1998) sieht im „natürlichen Menschen“ die Entfaltung seines menschlichen Potentials welches er als „absolutes Ganzes“ beschreibt. Sein, mit Winnicott (Rodman, 2003) vergleichbares, „wahres Selbst“ findet der Mensch in seinen von der Natur gegebenen Anlagen. „Der natürliche Mensch ruht in sich. Er ist eine Einheit und ein Ganzes; er bezieht sich nur auf sich oder seinesgleichen“ (Rousseau, 1998, S. 12). Um diese Ganzheit zu verwirklichen, braucht der Mensch eine Erziehung, die seiner natürlichen Entwicklung angepasst ist. Rousseau sieht die Natur als ersten Erzieher des Kindes. Sie entwickelt die Fähigkeiten und Kräfte des Kindes und ist gleichzeitig das tiefere Ziel der Erziehung. Die Menschen und die Dinge sind Lehrer, die sich nach der Natur richten, da diese, als stärkste Kraft, nicht beeinflusst werden kann.

„Was uns bei der Geburt fehlt und was wir als Erwachsene brauchen, das gibt uns die Erziehung. Die Natur, oder die Menschen oder die Dinge erziehen uns. Die Natur entwickelt unsere Fähigkeiten und Kräfte; die Menschen lehren uns den Gebrauch dieser Fähigkeiten und Kräfte. Die Dinge aber erziehen uns durch die Erfahrung, die wir mit ihnen machen, und durch die Anschauung“ (Rousseau, 1998, S. 10).

Der Erzieher hat die Aufgabe, ein Gleichgewicht zwischen diesen drei Kräften herzustellen. Rousseau bezeichnet dies als negative Erziehung, insofern als das Kind nicht mit Moralvorstellungen bedrängt wird, solange dessen Geist und Vernunft noch nicht dazu entwickelt sind.

„Die Natur will, dass Kinder Kinder sind, ehe sie Männer werden ... Die Kindheit hat eine eigene Art zu sehen, zu denken und zu fühlen, und nichts ist unvernünftiger, als ihr unsere Art unterschieben zu wollen ... Wozu soll ihm die Vernunft in diesem Alter dienen? Sie bremst die Kraft und das Kind braucht diese Bremse nicht. (Rousseau, 1998, S. 69)

Für Rousseau (1998) ist die Kindheit ein eigenständiger Lebensabschnitt, und nicht nur eine Vorstufe zur Erwachsenenwelt. In der Gesellschaft, Rousseau bezieht sich dabei auf die Zeit des Absolutismus, herrschen Zwang und Unterdrückung Dies sind einengende Bedingungen, unter denen sich der „natürliche Mensch“ nicht entwickeln kann. Ist der Mensch Staatsbürger, so kann er nicht als Ganzheit in sich ruhen.

„Gute soziale Einrichtungen entkleiden den Menschen seiner eigentlichen Natur und geben ihm für seine absolute eine relative Existenz. Sie übertragen sein Ich in die Allgemeinheit, so dass sich der einzelne nicht mehr als Einheit, sondern als Glied des Ganzen fühlt und angesehen wird“ (Rousseau, 1998, S. 12).

Es ist das Dilemma zwischen „natürlichem Menschen“ und Staatsbürger an dem er scheitert. Ist der Mensch der Kindheit entwachsen, muss er letztlich seine Pflicht erfüllen, indem er als Staatsbürger aktives Mitglied der Gesellschaft ist. Er soll bereit sein den Gesellschaftsvertrag einzugehen, welcher die politische Ordnung sichert. Rousseau (1998) kritisiert den Einfluss der Gesellschaft auf die Erziehung des Kindes insofern, als die Lehrinhalte der Lehrpläne zu sehr von der Lebenswirklichkeit des Kindes abweichen. Das Kind braucht die Verknüpfung des Lerninhaltes mit eigenen Erfahrungen, um auf eine natürliche Art und Weise lernen zu können. Indem es verstehen kann, wozu eine Sache nützlich ist, entwickelt es sich zu einem urteilsfähigen Kind, welches so sein Verständnis von der Welt aufbaut.

