Modifzierte heilpädagogische Entwicklungsförderung. Ein 5 jähriger entwicklungsverzögerter Junge mit serialen Wahrnehmungsstörungen und einer Sprachenwicklungsstörung


Seminararbeit, 2008

40 Seiten, Note: 2,2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Rahmenbedingungen
2.1 Konzeption
2.2 Kooperation und Kommunikation zwischen mir und dem Team

3 Vorstellung des Kindes
3.1 Steckbrief
3.2 Verhalten in der Einrichtung
3.3 Behandlungsanlass

4 Diagnostik
4.1 Einleitung
4.2 Ergebnisse der Spielbeobachtung und der Verhaltensbeobachtung
4.3 Sprache/Kommunikation
4.4 Grobmotorik
4.5 Feinmotorik
4.6 Wahrnehmung der Raumlage
4.7 Kognition
4.8 Mnestische Funktionen (Aufmerksamkeit und Leistungsmotivation)
4.9 Kurzdiagnostik einer Frühförderstelle

5 Hypothesen
5.1 lntermodalitätsstufe
5.2 Sprache und Sozialverhalten
5.3 Erziehungsstil und Bindungsverhalten

6 Theoretische Erklärungsmodelle
6.1 Entwicklungspsychologische Grundlagen nach Piaget
6.1.1 Einleitung
6.1.2 Piagets Stadien der kognitiven Entwicklung
6.2 Entwicklungsverzögerungen
6.3 Erziehungsstil und Bindungsverhalten
6.3.1 Permissiver Erziehungsstil
6.3.2 Bindungsverhalten
6.4 Wahrnehmung
6.4.1 Integration und Störung der Sinne
6.4.2 Wahrnehmung der Serialität
6.4.3 Störungen in der serialen Entwicklung
6.5 Die normale Sprachentwicklung
6.5.1 Einführung
6.5.2 Sprachaufbau und Sprachablauf nach Catherine Krimm-von Fischer
6.5.3 Störungen der Sprachentwicklung

7 Modifizierte heilpädagogische Entwicklungsförderung
7.1 Begründung der Methodenauswahl
7.2 Zieldefinition
7.3 Ziel-Änderungen im Verlauf der Förderung

8 Behandlungsverlauf
8.1 Äußere Rahmenbedingungen
8.2 Die Beziehung
8.3 Schwerpunkte im Verlauf der HPE
8.3.1 Einleitung
8.3.2 Förderung von Bernds Rollenspiels
8.3.3 Förderung des Perspektivenwechsels und Förderung der Serialität anhand von Bilderbüchern, Spielen und des Einsatzes von Rhythmikmaterial
8.3.4 Abschied
8.3.5 Situation am Ende

9 Bezugspersonen, abschließende Vereinbarungen, Kontakte zu anderen Fachdisziplinen
9.1 Zusammenarbeit mit der Logopädin
9.2 Zusammenarbeit mit den Eltern

10 Fachliches Fazit
10.1 Einleitung
10.2 Die Rahmenbedingungen
10.3 Die Serialitätsstörung
10.4 Elternarbeit

11 Persönliches Fazit

12 Anhang
12.1 Literaturhinweise

1 Einleitung

Kommunikation ist ein menschliches Grundbedürfnis. Das Leben mit einer eingeschränk- ten Kommunikation ist für uns kaum vorstellbar, denn die Sprache ist für den Menschen das wichtigste Ausdrucksmittel. Sprache dient jedem von uns, Gefühle und Bedürfnisse auszudrücken. Die verschiedenen Stufen der Sprachentwicklung werden von allen Kindern unter Berücksichtigung individueller Differenzen durchlaufen. Die Entwicklung der Sprache ist sehr komplex und ist vor allem in der Entwicklungsphase leicht störbar. Sprachentwick- lungsstörungen und Sprachverzögerungen haben Auswirkungen auf die Kommunikation, auf die Entwicklung an sich, auf das Selbstwertgefühl und auf die sozialen Beziehungen zu anderen Menschen.

