(...) beschäftigt sich mit Karl Marx und seinen Ansichten über den Charakter der Geschichtlichkeit im Zusammenspiel mit ökonomischer Theorie. Inhaltlich primär wird die Synthese von materialistischer Geschichtsauffassung und ökonomischer Theorie verdeutlicht werden (...)
Der erste dieser Texte,(...) seine Meinung bezüglich Proudhons Buch „System der ökonomischen Widersprüche oder: Philosophie des Elends“ wiederzugeben. „Das Elend der Philosophie“, (...), wurde von Marx 1846 / 1847 als ausformulierte Kritik an Proudhons gerade genanntem Buch verfasst. Diese Kritik gab Marx, (...) Gelegenheit, seine Ansichten diesbezüglich darzustellen und zu entwickeln.
Die Beantwortung der Fragen, was Marx unter Geschichte und Ökonomie als sich gegenseitig bedingende Variablen der Wirklichkeit innerhalb eines gesellschaftlichen Beziehungsgeflechtes versteht, sowie die praktische Zusammenführung dieser Begrifflichkeiten, ist zentrales Anliegen dieser Arbeit. Am Anfang wird gezeigt, was Marx bewegte, dem von Hegel entworfenem System einer fertigen Weltphilosophie zu entfliehen und was er auf der Suche nach dem notwendigen Fortgang philosophischen Denkens gefunden hat. (...) Zusammenhang von bewusstseinsvermittelnder Rolle der Arbeit und der Entstehung eines neuen, materialistisch geprägten Geschichtsbegriffes aufgezeigt. Weiterhin wird der Begriff der Produktivkräfte näher beleuchtet, um die materialistische Geschichtsphilosophie aus dem Handeln der tätigen Menschen heraus zu erklären. (...) die zur Zeit der Entstehung der Schriften befindliche gesellschaftliche Wirklichkeit unter Einbeziehung widersprüchlicher Elemente der bestehenden ökonomischen Theorien und die kritische Perzeption durch Marx aufgezeigt werden. Die Dekonstruktion der metaphysischen, ökonomischen Kategorien führen dann zu einer von Dogmen „gereinigten Ökonomie“, welche fähig ist (...) Dem oppositionellen Charakter Proudhonschen Denkens gegenüber Marx wird nur geringe Aufmerksamkeit geschenkt, da Marx dessen Schrift hauptsächlich dazu benutzt hat, sein Denken zu verdeutlichen und sich von Proudhon abzugrenzen. Auch wird einigen der von Marx skizzierten Detailüberlegungen zur Ökonomie weniger Beachtung geschenkt als anderen, (...), zu einem Überdenken des Verständnisses der menschlichen Handlungslogik (...) führen soll und inhaltliche Selektion aufgrund der Fülle der Marxschen Überlegungen notwendig gemacht hat. Ein Überdenken des Verhältnisses von Praxis und Theorie stehen dabei im Vordergrund.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Hauptteil
2.1. Grundgedanken zur Abgrenzung des Materialismus` vom Idealismus
2.2. Der Zusammenhang von Arbeit, Antizipation und Geschichte
2.3. Produktivkräfte
2.4. Die Wirklichkeit innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft
2.5. Dekonstruktion der metaphysischen ökonomischen Kategorien
2.6. Die Synthese
3. Resümee
4. Bibliographie
4.1. Primärliteratur
4.2. Sekundärliteratur
4.3. Tertiärliteratur
1. Einleitung
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit Karl Marx und seinen Ansichten über den Charakter der Geschichtlichkeit im Zusammenspiel mit ökonomischer Theorie. Inhaltlich primär wird die Synthese von materialistischer Geschichtsauffassung und ökonomischer Theorie verdeutlicht werden, wobei zur Bewältigung dieser Aufgabe auf zwei Marxsche Originaltexte zurückgegriffen wird.
Der erste dieser Texte, welcher in Briefform am 18.12.1846 dem russischen Verleger Pawel Wassiljewitsch Annenkow geschickt wurde, ist als Kurzantwort auf Annenkows Anfrage vom 1. November 1846 an Marx zu sehen, seine Meinung bezüglich Proudhons Buch „System der ökonomischen Widersprüche oder: Philosophie des Elends“ wiederzugeben. „Das Elend der Philosophie“, der zeitlich an zweiter Stelle verfasste Originaltext, wurde von Marx 1846 / 1847 als ausformulierte Kritik an Proudhons gerade genanntem Buch verfasst. Diese Kritik gab Marx, der „[...] über die Grundzüge seiner neuen historischen und ökonomischen Anschauungsweise mit sich ins reine gekommen war“1, Gelegenheit, seine Ansichten diesbezüglich darzustellen und zu entwickeln.