Um das Kind in diesem Sinne erziehen zu können, muss der Erzieher mit dem Kind empathisch in Beziehung treten. Er erkennt dann den individuellen Entwicklungsstand des Kindes in seiner jeweiligen Lebensspanne, und ermöglicht ihm entsprechende individuelle Erfahrungen.

Wie sein Vorgänger Rousseau, fragt auch Kant nach der Freiheit bei den Zwängen, welche sich sowohl aus der Erziehung als auch aus dem Leitbild der christlichen Lehren ergeben. Dieses „Paradoxon der Erziehung“ kann jedoch nicht weiter hinterfragt werden und bleibt somit erhalten (Piecha, 1993, S. 36).

Kant wird in seinen pädagogischen Überlegungen stark vom Philanthropismus (Piecha, 1993, S. 37) beeinflusst. Dieser „... versuchte, das Leitbild der herrschenden christlichen Lehre durch eine allgemeine sog. „natürliche“ Religion zu ersetzen ... und die rousseauistischen Ideen von Erziehung in die Tat umzusetzen ...“(Piecha, 1993, S. 37).

Nach Kant (1995) unterscheidet sich der Mensch erst durch Erziehung vom Tier welches von Geburt an von seinen Instinkten geleitet wird. „Der Mensch ist das einzige Geschöpf, dass erzogen werden muss“ (Kant, 1995, S. 1). Anders als das Tier wird der Mensch jedoch ohne dessen Instinkte geboren, und braucht daher einen von anderen erstellten Verhaltensplan. „Er hat keinen Instinkt, und muss sich selbst den Plan seines Verhaltens machen. Weil er aber nicht sogleich im Stande ist, ... müssen es andere für ihn tun“ (Kant, 1995, S. 2). Insoweit widerspricht Kant der Auffassung von Rousseau (1998), der in der Natur den ersten Erzieher sieht und die erzieherischen Einflüsse der Gesellschaft seiner Zeit ablehnt.

Kants (1995) pädagogische Vorstellungen münden darin, den Menschen aufzuklären. Die Aufklärung soll das „Licht der Erkenntnis“ bringen und dem Menschen in die Freiheit führen. In Anlehnung an Platons (2004) Höhlengleichnis, gleichen die unmündigen Menschen den gefesselten Höhlenbewohnern, und Kants pädagogische Ideen dem Entfesselten, welcher die Höhlenbewohner zu einer veränderten Blickrichtung bewegen möchte.

Dadurch, dass der Mensch sich seines eigenen Verstandes bedient, indem er lernt selbst zu denken, verlässt er seine selbst verschuldete Unmündigkeit. In diesem Zusammenhang sagt er: „Der Mensch kann nur Mensch werden durch Erziehung. Er ist nichts, als was die Erziehung aus ihm macht“ (Kant, 1995, S. 7).

Der denkende Mensch lernt seine Vernunft zu gebrauchen. Damit ist es ihm möglich die Gebote der Sittlichkeit zu erkennen, und in ihrer Anwendung moralisch zu handeln. Das oberste Prinzip der Moralität ist die Gesetzesformel des kategorischen Imperativs: „handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde“ (Kant, 1974, S. 51). In einer Variante betont Kant die Ausrichtung der moralischen Handlung auf den Menschen als Zweck und nicht als Mittel (Piecha, 1993, S. 31). Der Gedanke Adornos, „die Forderung, dass Ausschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung“, gilt als weitere Variante des kategorischen Imperativs (Piecha, 1993, S. 31).

In der heutigen Erziehungsdiskussion werden die Erziehungsziele kontrovers diskutiert. Der Aufklärungspädagogik zufolge hat der Mensch von Natur aus bestimmte Kräfte. Die Erziehung hat dabei die Aufgabe, dieses Kräftebündel zum Aufblühen zu bringen. Die Prämissen der Aufklärungspädagogik liegen in einer Funktionalisierung der Welt. Die Welt wird damit zur Funktion des Individuums.