Den Anstoß für die Auseinandersetzung mit dem Thema Sprachentwicklungsstörungen bzw. -verzögerungen lieferten mehrere Ereignisse: Zum einen lernte ich in meinem Prakti- kum Kinder mit sehr schwankenden Sprachniveaus kennen. Hier fiel mir auch Bernd auf (Name ist anonymisiert), den ich in der Gruppe beobachtete. Seine Äußerungen waren anfangs nur schwer zu verstehen und schwer nachzuvollziehen. Aufgrund dieser Erfahrun- gen stellte sich für mich die Frage, wie Sprachentwicklung normalerweise verläuft und wann abgrenzend von einer Verzögerung oder Sprachentwicklungsstörung gesprochen werden kann und wie man heilpädagogisch die Sprachentwicklung fördern kann. Durch Bernds offene Art mir gegenüber fiel der Erstkontakt mit ihm leicht. Da ich mich für Sprachentwicklung interessiere und Bernd alleine schon wegen seiner Sprachentwick- lungsverzögerung sich von der Gruppe isolierte, beobachtete ich ihn genauer und spielte auf seinen Wunsch auch mit. Während meiner Beobachtungszeit fielen mir bei Bernd in vielen Bereichen Entwicklungsrückstände auf. Ich beschäftigte mich deshalb intensiv auch mit dem Thema Entwicklung des Kindes in den ersten Lebensjahren, um zu erfahren, auf welcher Entwicklungsstufe Bernd steht und wann von einer Entwicklungsverzögerung gesprochen wird. Des weiteren beschäftigte ich mich in dieser Arbeit mit dem Thema Wahrnehmungsstörungen, da ich bei Bernd eine Störung in der Serialität beobachten konnte und die Wahrnehmungsstörungen im Zusammenhang mit den beiden vorher genannten Themen stehen.

2 Rahmenbedingungen

2.1 Konzeption

Die Möglichkeit zur Umsetzung der Lerninhalte gab mir ein katholischer Regelkindergarten im Ortenaukreis. Der Kindergarten nimmt Kinder ab dem Alter von 3 Jahren bis zum Schu- leintritt auf. Die Tageseinrichtung kann 99 Kinder in 4 gemischten Altersgruppen aufneh- men. Das Team besteht aus 10 Erziehern, davon arbeiten 4 in Vollzeit und 1 als Anerkennungspraktikantin. 3 Erzieherinnen haben eine Weiterbildung in Montessori-Päd- agogik absolviert und Elemente der Montessori-Pädagogik werden von den Erzieherinnen im Kindergartenalltag umgesetzt. Im pädagogische Konzept des Kindergartens steht geschrieben, dass das Personal nach dem situationsorientierten Ansatz arbeitet. Dem Kind wird freies Spiel, viel Raum für eigenständiges Experimentieren, differenzierendes Arbeiten und Lernen in kleinen Gruppen, mit einzelnen Kindern, in altersgleichen und altersgemischten Teilgruppen, auch gruppenübergreifend, geboten. Die Schwerpunkte lie- gen auf der Vermittlung religiöser Werte, interkultureller Erziehung sowie der Spracherzie- hung und Sprachförderung. Die Kinder können ganzjährig Naturerfahrungen sammeln durch regelmäßige Hofgänge. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Erziehung zur und mit der Musik durch tägliches Singen und Musizieren. Vielfältige Bewegungsanreize durch Psy- chomotorik, Gestalten mit Material und Farbe und verschiedene Formen der Partizipation sind ebenfalls vorhanden. Es gibt eine Außengruppe, die nach dem Konzept des integrierten Waldkindergartens arbeitet, einen heilpädagogischen Fachdienst durch eine >%LOG DXV GDWHQVFKXW]UHFKWOLFKHQ Fachschule, Feiern verschiedener christlicher Feste im Jahreskreis, ehrenamtliche Mitarbeiter in der Werkstatt und im Kreativbereich, eine französische Spielstunde, musikalische Früherziehung und ver- schiedene Kurse für Kinder, die von Dozenten der Fachschule durchgeführt werden. Der Kindergarten arbeitet nach dem Quintessenz-System zur Weiter- entwicklung.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Bernd im Alter von 4;5 Jahren.

