Empowerment, Case Management und Soziale Netzwerkarbeit


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

24 Seiten, Note: 2


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1. Definition Empowerment, theoretische Grundlagen und verschiedene professionelle Rollen

2. Bedeutung von Empowerment im Rahmen der Behindertenarbeit

3. Hindernisse und Widerstände bei der Verwirklichung von Empowerment

4. Definition Case Management, theoretischer Hintergrund und verschiedene Arbeitsfelder

5. Unterschiedliche Phasen im Case Management mit ihren Aufgaben

6. Einschätzung der praktischen Relevanz von Case Management

7. Definition Soziale Netzwerkarbeit, theoretischer Hintergrund und zentrale Aufgaben

8. Bedeutung sozialer Netzwerke für soziale Unterstützung und Netzwerkintervention

9. Einschätzung der Sozialen Netzwerkarbeit

10. Literaturverzeichnis

1. Definition Empowerment, theoretische Grundlagen und verschiedene professionelle Rollen

Soll eine Hilfe nicht altruistische Geste, sondern effektiv sein, so sind für wirksame Bemühungen in schwierigen Lebenslagen infrastrukturelle Vorgehensweisen notwendig (vgl. Stimmer 2006: 49). Diese infrastrukturellen Vorgehensweisen sind Techniken/Methoden des Eingreifens in das Leben und haben sich im Laufe der Zeit ad hoc entwickelt oder sind traditionell gewachsen. Zu den drei traditionellen oder auch klassischen Methoden gehören die Einzelfallhilfe, die Gruppenarbeit sowie die Gemeinwesenarbeit. Angesichts eines begrenzten Erfolges und im Rahmen einer lang anhaltenden Professionalisierungsdebatte entwickelten sich die Methoden seit den 1970er Jahren zu systematisch reflektierenden und kontrollierenden Konzepten weiter (vgl. Müller 2005: 1194). Inzwischen stehen, sich ständig weiterentwickelnde, Handlungsleitende Konzepte, wie Empowerment, Case Management und Soziale Netzwerkarbeit zur Verfügung. Sie beziehen sich zwar auf verschiedene Schwerpunkte und Ansätze, lassen sich jedoch nicht immer trennscharf voneinander differenzieren (vgl. Stimmer 2006: 49). Diese Arbeit versucht erst Empowerment, dann Case Management und Soziale Netzwerkarbeit fundiert zu definieren und voneinander abzugrenzen. Dabei werden verschiedene theoretische Grundlagen, professionelle Rollen, Aufgaben und auch Arbeitsfelder berücksichtigt.

Der Begriff Empowerment kommt aus dem angloamerikanischen Raum (to empower = befähigen , ermächtigen) und bedeutet einerseits in der Sozialen Arbeit ein allgemeines sozialpädagogisches Arbeitsprinzip und andererseits ein Handlungsleitendes Konzept (vgl. Stimmer 2006: 50). Als Handlungsleitendes Konzept wurde Empowerment in den 1980er Jahren u. a. von Julian Rappaport entwickelt, wobei es eine kritisch-emanzipatorische Forderung enthält, denn es sollen vor allem Techniken entwickelt werden, die Unmündigkeit abbauen und Autonomie stärken. Dabei werden auf die Selbsthilfekräfte eines jeden Einzelnen aufgebaut, welche zum Teil verschüttet oder nicht entwickelt sind.

Analog zu anderen diskriminierten Randgruppen sollen auch behinderte Menschen ermutigt werden, ihre eigenen Angelegenheiten in die Hand zu nehmen, Kompetenzen zu entdecken und den Wert selbst erarbeiteter Lösungen zu schätzen lernen (vgl. Metzler/Wacker 2005: 15). Nach Wolfgang Stark kann Empowerment jedoch nicht als eine Methode oder ein Handwerkszeug angesehen werden, vielmehr als eine professionelle Haltung, die den Fokus auf die Förderung von Potenzialen der Selbstorganisation legt. Daher repräsentiert Empowerment eine Haltung sozialen Handelns und stellt höchstens den Hintergrund professioneller Berufsidentität dar (vgl. Stark 1996: 159).