Die Kulturpädagogik ist vom Bildungsdenken Hegels geprägt „... dem Staat wurde in der Traditionslinie von Hegel eine zentrale Rolle zugebilligt ...“ Fuchs, 2007, S. 104) und sieht die Aufgabe der Welt in der Versittlichung des Menschen. Diese Versittlichung übernimmt der „Kulturstaat“ (Fuchs, 2007, S. 103) durch die Vermittlung von Traditionen. Den Kern dieses Bildungskonzepts findet man an den heutigen Gymnasien. Die Versittlichung des Einzelnen findet über die Schulfächer statt. Die Kulturpädagogik kritisiert insofern Kohlberg, der Moralerziehung über Dilemmata herbeiführt. Darin sieht sie eine Entkulturation der Schule. Im Sinne der Kulturpädagogik wird der junge Mensch gebildet um so zu sich selbst zu kommen. Hier findet keine Funktionalisierung der Welt statt. Sie schafft vielmehr einen Durchgang. Im Durchgang durch die Welt kommt das Individuum zur Geltung und geht wieder auf die Welt zu, um selbst an der Versittlichung mit zu arbeiten.

Problematisch ist die Frage nach den Inhalten, die zur Vesittlichung führen. Dieses altbürgerliche Konzept von Kultur berücksichtigt den sich verändernden Kanon der Welt nicht.

„... Kulturpolitiker müssen nämlich zur Kenntnis nehmen, dass sie überhaupt kein priviligiertes Deutungsrecht darüber haben, was unter Kultur verstanden werden könnte ... man kann möglicherweise feststellen, dass vielleicht noch Herder und evtl. Kant gemeinsam als Bezugspersonen hergenommen werden ... man stellt ... fest, dass jede Disziplin einen eigenen Kulturbegriff - oft sogar mehrere - entwickelt hat ...“ (Fuchs, 2007, S. 102).

Weitere Schwächen dieses Erziehungskonzeptes werden im geschichtlichen Rückblick deutlich: als Bildungsmodell der Weimarer Republik „... man hat lange Zeit nicht gesehen, dass es sich bei dem Begriff ... nicht um eine Neuschöpfung ... handelt, sondern dass es bereits eine Kulturpädagogik während der Weimarer Zeit gegeben hat“ (Fuchs, 2007, S. 104) konnte es das darauffolgende Dritte Reich nicht verhindern. Dies kann als pädagogisches Scheitern gewertet werden.

Daneben werden Auffassungen vertreten, wonach Erziehung selbst überflüssig oder sogar schädlich ist. Nach v. Braunmühl (2006), einem Vertreter der Antipädagogik, ist jede Erziehung, die den Menschen formen will, gleichzeitig ein Angriff auf sein Selbst. Erziehung schafft demnach ein dominantes und fremd motiviertes Klima, in dem das Selbst des Kindes sich nicht entfalten kann. Erziehung hindert den Menschen an seiner Selbstwerdung.

„Der Anspruch, andere Menschen in ihren „Grundstrukturen“ zu formen, ihnen „Ziele der Lebensgestaltung“... zu setzen, ... sie zur „Verinnerlichung gleichbleibend dominanter Motivationen“ zu zwingen, dieser Anspruch ist es, der mit dem Begriff „Erziehung“ gekennzeichnet wird. Ihn zu durchschauen als seinem Wesen nach intolerant, misstrauisch, totalitär und auf Entselbstung zielend, ist die Voraussetzung dafür, die Erziehung als ... kinder-, menschen-, lebensfeindlich, als verbrecherisch zu erkennen“ (v. Braunmühl, 2006, S. 71).

Man kann daher fragen, wozu wir Erziehung brauchen. Erziehung ist zum einen intentionale Erziehung, welche durch die pädagogischen Ziele des Erziehers bestimmt ist, zum anderen funktionale Erziehung, indem das Kind durch gesellschaftliche Einflüsse geprägt wird (Raithel, Dollinger & Hörmann, 2007). Eine intentionale Erziehung kann sich heute nicht mehr von vorgegebenen Leitbildern lenken lassen, welche eine Eingliederung in die soziale Umwelt und Kultur ermöglichen, in der das Kind sich befindet. Vielmehr muss sie den Menschen dazu befähigen, sich in einer Welt durchzusetzen, die von schnellen gesellschaftlichen Wandlungen geprägt ist. Dazu müssen die jungen Menschen Kritikfähigkeit, Flexibilität und Mündigkeit ausgebildet haben. Diese Fähigkeiten schließen an das Erziehungsziel von Kant an, den mündigen und autonomen Menschen zu formen (Adorno, 1971).

