Das Genusproblem im Spanischen Spaniens und Lateinamerikas


Seminararbeit, 1999

21 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das Genus-Problem auf grammatikalischer Ebene
2.1 Mann = Mensch: El masculino como presunto genérico
2.2 Indefinitpronomen
2.3 Attributive Genuskongruenz und Determination

3. Das Genus-Problem auf lexikalischer Ebene
3.1 Sexobjekt Frau
3.2 Das Weib als Eigentum des Mannes
3.3 Frauen und Beruf
3.4 Von Kindfrau bis Mannweib

4. Wege aus der Sprachlosigkeit
4.1 Grammatikalische Gleichberechtigung
4.2 Worte für Weiblichkeit.

5. Zusammenfassung: Die Macht der Gewohnheit

Bibliographie

1. Einleitung

Seit Beginn der sechziger Jahre wurde die Wahrnehmung der Öffentlichkeit durch die Frauenbewegung verstärkt auf sexistische Tendenzen in der Gesellschaft gelenkt. Insbesondere Feministinnen und Soziolinguistinnen begannen, die Sprache als Spiegel gesellschaftlicher Bedingungen zu erkennen und ihren Einfluß auf die Überlieferung traditioneller Machtverhältnisse zu untersuchen. Linguistische Analysen zum Thema Sexismus in der Sprache erschienen zunächst zahlreich vor allem ausgehend vom englischen Sprachraum und bis heute ist der größte Teil der Fachliteratur englischsprachig. Im romanischen Sprachraum liegen zum Genus-Problem im Französischen deutlich mehr Untersuchungen vor, als dies in den anderen romanischen Sprachen der Fall ist. Analysen zum Thema mit Bezug auf die spanische Sprache in Spanien und Lateinamerika wurden verstärkt erst zu Beginn der achziger Jahre publiziert. Die meisten der dennoch wenigen Beiträge zum Thema Sexismus in der spanischen Sprache, die ich im Rahmen meiner Recherche ausfindig machen konnte, wurden von Hispanisten außerhalb spanischsprachiger Länder verfaßt. In Spanien und Lateinamerika selbst scheint dieser Bereich immer noch vernachlässigt zu werden.

Ich möchte mich deshalb in der folgenden Arbeit auf sexistische Tendenzen im Spanischen konzentrieren, wobei ich mich insbesondere auf lexikalische und grammatikalische Aspekte des Genus-Problems beschränke. Berücksichtigt werden sowohl die Variante des Spanischen der iberischen Halbinsel, als auch Sprachvarianten lateinamerikanischer Länder, sofern sie der Veranschaulichung des Problems und seiner Lösung dienlich sein können.

Der Prozeß der gesellschaftlichen Emanzipierung der Frau, der in den letzten Jahrzehnten auch zunehmend in spanischsprachigen Länder Einzug hielt, ging nicht spurlos an der Alltags-Sprache vorbei. Den Veränderungen und Lösungsversuchen des Genus-Problems in der aktiv angewandten Sprache werde ich mich deshalb im dritten Kapitel dieser Arbeit widmen.

2. Das Genus-Problem auf grammatikalischer Ebene

Die über Jahrhunderte dominante Gesellschaftsform des Patriarchats, die auch den iberischen Kulturraum prägte, hinterließ ihre Spuren. Diese Spuren patriarchalen Denkens lassen sich bis in die grammatikalische Struktur der Sprache zurückverfolgen. Regeln und Wendungen, die scheinbar neutral und absichtslos unsere Alltagssprache prägen, bergen bei näherem Hinsehen die Überzeugung von der Minderwertigkeit und der untergeordneten Rolle der Frauen, wie sich leicht an einigen Aspekten des Spanischen verdeutlichen läßt.

2.1 Mann = Mensch, El masculino como presunto genérico

Ebenso wie im Englischen und zahlreichen weiteren Sprachen wird im Spanischen die Bezeichnung für Mann mit der Bezeichnung für die gesamte Menschheit gleichgesetzt. Dieses Problem könnte mit gutem Recht als lexikalisches Problem betrachtet werden. Da das generische Maskulinum jedoch vor allem in der Pluralbildung eine Rolle spielt, habe ich mich dazu entschlossen, den gesamten Komplex im Kapitel Grammatik zu behandeln.

El hombre steht sowohl für Vertreter des männlichen Geschlechts als auch für die Gesamtheit der Menschen. Insbesondere in der Geschichtsschreibung hat diese Unterschlagung der weiblichen Hälfte der Menschheit tiefgreifende Folgen, wie Iris González in ihrem Aufsatz betont[1]. Die Verwendung von el hombre mit der Bedeutung ‚der Mensch' verleitet dazu, den Beitrag der Frauen zur Geschichte völlig außer Acht zu lassen

Hier einige Beispiele zur Veranschaulichung:

La história empezó con la aparición del hombre en la tierra.

(Die Geschichte begann mit dem Auftauchen des Menschen auf der Erde.)

Durante muchos siglos los hombres de ciencia han contribuído con muchos descubrimientos e inventos.

(Viele Jahrhunderte hindurch haben (männliche?) Wissenschaftler einen großen

Beitrag durch Entdeckungen und Erfindungen geleistet.)

