Christliche Minderheiten in der Türkei


Hausarbeit, 2008

23 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Die christliche Minderheit im Osmanischen Reich

2. Der Friedensvertrag von Lausanne und der Bevölkerungsaustausch 1923

3. Gründung der Republik Türkei und Innerstaatliche Reformen

4. Christlichen Minderheiten in der Türkei
4.1.Armenier
4.2. Griechen
4.3. Suryani
4.4. Arabische Christen
4.5 Ausländische Kirchen

5. Situation heute; Schluss

6. Anhang
6.1.Übergriffe auf die christliche Minderheit seit 2006
6.2. Bericht: Die Morde von Malatya 18.4.2007
6.3. Die Kirchenfamilien der Türkei

7. Literaturverzeichnis

Einleitung

Seit Jahrhunderten leben auf dem Gebiet der heutigen Türkei verschiedene ethnische und religiöse Gruppen zusammen, dementsprechend heterogen ist die Bevölkerung zusammengesetzt. Von den über 71 Millionen Menschen in der Türkei[1], sind 99% Muslime (inkl. Aleviten), 0,2% Christen und 0,04% Juden. Jeder Staatsbürger, der sich nicht explizit zu einer anderen Religion zugehörig erklärt wird automatisch als Muslim erfasst.
Die polyethnische Bevölkerungsstruktur ist die Folge historischer Prozesse, die Jahrhunderte vor der Gründung der Republik Türkei stattfanden. Es leben heute bis zu 81% Türken, 15 bis 20% Kurden, 2 bis 3% Zaza, 2% Araber, 1% Albaner, 0,5% Tscherkessen, 0,5% Georgier, sowie diverse andere ethnische Gruppen und Nationalitäten wie Aramäer, Armenier, Bosnier, Bulgaren, Griechen, Lasen und Tschetschenen in der Türkei [2]. Das Osmanische Reich entwickelte sich im Zuge seiner Ausdehnung, zu einem Vielvölkerimperium, das neben dem Kerngebiet Anatolien, auch Territorien auf dem Balkan, im Kaukasus, auf der Arabischen Halbinsel und in Nordafrika umfasste und somit verschiedenste ethnische und religiöse Gruppen unter seiner Herrschaft brachte. Heute teilen sich 42 Staaten das ehemalige Territorium des Osmanischen Reiches.

Das Christentum hat tiefe historische Wurzeln in Anatolien. Neben Palästina, ist es die Türkei, die so mit dem Christentum verbunden ist, wie kein anderes Land.
Der Ararat, auf dem nach der Sintflut die Arche Noahs gelandet sein soll, liegt ebenso in der Türkei wie Harran, der Ort an dem Abraham den Ruf Gottes erhielt, „weiter zuziehen in das Land, das ich dir zeigen werde“ (Gen 12,1). Daran erinnern heute noch die Teiche Abrahams bei Urfa, dem alten Edessa. Im heutigen Antakya (Antiochien) im Südosten der Türkei, erhielten nach Apostelgeschichte 11,26, die Jünger Jesu zum ersten Mal den Namen Christen. Auch die Reisen des Völkerapostels Paulus liegen zum großen Teil in Kleinasien, der heutigen Westtürkei.

Es waren nicht nur Völkerwanderungen, Perser- und Arabereinfälle, die jahrhundertelange Herrschaft der Seldschuken und Osmanen, die das Christentum aus seinem Kerngebiet verdrängten, sondern überwiegend die Politik des 20. Jahrhunderts. Zu Beginn des ersten Weltkrieges lebten innerhalb der Grenzen der heutigen Türkei etwa vier Millionen Christen. Heute ist die Zahl der Christen auf unter 100.000 geschrumpft.[3]