Die Beantwortung der Fragen, was Marx unter Geschichte und Ökonomie als sich gegenseitig bedingende Variablen der Wirklichkeit innerhalb eines gesellschaftlichen Beziehungsgeflechtes versteht, sowie die praktische Zusammenführung dieser Begrifflichkeiten, ist zentrales Anliegen dieser Arbeit. Am Anfang wird gezeigt, was Marx bewegte, dem von Hegel entworfenem System einer fertigen Weltphilosophie zu entfliehen und was er auf der Suche nach dem notwendigen Fortgang philosophischen Denkens gefunden hat. Daran anschließend wird der Zusammenhang von bewusstseinsvermittelnder Rolle der Arbeit und der Entstehung eines neuen, materialistisch geprägten Geschichtsbegriffes aufgezeigt. Weiterhin wird der Begriff der Produktivkräfte näher beleuchtet, um die materialistische Geschichtsphilosophie aus dem Handeln der tätigen Menschen heraus zu erklären. Im Folgenden soll die zur Zeit der Entstehung der Schriften befindliche gesellschaftliche Wirklichkeit unter Einbeziehung widersprüchlicher Elemente der bestehenden ökonomischen Theorien und die kritische Perzeption durch Marx aufgezeigt werden. Die Dekonstruktion der metaphysischen, ökonomischen Kategorien führen dann zu einer von Dogmen „gereinigten Ökonomie“, welche fähig ist, mit der materialistischen Geschichtsauffassung zu verschmelzen. Welche Auswirkungen die Ergebnisse der Synthese auf das menschliche Beziehungsgeflecht haben, sowie die Aktualität Marxschen Denkens beenden dann diese Arbeit. Dem oppositionellen Charakter Proudhonschen Denkens gegenüber Marx wird nur geringe Aufmerksamkeit geschenkt, da Marx dessen Schrift hauptsächlich dazu benutzt hat, sein Denken zu verdeutlichen und sich von Proudhon abzugrenzen. Auch wird einigen der von Marx skizzierten Detailüberlegungen zur Ökonomie weniger Beachtung geschenkt als anderen, da das „Begreifen“ im Gegensatz zur Abstraktion, somit ganz im Sinne Marx`, zu einem Überdenken des Verständnisses der menschlichen Handlungslogik beim Leser führen soll und inhaltliche Selektion aufgrund der Fülle der Marxschen Überlegungen notwendig gemacht hat. Ein Überdenken des Verhältnisses von Praxis und Theorie stehen dabei im Vordergrund.
2. Hauptteil
2.1. Grundgedanken zur Abgrenzung des Materialismus` vom Idealismus
Karl Heinrich Marx wurde am 5. Mai 1818 in Trier als Sohn eines Anwalts geboren. Er studierte Jura, Geschichte und Philosophie in Bonn, promovierte in Berlin und widmete sich danach intensiv dem Studium des französischen Sozialismus´, der englischen Nationalökonomie sowie des anthropologischen Materialismus´ von Ludwig Feuerbach.
