Das Elsässische - Eine soziolinguistische und sprachenpolitische Untersuchung


Magisterarbeit, 2009

104 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1. Einleitung

2. Allgemeine Vorbemerkungen
2.1 Terminologische Grundlagen
2.2 Landeskundliche Grundlagen
2.3 Sprachliche Situation und Grundlagen

3. Sprachgeschichtliche und -politische Rahmenbedingungen
3.1 Vom Mittelalter bis 1789
3.2 Sprachenpolitik in der Französischen Revolution
3.2.1 Bekämpfung sprachlicher Divergenzen
3.2.2 Sprachenpolitik der Jakobiner
3.2.3 Auswirkungen der Revolution auf das Elsässische
3.3 Sprachenpolitik nach der Französischen Revolution
3.3.1 Sprachenpolitische Maßnahmen Frankreichs
3.3.2 Sprachenpolitik im Elsass
3.4 Sprachenpolitische Maßnahmen von 1945 bis heute
3.4.1 Die Situation nach dem Krieg
3.4.2 Entwicklungen der jüngsten Vergangenheit
3.4.3 Auswirkungen auf das Elsässische

4. Soziolinguistische und sprachenpolitische Untersuchung
4.1 Bisheriger Forschungsstand
4.2 Funktionen und Einflussfaktoren des Elsässischen
4.2.1 Linguistische Einflussfaktoren
4.2.2 Sprachkontaktsituation und Multilinguismus
4.2.3 Funktion und Einfluss der Medien
4.2.4 Funktion und Einfluss der Bildungspolitik
4.3 Bestimmungen der Variablen und Durchführung der Untersuchung
4.3.1 Der Fragebogen
4.3.2 Durchführung der Untersuchung

5. Statistische Auswertungen
5.1 Sprachkenntnisse
5.2 Sprachgebrauch
5.2.1 Familie und Freunde
5.2.2 Beruf, Öffentlichkeit und Freizeit
5.3 Sprachliche Selbsteinschätzung und Bewertung
5.4 Sprachenpolitisches Bewusstsein
5.5 Lineare Regressionsanalysen
5.5.1 Regressionen des Sprachgebrauchs
5.5.2 Regressionen der sprachlichen Selbsteinschätzung und Bewertung
5.5.3 Regressionen des sprachenpolitischen Bewusstseins
5.6 Logarithmische Regressionsanalyse

6. Fazit: zukünftige sprachliche Tendenzen und Perspektiven für das Elsass

Literaturverzeichnis

Anhang

Anlage 1: Bevölkerung pro km² im Elsass

Anlage 2: Export- und Importgüter

Anlage 3: Arbeitslosenquoten in Frankreich

Anlage 4: Graphie et prononciation de la langue alsacienne

Anlage 5: Fragebogen

Anlage 6: Übersicht der Antworten

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1 Das Elsass

Abb. 2 Excédent de la balance commerciale de l’Alsace

Abb. 3 L’ALSACE: Le pays et ses parlers

Abb. 4 La transmission de l’alsacien

Abb. 5 Transmission conjointe de l’alsacien et du français en Alsace

Abb. 6 Part des personnes parlant l’alsacien en 1999

Abb. 7 L’alsacien mois parlé par les jeunes générations

Abb. 8 Ergebnis der Frage „Savez-vous parler l’alsacien?“

Abb. 9 Fertigkeiten im Elsässischen

Abb. 10 Ergebnis der Frage „Quelle(s) langue(s) parlez-vous en famille?“

Abb. 11 Ergebnisse der Fragen „Quelle(s) langue(s) parlez-vous avec vos (grands)- parents?“ und „Quelle(s) langue(s) parlent-ils entre eux?“

Abb. 12 Ergebnis der Frage: „Quelle est la langue officielle/ Quelles sont les langues officielles d'Alsace?“

Tabellenverzeichnis

Tab. 1 Bevölkerungszuwachs im Elsass

Tab. 2 Bevölkerung der 3 größten Agglomerationen

Tab. 3 La pratique déclarée des langues en Alsace

Tab. 4 Ergebnisse der Sprachenzählung im Elsass von 1926

Tab. 5 Ergebnisse der sprachlichen Erhebungen von 1946 und 1962

Tab. 6 Ergebnisse einer Untersuchung zum Sprachgebrauch von 1971

Tab. 7 Connaissance déclarée des langues ne Alsace et son évolution

Tab. 8 Connaissance déclarée de l’alsacien en fonction de l’âge et du sexe

Tab. 9 Ergebnisse der Erfassung nach Berufskategorien von 1965

Tab. 10 Ergebnisse einer sprachlichen Untersuchung im ländlichen Milieu im Unterelsass aus dem Jahre 1973

Tab. 11 Arten von Fragen und Beispielfragen

Tab. 12 Ergebnis der Frage „Quelles langues parlez-vous?“

Tab. 13 Ergebnis der Frage „Quelle(s) langue(s) parlez-vous entre amis?“

Tab. 14 Ergebnis der Frage „Quelle(s) langue(s) parlez-vous au travail?“

Tab. 15 Ergebnis der Frage „Est-ce que l’alsacien est un handicap?”

Tab. 16 Ergebnis der Frage „Voudriez-vous améliorer votre connaissance de la

langue alsacienne?“

Tab. 17 Ergebnis der Frage „Pour vous, quelle est la langue la plus jolie?“

Tab. 18 Ergebnis der Frage „Pour vous, quelle est la langue des sentiments?“

Tab. 19 Ergebnis der Frage „Pour vous, quelle est la langue de l’humour?“

Tab. 20 Ergebnis der Frage „Aviez-vous toujours le droit de parler l'asacien en Alsace par le passé?“

Tab. 21 Ergebnis der Frage „Est-ce que vous savez que la France a constitutionnalisé ses langues regionales en 2008?“

Tab. 22 Ergebnis der Frage „Êtes-vous d'accord avec cette décision?“

Tab. 23 Ergebnis der Frage „Est-ce que vous connaissez la Nuit (européenne) des musées et les Langues de France?“

Tab. 24 Ergebnis der Frage „Est-ce que vous étiez là?“

Tab. 25 Regressionsanalyse: y = α + β1*Alter

Tab. 26 Regressionsanalyse: y = α + β1*Alter + β2*Geschlecht

Tab. 27 Regressionsanalyse: y = α + β1*Alter + β2*Familie

Tab. 28 Regressionsanalyse: y = α + β1*Familie

Tab. 29 Regressionsanalyse: y = α + β1*Freunde

Tab. 30 Regressionsanalyse: y = α + β1*Alter + β2*Geschlecht + β3*Familie + β4*Freunde

Tab. 31 Regressionsanalyse: y = α + β1*jolie + β2*sentiments + β3*humour

Tab. 32 Regressionsanalyse: y = α + β1* connaissance

Tab. 33 Regressionsanalyse: Recht = α + β1*Alter

Tab. 34 Regressionsanalyse: y = α + β1*Nuit + β2*Constitution

Tab. 35 Regressionsanalyse: log y = α + β1*Alter

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

„Jusqu’à nos jours, l’alsacien, en tant que moyen de communication et de compréhension, a été qualifié de “langue vernaculaire”, donc populaire et d’une extension restreinte. C’est effectivement le parler que pratique le peuple habitant à l’intérieur des frontières dites “naturelles” que sont les Voges et le Rhin. Il s’agit par conséquent d’une langue essentiellement parlée, mais non écrite, plus exactement peu et mal transcrite.” (Matzen 1999: 1).

Sprache ist in Frankreich schon immer Staatsangelegenheit gewesen. Neben der Nationalsprache Französisch wird innerhalb des Staatsgebiets eine große Anzahl an weiteren Sprachen gesprochen, darunter befinden sich sowohl romanische Sprachen, germanische Varietäten, eine keltische als auch eine nichtindogermanische Sprache. Dazu kommen einige Kreolsprachen in den Überseegebieten.