2.2 Kooperation und Kommunikation zwischen mir und dem Team

Die Zusammenarbeit mit den Erzieherinnen erfolgte zu Beginn in der Gruppe. Ich tauschte mich, wenn es zeitlich möglich war, mit der Gruppenleiterin aus. Teilweise erwies es sich schwierig, Gesprächstermine mit der Gruppenleiterin zu arrangieren, da montags pädago- gischer Tisch war, an dem andere wichtige Themen besprochen wurden. Die beiden Erzie- herinnen der Gruppe waren bemüht, mich in meinen Ideen zu unterstützen und meine Frage zu beantworten. Es war ein stetiges Interesse an meiner heilpädagogischen Einzel- arbeit mit Bernd zu verzeichnen. Einmal hatte ich die Gelegenheit, mit anderen Erzieherin- nen, die nachmittags spezielle Angebote anbieten, über Bernd zu sprechen. Dabei habe ich viele neue, wichtige Informationen erhalten und die Erzieherinnen erhielten auch von mir wichtige Anhaltspunkte. Zum Ende meiner Praktikumszeit bat mich eine Erzieherin sogar um heilpädagogischem Rat.

Mir bot sich ferner die Gelegenheit, eine Logopädin zu kontaktieren, Rat zu einzuholen und Informationen auszutauschen.Zum Ende meiner Förderungsarbeit mit Bernd vereinbarte ich mit den Erzieherinnen einen Termin, um den gesamten Entwicklungsprozess meiner heilpädagogischen Arbeit sowie die Zukunftsperspektiven zu besprechen. Ich informierte die Erzieherinnen über Sprachentwicklungsstörung, deren Auswirkung auf andere Gebiete und über die seriale Wahrnehmungsstörung als Hauptproblem. Ich gab ihnen Informatio- nen, welche Auswirkungen dies im weiteren Verlauf haben könnte. Weiterhin empfahl ich, eine Integrationsfachkraft zu beantragen.

3 Vorstellung des Kindes

3.1 Steckbrief

Mein Einzelförderkind Bernd (Name geändert) war zu Beginn meiner heilpädagogischen Einzelförderung 4;5 Jahren alt. Er ist kurzsichtig und trägt eine Brille. Bernd hat die Statur eines Dreijährigen. Er wirkt sehr zart und hat blondes, dünnes Haar. Beim ersten Elternge- spräch erhielt ich wichtige Informationen über seine Anamnese, die ich nachfolgend kurz zusammenfasse:

Als Bernd geboren wurde, stellten die Ärzte bei ihm eine Nephrozirrhose (Schrumpfniere) fest. Er lag deshalb 2 Wochen im Krankenhaus. Seine zweite Niere war jedoch gesund. Die Mutter war immer sehr besorgt, wenn Bernd krank wurde. Eine weitere Besonderheit wegen der Anamnese war, dass Bernd erst nach 12 Monaten krabbeln konnte, mit 15 Monaten lief er ohne Hilfe. Dies könnte möglicherweise eine Auswirkung auf die Raum- Lage-Wahrnehmung gehabt haben. Mit 1 Jahr sprach Bernd seine ersten Worte. Als Bernd 1;3 Jahre alt war, kam seine Mutter wegen eines schweren Unfalls ins Krankenhaus. Er sah seine Mutter damals mehrere Wochen lang nicht. Dies führte wahrscheinlich zum Sprachabbruch, was auch die Logopädin vermutet. Mit 2;9 Jahren bekam Bernd das erste Mal logopädische Hilfe, da er kein einziges Wort sprach.

Bernds Familie wohnt in einem Einfamilienhaus. Sein Vater ist Gärtner und ehrenamtlich tätig. Bernds Mutter hat einen Halbtagsjob und ist daher die meiste Zeit für die Erziehung der Kinder verantwortlich. In der Familie sind alle katholischen Glaubens, Bernd besucht jeden Sonntag die Kirche. Er ist das dritte Kind der Familie G. Seine beiden Geschwister sind 10 und 14 Jahre alt. Aufgrund des großen Altersunterschieds hat er wenig Kontakt zu seinen Geschwistern und muss sich des öfteren behaupten. Bei seinem mittleren Bruder wurde von einem Kinderarzt ADHS diagnostiziert, weshalb der Bruder medikamentös ver- sorgt wird.