Von Feuerbach, der den Inhalt des religiösen Glaubens anthropologisch auf seine psychologischen Ursprünge zurückführte, um zu zeigen, dass die Wirklichkeit weder Idee, weder Abstraktion, weder etwas der Natur a priori Vorausgehendes darstellt, sondern schlichtweg als das Sein im nichtmetaphysischen Sinne aufgefasst werden muss, beeinflusst, wendet sich der Junghegelianer Marx ab vom Idealismus. Wenn Feuerbach davon ausgeht, dass Religion, Glauben und Gott - kurz: die Theologie betreffendes - vom Menschen innerhalb des Lebensprozesses geschaffenen Termini sind, wird Marx, wie später gezeigt werden soll, auch alle anderen Verhältnisse des Menschen aus deren tätigen Lebensprozess heraus erklären.2 Namentlich die politische Ordnung aus der Gesellschaft, die gesellschaftliche Form aus den sozialen Strukturen, die sozialen Gegebenheiten aus dem Entwicklungsstand der Produktivkräfte.3 Diese Zusammenhänge, als auch die Bedeutung des Wortes Produktivkräfte als Marxscher Schlüsselbegriff sind noch genauer zu beleuchten, festzuhalten ist an dieser Stelle: Marx´ Denken ist ohne Feuerbach seiner Authentizität beraubt und muss deshalb in enger Verbindung zu diesem gedacht und erläutert werden. Verbindet Marx mit Feuerbach anfangs noch die gemeinsame Loslösung vom hegelschen Idealismus, so erweitert er diese Absage an Hegel, indem er nicht mehr vom einzelnen, isolierten Menschen, welcher das sinnliche Anschauen von Gegebenem als etwas Objektives begreift, ausgeht, sondern den Zusammenhang im praktischen Handeln der Subjekte, sprich nicht an eine bestimmte Gesellschaftsform gebundene Menschen, zur neueren, reiferen Form des Materialismus und somit zum Motor der geschichtlichen Entwicklung erhebt.4 Ihm geht es dabei nicht darum, die traditionell und von der Praxis isoliert gestellte Frage, ob sich die Materie auf den Geist oder der Geist auf die Materie bezieht zu beantworten, denn dies sei „eine rein scholastische Frage“.5 Eine theoretische Frage, die überhaupt nicht nach Realitätsbezug Ausschau hält, sondern darauf verwendet wird, ein deduktives Denksystem zu verbessern oder zu vervollständigen, welches, wie Marx von Feuerbach übernommen hatte, seinen Ursprung innerhalb der anthropologischen Praxis hat. Es geht Marx offensichtlich nicht darum, den Materialismus als bessere, oder als dem Idealismus überlegene Form der Weltanschauung zu verteidigen, sondern darum, aus dieser Anschauung die bestehende Wirklichkeit so deuten zu können, dass mittels der gefundenen Ergebnisse, die soziale Geschichte der Menschen als Geschichte ihrer individuellen Entwicklung verstanden werden kann. Dieser Zusammenhang von Sozialem und Individuellem, welcher den Blick auf die zukünftige „menschliche Gesellschaft oder die gesellschaftliche Menschheit“6 richtet, muss dabei zwingend im Kontext der materiellen Gegebenheiten betrachtet werden, welche sich zwar zwangsläufig ändern, aber laut Marx immer die Grundlage des Zwischenmenschlichen bleiben.7 Halten wir fest: Wir befinden uns innerhalb der Geschichtsphilosophie und versuchen durch Aufzeigen eines neuen Verständnisses von Geschichte, mit Marx herauszufinden, wie aus materiellen Bedingungen soziale Muster entstehen, welches Wesen diese Prozesshaftigkeit hat, ohne das Subjekt „Mensch“ und dessen individuelle Entwicklung dabei auszuklammern, sondern vielmehr vorauszusetzen. Um die entsprechenden Zusammenhänge erkennen zu können, empfiehlt es sich, nach den Grundbedingungen der menschlichen Existenz zu fragen, um den Marxschen Begriff von Geschichtlichkeit aufzuzeigen.