Indem der Mensch sich mit sich und der Umwelt auseinandersetzt, ist Erziehung Kommunikation, welche von Handeln begleitet ist. Nach Watzlawick (2007) ist es nicht möglich, nicht zu kommunizieren. Dabei hat jede Kommunikation sowohl einen Inhaltsaspekt, welcher sich auf einen Sachzusammenhang bezieht, als auch parallel dazu einen Beziehungsaspekt. Dieser gibt Aufschluss darüber, wie der Mensch sein Gegenüber sieht, und definiert die Beziehung der Kommunikationspartner (Schulz von Thun, 1997). Die gelungene, „nicht-gestörte“ Kommunikation ist demnach eine soziale Interaktion, in der Erzieher und Kind in einer Wechselbeziehung zueinander stehen. Hier klingt Bubers (2008) dialogisches Prinzip an, in dem das „Ich“ mit dem „Du“ in unmittelbarer Beziehung steht. Das „Ich“ kann erst durch die Begegnung mit dem „Du“ existieren. „Beziehung ist Gegenseitigkeit. Mein Du wirkt an mir, wie ich an ihm wirke“ (Buber, 2008, S. 16). Auch im Prinzip der Reziprozität ist die Gegenseitigkeit ein wesentlicher Aspekt der Menschwerdung mit universeller Gültigkeit (Becker, 1973).

Brezinka (1971) hingegen definiert Erziehung nicht als Interaktion, sondern stellt die Handlung in den Mittelpunkt. Demnach ist Erziehung mit sozialen Handlungen gleich zu setzen „... durch die Menschen versuchen, das Gefüge der psychischen Dispositionen anderer Menschen mit psychischen und (oder) sozialkulturellen Mitteln in irgendeiner Hinsicht dauerhaft zu verbessern oder seine als wertvoll beurteilten Komponenten zu erhalten“ (Brezinka, 1971, S. 613). Diese Erziehungsauffassung sieht die Beziehung zwischen Kind und Erzieher nicht in ihrer Gegenseitigkeit. Der Erzieher steht mit dem Kind nicht im Dialog, sondern reduziert es vielmehr zu seinem „Handlungsobjekt“. Folglich werden „... für die Veränderung pädagogischer Situationen als konstitutiv nur die Intentionen des „Mächtigeren“ akzeptiert werden, nicht aber die Intentionalität des „Schwächeren“ ... dessen Intentionen werden allenfalls als modifizierende Bedingungen berücksichtigt“ (Mollenhauer, 1976, S. 28). Durch die Reduktion des Kindes zum Objekt rückt gleichzeitig die Empathie des Erziehers zum Kind in den Hintergrund.

Es wird deutlich, dass es „... kein gemeinsames „Theoriegerüst“ für die Beziehung zwischen Erziehung, Bildung und Kultur...“ (Kersting, 2008, S. 47) gibt. Dies kann jedoch auch als Vorteil gewertet werden, insofern, als dadurch nach individuellen Lösungen gesucht werden muss, und auftretende Gegensätze und Konflikte als Erziehungsmittel verstanden werden (Kersting, 2008, S. 49). In dieser Sichtweise klingt das Durchstehen von Krisen an, als notwendige Vorgänge des Entwicklungsprozesses, wie es Erikson (2003) formuliert hat.

2.3 Entwicklung

Die menschliche Entwicklung wird von unterschiedlichen Faktoren beeinflusst. Neben innerbiologischen Veränderungen wie Wachstum, fließen auch äußere, in der sozialen Umwelt liegende Aspekte, sowie psychologische Prozesse in die Reifung menschlichen Erlebens und Verhaltens mit ein.

Havighurst (1948) unterscheidet verschiedene Lebensabschnitte, denen spezifische Entwicklungsaufgaben zukommen. Entwicklungsaufgaben sind dabei ein Zusammenschluss von Erwartungshaltungen, die von der Gesellschaft an den Einzelnen gestellt werden. Sie dienen auch gleichzeitig als Bezugsrahmen, innerhalb dessen sich die individuelle Entwicklung entfaltet. Gelingt es dem Menschen die jeweiligen Aufgaben zu bewältigen, festigt er auf diese Weise seine Persönlichkeit und gewinnt an persönlicher Reife (Flammer, 2009).

