Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Der Weg zur Europäischen Zentralbank
1.1. Die Entstehung des europäischen Währungssystems (EWS)
1.1.1. Historischer Hintergrund: Das Bretton-Woods-System
1.1.2. Die drei Säulen des Europäischen Währungssystems (EWS)
Die ECU
Der Interventionsmechanismus
Das Kreditsystem im EWS
1.1.3. Unterschiede zum Bretton Woods System
1.2. Die europäische Währungsunion
1.2.1. Die Integrationsstufen
1.2.2. Der EURO
2. Die Europäische Zentralbank
2.1. Geldpolitik als Teil der Wirtschaftspolitik
2.2. Das europäische System der Zentralbanken und der Aufbau der EZB
Die Unabhängigkeit der EZB
Die Organe der EZB
2.3. Aufgaben und Ziele der EZB
2.4. Die Strategien der EZB
2.5. Das Instrumentarium der EZB
Offenmarktpolitik
Ständige Fazilitäten
Mindestreservepolitik
3. Aktuelle Problemstellungen
Zentralisation der Geldpolitik
Beschäftigung und Arbeitsmarktflexibilität
Grenzen der Geldpolitik
Ausblick
Literaturverzeichnis
Einleitung
Die folgende Hausarbeit verfolgt das Ziel, Verhalten, Zielrichtung und methodisches Repertoire der Europäische Zentralbank in ihrem politischen Kontext genauer zu erläutern.
Im ersten Kapitel wird die Entwicklung hin zur Europäischen Zentralbank beschrieben. In diesem Zusammenhang wird auf den geschichtlichen Hintergrund besonderer Wert gelegt. Denn die Europäische Zentralbank - und ihre Besonderheiten - ist nur auf der Grundlage ihrer Entwicklungsgeschichte zu verstehen. Es wird zunächst die Geldpolitik in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Deutschland und die Entstehung der Deutschen Bundesbank erläutert. In weiteren Abschnitten wird die Entwicklung vom Bretton-Woods-System hin zum Europäischen Währungssystem und der Weiterentwicklung zur Europäischen Währungsunion mit der Gemeinschaftswährung Euro geschildert.
Im zweiten Kapitel steht die Europäische Zentralbank (EZB) im Zentrum der Betrachtung. Nach einem kurzen Blick auf die Aufgaben der Geldpolitik im allgemeinen wird das Europäische System der Zentralbanken (ESZB) sowie Aufbau und Organe der EZB beschrieben. Ihre Strategien folgen anschließend im Abschnitt 2.4., bevor detailliert auf das geldpolitische Instrumentarium eingegangen wird. Der Schwerpunkt wird dabei aufgrund der überragenden Bedeutung auf die Offenmarkt- und insbesondere die Refinanzierungsgeschäfte gelegt.
Im dritten Kapitel werden einige Problemstellungen im Zusammenhang mit der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion angeschnitten, wobei hier ausdrücklich angemerkt sei, dass auf die vielfältigen Probleme nicht im Detail eingegangen werden kann. Es stellt sich als Fazit heraus, dass eine wirkungsvolle europäische Wirtschaftspolitik nur dann Früchte tragen und die vielfältigen Probleme meistern kann, wenn sie alle wesentlichen Bereiche - wie Geld-, Finanz-, Sozial- und Lohnpolitik - umfasst. Eine zentrale Geldsteuerung, bei gleichzeitig auf Nationalstaatsebene verbleibenden Kompetenzen in anderen wirtschaftspolitischen Feldern wird nicht dazu führen, die Herausforderungen zu bewältigen.
1. Der Weg zur Europäischen Zentralbank
Die Geldpolitik in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war in Deutschland zunächst dadurch gekennzeichnet, dass sich die Reichsbank den Bedürfnissen der Kriegsfinanzierung unterordnete[1]. Die durch die beständige Vorfinanzierung des Krieges aufgeblähte Geldmenge, hohe Reparationszahlungen und der ungezügelte Griff der jungen Regierung der Republik zur Notenpresse, führten zu einer Hyperinflation und letztendlich zum gänzlichen Verfall der Geldordnung. Erst mit Einführung der Rentenmark am 16. November 1923 wurde dem Reich der Kredithahn zugedreht und eine strikte Haushaltsdisziplin abverlangt. 1924 wurde schließlich die Reichsmark eingeführt und die Unabhängigkeit der Reichsbank als Notenbank gesetzlich verankert.
