In der vorliegenden Arbeit soll zunächst der Begriff der Halluzination näher definiert und von ähnlichen Phänomenen abgegrenzt werden. Die epidemiologische
Betrachtung zeigt, dass auditive Halluzinationen am häufigsten und visuelle Halluzinationen nach Körperhalluzinationen am dritthäufigsten vorkommen. Diese können sowohl aufgrund psychischer und organischer Erkrankungen aller Art
auftreten sowie bei gesunden Menschen u.a. in extremen Lebenssituationen. Zu den zugrunde liegenden Mechanismen werden verschiedene neuropsychologische
und -kognitive Erklärungsmodelle diskutiert. Es scheinen sich dabei insbesondere
Modelle durchgesetzt zu haben, bei denen ein Defizit angenommen wird, welches darin besteht, dass intern generierte Sprache, Gedanken oder Bilder als von außen kommend erlebt werden. Neurophysiologisch wurden auditive Halluzinationen
überwiegend im Zusammenhang mit Schizophrenie und visuelle Halluzinationen vornehmlich beim Charles-Bonnet-Syndrom oder nach Hirnläsionen untersucht.
Dabeizeigt sich, dass diese Halluzinationen tendenziell mit den Hirnarealen zusammenhängen, die für dieVerarbeitung von Informationen des jeweiligen Sinnesgebiets verantwortlich sind.
Inhaltsverzeichnis
1 Begriffsbestimmung
2 Epidemiologie und Bedingungen
3 Neuropsychologische und -kognitive Modelle
3.1 Perceptual-Release Theorie
3.2 Gestörte Diskursplanung
3.3 Theorie des Defizits beim Realitymonitoring
3.3 Theorie des Defizits beim Selbstmonitoring
4 Neurophysiologische Befunde
4.1 Befunde zu auditiven Halluzinationen
4.2 Befunde zu visuellen Halluzinationen
5 Resümee
Literatur
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1. Studien zur funktionalen cerebralen Aktivierung bei schizophrenen Patienten während auditiven Halluzinationen (modifiziert nach Sommer et al., 2003, S. 217)...17
Historisch gesehen sind Halluzinationen (lat.: (h)al(l)ucinari: träumen, faseln, gedankenlos sein) ein seit jeher bekanntes Phänomen. In zahlreichen biblischen und philosophischen Schriften finden sich Berichte über die Visionen und mystischen Erfahrungen bekannter Persönlichkeiten, welche für diese und die menschliche Kultur prägend waren. So wird von Peter D. Slade angemerkt, dass “Socrates had his ‘daemon’ which warned and guided him from within; while Joan of Arc’s visions and voices played a memorable role in altering the course of history” (1976, S. 7)
Im psychopathologischen Sinne wurde der Begriff „Halluzination“ erstmals im 19. Jahrhundert von Esquirol (1832) eingeführt und neuroanatomisch haben Oscar und Cécile Vogt in ihrer 1926 veröffentlichten Synopsis über die Funktionsbeziehungen der lateralen Kortexoberflächen bereits auf Areale für akustische und optische Auren hingewiesen. In der vorliegenden Arbeit kommt den neuropsychologischen Theorien sowie den neurophysiologischen Mechanismen von auditiven und visuellen Halluzinationen eine besondere Bedeutung zu. Die ersten systematischen Untersuchungen in diesem Kontext wurden in den kortikalen Stimulationsstudien von Penfield und Perot (1963) durchgeführt. Diese zeigten, dass Reizungen des Temporallappens auditive Halluzinationen auslösen können. Die heutige Forschung im auditiven Bereich erfolgt überwiegend über die Untersuchung von Personen, die unter Schizophrenie leiden und im visuellen Bereich im Zusammenhang mit dem Charles - Bonnet - Syndrom sowie anhand von Studien über Läsionen entlang der visuellen