Das klassische Selbstverständnis der Sozialen Arbeit ist gekennzeichnet durch eine Defizitzuschreibung. Der Sozialarbeiter[1] sieht den Adressaten über die Zuordnung einer Zielgruppe mit kollektiven negativen Merkmalen und versperrt damit den Blick für etwaige brachliegende Ressourcen und Fähigkeiten. Eine solche Haltung, so die Überlegungen in den 1980er Jahren, unterstellt dem Adressaten Hilflosigkeit und fördert die Entmündigung durch fürsorgliche Belagerung (vgl. Galuske 2005: 269). Empowerment führt daher weg von einer defizit- und konfliktorientierten Sichtweise hin zu einer Ressourcenorientierung. Menschen sollen sich ermutigt fühlen, Selbstbestimmung über die Umstände des eigenen Lebens wieder anzueignen und zwar auf vier Ebenen: als Individuum, Gruppe, Organisation und Gemeinde. Sozialarbeiter sind dabei nicht marginal, sondern bieten dafür ihre Beratung, Begleitung und Unterstützung an und helfen, wo es nötig ist, die verborgenen Fähigkeiten zu wecken sowie ihre Bedeutung für die Lebensgestaltung aufzuzeigen (vgl. Stimmer 2006: 51). Für die theoretische Grundlage bietet sich eine Anzahl von Teilmodellen an. So gibt es z. B. das Colping-Konzept von Lazarus und Folkman, bei dem es um Bewältigungsstrategien gegenüber belasteten Erlebnissen geht oder das salutogenetische Modell von Antonovsky.

Antonovsky versucht zu beantworten, warum z. B. bestimmte Menschen trotz zahlreicher belastender Lebensbedingungen und gesundheitlicher Risikofaktoren keinen Zusammenbruch erleiden, woher ihre Stärken kommen und über welche Widerstandsquellen sie verfügen. Diese veränderte Perspektive hilft sowohl den Adressaten wie Sozialarbeiter, nicht nur in eine Richtung zu blicken, sondern den Entwicklungsprozess offen zu halten. Auch die Kritisch-emanzipatorische Sozialpädagogik von Giesecke und Mollenhauer betont die Emanzipation der Adressaten und die Lebensweltorientierte Sozialarbeit von Thiersch ist streng klientenorientiert, sie macht die Deutungsmuster der Adressaten zum Ausgangspunkt des professionellen Handelns (vgl. ebd. 2006: 53).

Auf der individuellen Ebene stehen die Interaktionsmedien Beratung, Unterstützung und Begleitung im Vordergrund. Ziel einer Intervention ist das Vermitteln von Hilfestellungen, mit denen die Adressaten Vertrauen in ihre eigene Lebensgestaltung gewinnen, verschüttete Kompetenzquellen entdecken und damit ihr Leben wieder in die eigene Verantwortung nehmen. Bei der Arbeit mit Gruppen steht die Förderung der Gemeinschaftsarbeit, wie Selbsthilfegruppen und Bürgerinitiativen, im Vordergrund. Primär werden Menschen miteinander in Verbindung gebracht, um sie beim Aufbau und der Gestaltung von verflochtenen Systemen zu unterstützen. Empowerment auf der institutionellen Ebene aktiviert Bürgerbeteiligung beim Erstellen und Durchführen von Programmen der Dienstleistungsunternehmen und Verbände. Die Adressaten werden dadurch partizipiert und sind damit nicht mehr den, oft nicht nachvollziehbaren, Entscheidungen der Administration ausgeliefert. In der Arbeit auf Gemeindeebene geht es in erster Linie um Schaffung eines Raumes für Selbstorganisation und Partizipation von Bürgern, Vertreter von Verbänden und Behörden, alle als gleichberechtigte Kooperationspartner. Neben der Entfaltung persönlicher Kompetenzen steht die Entwicklung einer gesundheitsfördernden Sozialpolitik im Vordergrund.