2.2. Der Zusammenhang von Arbeit, Antizipation und Geschichte
In der „Deutschen Ideologie“ schreibt Marx, dass die erste Voraussetzung, um überhaupt „Geschichte machen zu k ö nnen“8, die ist, dass elementare Bedürfnisse der einzelnen Menschen, wie Essen, Trinken, Kleidung etc., befriedigt werden. Wie geschieht das? Durch Arbeit und Produktion! Und wird durch Arbeit ein gewisser Standard erreicht, so entstehen auf einem höheren Niveau neue Bedürfnisse. Damit spricht er anthropologisch gesehen die allgemeinste Bestimmung des Gattungswesens Mensch aus.9 Der Mensch als Teil der Natur ist somit immer dazu bestimmt, seine der Gattung entsprechenden und quantitativ wie qualitativ steigenden Bedürfnisse zu befriedigen. Er ist Sklave seiner eigenen Bedürfnisse. Die daraus resultierende Erzeugung neuer Bedürfnisse sowie die natürlich vorgegebene menschliche Organisation innerhalb der Familie stellen für Marx drei in sich verflochtene Seiten der sozialen Tätigkeit dar, die er als Kristallisationspunkt jeglicher Geschichte annimmt.10
Durch die Natur, welche die Materialien zur Aufrechterhaltung des physischen Lebens bereitstellt und durch menschliche Interaktion, welche den Begriff des Gesellschaftlichen hervorbringt, findet einerseits ständige Bewegung statt und andererseits kommt Marx dazu zu behaupten, dass ein Bewusstsein, ein „sich-über-etwas-bewusst-sein“ oder auch eine abgeschlossene Reflexion über einen zu bedenkenden Gegenstand oder Zusammenhang, immer nur als Resultat mit Blick auf Zukünftiges und den Erfahrungen des Vergangenen im praktischen Prozess der Bedürfnisbefriedigung entstehen kann. Und da dieser Prozess einerseits materiell bedingt und andererseits immer in Entwicklung und Veränderung (Bewegung) begriffen ist, schließt er daraus, dass die Gedanken oder Ideen über einen materiellen Gegenstand oder Zusammenhang, bevor sie als abgeschlossene Reflexion veräußerbar sind, erst innerhalb der Praxis, welche diesen zur Disposition stehenden Gegenstand oder Zusammenhang einbettet, zur Ausreifung gelangen, konsensfähig werden und ihren sozialen Stellenwert gewinnen. Die Praxis der menschlichen Bedürfnisbefriedigung ist also jedes Mal das Vehikel, welches die angefangenen Reflexionen über einen Gegenstand zur abgeschlossenen Reflexion - dem Bewusstsein - macht. Da dieser Vorgang innerhalb der menschlichen Gemeinschaften, durch den Prozess der Arbeit als Selbsterzeugung immer schon in Bewegung gewesen ist, ist es angezeigt, von einem sozialen Bewusstsein zu sprechen, welches die Lebensumstände erfasst und durch die dazugehörigen bewusstseinsvermittelnden Fähigkeiten, beispielsweise Sprache oder Kommunikation im Allgemeinen, eine konstituierende Rolle im Verlauf der sozialen Selbsterzeugung menschlicher Lebensverhältnisse einnimmt. Allerdings muss an dieser Stelle auch gesagt werden, dass es gerade der handelnde Mensch ist, der durch seine Fähigkeit, Zusammenhänge zu reflektieren und aus eben diesen Reflexionen letztendlich Handlungsanweisungen abzuleiten, welcher durch Arbeit als treibender Kraft seiner Selbstkonstitution Bewegung hervorruft. Und zwar ist dies eine aufsteigende Form der Bewegung, vom Einfachen hin zum Komplexen.
Kritiker könnten jetzt zwar anmerken, dass Marx den Idealismus ablehnt, weil für ihn nicht nachvollziehbar ist, dass der Geist oder die Idee sich eine Wirklichkeit schafft, oder besser ausgedrückt, dass die Wirklichkeit und in ihr der handelnde Mensch nur ein Werkzeug der Idee sei, „[…] dessen sich die Idee oder die ewige Vernunft zu ihrer Entwicklung bedient [...] “11, bei ihm aber die materielle Wirklichkeit zum Bewusstsein wird, welches für sich gesehen auch eine Abstraktion darstellt. Nur hält Marx eben nicht daran fest und behauptet, dass dieses soziales Bewusstsein für alle Zeiten gültig ist, er betont gerade den verändernden Bewegungscharakter, auch ist es ja überhaupt nicht abstrakt, wenn tätige Menschen sich ihre notwendige Arbeit bewusst vergegenwärtigen und die sich daraus ergebenden Denkgebilde durch Interaktion und Kommunikation zum gemeinsamen Konsens erhoben werden. Die Entwicklungen der Produktivkräfte, die Änderungen im Arbeits- und Austauschprozess, bringen gerade auch neue Formen des sozialen Bewusstseins mit sich. Angemerkt sei hier, dass Marx nicht etwa blind gegenüber der Kraft von Ideen war, er verwarf nur Ideen, welche nicht in der menschlichen Handlungspraxis und der sozialen Realität ihren Ursprung haben.