Verarbeitungsbahnen Im Folgenden sollen zunächst verschiedene Definitionen des Begriffs aufgezeigt und eine Einordnung vorgenommen werden. Der daran anschließende Abschnitt befasst sich mit der Epidemiologie und verschiedenen Bedingungen für das Auftreten von Halluzinationen. Hiernach erfolgt eine Erläuterung bedeutender psychologischer Erklärungsmodelle, wobei die Evidenzen aus psychologischen Testungen nur kurz zusammenfassend dargestellt werden. Daran anknüpfend werden verschiedene Befunde zu strukturellen und funktionellen Anomalien bei auditiv und visuell Halluzinierenden und mögliche Interpretationen der damit verbundenen neurophysiologischen Mechanismen vorgestellt. Abschließend werden die gewonnenen Erkenntnisse resümiert
1 Begriffsbestimmung
Seit Einführung des Begriffs „Halluzination“ durch Esquirol (1932) besteht eine bis heute andauernde Diskussion über die genaue definitorische Bestimmung des Terminus. Dabei kommt es nach Spitzer (1988) häufig zu einer einseitigen Betrachtung des Begriffs, die sich entweder auf den Aspekt der Täuschung oder auf die Erregung der Sinne ohne physikalischen Reiz bezieht. Letztere Sichtweise scheint dabei heutzutage vorherrschend zu sein Im Sinne der ersten Betrachtungsweise kann die Definition von Jaspers (1973) verstanden werden. Demnach sind Halluzinationen „leibhaftige Trugwahrnehmungen, die nicht aus realen Wahrnehmungen durch Umbildung, sondern völlig neu entstanden sind, und die neben und gleichzeitig mit realen Wahrnehmungen auftreten. Durch letzteres Merkmal sind sie von Traumhalluzinationen unterschieden“ (S. 57) In der neueren Definition des Diagnostischen und Statistischen Manuals Psychischer Störungen, 4. Edition (DSM- IV; Saß, Wittchen & Zaudig, 1996) tritt die Erregung der Sinne ohne physikalischen Reiz in den Vordergrund: „Sinneswahrnehmung, die den unmittelbaren Realitätseindruck einer echten Wahrnehmung hat, die jedoch ohne äußeren Reiz auf das betroffene Sinnesorgan auftritt“ (S. 857). Weiter weißt das DSM-IV darauf hin, dass sich Personen über die Halluzination bewusst sein können, jedoch nicht müssen. Bei dieser Definition entfällt allerdings der Teil des Definiens, dass eine Halluzination zusammen mit der realen Wahrnehmung auftreten kann. Im Gegensatz zu Jaspers (1973), vermag diese letzte Definition nicht mehr ausreichend zwischen Halluzinationen und Traumhalluzinationen zu unterscheiden. Eine Definition, die diesem Problem gerecht wird und zusätzlich weitere differenzierende Aspekte integriert, ist die Definition von David (2004):
A sensory experience which occurs in the absence of corresponding external stimulation of the relevant sensory organ, has a sufficient sense of reality to resemble a veridical perception, over which the subject does not feel s/he has direct and voluntary control, and which occurs in the awake state. (S. 110)
David (2004) weist zudem explizit darauf hin, dass Halluzinationen unter der Kontrolle des Erlebenden sein könnten, ohne dass dieser sich dessen bewusst sein muss Linden (2008) nennt weitere Begriffe, die von Halluzinationen abzugrenzen sind, wie bspw. illusionäre Verkennungen, Wahnwahrnehmungen oder mentale Vorstellungen. Letztere entsprechen Halluzinationen auch in ihrer erlebten Intensität. Ein wesentlicher Unterschied ist dabei jedoch, dass mentale Vorstellungen in der Kontrolle des Erlebenden liegen. Bei Pseudohalluzinationen handelt es sich