Seine Brüder ahmten Bernd manchmal nach, wenn er Wörter verdrehte. Dies war nicht för- derlich für seine Sprachentwicklung. Die Mutter kannte zudem keinerlei Fingerspiele, Abzählreime, Sprachspiele oder Kinderlieder, für Bernds Sprachentwicklung wären diese jedoch wichtig.

In Gesprächen mit der Mutter und der Gruppenleiterin stellte ich fest, dass Bernd mit sehr viel Liebe verwöhnt, jedoch wenig gefördert wurde und die Mutter mit der Erziehung der Kinder überfordert war. Grenzen zu setzen fiel der Mutter schwer. Dies habe ich während der Beobachtungszeit festgestellt, die Gruppenleiterin bestätigte es. Mir fiel in diesem Zusammenhang auf, dass Bernd zu seiner Mutter ein unsicher-ambivalentes Bindungsverhalten zeigte; er klammerte sich sehr an seine Mutter, wollte auf dem Arm genommen werden und brauchte dann einige Zeit, um ins Spiel zu finden. In der Hofzeit spielte er gar nicht, sondern wartete, bis seine Mutter ihn abholte.

Außerhalb des Kindergartens spielte Bernd die meiste Zeit allein im Hof des Einfamilienhauses. Manchmal bekam er Besuch von einer Freundin, mit der er auch im Kindergarten spielte. Zirka 1 Stunde sah er abends mit seinen Brüdern fern.

3.2 Verhalten in der Einrichtung

Bernd besucht den Kindergarten seit er 3 Jahre alt ist. Die Erzieherinnen beschrieben ihn als einen ruhigen Jungen, der sehr verunsichert ist und schnell aufgibt. Sie erlebten ihn in seiner Gesamtentwicklung als entwicklungsverzögert und betonen besonders die Sprachverzögerung, seine Bindung zur Mutter und sein Spielverhalten. Meine Frage, ob sie sich schon einmal mit einer Logopädin in Verbindung gesetzt hätten, um Informationen über sein Sprachentwicklung zu bekommen, verneinten sie.

Während der Beobachtungszeit fiel mir an Bernd außerdem auf, dass es sich im Kinder- garten eher zurückzog. Er war fixiert auf ein Mädchen, nahm keinen Kontakt zu anderen Kindern auf. Er lachte jedoch sehr viel und ging offen auf Erwachsene zu. Hier offenbarte sich eine starke Fixierung auf Erwachsene. Bei Beschäftigungsangeboten zeigte er wenig Selbstsicherheit und brauchte viel Anerkennung und Lob. Malen mochte er gar nicht, er befand sich noch in der Kritzelphase. Des weiteren fiel mir auf, dass er Farben kaum unter- scheiden konnte. Dies wurde bei dem Spiel Colorama deutlich. In diesem Spiel werden Farben und Formen zugeordnet. Probleme hatte er ebenso bei handlungsorientierten Auf- gaben und beim Bilden von Reihenfolgen. Auffallend war sein Spielverhalten, insbeson- dere das Rollenspiel, das bei ihm nicht altersentsprechend entwickelt war. Durch seine Sprachentwicklungsverzögerung wurde er zudem schlecht verstanden, was er auch spürte. Ich habe den Eindruck, dass er insgesamt wenig spricht, wenn mehrere Kinder in einem Raum sind.

Bernd interessierte sich für Puppenspiele, Bilderbücher, Singen, Perlen auffädeln, Puzzles und Kooperationsspiele. Beim Puzzlen verwechselte er oft oben und unten, da seine Raumlage noch nicht altersgerecht entwickelt waren. Selbstständig war er hingegen bei praktischen Tätigkeiten, z. B. dem An- und Auskleiden, dem Toilettegang, dem Essen und dem Aufräumen.