In beiden Fällen wird vom Leser erwartet, selbst Rückschlüsse auf das Geschlecht der mit dem generischen Maskulinum bezeichneten Personen zu treffen. Während das erste Beispiel höchstwahrscheinlich auch den weiblichen Teil der Menschheit mit einbezieht und vom Leser erwartet, dies zu erkennen, scheint das zweite Beispiel Frauen nach traditioneller Vorstellung auszuschließen.

Als ebenfalls doppeldeutig erweist sich die männliche Pluralform, die sowohl die Mehrzahl ausschließlich männlicher Wesen als auch eine gemischtgeschlechtliche Gruppe bezeichnen kann. Besonders wird die Benachteiligung des weiblichen Geschlechts durch die Regelung, die verlangt eine Gruppe mit dem männlichen Plural zu bezeichnen, sobald sich auch nur ein einziger Vertreter des männlichen Geschlechts darin befindet. Das heißt auf die Spitze getrieben, selbst hundert Italienerinnen würden als los italianos statt las italianas bezeichnet, hielte sich auch nur ein einziger Mann unter ihnen auf.

Auch diese Regelung wirkt sich nachteilig auf die Wahrnehmung der Frau in der Geschichtsschreibung aus, wenn man sich gewohnheitsmäßig darauf beschränkt, den männlichen Plural für Frauen und Männer zu benutzen.

So wird das Volk der Römer, das bekanntlich nicht ausschließlich aus Männern bestand, sondern zumindest zu 50% aus Frauen, als los Romanos behandelt. In dem grammatikalisch korrekten Satz Los romanos han contribuido mucho a la história (Die Römer haben viel zur Geschichte beigetragen) zum Beispiel, wird der Anteil der weiblichen römischen Bevölkerung an der Geschichte schlicht ignoriert und dem männlichen einverleibt.

Eine Sonderpostition nimmt in diesem Fall der ‚Salto semantico' ein, der nach Lledó zustandekommt, wenn ein Terminus grammatikalisch männlichen Geschlechts, der üblicherweise als neutral gilt und sowohl Männer und Frauen einschließt, ausschließlich für Männer verwendelt wird[2].

"Los antiguos egípcios habitaban en el Valle del Nilo. Sus mujeres solían..."

(Die alten Ägypter wohnten im Niltal. Ihre Frauen (machten) gewöhnlich)

Wäre man heutzutage nicht im Bilde darüber, daß Frauen durchaus zur Spezies Mensch zu zählen sind, ließe sich bei obigem Satz leicht vermuten, es handle sich bei mujeres nicht um weibliche ägyptische Personen, sondern um Wesen einer anderen Spezies, die zum Besitz der männlichen Ägypter gehören.

2.2 Indefinitpronomen

Das Pronomen uno (man) taucht im Spanischen ebenfalls vorwiegend in der männlichen Form auf, selbst dann, wenn damit weibliche Personen bezeichnet werden.

Beispiel: Uno no puede hacer dos cosas a la vez.

(Man kann nicht zwei Dinge auf einmal tun.)

Die unbestimmten Pronomen alguien und nadie werden selbstverständlich als maskuline Formen behandelt, sofern keine anderen Angaben bestehen, die sich ausschließlich auf weibliche Personen beziehen. Werden weiter nicht bestimmte Pronomen in Verbindung mit Adjektiven verwendet, so steht das Adjektiv in der maskulinen Form:

No conozco a nadie tan listo.

(Ich kenne niemanden so schlauen.)

Seguramente aún hay alguien despierto.

(Bestimmt ist noch jemand wach.)

Je nach Region und sozialer Schicht findet die weibliche Form una Verwendung. Spricht zum Beispiel eine Mutter mit einer anderen Mutter, so würde sie durchaus sagen "Una se cansa de esto" (Das hängt einem zum Hals raus). Spricht dieselbe Frau jedoch etwa mit einem Arzt (weiblichen oder männlichen Geschlechts), handelt es sich also um eine formelle Unterhaltung , so würde sie in jedem Falle sagen "Uno se cansa de esto"[3] .

[...]


[1] González, Iris G., “Some Aspects of Linguistic Sexism in Spanish”, in: Hellinger, Marlis (Hrsg.), Sprachwandel und Sprachpolitik: Internationale Perspektiven (Opladen: 1985), S.50 f.

[2] Lledó, Eulàlia, “El sexismo y el androcentrismo en la lengua: análisis y propuestas de cambio” in: Cuadernos para la Coeducadión Nr.3 (Barcelona: 1992), S.30.

[3] González, S. 52.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Das Genusproblem im Spanischen Spaniens und Lateinamerikas
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Romanistik)
Veranstaltung
Rhetorik - Funktionalstilistik - Textlinguistik - Aspekte der spanischen Gegenwartssprache
Note
1,0
Autor
Jahr
1999
Seiten
21
Katalognummer
V14197
ISBN (eBook)
9783638196659
Dateigröße
386 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Genusproblem, Spanischen, Spaniens, Lateinamerikas, Rhetorik, Funktionalstilistik, Textlinguistik, Aspekte, Gegenwartssprache
Arbeit zitieren
Ulrike Decker (Autor:in), 1999, Das Genusproblem im Spanischen Spaniens und Lateinamerikas, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/14197

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