Diese Entwicklung vollzieht sich sowohl als steiler Anstieg, im Ringen mit Herausforderungen als auch auf breiter Ebene, in der sich Entwicklung langsam entfaltet :

„... development is not one long, slow uphill climb, but consists of both steep gradients where learning is difficult and plateaus where the individual can coast in terms of development. One example of this is a child who must work hard to master the art of catching a cricket ball, but who, having mastered the skill, can then coast for years“ (Slee, 2002, S. 423).

Kognitive Entwicklungsaufgaben, in Form neuer Erfahrungen, verursachen nach Piaget beim Menschen ein inneres Ungleichgewicht. Gelingt deren Assimilation nicht, muss der Mensch sich durch Akkommodation an die Erfahrung anpassen und kann auf diese Weise, durch Ausbildung neuer Denkstrukturen, eine Äquilibration zwischen sich und der Umwelt herstellen (Piaget & Inhelder, 2004).

Affektive Entwicklungsaufgaben treten nach Erikson (2003) in Form von Krisen auf. Entwicklung erfolgt durch die Bewältigung der Konflikte auf den jeweiligen Entwicklungsstufen. Nach Erikson (2003) ist die Entwicklung nicht mit dem Erreichen des Erwachsenenalters abgeschlossen, sondern erfolgt lebenslang. Zu Beginn hat die intentionale Erziehung durch die engsten Bezugspersonen großen Einfluss auf das Kind. Mit zunehmendem Alter gewinnt die von gesellschaftlichen Einflüssen gesteuerte funktionale Erziehung an Bedeutung. Das Kind bildet mit Gleichaltrigen „Peer-groups“, in denen eine gegenseitige Beeinflussung erfolgt, und diejenige durch die Eltern zurückdrängt.

Entwicklung, die als Bewältigung der phasenspezifischen Aufgaben verläuft, erfolgt in der Kommunikation mit der Umwelt. Mead (1969) geht in seiner Theorie des symbolischen Interaktionismus davon aus, dass erst die Entwicklung des sozialen Selbst eine solche Kommunikation möglich macht.

„Der Kommunikationsprozess macht die Intelligenz dem Einzelnen zugänglich. Doch das Individuum, das diese Fähigkeiten besitzt, ist ein gesellschaftliches Wesen. Es entwickelt sich nicht von selbst, um dann auf der Grundlage dieser Fähigkeit in die Gesellschaft einzutreten. Es entwickelt eine solche Identität und Kontrolle vielmehr dadurch, dass es ein gesellschaftliches Wesen ist. Nur in der Gesellschaft kann es diese Identität entwickeln, die es ihm ermöglicht, sich auf sich selbst zurückzuwenden und sich die verschiedenen Möglichkeiten aufzuzeigen, die ihm offenstehen“ (Mead, 1973, S. 290).

Das soziale Selbst, welches als Vermittler in der sozialen Wirklichkeit dient, kann unterschiedliche Ausgestaltungen haben. Dies können Rollen sein, die der Mensch im Alltag auslebt aber auch Masken hinter denen er sich verbirgt. Diese Facetten können zu einem Selbst führen, welches Winnicott (1991) als „falsches Selbst“ bezeichnet. Es hat die Aufgabe, das „wahre Selbst“ vor Angriffen aus der Umwelt zu schützen. Dieses „falsche Selbst“, welches sich schon sehr früh in der Kindheit entwickeln kann, wird dann zu einer undurchdringlichen Panzerung, die das „wahre Selbst“ des Menschen von seiner Umwelt abtrennt. Das „wahre Selbst“ beschreibt Winnicott (1991) als spontane Äußerung des Menschen, als Ursprung seiner Gefühle und seiner Kreativität. „Only the True Self can be creative and only the True Self can feel real“ (Rodman, 2003, S. 265).