3.3 Behandlungsanlass

Besonders auffallend waren Bernds Sprachentwicklungsverzögerung sowie sein kleinkind- haftes Rollenspiel. Er befand sich hier noch auf der Stufe des Funktionsspiels, d. h. es fan- den keine Handlungen statt. Nachahmungsleistungen waren nicht zu beobachten. Dies sah ich auch als Ursache dafür, dass er nicht mit anderen Kindern zusammen spielte. Im Freispiel sowie in Beschäftigungsangeboten bemerkte ich, dass er Probleme hatte bei handlungsorientierten Tätigkeiten. Er konnte Zusammenhänge nur sehr schwierig erken- nen, konnte keine Handlung planen und gab schnell auf, wenn er nicht folgen konnte. Von der psychischen Seite her fielen mir sein geringes Selbstbewusstsein und sein unsicher- ambivalentes Bindungsverhalten auf. Während meiner Beobachtungszeit war mir der Junge in seiner insgesamt verzögerten Gesamtentwicklung aufgefallen. Die Erzieherinnen unterstützten die Möglichkeit, eine heilpädagogische Einzelförderung durchzuführen.

4 Diagnostik

4.1 Einleitung

Zu Beginn der Diagnostik führte ich ein Anamnesegespräch mit Bernds Mutter. Die Ergeb- nisse habe ich in der Vorstellung des Kindes in Kapitel 3.1 Steckbrief dargelegt. Während meiner Beobachtungszeit habe ich Bernd im freien und im gelenkten Spiel beobachtet, um meine Diagnostik zu schreiben. Entwicklungstests konnten aufgrund seines Entwicklungsalters von 3 Jahren nicht durchgeführt werden.

4.2 Ergebnisse der Spielbeobachtung und der Verhaltensbeobachtung

Bernd zeigt wenig Selbstbewusstsein und Eigenständigkeit in der Gruppe. Zu anderen Kindern nimmt er kaum Kontakt auf, außer zu einem Mädchen. Er fühlt sich eher zu Erwachsenen hingezogen. Seine Bedürfnisse gegenüber Erwachsenen kann er zwar angemessen durchsetzen, im Spiel kann er jedoch kaum seine Interessen durchsetzen. Er mag es, wenn man ihm Bücher über die Feuerwehr oder über Polizisten vorliest. Dabei erkennt er Gefahren und weist darauf hin. Seine Eigeninitiative und die Fähigkeit zum Nachahmen sind bei Bernd gering ausgeprägt. Insbesondere das Rollenspiel ist nicht altersgemäß entwickelt, er befindet sich hierbei noch auf Funktionsspielebene. Das Konstruktionsspiel ist wenig phantasievoll und es fällt ihm schwer, etwas zu planen. Er braucht Erfolgserlebnisse, um zu mehr Autonomie zu gelangen.

4.3 Sprache/Kommunikation

Bernd weist eine Dyslalie, einen Dysgrammatismus, eine verbale Entwicklungsdyspraxie, einen eingeschränkten Wortschatz und eingeschränktes Sprachverständnis auf. Er spricht in 3-Wort-Sätzen. Trotz seiner Sprachentwicklungsverzögerung zeigt er jedoch in einigen Situationen Freude an der Sprache.

Aufgrund der Sprachentwicklungsverzögerung bzw. Sprachentwicklungsstörung erhält er logopädische Förderung. Aus einem Schreiben der Logopädin ging hervor, dass Bernd alle Konsonantenverbindungen falsch artikuliert.

Sein Sprachverständnis ist nicht altersgerecht entwickelt. Er befolgt Anweisungen nicht oder nicht korrekt, gibt oberflächliche oder unpassende Antworten, versteht einfache Aufgaben nach mehrmaligen Wiederholungen. Sein Wortschatz entwickelt sich nur langsam. Begriffe kann er nicht differenzieren und er kann keine Oberbegriffe bilden.

4.4 Grobmotorik

Bernds Grobmotorik ist altersgemäß ausgeprägt.

4.5 Feinmotorik

Die Feinmotorik ist noch nicht altersgemäß ausgeprägt. In der Stift und Pinselhaltung benutzt er oft die Faust. Bernd befindet sich noch in der Kritzelphase, die normalerweise bis zum 3. Lebensjahr dauert. Er drückt mit dem Stift zu fest auf beim Malen. Dabei benutzt er meist beide Hände. Das Malen mag er auch nicht so gerne. Beim Perlen auffädeln wandte hingegen bereits den Pinzettengriff an und arbeitete sehr sorgfältig.