1. Die christliche Minderheit im Osmanischen Reich

Schon aus der islamischen Tradition hervorgehend, war das Vorhandensein nicht-muslimischer Bevölkerungsgruppen einer der wichtigsten Elemente im Osmanischen Staat. Der Islam unterscheidet die Welt in zwei Territorien. Zum einen den „ dar al-islam “ (Haus des Islam) und zum Anderen den „ dar al-harb" (Haus des Krieges).[4] Dabei stellt das islamische Recht allerdings die Anhänger des Judentums und Christentums als „Schriftbesitzer" (ahl al-kitab) unter besonderen Schutz, wenn diese die islamische Herrschaft anerkennen (Koran Sure 9, 29).[5] Juden und Christen erhielten als so genannte „ dhimmi “ (Schutzbefohlene), das Recht auf freie Religionsausübung, mussten aber dem islamischen Staat die „ gizya “ (Kopfsteuer) zahlen und auf das Tragen von Waffen verzichten.

Der Osmanische Staat institutionalisierte diese Praxis mit der Schaffung von „ millet “.
Das Millet-System teilte alle Untertanen des Reiches in Religionsgruppen ein, die unter der Herrschaft ihrer jeweiligen religiösen Autorität standen und ihre religiösen, schulischen, sozialen und juristischen inneren Angelegenheiten autonom regelten. Diese Millets waren hierarchisch geordnet. Der herrschenden muslimischen Millet, folgten die griechisch-orthodoxe, die armenisch-gregorianische und die jüdische Millet. (1914 kamen die bulgarische, die rumänische, die protestantische und die römisch-katholische Millet hinzu.) Dieses Verwaltungssystem trug wesentlich dazu bei, dass Nichtmuslime unter jahrhunderte langer osmanischer Herrschaft in der Lage waren, ihren Glauben, ihre Sprache und ihre Identität zu bewahren.

Mit dem Beginn des Niedergangs des Osmanischen Reiches und dem wachsenden Interesse und Einfluss der europäischen Großmächte (Frankreich, Russland, Österreich-Ungarn, Großbritannien und Deutschland), kam das Millet-System allmählich zum Erliegen.

Die europäischen Länder (s.o.) versuchten sich zunehmend in innere Angelegenheiten des Osmanischen Reiches einzumischen, schon früh stellten sie sich als Verfechter der Interessen der christlichen Untertanen im Osmanischen Reich dar. Zusammen mit dem aufkeimenden Nationalgefühl der Unterworfenen und der Idee der Gründung von Staaten christlicher Völker auf osmanischem Territorium, nahmen auch die Aktivitäten europäischer Regierungen und der Missionare im Osmanischen Reich zu.

Der Schutz der Großmächte stärkte die nicht-muslimischen Minderheiten im Osmanischen Reich, die ihre Forderungen zunehmend mit Gewalttaten unterstrichen.[6] Gleichzeitig wuchs das Misstrauen der Regierenden gegen die Christen im eigenen Reich, so wurden die früheren „Schutzbefohlenen“ zunächst als Gegner des Osmanischen Reiches und später als Feinde der neuen türkischen Nation angesehen.[7]

Unter dem Vorwurf der Zusammenarbeit mit dem Feind, kam es schon in der Mitte des 19.Jahrhunderts und später im osmanisch-russischen Krieg 1877/78 bis Ende des Jahrhunderts mit Verlusten des Osmanischen Reiches auf dem Balkan, zu Ausschreitungen und Vertreibungen gegen Christen. Der weitere Zerfall des Osmanischen Reiches, mit der revolutionären Machtübernahme der Jungtürken im Jahre 1908, führte zu einer extrem nationalistischen Ideologie: ein Pantürkismus bzw. Turanismus, der alle Turkvölker von der Adria bis nach Westchina umfassen sollte. Eine zweite jungtürksiche Revolution brachte 1913 -mitten im Ersten Balkankrieg- das Jungtürken-Triumvirat Enver Paşa, Cemal Paşa und Talat Paşa an die Macht. Die Autonomiebestrebungen armenischer Gruppen und deren Zusammenarbeit mit dem Kriegsgegner Russland, nahmen sie zum Anlass, eine Radikallösung des „Armenierproblems“ anzustreben. Eine große Zahl von ihnen, fiel 1915 im „Jahr des Schwertes“ den Verfolgungen, die offiziell als „Umsiedelungsaktionen“ bezeichnet wurden, zum Opfer. Schätzungen bewegen sich zwischen 600.000 und