Seit 1969 ist besonders in Frankreich die Tendenz zu beobachten, dass die Bevölkerung immer mehr den Wunsch verspürt, ihre Regionalsprachen zu schützen und zu fördern. Doch die französische Verfassung erkannte erst 2008 den offiziellen Status der Regio- nalsprachen an. Allerdings nicht im berühmten Artikel 2 „la langue de la république est le français“, sondern in einem neueingeführten Artikel 75, der lautet: „Les langues régionales appartiennent au patrimoine de la France.” (Loi constitutionnelle n°2008-724 du 23 juillet 2008, Article 75-1). Die Regionalsprachen sind der Nationalsprache also eindeutig untergeordnet und dementsprechend sind sie vom Aussterben bedroht. Empi- risch bewiesen ist, dass immer weniger junge Menschen ihre Regionalsprache sprechen und sie zudem immer weniger gut lernen. Außerdem lässt sich eine massive sprachliche Substitution erkennen. Von diesem Phänomen sind viele mehrsprachige Gebiete betrof- fen. Die Sprachwahl der Sprecher hängt von einem komplexen Gefüge aus historischen, politischen, sozialen und kulturellen Variabeln ab und somit kann der Staat durch mas- sive sprach- und sprachenpolitische Maßnahmen sowohl die Sprachwahl als auch das Sprachbewusstsein einer Bevölkerung beeinflussen.

Im Elsass existieren drei Sprach- und Kommunikationssysteme: die französische Natio- nalsprache, die hochdeutsche Standardsprache und die elsässischen Varietäten. Französisch nimmt bei dieser Konstellation die offizielle Prestigesprache, Hochdeutsch die mehrfach geschriebene und Elsässisch die überwiegend gesprochene Sprache ein. Dieses Sprachkontinuum lässt sich einerseits durch die geographische Lage und ande- rerseits durch den geschichtlichen Hintergrund erklären. So hat das Elsass beispiels- weise vier Mal innerhalb eines dreiviertel Jahrhunderts die Staatsangehörigk]eit gewech- selt und dabei haben sowohl die deutschen als auch die französischen Staatsherren ver- sucht durch sprachenpolitische Maßnahmen in die Sprachgewohnheiten einzugreifen.

Die Bilanz zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist ernüchternd. Weniger als 40% der erwachsenen Bevölkerung sprechen noch Elsässisch (vgl. INSEE 2002: 6). Mehrere Studien der letzten 50 Jahre konvergieren und ergaben, dass in den großen Ballungs- gebieten, wie Strasbourg, Colmar oder Mulhouse die elsässische Sprache völlig aus dem Sprachrepertoire verschwunden zu sein scheint. Eltern bringen ihren Kindern aufgrund besserer beruflicher Chancen nur noch französisch bei und bis auf im landwirtschaft- lichen Sektor, hat Elsässisch auf dem Arbeitsmarkt kaum eine Bedeutung mehr. Das Institut national de la statistique et des études économiques (INSEE) geht davon aus, dass im Jahr 2010 niemand mehr der elsässischen Sprache mächtig sein wird (vgl. INSEE 2002: 4).

Ziel dieser Arbeit soll es infolgedessen sein, die o. g. Befunde deduktiv zu überprüfen und allgemeingültige Aussagen über den derzeitigen Stand und zukünftigen Trend der Sprachverwendung, der sprachlichen Selbsteinschätzung und des Bewusstseins zu machen. Im Laufe der Arbeit werden also folgende Fragestellungen verfolgt: Welche Faktoren bestimmen und charakterisieren die Sprachverwendung im Elsass? Welche Auswirkungen haben die sprachenpolitischen Maßnahmen der letzten 200 Jahre? Wie stellt sich das Sprachbewusstsein der Regionalsprecher dar, welche Funktionen erfüllt die elsässische Mundart und interessiert sich die Bevölkerung für den Erhalt dieser Sprache? Die Daten der zugrundeliegenden Untersuchung basieren auf einer Face-to- Face Befragung, welche in drei Orten im Elsass auf Grundlage eines selbstkonstruierten Fragebogens, durchgeführt wurde.

Aufbau der Arbeit

Da für die Untersuchung mehrere Termini von Bedeutung sind, werden diese in einem ersten Teil untersucht. Es soll beispielsweise geklärt werden, was unter Sprachenpoltik verstanden wird und wie die Termini Regional- und Minderheitensprache sowie der Begriff Dialekt verstanden wird. Zudem müssen einige landeskundliche Grundlagen geklärt werden, da man auf Grund der Geographie u. a. die Sprachsituation, die sich heute aus verschiedenen Dialekten und offiziellen Sprachen zusammensetzt, verstehen kann.

Eine besonders bedeutsame Auswirkung auf die heutige Sprachsituation und Sprach- verwendung haben die historischen und die politischen, speziell die sprachenpolitischen Einflüsse. Aus diesem Grund werden im dritten Teil dieser Arbeit die wichtigsten

Ereignisse der französischen und teilweise der deutschen Sprachenpolitik sowie deren Auswirkungen auf das Elsässische erörtert. Ein Fokus wird hierbei auf die Sprachen- politik der Französischen Revolution gelegt, da ab 1789 die Revolutionäre durch politi- sche Maßnahmen zum ersten Mal die Verwendung von Sprachen vorgeschrieben haben. Außerdem wird ein Schwerpunkt auf die Bildungspolitik im 19. und 20. Jahrhundert gelegt, da mittels des Schulwesens am effizientesten die Sprachstatusplanung durchge- setzt werden kann.

Nach dem historischen Überblick wird im 4. und 5. Kapitel die heutige Situation anhand der selbstdurchgeführten Untersuchung analysiert. Im 4. Abschnitt wird ein Fokus auf die Konstruktion des Fragebogens und die Durchführung der Untersuchung gelegt. Um eine Studie zur Sprachverwendung und zum Sprachbewusstsein durchzuführen ist es wichtig, sowohl den bisherigen Forschungsstand als auch die Einflussfaktoren, die den Sprachgebrauch begünstigen, zu kennen. Hierbei werden vor allem die Medien, die Literatur, die Erziehung, die Bildungspolitik sowie die Situation auf dem Arbeitsmarkt und der Wohnraum betrachtet. Infolgedessen wird der bisherige Forschungsstand auch thematisch und nicht chronologisch erörtert bevor die Funktionen und Einflussfaktoren des Elsässischen untersucht werden. Aus diesen Faktoren lassen sich anschließend die zu untersuchenden Variablen herleiten, die anhand mehrerer Fragenarten und -methoden getestet werden sollen.

Im 5. Kapitel wird die Untersuchung sowohl deskriptiv als auch analytisch ausgewertet. Bei der deskriptiven Erörterung werden die Antworten prozentual erfasst und versucht aufgrund der zuvor gewonnen Erkenntnisse analysiert. Es soll beispielsweise gesagt werden, wie viel % der Probanden Elsässisch in der Schule gelernt haben oder wie viel % Elsässisch als Benachteiligung ansehen und warum. Anschließend sollen Regressio- nen hergeleitet werden, die mehrere Variablen in Abhängigkeit zueinander setzen kön- nen. Beispielsweise soll die Wahrscheinlichkeit Elsässisch im alltäglichen Leben zu verwenden, angegeben werden, wenn sich das Alter des Probanden um ein Jahr erhöht.

Im letzten Kapitel der Arbeit werden dann noch einmal die wichtigsten Erkenntnisse und Ergebnisse zusammengefasst. Es soll des Weiteren versucht werden einen zukünftigen Trend der elsässischen Sprache sowohl bezüglich ihrer Verwendung als auch ihres Bewusstseins herzuleiten. Dabei sollen auch Aussagen über den Einfluss der zukünftigen sprach- und sprachenpolitischen Maßnahmen erörtert werden.