Bereits Säuglinge bedürfen der aktiven empathischen Kommunikation, um ihr „wahres Selbst“ entwickeln zu können. Früher wurde der Säugling als ein passives Wesen angesehen. Im Mittelpunkt standen seine Bedürftigkeit seine Hilflosigkeit und seine physische und psychische Unfertigkeit. Die Redewendung vom „dummen Vierteljahr“ verdeutlicht dies:

„Am Anfang darf man nicht darauf reagieren, wenn ein Kind außer der Reihe weint. Es hat zu lernen, dass es nur zur richtigen Zeit etwas bekommt. Zwischen der Zeit haben Kinder niemanden zu sehen. Und wenn sie weinen, und du unbedingt gucken willst, dann schleich Dich ganz leise ins Zimmer, mach nicht hell, sag nichts und laß Dich nicht sehen, mittendrin haben die nicht hochgenommen zu werden“ (Diepold, 1992).

Verhält sich eine Mutter auf diese Weise zu ihrem Baby, entwickelt es nach Winnicott (1991) das „falsche Selbst“, da es in seinen Bedürfnissen und seinen spontanen Äußerungen nicht gesehen wird. Nach den neueren Forschungsergebnissen der Säuglingsforschung hat das Baby von Geburt an ein großes Repertoire an sozialen Fähigkeiten. Diese setzt es aktiv ein, um mit der Welt in Beziehung zu treten. Dies geschieht mit Blicken, Bewegungen des Kopfes und durch Gesichtsausdrücke mit denen Lächeln oder Unmut signalisiert wird (Stern, 2000). Es bedarf bereits hier einer empathischen Kommunikation, in der nach Watzlawick (2007), der Inhalts- und Beziehungsaspekt von der Bezugsperson richtig gedeutet werden muss.

Des Weiteren ist das Kleinkind sehr aktiv und sucht äußere Reize. Diese braucht es, um seine Wahrnehmung auszubilden und sensorische Prozesse zu aktivieren. So erarbeitet es sich geistige Bilder von seiner Umgebung.

„Aktive Reizaufsuche ist zweifellos eine Vorläuferin der Neugier, jener mächtigen Tendenz, in der man heute mehr und mehr eine Kraft erblickt, der bei Menschen ... ausschlaggebende Bedeutung für Anpassung und Überleben zukommt ... In Piagets Sicht ist das Kleinkind von Anfang an ein aktiv handelndes Wesen, da es sich in dem Prozess der „mühevollen Assimilation“ von Umweltreizen zwecks Bildung innerer Schemata seiner externen Welt geistige Arbeit leistet “ (Stern, 2000, S. 69).

Bereits beim Säugling findet somit eine Identitätsbildung statt indem er sein durch neue Erfahrungen entstandenes Ungleichgewicht durch Assimilation und Akkommodation ausgleicht und eine neue, vorübergehende Äquilibration herstellt.

Nach Kohlberg (1974) verläuft die moralische Entwicklung parallel zum kognitiven Entwicklungsprozess. Er formuliert moralische Entwicklungsaufgaben als Dilemmata. Aus den Begründungen der Dilemmata schließt er dabei auf die aktuelle Entwicklungsstufe des moralischen Urteils beim Menschen. Dabei unterscheidet er moralisches Urteilen und moralisches Handeln. Kohlberg (1974) stimmt mit Kant (2008) darin überein, dass der menschliche Wille sich nicht völlig der Vernunft gemäß verhält, sondern auch von anderen Neigungen beeinflusst wird. Moralisches Urteilen hat demnach nicht zwangsläufig moralisches Handeln zur Folge (Kant, 2008).