Zu der großen Weltwirtschaftskrise kam 1931 in Deutschland eine Bankenkrise hinzu, der die Reichsbank jedoch "mehr oder weniger tatenlos" zusah[2]. Durch eine restriktive Geld- und Kreditpolitik wurde die Wirtschaftskrise weiter verschärft. Erst die Arbeitsbeschaffungsprogramme und eine expansive Geldpolitik des NS-Regimes konnten den deflationären Prozess stoppen.
Ein folgenschwerer Fehler war die Aufhebung der Unabhängigkeit der Reichsbank 1937, die ausdrücklich dem "Führer und Reichskanzler" unterstellt wurde. Kurz darauf musste wiederum die Notenpresse zur Finanzierung eines Krieges herhalten. Durch Eingriffe in den Marktmechanismus (z.B. Preisstopp 1936, Lohnstopp 1938) konnte sich der wachsende Geldüberhang jedoch nicht im Preisniveau niederschlagen. Nach dem zweiten Weltkrieg war das deutsche Geldwesen zum zweiten mal vollständig zerrüttet. Mitschuldig war in beiden Fällen die Zentralbank.
In den Nachkriegsjahren konnte sich ein produktives Wirtschaftsleben aufgrund des fehlenden Geldsystems nicht entwickeln: Tauschhandel, Zigarettenwährung und Schwarzmarkt bestimmten das Wirtschaftsleben.
Nach dem Krieg wurde in den Westzonen die Neugründung eines Staatswesens geplant, welches jedoch eine stabile Geldordnung voraussetzte. Am 20. Juni erhielten im Rahmen der Währungsreform alle Einwohner 40 DM pro Kopf. Als Zentralbank fungierte die Bank deutscher Länder, die mit dem ausschließlichen Recht zur Ausgabe von Banknoten und Münzen betraut worden war. Die neu geschaffene Geldmenge blieb streng begrenzt, auf Deckungsvorschriften wurde verzichtet und somit eine Abkehr von einer durch Gold und Devisen gedeckten Währung eingeleitet.
1957 entstand durch die Zusammenführung der Bank deutscher Länder mit den Landeszentralbanken die Deutsche Bundesbank als Zentralbank, die über 50 Jahre sehr erfolgreich das Ziel der inneren Stabilität des Geldwertes verfolgte.
1.1. Die Entstehung des europäischen Währungssystems (EWS)
Bereits nach dem ersten Weltkrieg gab es Bestrebungen der europäischen Völker, sich politisch stärker zu vereinigen, so z.B. durch den Völkerbund[3]. Nach dem zweiten Weltkrieg trat 1952 die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS,"Montanunion") in Kraft. Die weiter und über die wirtschaftlichen Ziele hinaus gehenden politischen Ziele waren zunächst in den Nationalstaaten schwer durchsetzbar. Aus diesem Grund wurden zunächst durch die Römischen Verträge vom 25.03.1957 eine Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) in Belgien, der Bundesrepublik Deutschland (BRD), Frankreich, Italien, Luxemburg und den Niederlanden errichtet, deren Kernziel, der Bildung einer Zollunion, 1968 realisiert werden konnte. Die ursprünglich getrennten Institutionen von EGKS, Euratom (Europäische Atomgemeinschaft) und der EWG wurden seit 1967 zu den Europäischen Gemeinschaften verschmolzen (EG) und in weiteren Schritten über die wirtschaftlichen Ziele hinaus durch den Vertrag von Maastricht 1992 zu einer Europäischen Union weiterentwickelt.
1.1.1. Historischer Hintergrund: Das Bretton-Woods-System
Noch während des zweiten Weltkriegs wurde 1944 in dem amerikanischen Dorf Bretton Woods die Grundlage für ein Weltwährungssystem geschaffen. Über 40 Staaten gründeten den Internationalen Währungsfond (IWF). Der Wert des Dollars wurde in Gold festgelegt und die USA verpflichtet, Gold zu dem Preis von 35$ je Feinunze zu kaufen. Die Wechselkurse der anderen Währungen wurden wiederum in Dollar fixiert[4].