nach Linden (2008) um einen Erlebniszustand, der zwischen mentalen Vorstellungen und Halluzinationen liegt, da sie nicht kontrollierbar sind, aber Personen sich über deren Realitätsgehalt bewusst sein können. Pseudohalluzinationen wurden insbesondere beim Charles-Bonnet-Syndrom untersucht (z.B. G. J. Menon, Rahman, S. J. Menon & Dutton, 2003). Würde man, mit Ausnahme von Pseudohalluzinationen, die von Linden (2008) genannten Begriffe nicht von Halluzinationen unterscheiden, wäre das nach Spitzer (1988) mit einem breiten Halluzinationsbegriff gleichzusetzen. Wohingegen die Abgrenzung zu einer engen Definition führen würde, bei der nur noch pathologische Fälle übrig blieben. Diese Sichtweise ist insbesondere für die folgende epidemiologische Betrachtung wichtig, da mit einer engen Fassung des Begriffes alle gesunden Personen herausfallen würden. Spitzer (1988) rät in diesem Zusammenhang darauf zu achten, wie die jeweiligen Autoren Halluzinationen definieren. Nach Durchsicht der Literatur scheint sich jedoch heutzutage die enge Definition weitgehend durchgesetzt zu haben Neben einer allgemeinen Definition des Begriffes können verschiedene Formen von Halluzinationen klassifiziert werden. Eine Klassifikation von Halluzinationen kann nach deren Komplexität vorgenommen werden, weitaus häufiger ist jedoch die Einteilung nach dem jeweiligen Sinnesgebiet. Bei auditiven Halluzinationen kann eine Einteilung in Akoasmen, d.h. amorphe Geräusche oder Phoneme (z.B. Worte, Stimmen, Flüstern) vorgenommen werden. Auditive Halluzinationen können sich zudem in ihrer Deutlichkeit, Imperativität und dem Wahrnehmungsbereich innerhalb oder außerhalb des Körpers unterscheiden. Visuelle Halluzinationen können amorphe optische Erscheinungen z.B. in Form von Blitzen oder Farben sein oder deutliche Objekte wie z.B. Gestalten oder Figuren (Faust, 1995).
2 Epidemiologie und Bedingungen
Als Ursache für das Auftreten von Halluzinationen sind eine Reihe verschiedener Faktoren identifizierbar. Die meisten Studien beziehen sich jedoch auf Halluzinationen im Zusammenhang mit psychotischen Störungen (vgl. Slade & Bentall, 1988). Halluzinationen können in allen Sinnesgebieten auftreten. Dazu gehören neben auditiven und visuellen Halluzinationen auch olfaktorische, gustatorische, taktile und kinästhetische Halluzinationen. Dabei sind 45 % aller Halluzinationen auditiv und damit die häufigste Form. Daneben treten in 20 % der Fälle Körperhalluzinationen auf und 15 % sind visuell. Die übrigen Sinnesgebiete sind dabei nur in weniger als 5 % der Fälle betroffen (Hubl, Koenig, Strik & Dierks, 2008) Die meisten Studien zu auditiven Halluzinationen finden sich zu Personen mit Schizophrenie. Die Auftretenshäufigkeiten werden bei dieser Gruppe im Allgemeinen mit ca. 70 % (z.B. Slade & Bentall, 1988) angegeben und dienen deshalb auch als diagnostisches Kriterium für das Vorliegen einer Schizophrenie (z.B. Linden, 2008). Aufgeteilt nach Sinnesgebieten findet sich in konkreten Studien mit Schizophrenen ein Häufigkeitsspektrum ]von 50 % auditiven, 9 % visuellen und 2 % olfaktorischen Halluzinationen (Malitz, Wilkens & Esecover, 1962 über 66 % akustische, 30 % visuelle, 42 % haptische und 38 % olfaktorische Halluzinationen (I. F. Small, J. G. Small & Anderson, 1966) bis hin zu 78 % auditive, 32 % visuelle und 50 % „andere“ bei Winokur , Scharfetter und Angst (1985). In der Studie von Ciompi und