Der fremde Gott im "Tristan" Gottfrieds von Straßburg


Seminararbeit, 2003

15 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsangabe

1. Einleitung

2. Intention der religiösen Motive
2.1 Die ere als höchster Grundsatz
2.2 Leid und List
2.3 Wahrheit
2.4 Veränderungen gegenüber der Vorlage
2.5 Gottfrieds Intention

3. Die Herkunft und die Funktion der Gottesurteile im Mittelalter
3.1 Das Zweikampfrecht
3.2 Die Eisenprobe

4. Die Fremdheit der Gottesdarstellungen aus heutiger Sicht
4.1 Die Verfügung über Gott in der Episode des Moroldkampfes
4.2 Der instrumentalisierte Gott in der Episode des Tantris
4.3 Der manipulierte Gott in der Episode des Gottesurteils
4.4 Der Helfergott in der Episode des Gottesurteils

5. Die Fremdheit Gottes gegenüber den handelnden Personen
5.1 Unsicherheit der handelnden Personen
5.2 Die zweideutige Rede

6. Die heutige Fremdheit Gottfrieds Kommentars
6.1 Ernste Interpretation
6.2 Ironische Interpretation

7. Zusammenfassung

8. Literaturangabe

1. Einleitung

Im Tristan Gottfrieds von Straßburg wird vom Namen Gottes, ebenso wie von der Darstellung religiöser Anschauungen und Verfahrensweisen, in vielfältiger Weise Gebrauch gemacht. Oft wirken diese Darstellungen fremd. Diese ‚Fremdheit‘ kann man auf verschiedenen Ebenen feststellen. Nicht nur aus heutiger Sicht muten diese Schilderungen eigenartig an, manche Verfahren waren schon im Mittelalter nicht mehr zeitgemäß. Ebenso zeigen die handelnden Personen selbst ein widersprüchliches Verhalten gegenüber Gott, auch ihnen ist dieser fremd. Eine weitere Ungewissheit findet sich in den ungeklärten Absichten Gottfrieds. Auch nach vielen Erforschungen kann man immer noch keine eindeutige Aussage über seine wahre Absicht solcher Gottesdarstellungen machen. Eine derartige ‚Fremdheit‘ kann man im gesamten Tristan feststellen, aber vor allem in einigen zentralen Szenen wird diese deutlich.

Die Frage mit der sich diese Arbeit beschäftigen soll, lautet: Wie kann man die fremd wirkenden Darstellungen interpretieren und was wollte Gottfried mit dieser Art der Gottesschilderung bewirken?

2. Intention der religiösen Motive

2.1 Die ere als höchsten Grundsatz

Was in besonderem Maße im Tristan befremdend wirkt, ist die Tatsache, dass Tristan und Isolde sich nicht davor scheuen, zum Erfolg ihrer Listen, Gott zu missbrauchen. Hierbei wird der Ehebruch vom Autor nicht kritisiert. Allerdings entstehen aus der Liebe zwischen Isolde und Tristan Konflikte, „sobald die Liebenden den von der maze vorgeschriebenen Ausgleich mit der ere nicht mehr finden“1. Denn die ere ist die Grundlage des gesellschaftlichen Lebens im Mittelalter. Der Ausschluss aus dieser ist die größte Katastrophe die einer adligen Person widerfahren kann. Würde ihr Vergehen entdeckt, so würde die höfische Gesellschaft, im Gegensatz zum Autor, den Ehebruch schwer ächten. Aus dieser Sicht ist auch verständlich, warum Tristan und Isolde nicht davor zurückschrecken gegen Gottes Gebote zu verstoßen und ihn zu der Umsetzung ihrer Absichten zu missbrauchen. Dies stellt nämlich, im Vergleich zum Verlust der ere, ein geringeres Übel dar.

2.2 Leid und List

Was an Tristans Charakter nur schwer vereinbar scheint, ist sein vorbildliches Verhalten und seine adlige Abkunft in Gegenüberstellung zu seiner Verschlagenheit und seinen Betrügereien. Zunächst erfährt er hohes Ansehen in der Gesellschaft. Später stellen sich an Markes Hof aber auch Hass und Neid in Bezug auf Tristans bisherigen Erfolg ein. Hiermit beginnt das Leid, das er ab nun ständig erfährt und aus dem sich in der Folge auch wiederholt die Listen und Betrügereien entwickeln.