Im Jahr 1952 trat die BRD dem Bretton-Woods Abkommen bei, der DM Kurs zum Dollar wurde auf 4,20 DM je Dollar festgelegt. Für Deutschland entwickelte sich dieses System zunehmend zum Dilemma[5]: Der permanente Handelsbilanzüberschuss sorgte für einen starken Dollarzustrom, der die Geldmenge in Deutschland durch die festen Wechselkurse ansteigen ließ und somit Inflation "importierte". Die DM wurde 1961 und 1969 aufgewertet, das Problem damit aber nicht gelöst.
Nach einigen vorübergehenden Wechselkursfreigaben in Deutschland (1969, 1971), Kanada (1970) und den Niederlanden (1971) sowie einer Aufspaltung des Goldmarktes in einen privaten und offiziellen Markt im Jahr 1968 kündigte US-Präsident Nixon am 15.08.1971 die Goldeinlösegaratie des Dollars und wertete kurz darauf den Dollar ab. Zur Rettung des Weltwährungssystems wurde 1972 die "Währungsschlange im Tunnel" entwickelt: die Wechselkurse der EG wurden gegenüber einem fixierten Dollar innerhalb einer engen Schwankungsbreite gehalten. Zunächst wurde durch eine Erweiterung der Bandbreiten versucht, das IWF-System zu retten, aber 1973 erfolgte der endgültige Zusammenbruch und die allgemeine Freigabe der Wechselkurse.
1.1.2. Die drei Säulen des Europäischen Währungssystems (EWS)
Den entscheidenden Anstoß zur Bildung eines Europäischen Währungssystems gab zweifelsohne der Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems. Ansätze zu einer gemeinsamen Währungspolitik finden sich bereits im EWG-Vertrag von 1957. Hier wurde ein Währungsausschuss eingerichtet und "die Liberalisierung des Zahlungs- und Kapitalverkehrs sowie die Konvertibilität der Währungen als gemeinsames Ziel definiert"[6]. Im sogenannten "Werner-Bericht" von 1968 wurden die gemeinsamen Ziele der Währungspolitik präzisert: Ein abgestimmtes europäisches Vorgehen, gegenseitiger Beistand und die Schaffung einer europäischen Recheneinheit. Am 13.03.1979 trat schließlich das EWS in Kraft. Zwei Zielsetzungen standen dabei im Vordergrund[7]: das Vorantreiben der europäischen Integtration und die Schaffung einer Zone währungspolitischer Stabilität in Europa.
Dieses auf drei Säulen basierende System wird von Pierenkemper[8] als eine "quasi ... modifizierte Version des ... Bretton-Woods-Systems auf europäischer Ebene" bezeichnet. Diese Säulen waren[9]: die Europäische Währungseinheit ECU, ein Intenventionssystem zur Verteidigung der Leitkurse der nationalen Währungen gegenüber der ECU sowie einem Kreditsystem zwischen den beteiligten Notenbanken.
Die ECU
Die Europäische Währungseinheit ECU (European Currency Unit) war eine reine Recheneinheit, die aus allen am EWS beteiligten Währungen ermittelt wurde; von jeder Währung ging ein bestimmter Anteil in die ECU ein (Korbwährung). Der Anteil wurde nach dem Bruttoinlandsprodukt sowie des Anteils am innergemeinschaftlichen Anteil festgelegt und verschiedentlich revidiert[10]. Die absoluten Beträge der Währungen wurden durch Wechselkurse gewonnen. Um den Wechselkursen einen Rahmen vorzugeben, wurden bilateral Leitkurse ausgehandelt, welche sich insbesondere an den Kursen der freien Devisenmärkte orientierten. Aus den ECU-Leitkursen der einzelnen Währungen ergaben sich die bilateralen Leitkurse zwischen den Währungen, das sogenannte Paritäten-Gitter[11].
Diese Kurse wurden für gewissen Zeit festgeschrieben. Die ECU diente nicht nur als Leitkurswährung sondern auch als Rechengröße z.B. bei der Festsetzung von Agrarpreisen. Die Notenbanken hielten einen Teil ihrer Währungsreserven in ECU und sie war zugleich Zahlungsmittel zwischen den Notenbanken.