2. Allgemeine Vorbemerkungen

Da es sich bei der vorliegenden Arbeit um eine soziolinguistische und sprachen- politische Untersuchung einer Regionalsprache handelt, ist es notwendig letztgenannte Begriffe zu definieren und dabei z. B. den Terminus einer Regionalsprache von einem Dialekt oder einer Minderheitensprache abzugrenzen. Hierfür sollen verschiedene Definitionen betrachtet werden, denn oft werden diese Begriffe fälschlicherweise syn- onym gebraucht.

Neben den terminologischen Grundlagen, sollen auch die spezifischen landeskundlichen Eigenschaften erörtert werden. Eine geographische Betrachtung des Elsass ist nämlich deshalb notwendig, da die geographische Lage die Vergangenheit erklärt, die Gegenwart bedingt und die Zukunft orientiert (vgl. Phillips 1980: 17). Außerdem soll die sprachliche Situation kurz angerissen werden. Ein Fokus wird hierbei auf die derzeitigen Sprachkontakte und gesprochenen Dialekte im Elsass gelegt.

2.1 Terminologische Grundlagen

Eine Untersuchung sprachlicher Verhältnisse kann nicht ohne Berücksichtigung der Rolle der Sprach- und Sprachenpolitik vorgenommen werden. In diesem Zusammen- hang ist zunächst eine terminologische Definition notwendig. Mit Sprachpolitik bezeichnet man alle Maßnahmen und Regeln, mit denen die Verwendung von Sprachen, also Sprachstatusplanung, vorgeschrieben wird. Sprachstatusplanung findet vornehm- lich auf politischer Ebene, in Staaten und Organisationen statt. Die Sprachpolitik betrifft also politisch-institutionelle Eingriffe in die Sprachverwendung einer Sprache, zum Beispiel durch Reglementierungen des Fremdwortgebrauchs oder offiziell verordnete Sprachregelungen. Maßnahmen und Regeln, die auf den Status und die gesellschaftliche Funktion mehrerer Sprachen, also insbesondere in mehrsprachigen Ländern und interna- tionalen Organisationen Einfluss nehmen, werden als Sprachenpolitik bezeichnet. Jene regelt also das Verhältnis verschiedener Sprachen zueinander in mehrsprachigen Gesell- schaften. Sie stellt sich Fragen, wie z. B. welche Sprachen welchen rechtlichen Status haben und welche gesellschaftlichen Funktionen sie übernehmen.

„Diejenigen, die Sprachenpolitik betreiben, besitzen die Autorität, Sprachplanung zu dirigieren. Umgekehrt besitzen Vertreter der Sprachplanung keine Befugnis, Direktiven für sprachpolitische Regelungen festzulegen.“ (Haarmann 1988: 1666)

Zudem sollen die Begriffe Dialekt, Regional- und Minderheitensprachen voneinander abgegrenzt werden. Bezüglich der Definition eines Dialektes weisen alle Begriffs- bestimmungen zwei Gemeinsamkeiten auf. Erstens kann ein Dialekt nur kontrastiv, also gegenüberstellend, zu anderen Sprachformen verwendet werden. Somit entspreche laut Maurer (2002: 15f.) ein Nicht-Dialekt meistens einer Standardsprache. Zweitens könne diese Abgrenzung nicht auf linguistisch-grammatikaler Ebene erfolgen, da sich Dialekte nicht qualitativ von anderen standardsprachlichen Formen unterscheiden. Dialekte stel- len also eine nicht standardisierte Sprachvarietät dar. Anders gesagt sind Dialekte aus einer Übersprache hervorgegangen und regional begrenzt. Des Weiteren wird ein Dia- lekt häufig als Sprachform einer weniger gebildeten, sozial unterprivilegierten oder ländlichen Schicht bezeichnet. Die Verwendungsebene des Dialektes wird durch die kommunikativen Gewohnheiten der ebengenannten Schicht charakterisiert und befindet sich nicht in der Öffentlichkeit. Das heißt, dass es keine offiziellen Dokumente, die in Dialekt verfasst sind, gibt. Betreffend des sprachlichen Inventars ist der Dialekt im Ver- gleich zur Standardsprache als restringierter code anzusehen (vgl. Maurer 2002: 16f.).

Einige Autoren verwenden Dialekt und Mundart synonym. Allerdings besteht der Un- terscheid zwischen einem Dialekt und der Mundart darin, dass spezifischen Eigenheiten eines Dialektes schriftlich aufgezeichnet werden können. Mit Mundart wird dahingegen als die Art und Weise, wie Wörter auszusprechen sind, und zwar unabhängig von ihrer Schreibweise, verstanden. Auch die elsässische Bevölkerung bezeichnet ihre Sprache als Mundart, da sie vorwiegend mündlich gebraucht wird. Allerdings sind im Laufe der Zeit auch Texte und Literatur auf Elsässisch verfasst worden und auch die Charta der Regional- und Minderheitensprachen erklärt das Elsässische zur Regionalsprache.1 Allerdings ist bis heute keine einheitliche Grammatik der elsässischen Sprache erschie- nen (vgl. Kleiber 1995: 39).

Maurer (2002: 28) definiert den Terminus der Regionalsprache als mündliche Varietät ohne den Status einer offiziellen Sprache oder Nationalsprache, deren Verbreitungsge- biet sich aufgrund historischer Gegebenheiten konstituiert hat. Schwierigkeiten bei die- ser Definition gibt es allerdings, wenn es sich um sog. autochthone Sprachen, wie das Baskische, Bretonische, Elsässische, Flämische etc. handelt. Auf diesem Gebiet herrscht terminologisch nur wenig Übereinstimmung. Bei Definierung der letztgenannten Spra- chen werden die Termini Regional-, Territorial- und Minderheitensprachen häufig synonym verwendet, was nach Auffassung der Europäischen Union nicht korrekt ist. So sieht die Charta der Regional- und Minderheitensprachen eine Differenzierung der bei- den Termini vor. Eine Regionalsprache ist an ein geographisches Gebiet geknüpft, in dem sie von der Mehrheit der Bevölkerung verwendet wird. Eine Minderheitensprache, ist eine Sprache, die zwar offiziellen Status als Sprache hat, aber nirgends auf dem Ter- ritorium von der Mehrheit der Bevölkerung gebraucht wird (vgl. Conservatoire du patrimoine de Gascogne 2006: 12). Als Beispiel könnte hierfür das Arabische in Frank- reich genannt werden.