Einige Interpreten sind der Ansicht, Tristan würde aus doppelter Moral (gewissenlos) handeln. Demgegenüber kann man aber argumentieren, dass seine Listen, im Gegensatz zu denen des Truchsessen, Gandins und Urgans, immer aus einer guten Absicht entstehen. Den Erfolg, aber auch das Leid, sieht er stets als von Gott gegeben. Er fügt sich bereitwillig in sein Schicksal. Tristan verdeutlicht die zwei Seiten, die jeder gläubige Mensch besitzt. Er ist nämlich nicht nur ein guter Christ, indem er liebe und leit als von

Gott gegeben annimmt und bejaht, sondern er ist zugleich auch ein Mensch und somit ein Sünder.2

Die Ursache warum Tristan seinen guten Absichten nicht gerecht werden kann, findet man in dem Umstand, dass er sich im Verlauf der Handlung in gegensätzliche Verpflichtungen gegenüber verschiedenen Personen verstrickt. Somit kann er den Grundsatz der triuwe, zu der er gegenüber Marke als Verwandten und Untertan verpflichtet ist, nicht in allen Situationen aufrecht erhalten. Indem er nämlich Isolde triuwe gewährt, muss er sie Marke versagen. Ebenso verhält sich diese Gegebenheit auch bei anderen Personen. Isolde beweist triuwe gegenüber Tristan und ist treulos zu Marke, dem sie die Treue, als seine Ehefrau, eigentlich schulden würde.

Dieses Verhalten zeigt nicht die Gottlosigkeit der Menschen, „sondern spricht vor allem wohl für die Wahrhaftigkeit des dargestellten Daseins, das ohne Gott so wenig auskommt, wie es ohne die Sünde sein könnte“3.

2.3 Wahrheit

Man muss beachten, „dass die theologischen und philosophischen Vorstellungen zu Beginn des 13. Jahrhunderts durch die Aufnahme in die literarische Tradition eine tiefgreifende Umwandlung erfahren hatten, indem die Begriffe aus diesen beiden Sinnbereichen in andere, weltliche Zusammenhänge übernommen wurden.“4

Dies wird deutlich, wenn man sich die enge Verwandtschaft, die zwischen den Gottesschilderungen in der Literatur des Mittelalters und dem Wahrheitsbegriff herrscht, näher ansieht. In der geistlichen Literatur des frühen Mittelalters bezog sich alles Denken und Handeln auf Gott. Daher verstand sich ein Dichter als Bote des Wortes Gottes, der Wahrheitsgehalt hat bei einer derartigen Literatur wenig Bedeutung, denn die geistliche Überlieferung sah man als eine unanzweifelbare Wahrheit an.5 Ein Wandel vollzog sich mit dem Aufkommen der Heldenepen. Diese Dichtung wird als eine Art Geschichtsschreibung verstanden. Da der Verlauf der Geschichte von Gottes Plan abhängig ist wird in dem Zusammenhang auch der Wahrheitsbegriff irrelevant. Bei der geistlichen Literatur, ebenso wie bei der vorhöfischen Literatur (Heldenepen), handelt es sich um eine theologische Wahrheit, die durch den Inhalt der Bibel begründet ist. Diese Grundlage der Wahrheitsfindung wird mit der Zeit immer mehr ausgeweitet. In der Folgezeit dienen auch andere theologische Schriften als Wahrheitsbeweis, später dann auch weltliche Schriften.

In der höfischen Literatur kann man zum ersten Mal eine Problematik des Wahrheitsbegriffs feststellen, denn nun handelt es sich nicht mehr um eine verbindliche Wahrheit wie in der geistlichen Literatur. Die Dichter können den Wahrheitsanspruch ihrer Werke nicht aus schriftlichen Quellen herleiten, da solche nicht vorhanden sind. Lediglich die fiktionalen Dichtungen anderer Autoren dienten als Vorlage. In der höfischen Literatur, zu der man auch den Tristan zählt, handelt es sich daher eher um eine moralische Wahrheit6. „Das Diesseits wird nicht real, sondern idealisiert vollkommen gesehen, darum gilt es den höfischen Dichtern als ‚wahre‘ Welt. Die vorbildliche Gestaltung des Stoffes in der künstlichen Form und der inhaltlichen Aussage nach der zentralen höfischen Idee legitimiert die Dichtung als wahr, denn sie bezweckt die exemplarische Unterweisung zum Guten.“7 Aus dieser Sicht dient die höfische Literatur zur Schaffung von Leitbildern für die Adligen, auf die sich diese Art von Dichtung auch ausschließlich richtete.8

2.4 Veränderungen gegenüber der Vorlage

Eine Verfremdung findet man auch in Gottfrieds Tristan gegenüber seiner Vorlage von Thomas von Britannien. Allerdings kann man keinen direkten Vergleich vornehmen, da das Werk Thomas` nur noch in Fragmenten vorhanden ist. Für eine bessere Vergleichsmöglichkeit kann man daher die norwegischen Erzählungen von Tristram und Isond heranziehen, die Thomas zur Vorlage seines Werkes dienten.