3 Identitätsbildung im Einfluss von Literatur und Erziehungskonzepten

3.1 Das Höhlengleichnis von Platon - Grundmetapher für Bildung

Im siebten Buch der Politeia beschreibt Platon (2004) das Höhlengleichnis. Er stellt das gewöhnliche menschliche Dasein als Leben in einer dunklen Höhle dar. Die Bewohner sind, von Kindheit an, an Hals und Beinen gefesselt und starren, dem Eingang abgewandt, auf die hintere Felsenwand. Hier sehen sie die Schatten von Gegenständen, die unsichtbar an ihnen vorbeigetragen werden. Die Umrisse der Gegenstände entstehen durch ein Feuer, welches sich gegenüber dem Höhleneingang befindet. Die Gefesselten halten dieses Abbild der Wirklichkeit für die Wahrheit. Aus dieser Realität schöpfen sie ihre Form einer gebundenen Freiheit. Einem Höhlenbewohner gelingt es sich zu entfesseln, und den Blick auf den Eingang zu richten. Er erträgt alle Schmerzen und Zweifel, die sich für ihn durch das, in die Höhle einfallende, Licht ergeben. Schließlich gewöhnen seine Augen sich an die Helligkeit des Sonnenlichts, und er begreift eine neue Wirklichkeit. Er erkennt die wirklichen Gegenstände und sieht, dass er bisher in einer Höhle gelebt hat, abgetrennt von einer größeren Wirklichkeit. Mit seinen neuen Erkenntnissen kehrt er zu den Gefesselten zurück und berichtet ihnen von der Scheinhaftigkeit ihres Höhlenlebens. Diese fühlen sich in ihrem gewohnten Leben bedroht. Sie reagieren mit Unverständnis und Ablehnung, drohen ihm und beschimpfen ihn als einen Ketzer, der seine Augen verdorben habe.

Die Metapher des Höhlengleichnisses beschreibt in ihrer übertragenen Bedeutung den Weg aus der Dunkelheit der Unwissenheit in das Licht der Bildung. Dieser Erkenntnisprozess ist von Krisen begleitet. Bildlich werden diese in der Entfesselung, der veränderten Blickrichtung zum Höhleneingang den Schmerzen und den Zweifeln des Höhlenbewohners dargestellt. Gleichzeitig werden damit die einzelnen kleinen Entwicklungsschritte deutlich, die auf dem Weg zu mehr Erkenntnis durchlaufen werden müssen. Das Höhlengleichnis warnt auch vor den Gefahren, die sich ergeben, will man die neu gewonnene Erkenntnis mit den unwissenden Höhlenbewohnern teilen. Sie können aufgrund ihrer abwehrenden Haltung nicht von den Erlebnissen des Entfesselten profitieren. Erst indem sie ihre Ängste überwinden, und sich selbst auf den Weg zum Höhlenausgang begeben würden könnten sie ähnliche Erfahrungen sammeln. Bildung ist somit auch ein individueller Entwicklungsprozess, der dem einzelnen Menschen nur durch persönlichen Einsatz gelingt.

Durch die Einsicht, dass Krisen Teil dieses Prozess sind (Erikson, 2003), kann der Erzieher seine empathische Haltung dem Kind gegenüber vertiefen. Das Kind macht Fehler, durchlebt Krisen des „noch nicht“ Könnens. Ein „noch nicht“ wissen muss ausgehalten werden. Hier begleitet der empathische Erzieher den Weg des Kindes im Dialog durch die Krise bis dieses durch Erklimmen einer neuen Entwicklungsstufe, neue Erkenntnis erlangt hat.

3.2 Identitätsbildende Faktoren repressiver und permissiver Erziehungsstile

Die Methoden und Grundsätze, mit denen Eltern ihre Kinder auf dem Entwicklungsweg begleiten, und ihre Sozialisation beeinflussen, spiegeln sich in ihren Erziehungsstilen. Permissive Erziehungsstile betonen die Bedürfnisse des Kindes und vermeiden ganz bewusst autoritäre Eingriffe in seine Entwicklung, um den Eigenwillen des Kindes zu stärken.

Repressive Erziehungsstile hingegen, unterstützen das autoritäre Verhalten des Erziehers, mit der Zielsetzung, dem Kind dadurch Orientierung und Werte zu vermitteln, damit es die zukünftigen gesellschaftlichen Erwartungen erfüllen kann (Hurrelmann, 2006).

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Ende der Leseprobe aus 89 Seiten

Details

Titel
Die Ich-Identität beim Kinde
Untertitel
Entwicklungstheorien und Moralerziehung als pädagogische Herausforderung
Hochschule
FernUniversität Hagen  (Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften)
Veranstaltung
Erziehungswissenschaften
Note
1.1
Autor
Jahr
2009
Seiten
89
Katalognummer
V141610
ISBN (eBook)
9783640509249
ISBN (Buch)
9783640509553
Dateigröße
849 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ich-Identität, Kinde, Entwicklungstheorien, Moralerziehung, Herausforderung
Arbeit zitieren
Bettina Klöss-Schmidt (Autor:in), 2009, Die Ich-Identität beim Kinde, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/141610

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