Lieder oder Stücke über den Tod finden sich bei vielen Komponisten. Aber Lieder explizit über den Tod von Kindern, also Kindertotenlieder, sind da schon eine Ausnahme. Es gehörte lange Zeit zum familiären Leben dazu, da im 18. Jahrhundert jedes vierte Kind das sechste Lebensjahr nicht erreichte. Auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts starben noch genauso viele Kinder im Kleinkindalter und selbst heute kommen, obwohl man kaum davon hört, in jedem Jahr ca. 20 000 Kinder und Jugendliche (bis fünfundzwanzig Jahre) in Deutschland ums Leben. Man kann sich nicht vorstellen, wie schwer es für die Familien ist, mit dem Tod eines Kindes zurechtzukommen, geschweige denn, den Tod mehrerer Kinder zu verkraften. Schon einige Ehen und Familien sind an solchen Unglücken zerbrochen und auch für überlebende Geschwisterkinder ist ein solcher Verlust schwer zu verstehen und zu verarbeiten. Obwohl die Anzahl der trauernden Angehörigen heute in die Hunderttausende geht und bei vielen ähnliche Gefühle und Abläufe auftreten, ist es für alle schwierig damit umzugehen, darüber zu reden und so den Schock abzubauen. Die Trauerphasen, die dabei durchlaufen werden, dauern bei jedem unterschiedlich lang und sind mehr oder weniger stark ausgeprägt, aber sobald der Betroffene alleine gelassen wird, kann es zu schweren Schäden kommen. Die Schwierigkeit ist also, die Betroffenen weder übermäßig zu betreuen, noch zu vernachlässigen. Viele Psychologen teilen die Trauer in vier Phasen ein, die von dem ersten „Nicht-Wahrhaben wollen“ bis zum "neuen Welt- und Selbstbezug" reichen. Die einzelnen Verarbeitungsmöglichkeiten sind in jeder Phase ein wenig anders und unterscheiden sich je nach Alter, Glaubens- und Lebenseinstellung des Trauernden. Einige ziehen sich absolut in sich zurück, während andere ihren Gefühlen Ausdruck verschaffen, was dann wiederum auf provokante, aggressive oder kreative Art passieren kann. Auch im 18. und 19. Jahrhundert, als die Kindersterblichkeit noch sehr viel höher war, äußerte sich die Trauer. So entstanden zum Beispiel Kindertotengedichte von Joseph Eichendorff und Hoffmann von Fallersleben, aber auch der heute weitgehend unbekannte Friedrich Rückert schrieb nach dem Tod zweier seiner Kinder ungefähr 400 Kindertotenlieder. Wie die Analyse der fünf von Mahler ausgewählten Werke zeigt, folgt diese scheinbar Selbstverständlichen Abläufen der Trauerverarbeitung [...]
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Kindertotenlieder: Inhalt und Analyse
3 Verarbeitung des Verlustes von Kindern
4 Die Trauer in den Kindertotenliedern
5 Schlussworte
6 Quellen- und Literaturangabe
1 Einleitung
Lieder oder Stücke über den Tod finden sich bei vielen Komponisten. Aber Lieder explizit über den Tod von Kindern, also Kindertotenlieder, sind da schon eine Ausnahme. Es gehörte lange Zeit zum familiären Leben dazu, da im 18. Jahrhundert jedes vierte Kind das sechste Lebensjahr nicht erreichte. Auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts starben noch genauso viele Kinder im Kleinkindalter und selbst heute kommen, obwohl man kaum davon hört, in jedem Jahr ca. 20 000 Kinder und Jugendliche bis fünfundzwanzig Jahren in Deutschland ums Leben. Man kann sich nicht vorstellen, wie schwer es für die Familien ist, mit dem Tod eines Kindes zurechtzukommen, geschweige denn, den Tod mehrerer Kinder zu verkraften. Schon einige Ehen und Familien sind an solchen Unglücken zerbrochen und auch für überlebende Geschwisterkinder ist ein solcher Verlust schwer zu verstehen und zu verarbeiten. Obwohl die Anzahl der trauernden Angehörigen heute in die Hunderttausende geht und bei vielen ähnliche Gefühle und Abläufe auftreten, ist es für alle schwierig damit umzugehen, darüber zu reden und so den Schock abzubauen. Die Trauerphasen, die dabei durchlaufen werden, dauern bei jedem unterschiedlich lang und sind auch mehr oder weniger stark ausgeprägt, aber sobald der Betroffene alleine gelassen wird, kann es zu mehr oder weniger