Aus derartigen Erforschungen hat man die Erkenntnis gewonnen, dass sich Gottfried im Bezug auf den Inhalt sehr genau an Thomas gehalten habe. Verfremdungen fanden vor allem im Bereich der religiösen Darstellung statt.9 Die Nennung des Namens Gottes findet man in Gottfrieds Werk viel öfter vor als in den norwegischen Erzählungen. Weiterhin wurden Gebete der Nebenpersonen gekürzt oder ganz weggelassen, statt dessen wurden für die Hauptpersonen neue Gebete hinzugefügt. Die Veränderungen gegenüber der nordischen Prosa gelten wahrscheinlich auch ebenso im Vergleich zu Thomas` Werk.

Ein auffälliges Merkmal ist die Darstellung Gottes als Lenker, dieses ist bei Gottfieds Werk stärker ausgeprägt ist als in seiner Vorlage. Damit verdeutlicht er den Zwiespalt, der zwischen den Listen und dem übergeordneten höherem Maß (Gottes Gebote) herrscht. Einerseits sind die Personen abhängig von Gott, andererseits können sie oft nicht seine Gebote einhalten und versündigen sich somit.

2.5 Gottfrieds Intention

Unverständlich scheint, dass Gott zu dem Gelingen der wiederholten Betrügereien beiträgt. Er unterstützt Isolde und Tristan bei ihren Lügen und Listen. Dies lässt sich dadurch erklären, dass Gottfrieds vorherrschendes Thema im Tristan die minne ist. Er wollte verdeutlichen, wie durch den Einfluss der Liebe andere Werte außer Kraft gesetzt werden. Die Darstellung von Gott und religiösen Motiven ist somit nicht sein eigentliches Interesse. Diese tragen lediglich zur Erörterung der gesellschaftlicher Konfliktsituationen bei. Das wird um so deutlicher, wenn man die Verse der Vorgeschichte beachtet (diese sind in Gottfrieds Vorlage nicht vorhanden), in denen es heißt:

und sagen wir umbe daz kindelîn, daz vater noch muoter haete,

waz got mit deme getaete. (V. 1788ff)

Was Gott mit ihm tat war allerdings nicht wie man vermuten könnte, ihn vor Leid zu bewahren. Im Gegenteil schon Tristans Name entspricht seinem Schicksal, dies ist von Anfang bis Ende geprägt von Trauer und Leid. Glück und Erfolg lassen sich, mit Gottes Hilfe, lediglich durch List und Betrug erreichen. Woraus sich aber wiederum erneut Leid entwickelt. Daher könnte man sich die Frage stellen, wo eigentlich im Tristan die Umsetzung der christlichen Lehre bleibt. Denn diese wäre ja zu erwarten, da sich der Name Gottes über dreihundert Mal in dem Werk finden lässt.

Aber diese Darstellung Gottfrieds ist nicht gegen die christliche Lehre gerichtet. Denn obwohl man annehmen könnte, dass die Aufgabe Gottes in der Hauptsache darin besteht die Menschen vor Kummer und Not zu beschützen, sind auch in der Bibel die menschlichen Schicksale von Leid begleitet.10 Gottfried eröffnet durch diese Darstellung verschiedene Handlungsmöglichkeiten, zwischen denen ein Mensch wählen kann. Es wird erörtert, „ob er Gott anklagt und sich von ihm abwendet; oder ob er sein Leid als aus Gottes Hand kommend erkennt, als eine Gelegenheit, sich dieser Hand zu ergeben, von ihr allein Hilfe zu erhoffen“.11 Gottfried stellt hiermit die Frage, „wie sich ein Mensch in seinem Leid innerhalb der von Gott gesetzten Ordnung verhält“.12 Somit dient Gott im Tristan als Mittel, um das Verhalten der handelten Personen zu bewerten. Wie die Menschen im Verlauf der Handlung mit der Konfrontation dieser Konfliktsituationen umgehen soll im folgenden gezeigt werden.