Da ist kein Platz übrig für Ideologien, für Immerwährendes innerhalb des sozialen Bewusstseins. Das sei an dieser Stelle gesagt, weil, wie später noch erläutert werden wird, Marx´ Kritik der ökonomischen Theorie sich hauptsächlich dagegen richtet, dass von verschiedenen bürgerlichen Ökonomen behauptet wird, die physische Struktur der Ökonomie sei gesetzesmäßig und zu allen Zeiten die selbe.12
Diesen Zusammenhang, Gedanken- und Ideenveränderung aus der veränderlichen menschlichen Praxis heraus zu erklären, nennt Marx den Anstoß zur historischen Bewegung. Genauer: „[...] historische Entwicklung der Produktionsverh ä ltnisse [...].“13 Von dieser als Basis ausgehend gelangt Marx zu den sozialen Beziehungen, zu den ökonomischen Beziehungen, zu allen menschlichen Beziehungen; allerdings immer nur im Kontext der jeweiligen Zeit, im Kontext der Praxisveränderung, im Kontext der daraus resultierenden Bewusstseinsveränderung der Protagonisten dieser Weltbühne, den antizipierenden und gleichzeitig handelnden Menschen. Die Auflösung des den Idealismus prägenden Dualismus zwischen der Wirklichkeit und den Ideen soll evidenter werden. Das ist Gegensatz zum Idealismus, das ist die Ableitung von Tatsachen vermittels der Bewegung der Praxis und keinesfalls die Konstruktion selbiger „mittelst der Bewegung des Gedankens [...].“14
Geschichte ist also immer an die jeweiligen Arbeitsprozesse und die daraus resultierenden Produktionsverhältnisse gekoppelte Beschreibung eines an Ort und Zeit gebundenen und somit veränderlichen Ist-Zustandes, der durch die Verbindung von notwendiger Bewegung aufgrund von Bedürfnissen plus den antizipatorischen Fähigkeiten der handelnden Menschen zur Wirklichkeit wird, welche als die Bedingung der sozialen, gesellschaftlichen und politischen Strukturen erfasst werden sollte. Mit Marx´ eigenen Worten gesprochen heißt das, „[…] da ß die Menschen, die entsprechend ihrer materiellen Produktivit ä t die gesellschaftlichen Beziehungen produzieren, auch die Ideen, die Kategorien, d.h. den abstrakten, ideelen Ausdruck eben dieser gesellschaftlichen Beziehungen produzieren.“15
2.3. Produktivkräfte
Wie weiter oben schon angedeutet, gilt der Begriff „Produktivkräfte“ als Schlüsselbegriff Marxschen Denkens hinsichtlich geschichtlicher Veränderungen und eben auch als der Begriff, welcher den Zusammenhang verschiedener geschichtlicher Epochen abbildet, sofern es sich um aufeinanderfolgende handelt, und gleichzeitig durch seine eigene Veränderung diesen Zusammenhang unterbricht und somit epochal gliedernd wirkt.16 Epochal gliedernd ist dabei in dem Sinne aufzufassen, dass von einer neuen Epoche gesprochen werden kann, wenn sich „die Verh ä ltnisse der Individuen zueinander in Beziehung auf das Material, Instrument und Produkt der Arbeit“17 grundlegend geändert haben. Eine absolute und eindeutige Definition des Wortes Produktivkräfte lässt sich im Marxschen Frühwerk nicht finden, die häufige Benutzung sowie der kontextuelle Gebrauch lassen allerdings verständlich werden, auf welche Art dieser Begriff aufgefasst werden sollte und welches Verständnis durch ihn zum Tragen kommt.