4.6 Wahrnehmung der Raumlage

Die Wahrnehmung der Raumlage ist nicht altersgemäß entwickelt, dies wurde besonders bei Puzzlen, beim Wiederfinden des eigenen Platzes und beim Versteckspielen deutlich. So verwechselte er beim Puzzle regelmäßig oben und unten.

4.7 Kognition

In der Entwicklung befindet Bernd sich im Bereich der präoperationalen Stufe. Bei handlungsorientierten Tätigkeiten hat er Schwierigkeiten. Er kann eine Handlung nicht vorausschauend planen und hat Probleme mit Reihenfolgen.

Beim Aufgabenverständnis braucht Bernd zusätzliche Erläuterungen, um eine Aufgabe auszuführen. Ein weiterer Faktor ist sein eingeschränktes Wortverständnis. Bernds Mengenverständnis ist nicht altersgerecht entwickelt. Er kennt die Zahlen bis Drei, kann zwischen groß und klein sowie schwer und leicht unterscheiden. Probleme hat er auch beim Zuordnen von Dingen zu Kategorien. Bernd verwechselt die Farben. Er befindet sich in der egozentrischen Phase, der Perspektivenwechsel gelingt ihm noch nicht.

4.8 Mnestische Funktionen (Aufmerksamkeit und Leistungsmotivation)

Seine Aufmerksamkeitsfähigkeit ist schwankend und themenabhängig. Die Dauer der Aufmerksamkeitsphase ist deshalb schwer zu bestimmen, sie überschreitet aber nicht die Dauer von 10 Minuten. Bernd arbeitet insgesamt langsam und ist schnell durch äußerer Reize abgelenkt. Meist will er dann etwas spielen oder schaut verträumt durch den Raum. Da er schnell verunsichert und sein Selbstwertgefühl schwach ist, braucht er mehr Anerkennung und Lob, als für sein Alter üblich.

4.9 Kurzdiagnostik einer Frühförderstelle

Mitte Dezember 2007 wurde Bernd in der Frühförderstelle des Ortenaukreises vorgestellt. Nachfolgend das Ergebnis der Kurzdiagnostik, die von der Frühförderstelle durchgeführt wurde. Bernd war zu diesem Zeitpunkt 4;11 Jahre alt.

Diagnose

1. Sprachstörung
2. leichte Aufmerksamkeitsdefizitstörung (ICD 10 F 90.0)
3. seriale Wahrnehmungsstörung

Intelligenzdiagnostik

- insgesamt knapp durchschnittliche bis unterdurchschnittliche Intelligenz

(HAWIWA - III: VT 87, HT 63, Gesamt IQ- 64), Sprachentwicklung durchschnittlich (89)

Wahrnehmungssverarbeitung

- seriale Wahrnehmungsstörung (insbesondere Umsetzung akustischer Impulse in visuomotorische Leistungen)
- Akustische Speicherstörung
- leichte Aufmerksamkeitsstörung

Leistungsverhalten

- Aufgabenverständnis: instabil, bedarf häufiger zusätzlicher Erläuterung
- Arbeitstempo: wechselt zwischen angemessen und langsam, schleppend
- Aufmerksamkeit: schwankend zwischen Konzentriertheit und Unkonzentriertheit
- Symptombewusstsein: vorhanden, induziert häufig Leistungsblockaden

Persönlichkeitsentwicklung

Nicht altersentsprechende Persönlichkeitsentwicklung. Braucht Erfolgserlebnisse, um zu mehr Selbstsicherheit und Unabhängigkeit zu kommen.

Empfehlung

- Elternarbeit, Logopädie und Ergotherapie (SI- Therapie)

5 Hypothesen

5.1 lntermodalitätsstufe

Hypothese: Bernd befindet sich in der egozentrischen Phase, der Perspektivenwechsel gelingt ihm noch nicht.

Er kann sich nicht in die Rolle und Position eines anderen hinein versetzen und versuchen, die Welt aus dessen Sicht zu sehen. Dies wurde im Rollenspiel und beim Spiel „Ich sehe was, was du nicht siehst“ erkennbar.

Hypothese: Bernd steht auf der Intermodalitätsstufe, er kann noch keine Handlungsabläufe ausführen oder planen.