„Au sens de la présente Charte:

a. par l'expression «langues régionales ou minoritaires», on entend les langues:

i. pratiquées traditionnellement sur un territoire d'un Etat par des ressortissants de cet Etat qui constituent un groupe numériquement inférieur au reste de la population de l'Etat; et
ii. différentes de la (des) langue(s) officielle(s) de cet Etat; elle n'inclut ni les dialectes de la (des) langue(s) officielle(s) de l'Etat ni les langues des migrants;

b. par «territoire dans lequel une langue régionale ou minoritaire est pratiquée», on entend l'aire géographique dans laquelle cette langue est le mode d'expression d'un nombre de personnes justifiant l'adoption des différentes mesures de protection et de promotion prévues par la présen- te Charte;

c. par «langues dépourvues de territoire», on entend les langues pratiquées par des ressortissants de l'Etat qui sont différentes de la (des) langue(s) pratiquée(s) par le reste de la population de l'Etat, mais qui, bien que traditionnellement pratiquées sur le territoire de l'Etat, ne peuvent pas être rattachées à une aire géographique particulière de celui-ci.“ (Charte européenne des langues régionales ou minoritaires, Article 1)

Ladin (1982: 69) sieht den Terminus der Regionalsprache im Elsass im Zusammenhang mit Hochdeutsch und Elsässisch. Er weist zudem darauf hin, dass es divergierende Be- zeichnungen unter den Sprachen selbst gäbe. Je nach Alter bezeichnet die Bevölkerung entweder das Hochdeutsche oder das Elsässische als Regionalsprache. So neigt vorwie- gend die ältere Bevölkerung dazu, erstgenannte Sprache als Regionalsprache des Elsass zu bezeichnen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine Regionalsprache eine Sprachform be- zeichnet, die der Standardsprache zwar nahe kommt, aber regionale Färbungen auf- weist. Oft handelt es sich um eine Übergangsform zwischen einem lokalen Dialekt und einer Standardsprache. Sie befindet sich in einer Art Diglossiesituation. Im Gegensatz zur Nationalsprache ist es eine Sprache, die in einem Raum, der keine staatliche Einheit bildet, verwendet wird. Das Elsässische ist somit Regionalsprache des Elsass.2

2.2 Landeskundliche Grundlagen

Das Elsass stellt zunächst einen geographischen Raum dar, der sich in zwei Departements, Bas-Rhin und Haut-Rhin, gliedert. Die nördliche Grenze ist zum einen die Staatsgrenze zur Bundesrepublik Deutschland, zum anderen die Grenze zum Departement Moselle. Die östliche Grenze bildet der Rhein und somit gehört das Elsass zum Rheinland, das den nördlichen Korridor, der den Norden und Süden miteinander verbindet, bildet. Zudem ist die Europabrücke, die in Straßburg den Rhein überspannt, eine der am meist genutzten Passierstellen Europas und infolgedessen befindet sich das Elsass an einem der größten Verkehrsknotenpunkte Europas. Diese korreliert natürlich positiv mit der wirtschaftlichen Lage des Landes.

Die Grenze im Nordwesten hat hingegen keinen geographischen Hintergrund. Es waren hauptsächlich religiöse Gegebenheiten, die dafür sorgten, dass die Kantone von Drulingen und Saar-Union dem Elsass angeschlossen wurden. Da die Bevölkerung der letztgenannten Kantone vorwiegend protestantisch ausgerichtet war, wurden sie 1800 dem Departement Bas-Rhin und nicht dem katholischen Departement Moselle zugeteilt (vgl. Philipps 1980: 15f.). Somit erklärt sich auch die „krumme“ Form des Elsass oder auch „l’Alsace bossue“ (Maurer 2002: 6) genannt.

Die Südgrenze stammt aus dem Jahr 1871. Bis zum Krieg gehörte das Kanton Belfort dem Departement Haut-Rhin an. Da es den französischen Truppen gelang, die Festung in Belfort bis zum Ende des Krieges zu behalten, durfte das Kanton in französischer Hand bleiben und gehörte somit nicht mehr zum Elsass, welches nach deutschem Sieg dem deutschen Staatsgebiet zugeordnet wurde.3

Des Weiteren gliedert sich die elsässische Rheinebene nord-südlich in Streifen unter- schiedlicher Breite. Das mittlere Stück zwischen Straßburg und Colmar ist das schmalste. Nördlich und südlich dieser Linie wird die Fläche aufgrund geographischer Besonderheiten wie Gebirge und Rhein immer breiter. Der Besiedlungsdichte nach zu urteilen hat die Ebene in ostwestlicher Richtung drei wechselnde breite Zonen: im Osten die Schwemmlandzone des Rheins, die im Süden sehr schmal verläuft und sich erst nördlich von Markohlsheim verbreitert, da sie sich dort mit der Schwemmlandzone der Ill vereinigt. In den Vogesen ist die Breite der alten Glätschertäler bezogen auf eine mögliche Besiedlung des Landes sehr günstig. Allerdings verhindern Feldbau, Weide- und Waldwirtschaft hier eine dichte Bevölkerung. Folgende Abbildung dient dem geo- graphischen Überblick:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Das Elsass. Quelle: Europäische Union 2009.

Obwohl das Elsass mit einer Größe von 8 280 km² die kleinste Region Frankreichs dar- stellt, ist es bezogen auf das Bevölkerungswachstum die zweitgrößte. Auf die ebenge- nannte Größe verteilten sich ca. 1 817 000 Einwohner4. Dieses führt zu einer Dichte von 209 Einwohnern/km².5 Die größte Bevölkerungsdichte ist zwischen Zabern und Mase- veaux entlang des Gebirgsrandes (vgl. Stoeckicht 1942: 13f.). Tabelle 1 zeigt stich- propenartig den Bevölkerungszuwachs ab 1996 und Tabelle 2 die drei größten Ballungsräume.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Bevölkerungszuwachs im Elsass. Quelle: Alsace Internationale 2005.

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Tabelle 2: Bevölkerung der 3 größten Agglomerationen. Quelle: Alsace Internationale 2005.

Bezüglich wirtschaftlicher Daten, weist das Elsass 2007 ein Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 49 824 Mio. Euro auf (vgl. INSEE 2009). Der wirtschaftlich stärkste Bereich des Elsass ist der Außenhandel, wobei Produkte aus dem Automobilsektor gefolgt von chemischen Produkten die am meist exportierten Güter sind.6 Abbildung 2 zeigt die Exporte und Importe von 2000 bis 2007. Festzuhalten ist, dass bis auf im Jahr 2005 die Exporte immer die Importe überstiegen, so dass es zu einem positiven Saldo und vermutlich auch zu einem Leistungsbilanzüberschuss kam. Infolgedessen steht die Region an wirtschaftlichen Indikatoren gemessen sehr gut dar.

Auch die Arbeitslosenquote von 6,7% im Jahr 2008 ist im Verhältnis zu den Quoten anderer französischer Regionen sehr gering. In Frankreich beträgt der Durchschnitt 7,8%.7 Auch im europäischen Vergleich liegt die Arbeitslosenquote des Elsass damit unter dem Durchschnitt von 7,5%8 (vgl. INSEE 2009).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Excédent de la balance commerciale de l’Alsace. Quelle: INSEE 2009.

2.3 Sprachliche Situation und Grundlagen

Abbildung 3 zeigt, dass das Elsass und Lothringen zu einer großräumigen Sprachlandschaft gehören. Zwar liegen die beiden Regionen in einem Sprachgebiet, trotzdem haben sie, was die Mundarten betrifft, wenig Gemeinsamkeiten. Mit der Regionalsprache Elsässisch werden die germanischen Dialekte im Elsass bezeichnet. So gibt es vor allem die als alemannisch bezeichneten Dialekte (alémanique), die dem Oberdeutsch gleichen. Der südlichste Teil des Elsass, Sundgau, gehört zum Hochalemannischen und das restliche Elsass zum Niederalemannischen. Die lothringischen Dialekte (francique) werden hingegen dem Mitteldeutsch zugerechnet.

„Selon les critères de classement de la géolinguistique classique, le domaine alsacien présente deux aires dialectales non homogènes et d’étandue inégale: l’alémanique (majoritaire) et le fran- cique, qui ressortissent respectivement à l’allemand supérieur (partie méridionale du haut- allemand) et à l’allemand moyen (partie septentrionale du haut-allemand). (Cerquiglini 2003: 23f.)

Das Alemannische ist die Sprache der gleichnamigen Alemannen, die neben den Ger- manen ab dem 3. Jahrhundert das Elsass besiedelten. Genauso wie andere lebende Spra- chen hat auch das Alemannische viele Entwicklungen durchlebt. Heute wird es u. a. auch in Süddeutschland, in Österreich und vor allem in der Schweiz gesprochen (vgl. Phillips 1980: 31).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: L’ALSACE: Le pays et ses parlers. Quelle: Matzen 1999: 4.