Der eigentliche Sinn des Empowerment erschließt sich aber erst in der Kontiguität dieser vier Ebenen zu einem übergreifenden Handlungskonzept, wobei die Umsetzung in der alltäglichen Sozialen Arbeit eine prekäre Aufgabe ist und ein Umdenken erfordert. Auch wird beim Empowerment eine gleichberechtigte Arbeitsbeziehung mit einer einfühlenden und unterstützenden Lebensweg-Begleitung eingefordert und dafür brauchen, nach Stimmer, Sozialarbeiter die nachfolgenden sechs, professionellen Rollen für die Soziale Arbeit (vgl. ebd. 2006: 54 ff.).

Die sechs professionellen Rollen fordern im Grunde nach die methodischen Kompetenzen des gesamten Methodeninstrumentariums sozialpädagogischen Handelns, deren Beherrschung zur Voraussetzung für effektives Handeln nach den Zielen des Empowerment wird. So nennt Stimmer als Erstes den Lebenswelt-Analytiker, welcher die Fähigkeit hat, die Mikropolitik alltäglicher sozialer Ungleichheiten, die in die Lebensgeschichte ihrer Adressaten eingebunden sind, transparent werden zu lassen. Damit soll der Circulus vitiosus erlernter Hilflosigkeit durchbrochen werden. Als Zweites wird der kritische Lebensinterpret erwähnt, welcher die Aufgabe einer stellvertretenden Lebensdeutung innehat. Dabei geht es um die Inszenierung eines verständigungsorientierten Dialogs, der sowohl retro- als auch prospektiv zu richten ist. Die dritte professionelle Rolle ist der Netzwerker und Ressourcenmobilisierer, welcher neue Kontakte stiftet, unterstützend den Weg begleitet und darüber hinaus Ressourcen zu mobilisieren hat, wobei es zum einen um das Aufdecken verfügbarer Ressourcen geht, aber zum anderen auch, um das Aneignen neuer Ressourcen. Die vierte ist der intermediäre Brückenbauer, wobei es primär um Vermittlungsarbeit zwischen Bürgern und Administration geht. Neben Hilfestellungen engagierter Bürger ist hier Mediationsarbeit zentral, um Kooperationsbereitschaft auf beiden Seiten aufrechtzuerhalten. An fünfter Stelle erwähnt Stimmer den Normalisierungsarbeiter, welcher beständig für das Recht der Klienten auf unkonventionelle Lebensentwürfe eintritt und damit die Toleranzzone für deren Eigensinn erweitert.

Dies soll zwar im Rahmen der gesetzlichen Grenzen geschehen, jedoch keine Anpassung an gesellschaftlich vorgegebene Normalitätsforderungen sein. Die sechste Rolle ist die des Organisations- und Systementwicklers, welcher spezifische sozialpolitische Fachlichkeit besitzt. Gemeint sind z. B. Beratungen gegenüber dem Gesetzgeber und Leitungsmitarbeitern in Verbänden und Verwaltung, wobei es um eine direkte Einmischung in Politikformulierung und Implementierung, im Interesse der machtlosen Populationen, geht (vgl. ebd. 2006: 57 ff.).

Das effektive Handeln des Sozialarbeiters ist in diesen sechs Rollen jedoch nicht im Sinne eines lebensfremden Perfektionismusstrebens zu sehen, sondern in dem Bemühen, der Praxisethik des Empowerment gerecht zu werden. Als ein Ansatz, der sich an Stärken und Kompetenzen orientiert, steht Empowerment außerdem für eine moderne Behindertenarbeit. Um dies zu verdeutlichen, wird die Bedeutung von Empowerment in der Arbeit mit Behinderten, im nächsten Kapitel, anschaulich dargestellt.