Bernd hat Schwierigkeiten mit Handlungsabläufen und Reihenfolgen. Eine Handlung kann er noch nicht planen, so dass seine Entwicklung stockt. Wenn er eine Sache nicht kann, spürt er das und ist frustriert oder lenkt sich mit anderen Dingen ab. Mir fiel auf, dass er schnell aufgibt oder eine neue Sache, die er noch nicht kennt, erst gar nicht anfängt. Im Rollenspiel fehlt ihm die Vorstellungskraft, die Phantasie und das Nachahmungsverhal- ten. Ihm fällt es schwer, Objekte und Personen umzudeuten. Er kann sich noch keine ima- ginäre Figur vorstellen. Seine Sprachentwicklungsverzögerung beeinträchtigt ihn möglicherweise auch beim Denken.

Während andere Kinder seines Alters sich mit Verkleidungs- und Doktorspielen beschäfti- gen, beschäftigt ihn z. B. die Funktion eines Gegenstands. Hier befindet er sich noch auf der Funktionsspielebene. Statt sich auf andere Kinder einzulassen, spielt er oft allein.

5.2 Sprache und Sozialverhalten

Hypothese: Die Störung der Serialität zeigt negative Auswirkungen auf Bernds Sprachentwicklung.

Durch die Störung der Serialität ist Bernd beeinträchtigt in seiner Sprachentwicklung. Um Worte, Silbenreihen oder Sätze zu erfassen und wiederzugeben ist eine gut entwickelte Serialität notwendig.

Hypothese: Seine Sprachauffälligkeit beeinflusst sein Spiel- und Sozialverhal- ten.

Durch seine Sprachentwicklungsverzögerung spricht er kaum, wird, wenn er spricht, schlecht verstanden und ist gehindert, sich sprachlich korrekt zu äußern. Dies beeinflusst

u. A. sein Spielverhalten. Er wird von anderen Kindern kaum ins Spiel einbezogen. Die Sprache hat in viele Entwicklungsbereiche großen Einfluss. Bernd wird jedoch in einigen Bereichen gehindert, sich altersgerecht zu entwickeln. Dies ist der Grund, warum er kaum Kontakt zu gleichaltrigen Kindern hat und stattdessen immer wieder Kontakt zu den Erzieherinnen sucht. Er fühlt sich zu bestimmten Personen hingezogen und kann sich schlecht auf neuen Personen einlassen.

5.3 Erziehungsstil und Bindungsverhalten

Hypothese: Bernds Entwicklungsverzögerung kann durch den Erziehungsstil beeinflusst sein.

Die Mutter legt einen nachgiebigen Erziehungsstil an den Tag. Sie setzt kaum Grenzen und behütet Bernd über. Möglicherweise fühlt sich die Mutter schuldig an seiner Sprachverzögerung und seiner insgesamt verzögerten Entwicklung.

Hypothese: Bernd zeigt ein unsicher-ambivalentes Bindungsverhalten.

Bernd zeigt einen Trennungsprotest, lässt seine Mutter nicht gehen, klammert sich an ihr fest und wirkt ängstlich. Meist will er von seiner Mutter hochgehoben werden und bekommt mehrere Küsschen. Bernd wirkt innerlich angespannt. Wenn die Mutter gegangen ist, braucht er Zeit, um ins Spiel zu finden. Während der Hofzeit spielt er nicht, sondern wartet, bis seine Mutter ihn abholt. Möglicherweise ist fehlendes Zeitgefühl die Ursache für das Warten. Mit den Begriffen jetzt, nachher oder später weiß er nichts anzufangen. Bernd ver- anlasst Situationen, die seine kindlichen Bedürfnisse befriedigen. Hier setzt die Mutter keine Konsequenzen. Der Vater soll, laut Aussage einer Erzieherin des Kindergartens, recht streng sein.

6 Theoretische Erklärungsmodelle

6.1 Entwicklungspsychologische Grundlagen nach Piaget

6.1.1 Einleitung

Zu Beginn zeige ich auf, wie die Entwicklung eines Kindes nach Piaget normal verläuft. Anschließend gehe ich auf Entwicklungsverzögerungen ein.