schweren Schäden kommen. Die Schwierigkeit ist also, die Betroffenen weder übermäßig zu betreuen, noch zu vernachlässigen. Viele Psychologen teilen die Trauer in vier Phasen ein, die von dem ersten „Nicht-Wahrhaben wollen“ bis zum neuen Welt- und Selbstbezug reichen. Die einzelnen Verarbeitungsmöglichkeiten sind in jeder Phase ein wenig anders und unterscheiden sich je nach Alter, Glaubens- und Lebenseinstellung des Trauernden. Einige ziehen sich absolut in sich zurück, während andere ihren Gefühlen Ausdruck verschaffen, was dann wiederum auf provokante, aggressive oder kreative Art passieren kann. Auch im 18. und 19. Jahrhundert, als die Kindersterblichkeit noch sehr viel höher war, äußerte sich die Trauer. So entstanden zum Beispiel Kindertotengedichte von Joseph Eichendorff und Hoffmann von Fallersleben, aber auch der heute weitgehend unbekannte Friedrich Rückert schrieb nach dem Tod zweier seiner Kinder ungefähr 400 Kindertotenlieder.
Johann Michael Friedrich Rückert wurde am 16.5.1788 in der fränkischen Stadt Schweinfurt geboren. Als Erstgeborener bekam er noch „sieben Geschwister, von denen vier schon im zartesten Kindesalter starben.“[1] Bereits im Kindesalter entwickelte sich seine Liebe zur Natur und die Beschäftigung mit der „Lektüre älterer Sänger“[2] regte einerseits seine Dichtkunst an, weckte aber andererseits auch sein Interesse an alten Sprachen. Das Erlernen des Klavierspiels betrieb er ohne großen Erfolg, während ein „eiserner Fleiß“, Begabung und rascher Fortschritt ihn in seiner Gymnasialzeit (1802 – 1805) vor allem in alten Sprachen zu einem der Besten werden ließ. Im Anschluss an die Schulzeit nahm Rückert an der Universität zu Würzburg sein Studium zunächst auf Wunsch des Vaters in Jura, später in Philologie, Philosophie und Literatur auf. Die ersten Lieder und Gedichte, die in dieser Zeit entstanden stützten sich auf Sagen, später folgten zahlreiche politische Werke, in denen er über die nationale Einheit Deutschlands, Napoleon und die Bauernaufstände schrieb. Er intensivierte sein lyrisches Schaffen und „jetzt erst konnte er ein Dichter heißen.“[3] Schließlich habilitierte er 1811 in Jena und unterrichtete zwei Semester als Privatdozent. In den folgenden beiden Jahren verfasste er die so genannten „geharnischten Sonette“, die ihn bekannt und berühmt machten und inhaltlich gegen die „feindlichen Bedränger“[4] gerichtet waren. Wiederum vereitelten seine Eltern daraufhin, wie bereits nach Rückerts Studien in Würzburg, dass er in den Krieg zog. Am 26.12 1821 heiratete er Anna Luise Maria Magdalena Wiethaus (geboren 1797 in Bayreuth) und obwohl in diesen Jahren eine „übertriebene geistige Produktivität“[5] bei Rückert festzustellen ist, litt die junge und schnell wachsende Familie unter finanziellen Sorgen, die erst durch eine ordentlichen Professur für orientalische Sprachen 1826 in Erlangen endete, nachdem er „über ein Jahr zwischen Furcht und Hoffnung“[6] auf die Stelle gewartet hatte. Auch hier kommt er jedoch seinen Lehrverpflichtungen nur widerwillig nach und vertieft sich in Dichtung und Forschung. Das bringt ihm große Wertschätzung des bayrischen Königshauses, sodass er 1841 an die Berliner Universität berufen wird. Hier genoss er Privilegien wie eine großzügige Besoldung, angemessene Pension und lehrfreie Sommersemester, was ihn in der ungeliebten Großstadt hielt. In den Sommern floh er daher auf das von ihm 1838 erworbene Gut „Nattermannshof“, bevor er 1848 aufgrund der politischen Wirren durch die Bürgerrevolutionen die Stelle beendete. Seine Hoffnung auf größere Anerkennung des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. blieb unerfüllt[7] und so lebte er die letzten 18 Jahre auf dem Landgut bei Neusess. Hier zog er sich jedoch keineswegs zurück, sondern er beschäftigte sich mit Wissenschaft, Poesie und aktuellen politischen Problemen. Regelmäßig kamen auch Künstler, Freunde, Verwandte zu Besuch und Rückert empfing noch zahlreiche Ehrungen, Auszeichnungen und Huldigungen[8].