Produktivkräfte sind laut Marx erstens die Basis aller menschlichen Geschichte! Es sind die Ressourcen, die einer Gesellschaft innerhalb ihrer Produktionsweise zur Verfügung stehen - den Menschen verfügbare Quellen aus dem natürlichen, technischen, organisatorischen und wissenschaftlichen Bereich der menschlichen Lebenswelt. Sinnvollerweise können sie auch als jegliche am Produktionsprozess beteiligten Potentiale aufgefasst werden. Sie werden von Generation zu Generation weitergegeben und verändern sich aufgrund der Entwicklung durch den Menschen. Produktivkräfte als das Produkt der vorherigen Generation sind nicht frei wählbar, sondern unterliegen nur der Möglichkeit der Modifikation, wobei es zu nichtlinearen Entwicklungen kommt, da Produktivkräfte etwas Zusammengesetztes darstellen, dessen einzelne Elemente sich unterschiedlich entwickeln. Zu den einzelnen Elementen lassen sich in erster Linie die menschliche Arbeitskraft sowie Produktionsinstrumente, technische Verfahren, wissenschaftliche Erkenntnisse, Arbeitsprozesse und systemisch-institutionelle Strukturen zählen, deren Gesamtheit Spiegel der jeweiligen gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse ist.18 Auch das moralische Bewusstsein einer Gesellschaft, nicht als Abstraktion, sondern, wie weiter oben schon skizziert, als Konsens der einzelnen Gesellschaftsteilnehmer angesehen, ist Element der Produktivkräfte und hat maßgeblichen Einfluss auf die Änderung der Produktionsverhältnisse.19 Der moralische Konsens findet in heutigen Gesellschaften oftmals seinen Ausdruck in landesspezifischen Verfassungen oder vergleichbaren zentralen Rechtsdokumenten, somit ist es entsprechend schwierig und meist langwierig ihn zu modifizieren, dieser so verankerte moralische Konsens kann (und nach Marx wird er auch) allerdings mit einem durch die Produktivkräfte fortentwickeltem Begriff von selbigem in Konflikt geraten. Die Lösung dieses Konfliktes wird dann juristisch versucht, ohne zu berücksichtigen, dass nach Marx auch die Jurisprudenz eine Folge materieller Bedingungen ist.20 Zuerst einmal soll hier an die verschiedenen Entwicklungsstufen der Teilung der Arbeit, welche in der „Deutschen Ideologie“ von Marx diskutiert werden, erinnert werden. Dies hat den Hintergrund, dass er die verschiedenen Stufen als verschiedene Formen des Eigentums ansieht. So waren die Eigentumsformen innerhalb der Urgesellschaft (Stammeigentum), der Sklavenhalterordnung (antikes Gemeinde- und Staatseigentum), des Feudalismus (feudales oder ständisches Eigentum) und des Kapitalismus (Produktionsmittel als Privateigentum) jeweils verschiedene.21 In jeder dieser Gesellschaftsformen gab es Produktivkräfte, welche die gesellschaftliche Entwicklung im Sinne der Bedürfnisbefriedigung vorantreiben mussten, um der von den Gesellschaftsteilnehmern beanspruchten (allgemeinste Bestimmtheit des Gattungswesens Mensch) Bedürfnisbefriedigung zu genügen. Gleichzeitig gab es innerhalb jeder der o.g. Gesellschaftsformen verschiedene Formen der Produktionsweise, welche mit den jeweiligen Produktivkräften in großen Teilen übereinstimmten. Wenn sich beispielsweise die wissenschaftlichen Erkenntnisse und die technologischen Möglichkeiten insofern erneuert haben, dass anstelle eines Ochsen nun eine Dampfmaschine den Antrieb einer bestimmten Produktionsreihe übernehmen kann, ist dies eine qualitative Höherentwicklung eines Elements der Produktivkräfte, welches die bestehende Produktionsweise nicht in der Lage zu tragen ist, woraus sich ergibt, dass von diesem Moment an die Produktionsverhältnisse Modifikation erfahren müssen.22 Die Entwicklung der Produktivkräfte als Ganzes ist also dafür verantwortlich, dass bestehende ökonomische Produktionsverhältnisse als vorübergehend und historisch anzusehen sind.23
[...]
1 Vorwort Engels, S. 558.
2 Vgl. Seminaraufzeichnungen.
3 Vgl.: Annenkow, S. 548.
4 Vgl. Feuerbach, Thesen 1, 6, 7, S. 5 ff.
5 Feuerbach, These 2, S. 5.
6 Feuerbach, These 10, S. 7.
7 Vgl. Annenkow, S. 548 f.
8 DI, S. 28.
9 Vgl. Friedenthal, Sein Leben, S. 244 und ÖPM, S. 516 ff.
10 Vgl. DI, S. 28 f.
11 Annenkow, S. 549.
12 Vgl. Annenkow, S. 552.
13 Elend, S. 126.
14 Elend, S. 130.
15 Annenkow S. 554.
16 Vgl. Elend S. 130.
17 DI, S.22.
18 Vgl. Annenkow, S. 548.
19 Vgl. Vorwort Engels, S. 561.
20 Vgl. dazu die derzeit aktuellen Diskussionen zur Sterbehilfe.
21 Vgl. DI, S. 22-25.
22 Vgl. Elend, S. 130.
23 Vgl. Annenkow, S. 549.
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