Nachdem vermehrt versucht worden ist, die elsässische Sprache zu unterdrücken, be- steht sie heute nur noch infolge des mangelnden Sprachkontinuums zum Deutschen auf mündlicher Ebene. Die hochdeutsche Sprache hat weitgehend den Status einer erlernten Fremdsprache. Bei grenzüberschreitenden Arbeitspendlern im Norden und Nordwesten des Elsass scheint sich die Mundartpraxis, aufgrund der deutschen Grenze, zu stabilisie- ren. In Richtung Schweiz allerdings wird vermehrt Französisch gebraucht. Dieses könnte damit begründet werden, dass das Elsass hier an die französischsprachige Schweiz grenzt, in der kaum deutsch gesprochen wird. Die abschließende Tabelle ent- hält einen Überblick über die neben Französisch gesprochenen Sprachen im Elsass. Es zeigt sich ganz deutlich, dass Elsässisch und Deutsch die am meist verwendeten Sprachen sind. Im Vergleich zu Zahlen nach dem zweiten Weltkrieg sind 39% der erwachsenen Bevölkerung, die noch Elsässisch sprechen, allerdings sehr gering. Tabelle 3: La pratique déclarée des langues en Alsace. Quelle: INSEE 2002.

3. Sprachgeschichtliche und -politische Rahmenbedingungen

Das Elsass ist heute sowohl durch die politische, kulturelle und sprachliche Zugehörigkeit Frankreichs geprägt, als auch durch den geschichtlichen Hintergrund zu Deutschland. Aus diesem Grund kann man die sprachliche und kulturelle Situation der elsässischen Bevölkerung nicht erörtern, bevor man sich nicht mit ihrer Geschichte auseinandergesetzt hat. Infolgedessen handelt der folgende Abschnitt von einem kleinen historischen Überblick mit sprachenpolitischer Fokussierung.

3.1 Vom Mittelalter bis 1789

Der deutsche Dialekt implementierte sich im Elsass ungefähr zeitgleich mit dem Zusammenfall des römischen Reiches (2. Hälfte des 4. Jahrhunderts) im Zuge der Völkerwanderung, als die Alemannen den Rhein überquerten. Erst 100 Jahre später (ca. im Jahr 496), wurden jene von den Franken besiegt, die sowohl aus romanisierten als auch germanisierten Stämmen bestanden. Die fränkischen Könige schufen 640 das Herzogtum Elsass. Unter den Karolingern erfolgte anschließend eine Neuorganisation der Verwaltung. So wurde das Elsass in zwei Grafschaften (Nordgau und Sundgau) ge- teilt. In Straßburg besiegelten dann Karl der Kahle und Ludwig der Deutsche ihr Bünd- nis, die Straßburger Eide. Im Teilungsvertrag von Verdun (843) ging das Elsass an ihren Bruder Lothar. Es sollte der Beweis sein, dass die Franken westlich der Vogesen blie- ben und die „romanisierten“ Franken in eine andere Richtung gingen. Elsass und Ost- Lothringen gehörten somit zum deutschen Sprachraum (vgl. Ladin 1982: 40). Doch Lothars Brüder machten ihm den Besitz streitig bis die Region 870 wieder an ihn zu- rück fiel. Im Jahr 925 zwang Heinrich I. von Sachsen dem Elsass seine Herrschaft auf und infolgedessen wurde es endgültig ins Imperium eingegliedert (vgl. Bister-Broosen 1998: 20).

Straßburg erlangte 1262 den Status einer Reichsstadt und auch die anderen großen elsässischen Städte erhielten bis Ende des 14. Jahrhunderts diesen Status. Das Elsass gehörte also seit den Anfängen zu den wichtigsten Gebieten deutscher Kultur und Sprache. Gutenberg soll sogar in Straßburg den Buchdruck mit beweglichen Lettern erfunden haben (vgl. Bister-Broosen 1998: 20).

In der Zeit, in der das Lateinische immer mehr durch einheimische Sprachen ersetzt worden ist, waren elsässische Städte die ersten, die in ihrer Volkssprache die elsässische Mundart, beurkundeten. Der Grund hierfür war das hohe Maß an sprachlichem Selbstbewusstsein der Elsässer. Des Weiteren wurde die Sprache nicht primär als Nationalmerkmal aufgefasst, sondern als notwendiges Mittel zur Verständigung verstanden. Dieses Denken hielt viele Jahre an. So war bis Mitte des 17. Jahrhunderts die französische der deutschen Sprache nachrangig. Hierfür sorgten vor allem das Fehlen eines dem französischen Vorschub leistenden Hofes und das hartnäckige Bestreben der Behörden sowie der protestantischen Kirche, sich gegen das Französische als Vehikel des Katholizismus abzuschotten (vgl. Hartweg 2002: 64).

Nach über 1000 Jahren Vorherrschaft der deutschen Sprache, kam es nach dem dreißig- jährigen Krieg zum Umschwung der sprachlichen Situation (vgl. Ladin 1982: 44). Auf- grund von Kriegszerstörungen und Wiederbevölkerungsmaßnahmen kam es zu einer arealen Veränderung. Durch den westfälischen Frieden ging der größte Teil des Elsass an Frankreich und damit verbunden war der Rückgang der deutschen Sprache, vor allem in den oberen Schichten. So begann die elsässische Bourgeoisie schon im 17. Jahr- hundert, sich in Wort und Schrift in Französisch auszudrücken. Dadurch, dass es ver- mehrt französische Literatur gab, gewann letztgenannte Sprache vor allem beim Adel und Großbürgertum immer mehr an Bedeutung. Es dauerte nicht lange, bis das Groß- bürgertum zweisprachig war, denn die französische Sprache wurde in Bezug auf den Arbeitsmarkt immer wichtiger. Insbesondere wurden Staatsämter nur noch mit Perso- nen, die der französischen Sprache mächtig waren, besetzt. Zudem kam das Französi- sche in Mode, da sie in ganz Europa als die Sprache der Gebildeten galt (vgl. Hartweg 2002: 64). Allerdings hatte das Kleinbürgertum zu jenem Zeitpunkt kaum Zugang zu der „neuen“ Sprache. Hier überwiegte weiterhin das Deutsche oder die Mundart.

In den folgenden Jahren drang das Französische immer weiter vor, allerdings ohne ex- plizite Sprach- oder Sprachenpolitik, aber aufgrund politischen Willens, und wird zur Amtssprache erklärt. Infolgedessen gab es keine deutschen Straßen- oder Ortsnamen mehr. Ferner wurden u. a. das Militär, der Zoll und die Presse umgestellt. Des Weiteren war das Deutsche nicht mehr mit der „Sprache Seiner Majestät“ vereinbar und das Französische wurde vor allem bei den oberen Schichten als „Sprache der Zukunft“ ver- standen (vgl. Hartweg 2002: 64).