„Ein tiefer Schmerz trübte allerdings das heitere Glück seines Lebensabends. Am 26. Juni 1857 verlor Rückert seine Gattin und mit ihr die treuste, sorgsamste, ihm stets in gleicher Liebe verbundene Gefährtin in allem“[9] Rückert starb am 31. Januar 1866 in Neusess, wo ihn die Freude an der Natur und der Landschaft bis zuletzt aufheiterte.
Sein „Lebenskreis beginnt und endet in Franken“[10], aber seine Studien und Anstellungen führten ihn von Würzburg und Heidelberg über Jena und Dresden bis nach Berlin. In der Orientalistik fand er ein seinen Neigungen und Fähigkeiten entsprechendes Fachgebiet und sein freimaurerisch beeinflusstes Lebenswerk wurde teilweise erst nach seinem Tod veröffentlicht. Darunter befinden sich auch die 1872 von seinem Sohn veröffentlichten Kindertotenlieder. Die ungefähr 400 Gedichte unterschiedlicher Länge entstanden 1834, nachdem Rückert „den Verlust zweier kleiner Lieblinge, die um Neujahr 1834 dem Scharlachfieber erlagen“[11], verarbeitete. Von den um Weihnachten 1833 und Neujahr 1834 fünf erkrankten Kindern starben ein Sohn und eine Tochter, was Rückert dazu veranlasste täglich im Schnitt drei bis vier Gedichte zu deren Andenken zu verfassen, ohne sie veröffentlichen zu wollen. Die Sammlung der über 400 Gedichte wurde erst 1872 durch Rückerts Sohn der Öffentlichkeit dargeboten. In den Gedichten, von denen viele sehr naturnah sind, beschreibt Rückert das Leben der Kinder in der Familie und hofft, dass es ihnen in der Transzendenz gut ergeht. Die Gedichte gefielen Mahler, der hier sein Natur- und Weltbild wiederfand und so komponierte er aus fünf der Lieder Rückerts die so genannten „Kindertotenlieder“.