Der Interventionsmechanismus
Im Wechselkurssystem des EWS duften die Devisenkurse in einem bestimmten Ausmaß von den bilateralen Leitkursen nach oben oder nach unten abweichen. Grundsätzlich galten 2,25%, für Italien, Spanien, Portugal und Großbritannien jedoch 6%. Aus den festgelegten ECU Leitkursen ließen sich die bilateralen Leitkurse und die Abweichungen ableiten. Drohte ein Kurs aus dieser Bandbreite auszuweichen, waren die beteiligten Notenbanken verpflichtet, durch Interventionen in unbegrenzter Höhe gegenzusteuern[12]. Dies geschah durch abgestimmte Stützungskäufe der einen mit parallel durchgeführten Stützungsverkäufen der anderen Seite. Sackte z.B. die spanische Währung gegenüber der DM zu stark ab, so musste die Deutsche Bundesbank Peseta aufkaufen (Stützungskauf), während die Banco de Espana DM durch Verkäufe auf den Markt gab (Stützungsverkauf), bis der Kurs sich wieder innerhalb des vereinbarten Rahmens einpendelte. Ein Abweichungsindikator wurde als Instrument zur Messung der Abweichung der errechneten ECU-Werte von ihren ECU-Leitkursen[13] herangezogen und zeigte notwendige Interventionen schon im Vorfeld an.
Diese Interventionen am Devisenmarkt sollten jedoch grundsätzlich nur zeitlich begrenzt durchgeführt werden. Massive und anhaltende Interventionen können aber zu negativen Konsequenzen wie z.B. einer Ausweitung der Geldmenge mit den entsprechenden Inflationsgefahren führen.
Das Kreditsystem im EWS
Das Kreditsystem soll im folgenden nur kurz angesprochen werden. Im Rahmen des EWS wurde ein Bestandssystem geschaffen, um die Leitkurse abzusichern. Für Stützungskäufe stellten die Notenbanken kurzfristige Kredite in ECU in unbegrenzter Höhe zur Verfügung. Mittelfristige Kredite, die mit wirtschaftspolitischen Auflagen verbunden waren, mussten durch einen Beschluss des Notenbankenpräsidenten genehmigt werden.
1.1.3. Unterschiede zum Bretton Woods System
Die Einführung des EWS wurde von vielen Ökonomen skeptisch beurteilt. Doch "trotz dieser Unkenrufe ...[schien] das EWS ... im Erreichen seiner Ziele jedoch recht erfolgreich zu sein"[14]. Was war nun der Grund für diesen höheren Erfolg? Folgende Faktoren sind hier von Bedeutung[15]:
- feste Wechselkurse mit größeren Bandbreiten,
- die Möglichkeit häufiger Wechselkursanpassungen,
- Einführung eines Abweichungsindikators als "Frühwarnsystem",
- keine dominierende Leitwährung und die Einführung der ECU als Reservemedium sowie
- ein System des kurz- und mittelfristiges Währungsbeistands.
Vor allem der Koalitionszwang innerhalb des EWS, die stärker symmetrische Verteilung der Anpassungslasten, das explizit formulierte Interesse an ökonomischer Integration und Kooperation zeigen Unterschiede zum Bretton-Woods-System. Allerdings konnten auch im EWS einige asymmetrische Wirkungsweisen festgestellt werden, so z.B. bezüglich der Zinssätze auf den Euromärkten oder der Dominanz der DM als weltweite Anlagewährung, welche auch den Außenwert der anderen Währungen beeinflusste.
[...]
[1] Pierenkemper (Der Weg zur EZB, 1999), S. 30.
[2] Ebenda, S. 33.
[3] Baßeler/Heinrich/Koch (Grundlagen der Volkswirtschaft, 1999), S. 581.
[4] Altmann (Wirtschaftspolitik, 2000), S. 458-460.
[5] Pierenkemper (Der Weg zur EZB, 1999), S. 37.
[6] Ebenda, S. 40.
[7] Baßeler/Heinrich/Koch (Grundlagen der Volkswirtschaft, 1999), S. 548.
[8] Pierenkemper (Der Weg zur EZB, 1999), S. 41.
[9] Altmann (Wirtschaftspolitik, 2000), S. 459.
[10] Altmann (Wirtschaftspolitik, 2000), S. 461.
[11] Baßeler/Heinrich/Koch (Grundlagen der Volkswirtschaft, 1999), S. 550.
[12] Altmann (Wirtschaftspolitik, 2000), S. 465.
[13] Baßeler/Heinrich/Koch (Grundlagen der Volkswirtschaft, 1999), S. 553.
[14] Ohr (EZB: Unterschiede zum Bretton-Woods-System, 1990), S. 32.
[15] Ebenda, S. 33-35.