3. Die Herkunft und Funktion der Gottesurteile im Mittelalter

3.1 Das Zweikampfrecht

Im Mittelalter herrschte die Vorstellung, dass Gott unmittelbar auf das irdische Geschehen eingreifen kann, wenn er dies für nötig hält. Besonders deutlich wird dies beim Zweikampf. Man war der Ansicht bei einem solchen Kampf würde, mit Gottes Hilfe, immer der sich im Recht Befindende siegen. Der Zweikampf diente somit als Mittel zur Feststellung, wer sich im Recht befindet. Dies sollte auch der Fall sein, wenn sich zwei deutlich unterschiedlich starke Gegner bekämpften. Der Schwächere würde gegen einen Stärkeren siegen, wenn er im Recht ist. Allerdings bezeugt eine Textstelle im Tristan, dass man in der Realität sich durchaus auch ängstigte gegen bestimmte Gegner einen Kampf zu führen. So heißt es in einer Szene:

wan Gandîn was von solcher craft, so menlîch und sô herzehaft:

ir keuner kêrte sich dar an. (V. 13251)

Die Angst kommt bei dieser Textstelle nicht daher, weil man sich im Unrecht fühlt, sondern weil der Gegner sehr viel stärker ist. Dies zeigt also, dass die Menschen nicht nur einen festen Glauben besaßen, sondern auch rationalistischere Überlegungen anstellten.

Im Tristan findet man dieses Element der Rechtsfindung in der Zweikampf-Szene zwischen Tristan und Morold. Gurmun hatte vor etlichen Jahren England unterworfen. Dies gelang ihm dadurch, da zu dieser Zeit König Marke noch ein Kind war und sich nicht wehren konnte. Durch die Unterwerfung wurde England zinspflichtig. Der Zins bestand aus der jährlichen Übergabe von je dreißig Knaben aus England und Cornwall. Dies wurde durch einen Vertrag festgelegt. Herzog Morold, dessen Schwester Gurmun heiratete, kam nun nach England um den diesjährigen Zins einzufordern. Womit er nicht gerechnet hatte, war der Widerstand Tristans. Dieser forderte Morold auf, sich einem Zweikampf mit ihm zu unterziehen oder einen Krieg zu führen. Durch einen Sieg sollte der Vertrag aufgelöst werden. Diese Möglichkeit der Auflösung des Vertrags war durch eine Klausel in dem gleichen festgelegt. Der Herzog entschied sich für die erste Möglichkeit, da er zu dieser Zeit nicht auf einen Krieg vorbereitet war. Morold ist sich einem Sieg sicher, da er schon viele Kämpfe bestanden hat. Tristan ist im Kampf unerfahren, er ist auch der schwächere. Dennoch hielt auch dieser einen Sieg für möglich, da er Gott auf seiner Seite zu haben glaubt. Hier findet man ein, schon für das Mittelalter, fremdes Element. Der Kampf findet nämlich auf einer Insel, ohne Gericht und ohne Sekundanten statt. Eine solche Darstellung stammt ursprünglich aus der nordischen Saga-Epoche,13 also aus germanischer Zeit.

3.2 Die Eisenprobe

Auch die Eisenprobe stellte in der Entstehungszeit des Tristan, um 1200, ein eher fremdes Element dar.

Dieses ging ursprünglich nicht, wie man vermuten könnte, aus der christlichen Lehre hervor, sondern es wurde ebenfalls vom germanischen Götterglauben übernommen. Bei den Heiden hatte es zwei Funktionen. Es diente als Beweismittel, indem die Götter ihr Wissen über vergangene Geschehnisse offenbarten. Eine weitere Wirkung, die man dem Ordal zuschrieb, war die Erkennung Gottes Absichten.

Im Tristan kommt die Eisenprobe in der Gottesurteils-Szene der Isolde zum Einsatz. Nachdem Tristan und Isolde jahrelang Ehebruch begangen haben, soll sich Markes Ehefrau nun, auf Rat seiner Getreuen, vor Gericht verantworten. Nachdem der Bischof seine Anklage vorgesprochen hatte und Isolde dazu Stellung nehmen soll, entgegnet sie, dass sie in diesem Land eine Fremde ist, also keine Freunde und Verwanden zur Unterstützung heranziehen könne. Man kann vermuten, dass sie sonst diese zur Eideshilfe oder zum Zweikampf zum Beweis ihrer angeblichen Unschuld aufgefordert hätte.14 Da ein solches Vorgehen ausgeschlossen ist, fragt sie das Gericht, wie sie nun auf eine andere Weise ihre Unschuld beweisen könne. Der König antwortet darauf, dass man mit Hilfe der Eisenprobe zu einem Urteil kommen wolle. Sechs Wochen später soll sich Isolde dazu in der Stadt Karliune einfinden.