1,5 Millionen Opfern.[8] Bis 1922 säuberte die türkische Armee das Restterritorium von nicht-türkischer Bevölkerung und das Gegeneinander von Christen und Muslimen setzte sich im türkischen Unabhängigkeitskrieg (1918 - 1923) fort, als sich die türkischen und kurdischen Muslime im Namen der Rettung von Reich und Kalifat gegen die christlichen Besatzer (Italiener, Franzosen und Griechen) erhoben. Als die letzten griechischen Truppen nach ihrer Niederlage, Anatolien verließen, folgte ihnen auch ein großer Teil der kleinasiatischen Griechen, aus Angst vor Übergriffen der siegreichen kemalistischen Truppen.

2. Der Friedensvertrag von Lausanne und der Bevölkerungsaustausch 1923

Nach dem Ende des Befreiungskampfes der Türkei, wurde der zwischen dem osmanischen Staat und den Alliierten am 10.August 1920 geschlossene Friedenvertrag von Sevres revidiert.

Mit dem am 24.Juli 1923 unterzeichneten Friedensvertrag von Lausanne, wurde die Freiheit und Unabhängigkeit der türkischen Nation anerkannt und die Türkei in die internationale Völkergemeinschaft aufgenommen. Ganz Anatolien sollte ohne Einschränkung der Souveränität zur Türkei gehören. Von ihren europäischen Besitzungen behielt die Türkei Ostthrakien und Edirne. Das Meerengengebiet wurde entmilitarisiert und türkischer Souveränität unterstellt, der Anspruch der Türkei auf die arabischen Gebiete aufgegeben. Somit waren die neuen Staatsgrenzen der Türkei festgelegt.

Der Friedensvertrag von Lausanne umfasste einen Hauptvertrag und 17 Nebenverträge, in Form von Konventionen, Deklarationen und Protokollen. Eines dieser Nebenverträge, war die Konvention über den Bevölkerungsaustausch zwischen Griechenland und der Türkei

(gem. Art.142). Demnach wurden etwa 1.25 Millionen ehemalige osmanische Staatsbürger griechisch-orthodoxer Konfession, (darunter auch 50.000 türkischsprachige Orthodoxen) gegen etwa 500.000[9] griechische Staatsbürger muslimischen Glaubens ausgetauscht. Dieser Austausch war mit sehr großem Leid der Betroffenen verbunden. Neben ihrer Heimat, verloren viele auch den Großteil ihres Eigentums oder ihr Leben. Vom Austausch ausgenommen, waren die alteingesessenen griechischen Bewohner Istanbuls und die der Prinzeninseln, sowie die muslimische Bevölkerung Westthrakiens. Durch diesen Bevölkerungsaustausch erhofften beide Länder, eine Verminderung der durch die Minderheiten ausgelösten Spannungen. Dabei ging es nur um religiöse Minderheiten.

Die Türkei war nun zu einem zu 98% muslimischen Staat geworden und Griechenland ein ebenfalls zu 98% christlicher Staat. Das Ökumenische Patriarchat behielt seinen Sitz in Istanbul unter der Bedingung, sich auf rein religiöse bzw. kirchliche Angelegenheiten zu beschränken.

Die Artikel 37 bis 45[10] des Lausanner Vertrages regeln bis heute den Schutz der nichtmuslimischen Minderheiten in der Türkei, allerdings wurde dieser Minderheitenstatus neben Juden, nur auf die „etablierten“ christlichen Minderheiten, zu denen die orthodoxen Griechen, Bulgaren und die Armenier gehörten, fixiert.