Frankreich begann also schon sehr früh, den Gebrauch von Sprachen durch politischen Willen zu organisieren. Nachdem sich das Land territorial ausgedehnt hatte, musste einerseits die Zentralgewalt gefestigt und andererseits die Verwaltung effizienter ge- staltet werden. Doch durch den derzeitigen Gebrauch von drei Sprachen - Französisch, Latein und Regionalsprachen - konnte die Verwaltung unter Franz I. nicht modernisiert werden. Daraus resultierte 1539 die Ordonnances de Villers-Cotterêts. Das Hauptziel dieses Erlasses war es, die lateinische Sprache aus dem offiziellen Gebrauch zu verdrängen ohne die Bedeutung der Regionalsprachen zu verändern. Jene schrieben den Gebrauch des Französischen in zwei Artikeln folgendermaßen vor:

„Art. 110: Afin qu′il n′y ait cause de douter sur l′intelligence des arrêts de justice, nous voulons et ordonnons qu′ils soient faits et écrits si clairement, qu′il n′y ait, ni puisse avoir aucune ambiguïté ou incertitude, ni lieu à demander interprétation

Art. 111: Et pour ce que telles choses sont souvent advenues sur l′intelligence des mots latins contenus dans lesdits arrêts, nous voulons dorénavant que tous arrêts, ensemble toutes autres procédures, soit de nos cours souveraines et autres subalternes et inférieures, soit de registres, enquêtes, contrats, commissions, sentences, testaments, et autres quelconques actes et exploits de justice, soient prononcés, enregistrés et délivrés aux parties, en langage maternel français et non autrement.” (Academie française 2009)

Es ist allerdings festzuhalten, dass es sich 1539 nicht um eine loi sur le français, sondern um eine Ordonnance sur le fait de la justice handelte, welche besagt, dass in gerichtlichen Texten die französische Sprache zu verwenden ist. Zudem mussten diese Schriftstücke eindeutig und ohne Amiguitäten formuliert sein (vgl. Baselmann 1999: 4). Bezogen auf die Regionalsprachen war die Folge aus den Ordonnances, dass vor allem Staatsbeamte und andere einflussreiche Personen in Dörfern und Städten, in denen Regionalsprachen gesprochen wurden, nicht nur Übersetzer für die Sprache, sondern auch Vermittler sozialer und kultureller Gegebenheiten wurden.

3.2 Sprachenpolitik in der Französischen Revolution

Die Französische Revolution, als eines der bedeutsamsten Ereignisse in der europäischen Geschichte, hatte große Auswirkungen auf viele Teildisziplinen der Politik, insbesondere der Sprach- und Sprachenpolitik.

„Ein historisches Ereignis, dass die Massen nicht nur auf die Beine, sondern auch zur Artikulati- on ihrer politischen und kulturellen Vorstellungen bringt, verändert zwangsläufig die gesamte Herrschaftspraxis, in die sich die Sprachpolitik als integrierender Bestandteil einordnet.“ (Bochmann 1993: 63)

Durch die Revolution ändert sich des Weiteren das politische Denken. Politik wird nicht mehr als bloße Gewalt- und Machtanwendung verstanden, sondern als Lenkung des po- litischen Willens hinsichtlich der Interessenverwirklichung des oder der Regierenden. Infolgedessen ist auch die Sprache eines der wichtigsten Instrumente der Herrschenden. Die Revolution von 1789 hatte die Absicht, das Französische endgültig zur langue nati- onale zu machen und die große Heterogenität an Sprachen auf französischem Staats- gebiet auf eine Sprache zu reduzieren, denn die sprachliche Vielfalt wurde nur als Hindernis für die Verbreitung der Ideale der Revolution gesehen.

Jede Regionalsprache wies ein unterschiedliches soziokulturelles Prestige auf, wobei das Französische, bzw. der pariser Dialekt, schon von vornherein eine bevorzugte Stel- lung hatte (vgl. Bochmann 1993: 64). Das hohe Prestige dieses Dialektes ist damit zu begründen, dass die pariser Region schon immer die begehrteste war und dieser Dialekt von relativ vielen Menschen verstanden und gesprochen wurde. Außerdem waren die anderen Regionalsprachen schon im Absolutismus der eigentlichen Nationalsprache untergeordnet. Für Aufklärer wie Condillac war die französische Standartsprache, die Sprache der Wissenschaft, denn seiner Meinung nach war der Wissenserwerb „als ein in einer hochentwickelten Sprache organisiertes und an den vollen Besitz der Schrift ge- bundenes Phänomen“ (zitiert in: Bochmann 1993: 64). Diese Auffassung sorgte auch dafür, dass viele Regionalsprachen und Dialekte, die eh nur noch mündlich beherrscht wurden, zum Aussterben verurteilt wurden. Außerdem wurden Sprachen wie Baskisch und Bretonisch, die sich stark von den romanischen Sprachen unterschieden, schon seit jeher als prestigearm betrachtet und als idiomes im Gegenteil zur langue abgewertet (vgl. Trabant 2002: 57). Dementsprechend wurden sie während und nach der Revolution nicht mehr akzeptiert. Schließlich wurde die französische Sprache auch auf- grund der Berufsaussichten gelernt, da die hohen staatlichen Ämter meistens von Leu- ten bekleidet wurden, die zur französischsprachigen Elite gehörten. Im Zuge der Re- volution sollten des Weiteren alle citoyens alphabetisiert werden (vgl. Erfurt 2005: 86).

Durch die soziokulturelle Aufwertung der Nationalsprache, wurden die anderen Regio- nalsprachen mit Ausnahme des Deutschen im Elsass und dem Italienischen auf Korsika als patois abgewertet. Die kulturellen Traditionen der einzelnen Regionalsprachen inte- ressierten die Regierenden dabei wenig. Die Französische Revolution wurde also Aus- gangspunkt einer systematischen Verdrängung der Regionalsprachen (vgl. Bochmann 1993: 65). Des Weiteren wurde zu Zeiten der Revolution erstmals Sprachpolitik syste- matisch in Form von Regierungspolitik betrieben, in dem die Sprache der Nation ge- setzlich verankert wurde.

„Das Streben nach einem gesamtnationalen Kommunikationsraum, in dem die bürgerlichen I- deen fortan ungehindert zirkulieren sollten, hing nicht nur längerfristig mit den wirtschaftlichen Notwendigkeiten bei der Etablierung eines nationalen Marktes zusammen, sondern war auch im Kampf um die politisch-institutionelle Vorherrschaft besonders relevant.“ (Bochmann 1993: 65).

Man kommt zu der Erkenntnis, dass die Sprach- und Sprachenpolitik der Französischen Revolution zunächst das Französische an sich betraf. Die Nationalsprache musste der neuen Zeit angeglichen werden, welche die Funktionen der langue nationale und der langue de la liberté erfüllen musste (vgl. Erfurt 2005, S. 86). Dementsprechend musste sich das Französische einerseits gegen die lateinische Sprache und andererseits gegen die Regionalsprachen durchsetzten.

Insgesamt lässt sich die Sprach- und Sprachenpolitik der Französischen Revolution in zwei große Phasen aufteilen. Die erste Phase ist gekennzeichnet durch die Bewältigung der sprachlichen Diversitäten und die zweite durch die Terrorherrschaft und der damit verbundenen Sprachenpolitik der Jakobiner.

3.2.1 Bekämpfung sprachlicher Divergenzen

Die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts ist gekennzeichnet durch eine neue literarische und politische Entwicklung, in die die Vertreter aller Stände integriert werden sollten. Folglich entstanden viele antifeudale, antidespotische und antiabsolutistische Texte und Reformvorschläge. Der Drang nach einer sprachlichen Einheit wurde somit immer grö- ßer. Mit den Vorstellungen, dass 1789 eine neue geschichtliche Ära begann, wollte das Volk also auch eine neue Sprach- und Sprachenpolitik. Die revolutionäre Heran- gehensweise an die Sprachenfrage sorgte dafür, dass erstmalig die ganze Nation an eine einheitliche Sprache für das Staatsgebiet dachte. Als logischen Entschluss entschied man sich für die Sprache der Volksmassen, die das höchste soziokulturelle Prestige besaß. An dieser Vorangehensweise lässt sich deutlich der progressive Charakter der Sprachenpolitik in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erkennen (vgl. Bochmann 1993: 69).