Nun folgt eine neue List: Isolde lässt Tristan die Nachricht zukommen, er solle als Pilger verkleidet, am Ufer des Ankunftsortes warten, an dem sie am Gerichtstag erwartet wird. Als das Schiff, mit dem sie ankommt auf Grund stößt, äußert sie den Wunsch von dem Pilger an Land getragen zu werden, da sie sich unter diesen Umständen, in denen sie sich befindet, nicht von einem Ritter an Land tragen lassen will. Ihr Wunsch wird in die Tat umgesetzt. Die List, die sich dahinter verbirgt, besteht darin, dass sich Tristan mit Absicht hinfallen lässt als er das Ufer erreicht. Er lässt es aber wie einen Unfall erscheinen. Daraufhin eilt das Gefolge Isoldes herbei um ihn zu bestrafen. Isolde hält diese jedoch zurück und erweist dadurch ihre angebliche Milde. Der Sturz Tristans und die darauf folgende Vergebung Isoldes ermöglichen im nachstehenden Gerichtsverfahren die zweideutige Rede, mit der die List vollendet wird.

4. Die Fremdheit der Gottesdarstellungen aus heutiger Sicht

4.1 Die Verfügung über Gott in der Episode des Moroldkampfes

Wie die Menschen über Gott verfügen, wird besonders durch die Argumentation Tristans in der Morold- Episode deutlich. Hier erklärt er, dass die Tributforderung Morolds nicht rechtmäßig ist. Dieser Rechtszustand, so Tristan, gründet nämlich auf Gewalt, dies macht ihn illegitim. Durch jene Argumentation stellt er im darauf folgendem Kampf, nicht sich selbst in Gottes Dienst, wie dies laut der christlichen Theologie zu erwarten wäre, sondern Gott tritt in den Dienst von Tristan. Denn dieser soll ihm, da er im Recht ist, nun zur Seite stehen.

In dieser Darstellung ist Gott aber keine oberste Rechtsinstanz mehr. Er übernimmt hier eher die Funktion eines Befehlsempfängers15 der Menschen. Denn allein die Menschen haben die Maßstäbe des ‚irdischen‘ Rechts gesetzt. Gott steht hierbei nur die Aufgabe zu, die Handlungen dieser zu legitimieren. Zusammenfassend kann man diesen Umstand wie folgt beschreiben: ‚Der Mensch denkt und Gott lenkt‘. Bei einer derartigen Lenkung steht diesem allerdings kein Mitspracherecht mehr zur Verfügung. Das Urteil wird also nicht von Gott, als einer unabhängigen Rechtsinstanz, gefällt.16 „In den Gottesurteilen erblicken die Menschen wie in einem Spiegel nur das, was sie selbst zuvor festgesetzt haben.“17

[...]


1 Meissburger, Gerhard: Vorläufige Bemerkungen zu der Funktion Gottes in Gottfrieds Tristan, in: Studien zur deutsche Literatur und Sprache des Mittelalters. Festschrift für Hugo Moser zum 65. Geburtstag, Berlin 1974, S. 135

2 Ebd., S. 138

3 Ebd.

4 Carls, Ottmar: Die Auffassung der Wahrheit im ‚Tristan‘ Gottfrieds von Straßburg, in: Hugo Moser/ Benno von Wiese, Zeitschrift für deutsche Philologie, Band 93, 1974, S. 11

5 Ebd., S. 12

6 Ebd., S. 14

7 Wolfgang Monecke, zitiert in: Ottmar Carls: a.a.O., S. 14

8 Erich Köhler, zitiert in: Ottmar Carls: a.a.O., S. 13

9 Meissburger, G.: a.a.O., S. 139

10 Ebd., S. 137

11 Ebd.

12 Ebd.

13 Fehr, Hans: Das Recht in der Dichtung, Bern 1923, S. 138

14 Ebd., S. 142

15 Schnell, Rüdiger: Die Rechtsgeschichte und Literaturgeschichte. Isoldes Gottesurteil, in: Akten des VI Inter- nationalen Germanisten Kongress, Basel, S. 91

16 Ebd.

17 Ebd.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Der fremde Gott im "Tristan" Gottfrieds von Straßburg
Hochschule
Universität Mannheim  (Philosophische Fakultät)
Veranstaltung
Proseminar
Note
2,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
15
Katalognummer
V14265
ISBN (eBook)
9783638197229
ISBN (Buch)
9783638787727
Dateigröße
400 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gott, Tristan, Gottfrieds, Straßburg, Proseminar
Arbeit zitieren
Susanne Fass (Autor:in), 2003, Der fremde Gott im "Tristan" Gottfrieds von Straßburg, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/14265

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