Müller (1976) zeigten sich zusammengefasst bei ca. 70 % der schizophrenen Patienten auditive und bei ca. 28 % visuelle Halluzinationen. Eine Nachuntersuchung dieser Patienten im Durchschnittsalter von 75 Jahren ergab bei ungefähr 44 % eine Persistenz auditiver und bei ca. 9 % visueller Halluzinationen. Nach Hubl et al. (2008) liegt scheinbar eine Hierarchie vor, d.h. Halluzinationen anderer Sinnesmodalitäten treten bei Schizophrenie häufig nur gemeinsam mit auditiven auf. Dabei ist die Auftretensrate in einem bestimmten Zeitraum individuell sehr variabel und bei 75 % dieser Patienten kommt es nach Verabreichung von Antipsychotica zu einer Reduktion der Halluzinationen Visuelle Halluzinationen werden häufig im Zusammenhang mit dem Charles- Bonnet-Syndrom diskutiert, bei dem es aufgrund von Schädigungen des visuellen Apparates, z.B. im Zuge einer Makuladegeneration oder einer diabetischen Retinopathie sowie aufgrund von Hirninfarkten und -blutungen zu lebhaften und komplexen Halluzinationen kommen kann, ohne dass eine psychiatrische Vorgeschichte gegeben sein muss (z.B. Linden, 2008; Manford & Andermann, 1998; Shedlack ,McDonald, Laskowitz & Krishnan, 1994; Vaphiades, Celesia & Brigell, 1996). Bei Fitzgerald (1971) gaben 85 % der plötzlich Erblindeten an, optische Erscheinungen zu haben und bei Holroyd et al. (1992) berichteten 13 % der Patienten, die an Makuladegeneration litten, über visuelle Halluzinationen. Darüber hinaus können Halluzinationen bei weiteren Erkrankungen, insbesondere bei somatischen Erkrankungen, auftreten. Dazu zählen u.a. Erkrankungen des zentralen Nervensystems, wie z.B. bei Epilepsien oder Tumoren sowie degenerative Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson, aber auch Migräneanfälle und Delirium Tremens (Hubl et al., 2008; Manford & Andermann, 1998)
Die Ergebnisse über das Auftreten von Halluzinationen bei gesunden Personen sind aufgrund der bereits beschriebenen definitorischen Unterschiede und den daraus resultierenden variablen Befragungsmethoden relativ heterogen und gehen nach Spitzer „von ‚kommt nicht vor‘ bis hin zu Werten von über 70 %“ (1988, S. 424). Bei einer in Florida durchgeführten Studie interviewte Schwab (1977) 1 633 zufällig ausgewählte Personen. Von diesen gaben 10,8 % an, Dinge gesehen oder gehört zu haben, die andere nicht wahrgenommen haben. In dieser Studie berichteten Jüngere sowie Farbige und Personen eines niedrigen sozioökonomischen Status häufiger von solchen Erfahrungen. In einer anderen groß angelegten Studie von Ohayon (2000) wurden mittels Telefoninterview 13 507 zufällig ausgewählte Personen zu Halluzinationen befragt. Insgesamt berichteten dabei 37,8 % über halluzinatorische Erfahrungen. Diese waren bei 24,8 % aller Befragten hypnagogischer und bei 6,6 % hypnopomper Natur. Diese Erfahrungen wiesen bei über der Hälfte der Befragten keinen Zusammenhang zu pathologischen Störungen auf. Etwa 27 % der Personen gaben an, das bei ihnen Halluzinationen auch während des Tages auftreten. Bei diesen Personen zeigten sich jedoch starke Zusammenhänge zu psychotischen Störungen. In einer weiteren Studie zu auditiven Halluzinationen mit einer Stichprobe aus Collegestudenten gaben 30 bis 40 % der Befragten an, solche Erlebnisse gehabt zu haben und ungefähr die Hälfte dieser Personen gab an, diese mindestens einmal im Monat zu erleben.
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