Um die Vielzahl der sprachlichen Divergenzen zu reduzieren, wurden zukunftsorientierte Konzepte entwickelt, die in die kultur- und bildungspolitischen Entscheidungen mit einfließen sollten. So wurden z. B. in vielen Gemeinden kostenlose französische Schulen errichtet. Auch gegen den erwarteten Widerstand wollte man von Seiten der Revolutionsführung frühzeitig reagieren. So bekräftigten die Journalisten aus Paris die Verbreitung der Nationalsprache, indem sie verkündeten, dass nur das Erlernen der Sprache der Gelehrten gegen das derzeitige Dilemma der vielen Regionalsprachen eine Lösung sei (vgl. Bochmann 1993: 72).

Allerdings kann nicht eindeutig gesagt werden, welchen Stellenwert die Regional- sprachen zu Zeiten der Revolution wirklich hatten, da aufgrund der bereits erwähnten Maßnahmen, fast ausschließlich französischsprachige Aufzeichnungen vorliegen. Es ist allerdings davon auszugehen, dass zumindest das Bretonische sehr oft gebraucht wurde. Ohne die Regionalsprache wäre nämlich eine Kommunikation innerhalb dieser Bevölkerung nicht möglich gewesen. Nur zweisprachige Gelehrte waren in der Lage die Informationen, die aus Paris kamen, dem bretonischen Volk zu vermitteln. Trotzdem kam es logischerweise bei Übersetzungen in Regionalsprachen, die keine romanische Grundlage hatten, oft zu Fehlinterpretationen, da sich diese Übersetzungen sehr schwierig gestalteten (vgl. Bochmann 1993: 71ff.).

Außerdem ist festzuhalten, dass viele Vorstände von großen Konzernen ihre Versamm- lungen nur noch auf Französisch halten wollten. Dennoch kam es in Südfrankreich und im Elsass oft zu Versammlungen, die in der Regionalsprache gehalten wurden, da man sich besonders im Elsass lange gegen die neue Sprache gewehrt hatte. Bei Akten von Versammlungen, die in der Nationalsprache gehalten wurden, sind viele Orthographie und Syntaxfehler zu verzeichnen, was auf einen eher seltenen und schlechten Gebrauch der Sprache hindeutet.

Übersetzungsschwierigkeiten traten vor allem auch bei der Übersetzung von Prosa- texten auf, da es sich als äußerst schwierig gestaltete, das Reimschema beizubehalten. Infolgedessen entschloss man sich die Übersetzungen nicht mehr syntaktisch dem vor- herigen Textmuster anzupassen. Dieses führte zu einem großen kulturellen Verlust, da die eigentlichen Aussagen des Gedichtes oft verfehlt wurden. Eine Übersetzung ist nämlich niemals in der Lage alle Gedanken so wiederzugeben, wie sie eigentlich ver- standen werden sollten. Neben den zahlreichen Übersetzungen wurden neue Gesetze, Dekrete und Deklarationen ab 1789 grundsätzlich nur noch auf Französisch verfasst, so dass wiederum ein Anreiz geschaffen wurde, das Volk zum Erlernen der Sprache zu ermutigen oder sogar zu zwingen.

Die effizienteste Maßnahme zur Bekämpfung von sprachlichen Diversitäten war die Bildungspolitik. Die „Sprache der Freiheit“ (Bochmann 1993: 79) sollte im ganzen nationalen Territorium durch die Bildungspolitik ausgebreitet werden. Somit verstärkte besonders die Schulpolitik die Verwendung der Nationalsprache. Einerseits sorgt das Prestige der französischen Sprache, welches sich durch die Internationalität der Sprache in Politik und Kultur verstärkte, zur Annahme jener als Unterrichtssprache und anderer- seits galten die Regionalsprache immer mehr als Sprachen des Aberglaubens, der Tyrannei und der Unwissenheit. Ein weiteres Problem war die unterschiedliche sprach- liche Kompetenz in den verschiedenen Ständen. So konnten viele Angehörige des Dritten Standes die französische Sprache weder lesen noch schreiben, allenfalls besaßen sie geringe Kompetenzen in den jeweiligen Regionalsprachen. Infolgedessen war das Hauptziel der Bildungspolitik, die Französischsprachigkeit eines jeden Bürgers zu errei- chen. Zwar wurde auch der Bilinguismus thematisiert, doch entschied man sich am En- de des Tages für einsprachig französische Schulen. Lanthenas plädierte vor allem in den Grenzregionen für zweisprachigen Unterricht, damit sich die Bevölkerung mit dem an- deren Volk unterhalten und somit indirekt auch die französische Sprache auf andere Gebiete außerhalb des französischen Mutterlandes „rüberstrahlen“ konnte. Doch über Lanthenas Entwurf wurde nie abgestimmt, da es aufgrund anderer Probleme, wie Hun- ger und Krieg in den Hintergrund rückte (vgl. Bochmann 1993: 81). Festzuhalten ist, dass die Regionalsprachen im Unterricht nicht zulässig waren. Dieser progressive Zug die Sprache auch bei der Unterschicht zu verbreiten, setzte sich im Zuge der Jakobiner- politik fort und verstärkte sich zunehmend.

3.2.2 Sprachenpolitik der Jakobiner

Die Jakobinerherrschaft wollte vor allem die Bedrohungen der revolutionären Errungen- schaften bekämpfen. Hierbei wurden die Regionalsprachen als Werkzeuge der Konter- revolution angesehen (vgl. Éloy 2000: 90). Dieses beweisen u. a. Berichte von Abbé Grégoire und Bertrand Barrère. Letztgenannter kritisierte im Rapport du comité du salut public sur les idiomes am 8. pluviôse II (27.1.1794) die Regionalsprachen mit folgenden Worten:

,,Le fédéralisme et la superstition parlent bas-breton; l′émigration et la haine de la République parlent allemand; la contre-révolution parle l′italien et le fanatisme parle basque.“ (zitiert nach: Trabant 2002: 44)

Grégoire charakterisiert die Nationalsprachen in seinem Beitrag ,,Sur la nécessité et les moyens d′anéantir les patois et d′universaliser l′usage de la langue française" vom 16. prairial II (4.6.1794) vor dem Nationalkonvent folgendermaßen:

,,Une langue universelle est, dans son genre, ce que la pierre philosophale est en chimie. Mais au moins on peut uniformer le langage d′une grande nation, de manière que tous les citoyens qui la composent puissent sans obstacle se communiquer leurs pensées. Cette entreprise, qui ne fut pas pleinement exécutée chez aucun peuple, est digne du peuple français, centralise toutes les branches de l′organisation sociales et qui doit être jaloux de consacrer au plutôt, dans une Ré- publique une et indivisible, l′usage unique et invariable de la langue de la liberté.” (zitiert in: Bochmann 1993: 90)

Festzuhalten ist, dass es sich bei Grégoire um eine ideologische bei Barrère um eine po- litische Stellungsnahme handelt. Barrère geht nämlich von unmittelbaren, alltäglichen Bedürfnissen auf der Ebene des aktuellen Kampfes aus, was nicht ideologischer Natur ist, sondern von der politischen Praxis gefordert wird. Trabant (2002: 45) stellt allerdings auch eine Ideologie bei Barrère fest, die aber auch politisch begründet ist.

„Auch Barrères „Ideologie“ der Nationalsprache ist […] politisch insofern, als sein Bezugsrah- men für das Denken über Sprache - mit einigen geringfügigen Ausblicken ins Literarische und Ästhetische - einzig und allein die politische Organisation der Welt ist.“ (Trabant 2002: 45).

Die Sprachenpolitik während der Revolution fand schließlich ihren Höhepunkt in mehreren Erlassen und Gesetzen des Jahres 1794, wie z. B. in der ,,Loi de la Convention nationale imposant l′emploi du français dans la rédaction de tout acte public" vom 2. thermidor II (20.7.1794), in dem die ersten zwei Artikel wie folgt lauten:

„Art. I: À compter du jour de la publication de la présente loi, nul acte public ne pourra, dans quelque partie que soit du territoire de la République, être écrit, qu′en langue française.