Piaget geht von aus, dass sich die Entwicklung von Fähigkeiten stark an den Anforderun- gen der Umwelt orientiert. In jeder Phase der kindlichen Entwicklung können altersgemäße Aufgaben gelöst werden. Er betont, dass die Altersangaben nur ungefähr sind und indivi- duell verschieden. Piaget entwickelte das Phasen-Modell, in dem eine Zunahme von Wahrnehmungs- und im Denkfähigkeit stattfindet. Hierbei ist es wichtig, dass die Entwick- lung spiralenförmig verläuft, der Übergang in eine nächst höhere Stufe geht fließend über und erfordert Wiederholung der vorangegangenen Schritte (vgl. ZIMMERMANN 1998, S.41). Durch die systematische Weiterentwicklung werden differenziertere Funktionen und Fähig- keiten gebildet.

6.1.2 Piagets Stadien der kognitiven Entwicklung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Entwicklungsstadien der kognitiven Entwicklung (LEWIE et al 2002, S. 338)

Sensomotorische Phase

Nachfolgend gehe ich näher auf die sensomotorische Phase ein, da hier die Grundproblematik meines Einzelförderkindes liegt.

Piaget unterscheidet 6 elementare Stufen zum Aufbau der sensomotorischen Intelligenz. Folgende Entwicklungsstufen durchlaufen Kinder mit normalerweise demnach:

1. „Betätigung und Übung der ererbten Reflexe
2. erste erworbene Gewohnheiten
3. Vorgehensweisen, die dazu dienen, interessante Erscheinungen andauern zu lassen
4. Anwendung bekannter Mittel auf neuartige Situationen
5. Entdeckung neuer Mittel durch aktives Ausprobieren
6. Erfindung neuer Mittel durch geistige Kombination (PIAGET et al 1998, S. 15)

Die Kinder verstehen hier also die Welt durch aktives Tun, wobei sich immer neue Handlungsschemata herausbilden. Am Ende der sensomotorischen Phase sind Objektpermanenz, Nachahmung und erster Symbolgebrauch aufgebaut.

6.2 Entwicklungsverzögerungen

Im Gegensatz zu einer Entwicklungsstörung, die eine bleibende Einschränkung bezeichnet wird, wird unter einer Entwicklungsverzögerung ein aufholbarer Entwicklungsrückstand verstanden.

„ Die globale Entwicklungsverzögerung ist definiert als signifikante Verzögerung in zwei oder mehr der folgenden Bereiche: Grob- und Feinmotorik, Sprache, Intellekt, Antrieb und Sozialverhalten. “ ( www.aerztemagazin.at )

Entwicklungsverzögerungen gehen aus einem Mangel an Wahrnehmungserfahrungen hervor. Da bei Bernd eine Wahrnehmungsstörung in der Serialität vorliegt, gehe ich im nächsten Kapitel näher auf diese Problematik drauf ein.

Entwicklungsrückstände haben eine oder mehrere Ursachen. In der Einzelarbeit ist es not- wendig, Hauptursachen von Nebenursachen zu unterscheiden.

[...]

Ende der Leseprobe aus 40 Seiten

Details

Titel
Modifzierte heilpädagogische Entwicklungsförderung. Ein 5 jähriger entwicklungsverzögerter Junge mit serialen Wahrnehmungsstörungen und einer Sprachenwicklungsstörung
Hochschule
Katholische Fachschule für Sozialpädagogik Gengenbach
Note
2,2
Autor
Jahr
2008
Seiten
40
Katalognummer
V142475
ISBN (eBook)
9783668177666
ISBN (Buch)
9783668177673
Dateigröße
547 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
Heilpädagogik, Sprachentwicklung, Entwicklungsförderung, heilpädagogische Entwicklungsförderung, Sprachstörung, Wahrnehmungsstörung, heilpädagogisch, Elternarbeit
Arbeit zitieren
Diana Saft (Autor:in), 2008, Modifzierte heilpädagogische Entwicklungsförderung. Ein 5 jähriger entwicklungsverzögerter Junge mit serialen Wahrnehmungsstörungen und einer Sprachenwicklungsstörung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/142475

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