Andere christliche Gruppen, wie syrisch-orthodoxe oder arabische Christen können sich nicht auf die Regelungen des Lausanner Vertrages berufen. 1923 hatte der damalige syrisch-orthodoxe Patriarch Ilyas Shakir Alkan beschlossen, dass es für die Suryani besser sei, gewöhnliche Bürger der neu gegründeten Türkei zu sein und nicht als Minderheit aufzufallen. So können die Suryani nicht von den im Lausanner Vertrag geregelten Bestimmungen gebrauch machen. Für Evangelische Freikirchen oder die Zeugen Yehovas, gelten die Lausanner Regelungen auch nicht, da sie erst nach dem Abschluss des Vertrages von Lausanne in der Türkei tätig geworden sind. Allerdings ist in Sektion III über den „Schutz der Minderheiten“ des Friedensvertrages von Lausanne an keiner Stelle von bestimmten nichtmuslimischen Minderheiten die Rede.

In Artikel 38 wird der „umfassende Schutz des Lebens und der Freiheit aller Bewohner der Türkei… ohne Ansehen der Geburt, Nationalität, Sprache, Rasse oder Religion“ garantiert, Artikel 39 versichert nicht-muslimischen Staatsangehörigen, die gleichen bürgerlichen und politischen Rechte, sowie gleiches Recht auf Sicherheit wie muslimische Staatsangehörige. Artikel 40 räumt ihnen das Recht ein, eigene Institutionen wie Schulen zu errichten und zu betreiben, in Artikel 41 wird in diesen Schulen die Verwendung der eigenen Sprache erlaubt.

3. Gründung der Republik Türkei und Innerstaatliche Reformen

Auf den Trümmern des endgültig zerschlagenen Osmanischen Reiches und der Jungtürkischen Herrschaft, gelang es Mustafa Kemal die Republik Türkei zu gründen. Am 29.Oktober 1923 wurde in der neuen Hauptstadt Ankara, die Republik ausgerufen. Um die Türkei dem Niveau der zeitgenössischen westlichen Zivilisation anzupassen, leitete Atatürk (Vater der Türken), so der Ehrenname mit dem Mustafa Kemal 1934, bei der Einführung von Familiennamen, ausgezeichnet wurde, im gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und rechtlichen Bereich eine Reihe von Reformen ein. Anstelle der alten zusammengebrochenen Ordnung, entstand nach der Gründung der Republik eine neue. Anders als in den entwickelten europäischen Staaten, in denen sich die Bürger politische Rechte erkämpft hatten, kam es in der Türkei zu einer Umgestaltung, die nicht durch das Volk veranlasst wurde. Die türkischen Staatsbürger sollten eine neue Identifikation mit ihrem Land haben. Das verbindende sollte angesichts der multi-ethnischen Zusammensetzung der Türkei, nicht die Religion, die Konfession oder die Rasse sein, sondern das Bekenntnis zur „türkischen Nation“.

[...]


[1] Stand Juni 2008, The World Factbook, CIA

[2] Zahlen richten sich Wikipedia:2.1 Ethnien

[3] Wilhelm Baum: Die Christlichen Minderheiten der Türkei in den Pariser Friedensverhandlungen, S.6

[4] Salem Kamel Isam: Islam und Völkerrecht. Das Völkerrecht der islamischen Weltanschauung. S.149 ff.

[5] Rudi Paret: Der Koran. Stuttgart 1983 S. 134/135

[6] Fischer Weltgeschichte: Islam, Band 2, S.135

[7] Merten, Kai: Die syrisch-orthodoxen Christen in der Türkei und in Deutschland, S.22f

[8] Vgl. Steinbach, Udo: Geschichte Anatolien und des Osmanischen Reiches, in: Informationen zur politischen
Bildung Nr. 277 (Türkei), S.4-8

[9] Zahlen richten sich nach Wikipedia

[10] Baum,Wilhelm: Die christlichen Minderheiten der Türkei in den Pariser Friedensverhandlungen, S.278ff

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Christliche Minderheiten in der Türkei
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Note
1,5
Autor
Jahr
2008
Seiten
23
Katalognummer
V142122
ISBN (eBook)
9783640529360
ISBN (Buch)
9783640529148
Dateigröße
514 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Christen Türkei, Minderheitenpolitik Türkei, Kemalistische Reformen, süryani, Fener, Kirchen Türkei
Arbeit zitieren
Pinar Kehribar (Autor:in), 2008, Christliche Minderheiten in der Türkei, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/142122

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