Art. II: Après le mois qui suivra la publication de la présente loi, il ne pourra être enregistré aucun acte, même sous seing privé, s′il n′est écrit en langue française.” (Zitiert nach: Leclerc 2009)

Auch wenn diese Gesetze und Erlasse den Gebrauch des Französischen vorsahen, sah die Realität anders aus. Amtliche Dokumente und Erlasse wurden auch während der Herrschaft der Jakobiner sehr häufig in die Regionalsprachen übersetzt. Sogar ihr Gebrauch vor Gericht wurde meistens geduldet. Dieses lag wiederum an der mangeln- den Qualifizierung der Lehrkräfte und demzufolge schlechten Französischunterricht in den Schulen ländlicher Regionen. Während also die patois vor Gericht und in offiziellen Dokumenten gestattet waren, sah es in der Armee anders aus. Da die Soldaten aus vie- len verschiedenen Gegenden kamen, war das Französische die einzige Verständigungs- möglichkeit. Dementsprechend waren die Soldaten nach Ende ihrer Dienstzeit in der Lage recht gutes Französisch zu sprechen. Diese erworbenen Sprachkenntnisse nahmen sie schließlich in ihre Heimatregionen mit und folglich gab es mehr Personen, die vor allem mündliche Kompetenzen in der französischen Sprache hatten.

3.2.3 Auswirkungen der Revolution auf das Elsässische

Festzuhalten ist, dass das Ancien Régime fast ohne jegliche „Französisierungspolitik“ gearbeitet hat. Doch mit der französischen Revolution, wurde eine konsequentere und druckvollere Sprach- und Sprachenpolitik verfolgt, die zum Ziel hatte, in möglichst kur- zer Zeit, eine einheitliche Sprache in ganz Frankreich durchzusetzen. Diese erfolgte gemäß des Gedankens der „einen und unteilbaren Republik, „la république une et indi- visible“ (Roters 1995: 73). Mit dem Jahr 1789 setzte im Elsass eine kontinuierliche und sprachliche Veränderung zu Gunsten des Französischen ein, die noch bis heute andauert und lediglich zwei Mal durch die deutschen Besatzungen unterbrochen wurde (vgl. Roters 1995: 73).

Es ist festzuhalten, dass das Elsass letztendlich eine Sonderrolle spielte, denn durch den Rückgriff auf die deutsche Literatur und das ausgeprägte sprachlich-kulturelle Selbst- bewusstsein der Lokalbourgeoisie blieb das Elsass lange Zeit zweisprachig. Zu Beginn der Revolution überwogen die deutschsprachigen Texte und auch während der Revolu- tion hörte ihre Produktion nie ganz auf. Viele Zeitungen blieben deutsch oder wurden zweisprachig. Durch die Französische Revolution gewann also das Französische an Verbreitung und Ansehen, doch wurde die breite Masse von dieser Sprache nicht er- reicht (vgl. Ladin 1982: 46).

Die Jakobiner verlangten anschließend von den Elsässern einerseits das Erlernen der französischen Sprache und andererseits auch die komplette Aufgabe des Deutschen und der Mundart. Dadurch sollten die Elsässer beweisen, dass sie zur Einheit der französi- schen Nation gehörten. Das jakobinesche Prinzip „eine Nation, eine Sprache“ wurde umgewandelt zu „eine Sprache, eine Nation“ (Hartweg 2002: 65). Damit sollte gezeigt werden, dass aufgrund der gemeinsamen Sprache das französische Volk zu einer unteil- baren Nation wird. Bezüglich des sozialen Prestiges änderten sich die Funktionen der Sprachen erheblich. Während Hochdeutsch an die Sklaverei des Feudalstaates erinnern sollte, sollte das Französische als universell gültige Sprache zu befreienden Gesetzen führen. Des Weiteren war Deutsch die Sprache des Aberglaubens, also der Religion, und des Feindes (vgl. Hartweg 2002: 65).

Um nun eine Sprache effizient in einem territorialen Gebiet zu integrieren, müssen viele Politikbereiche zusammenarbeiten. Den wichtigsten Faktor nahm hierbei die Bildungs- politik ein. Dementsprechend wurden kostenlose französische Schulen in fast jeder Gemeinde errichtet. Allerdings hatte dieses Konzept durch den Mangel an französisch- sprachigem Lehrpersonal wenig Erfolg. Zudem fehlten dem Staat erheblich viele finan- zielle Mittel, um dieses Projekt mit dem gewünschten Erfolg durchzuführen. Im Jahr 1808 ersetzte das Französische dennoch die deutsche Sprache als Unterrichtssprache in den Gymnasien und Universitäten.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass mit der Französischen Revolution der Integra- tionsprozess eingesetzt hatte, der bis zum zweiten Kaiserreich anhielt. Obwohl es sich vorwiegend um eine politische Integration handeln sollte, hatte jene auch linguistische Folgen. Die Elsässer begannen sich als Minderheitensprecher zu fühlen, da ihnen diesesGefühl von offizieller Seite vermittelt wurde. Anders gesagt wollte die Revolution den Elsässern zeigen, dass der staatlichen Einheit die germanische Mundart im Wege stand. Infolgedessen wurde die französische Sprache recht schnell von der Bourgeoisie verwendet und wurde somit schrittweise zum sozialen Schichtabzeichen (vgl. Bister- Broosen 1998: 24f. und Roters 1995: 95)

[...]


1 An dieser Stelle ist festzuhalten, dass die Regionalsprache Elsässisch auch viele Dialekte, wie das Hochund Niederalemannische, aufweist. (Anm. d. Verfassers)

2 Da das Elsässische von der Bevölkerung selbst überwiegend als Mundart bezeichnet wird, wird auch dieser Terminus synonym mit den Termini Regionalsprache des Elsass und elsässische Sprache in dieser Arbeit verwendet. Die Bevölkerung wird an einigen Stellen als Minderheit bezeichnet, da auch in offiziel- len Gesetzen diese Begrifflichkeit verwendet wird. In Bezug auf die französische Bevölkerung stellen nämlich nach französischem Recht die Elsässer, genauso wie die Bretonen oder Basken, eine Minderheit dar. (Anm. d. Verfassers)

3 Eine genauere Betrachtung befindet sich in Kapitel 3.3.4.

4 Nach dem INSEE 2009 zählte man am 01.01.2006 genau 1 815 493 Einwohner (näheres zur Bevölkerungsentwicklung siehe Anlage 1)

5 In Frankreich beträgt die durchschnittliche Bevölkerungsdichte 93,59 Einwohner/km² und in Europa 116 Einwohner/km² (vgl. INSEE 2009)

6 Eine Übersicht über die Export- und Importgüter des Elsass befindet sich in Anlage 2.

7 Eine Übersicht der Arbeitslosenquoten in Frankreich befindet sich in Anlage 3.

8 Der Wert ist bezogen auf die Eurozone 12. (Anm. d. Verfassers)

Ende der Leseprobe aus 104 Seiten

Details

Titel
Das Elsässische - Eine soziolinguistische und sprachenpolitische Untersuchung
Hochschule
Georg-August-Universität Göttingen  (Seminar für Romanische Philologie)
Note
2,3
Autor
Jahr
2009
Seiten
104
Katalognummer
V141845
ISBN (eBook)
9783640514175
ISBN (Buch)
9783640515196
Dateigröße
5278 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Elsässische, Eine, Untersuchung
Arbeit zitieren
Dipl. Hdl. Juliane Müller (Autor:in), 2009, Das Elsässische - Eine soziolinguistische und sprachenpolitische Untersuchung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/141845

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