2. Bedeutung von Empowerment im Rahmen der Behindertenarbeit

Geschichtlich betrachtet wurden Menschen mit Behinderung ab dem 19. Jahrhundert zum Schutz der Öffentlichkeit in kirchliche Zucht- und Irrenhäuser untergebracht und somit erstmalig institutionell versorgt. Eine menschenwürdige Unterbringung oder adäquate Behandlungsmethode fand aus finanziellen und ideellen Gründen nicht statt. Anfang des 20. Jahrhunderts begann eine Euthanasiedebatte, die sich mit der Frage beschäftigte, ob Sterbehilfe für unheilbar Kranke, Behinderte und Schwerstverletzte mit dem Zweck, ihnen qualvolles Leiden zu ersparen, sinnvoll wäre oder ob alleine Gott entscheidet, wann Menschen zu sterben haben. Auf dieser Grundlage stützte sich das rassenhygienische Gedankengut im Dritten Reich, als Gesetze das Töten von behinderten Menschen legitimierten. In der rassentheoretischen Auffassung der Nationalsozialisten war es das Ziel, „unwertes“ Leben (wenn das Leben eines Einzelmenschen keinen Sinn mehr für die Gemeinschaft hat) auszumerzen. So wurden in Deutschland weit mehr als 100.000 Menschen mit Behinderung systematisch in den dafür eingerichteten Tötungsanstalten vergast oder medikamentös ermordet (vgl. Karschuk/Stauber 2002: 193-202).

In der Nachkriegszeit wurden Menschen mit Behinderung weiterhin in Anstalten untergebracht, jedoch begann in den 1970er Jahren eine Neuorientierung der Heilpädagogik, welche mit neuen Werten wie Selbstbestimmung, Autonomie, Selbstverwirklichung, Freiheit, Emanzipation und individuelles Glück, Veränderungen bewirkte. Das Empowerment-Konzept hielt Einzug in die Arbeit mit Behinderten. Empowerment betrachtet dabei nicht die Behinderung, sondern den Menschen unter Einbeziehung seiner Lebensgeschichte, Interessen, Fähigkeiten und Stärken. Das Empowerment-Konzept öffnet damit einen neuen Blickwinkel: Gefragt wird nicht mehr, ob der Mensch behindert ist, sondern wie er behindert wird. Ist Herr S. behindert, weil er mit seinem Rollstuhl einen Bordstein nicht bewältigen kann? Oder behindert ihn der Bordstein? Betrachten wir den Menschen als defizitär? Oder sind die Möglichkeiten, die ein Mensch hat, defizitär? Die Neuorientierung der Heilpädagogik brachte einen Wertewandel, der zu einem veränderten Menschenbild führt. Behinderte werden in ihrer Person, ihrem So-Sein, akzeptiert und angenommen, dabei spielen sich Empowerment-Prozesse auf den vier oben genannten Ebenen ab.

Empowerment stellt außerdem Machtverhältnisse in Frage, denn wer bestimmt hier was? Viele Regeln zur Alltagsstrukturierung werden nicht von den betroffenen Menschen, sondern von dem Betreuer aufgestellt. Hier setzt Empowerment eine Fähigkeit zur Selbstbestimmung voraus, denn wenn Strukturen bestehen oder geschaffen werden, wird es möglich sein, diese Fähigkeit zur Selbstbestimmung herauszubilden. Menschen mit Behinderung können lernen oder ermutigt werden, (wieder) selbst zu bestimmen, ihr Leben in größtmöglicher Eigenverantwortung selbst zu gestalten (vgl. ebd. 2002: 196 ff.).

[...]


[1] Gemeint ist immer die weibliche und männliche Form.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Empowerment, Case Management und Soziale Netzwerkarbeit
Hochschule
Universität Lüneburg  (Fachbereich Sozialwesen)
Veranstaltung
Basismethoden und Handlungsleitende Konzepte
Note
2
Autor
Jahr
2007
Seiten
24
Katalognummer
V142701
ISBN (eBook)
9783640539321
ISBN (Buch)
9783640540099
Dateigröße
553 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Empowerment, Case, Management, Soziale, Netzwerkarbeit
Arbeit zitieren
Bachelor Sozialpädagogin/Sozialarbeiterin (Uni) Heike Meyer (Autor:in), 2007, Empowerment, Case Management und Soziale Netzwerkarbeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/142701

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