Gustav Mahler wurde am 7. Juli 1860 in Kalischt als ältester Sohn eines Gastwirtes und seiner Frau, geboren. Er wuchs mit fünf Geschwistern Ernst (1861-1875), Leopoldine (1863-1889), Justine (1868-1938), Otto (1873-1895) und Emma (1875-1933) und bekam bereits ab 1866 den ersten Klavierunterricht und bald darauf auch Harmonielehre; Bei seinem ersten öffentlichen Auftritt als Pianist war er erst 10 Jahre. Nach bestandener Matura (1877), trat Mahler in den „sich oppositionell verstehenden Wiener akademischen Wagner-Verein“[12] ein und begann er sein Klavierstudium bei J. Epstein am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. Hier hatte er neben Harmonielehre bei R. Fuchs, Kontrapunkt und Komposition bei F. Krenn und Musikgeschichte bei Adolf Prosnitz und fand in H. Wolf, H. Rott, A. Rosé, A. Krisper und R. Krzyzanowski begabte Mitschüler. Enge Freundschaft schloss er auch mit dem Musikwissenschaftler Guido Adler, dem Rechtsanwalt Emil Freud und dem Archäologen Friedrich Löhr. Wenig später belegte Mahler an der Universität Wien philosophische, histologische und musikgeschichtliche Kollegien sowie Harmonielehre bei Anton Bruckner. Trotz einiger Kompositionspreise wurde sein Wunsch nach einem Kompositionsstudium aber negativ beschieden. Mit dem abgeschlossenen Studium konnte er zunächst seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten und führte ein „sorgenerfülltes Leben, wobei Klavierunterricht ihm ein Auskommen sicherte“,[13] bis sich schließlich erste Erfolge als Kapellmeister einstellten. In den folgenden Jahren schlug er eine Karriere als Opernkapellmeister ein, die zunächst mit der Anstellung als Chor- und Musikdirektor am königlichen Theater in Kassel von 1883 – 1885 begann. Hier lernte er vom Intendanten Adolph Freiherr von und zu Gilsa strengste Pflichterfüllung, die es sowohl von den Anderen als auch von sich selbst zu fordern galt. Aus einer unglücklichen Liebe zur Sängerin Johanna entstanden die „Lieder eines fahrenden Gesellen“, die Mahlers ersten größeren Zyklus bildeten.
Nach dem Tod seiner Eltern 1889 übernahm Mahler verantwortungsvoll die Fürsorge für seine jüngeren Geschwister und „entschlossen seine Fähigkeiten nicht brach liegen zu lassen“ arbeitete er weiter an seiner Karriere, was ihm nach dem Posten als Operndirektor in Budapest, den er verließ nach dem dort der Intendant wechselte, eine Anstellung als Kapellmeister am Stadttheater in Hamburg einbrachte. Hier konnte er zum ersten Mal seine künstlerischen Ziele mit herausragenden Interpreten realisieren. Schließlich wurde Mahler für knapp zehn Jahre Hofoperndirektor in Wien, was für die Hofoper eine „künstlerisch herausragende Blütezeit“[14] und für Mahler den Höhepunkt seiner Karriere bedeutete. Mahler versuchte die besten zeitgenössischen Sängerinnen und Sänger an sein Haus zu binden, förderte aber auch Nachwuchsdirigenten wie Bruno Walter oder Alexander von Zemlinsky und realisierte zahlreiche Wiener Erstaufführungen und Uraufführungen. Für vier Jahre (1898-1901) übernahm er zusätzlich die Leitung der Wiener Philharmonischen Konzerte, was seinem dirigentischen Ansehen nicht unbedingt förderlich war, denn als Operdirigent war er unangefochten während er als Konzertdirigent aufgrund seiner eigenwilligen Interpretationen umstritten war. Vielleicht auch ein kleiner Beitrag dazu, dass er bis zur Jahrhundertwende als komponierender Dirigent beziehungsweise als Kapellmeister der auch komponiert, galt, während hieraus nach der Jahrhundertwende dirigierender Komponist wurde. Der Druck und die Publikation von drei Heften mit Liedern und Gesängen für Singstimme und Klavier bildeten einen Anfang und stetiger Nachschub der kompositorischen Produktion machte Mahler international bekannt. Recht schnell hatte Mahler zahlreiche Verehrer, zum Beispiel in den Schülerkreisen um Guido Ader und Arnold Schönberg. Aber zunächst begann sein privates Glück durch die Heirat mit Alma Schindler im März 1902. Durch diese Ehe erweiterte sich Mahlers Bekanntenkreis vor Allem um bildende Künstler und er bekam mit seiner Frau zwei Töchter, Maria Anna (1902-1907) und Anna Justine (1904-1988). Schließlich ließ er sich im Jahr 1907 als Direktor der Metropolitan Opera in New York nieder. Hier verdiente er in vier Wintermonaten genug, um das restliche Jahr als Gastdirigent durch Europa reisen konnte bis er dann am 18. Mai 1911 in Wien verstarb.
Während Mahler hauptsächlich Opern dirigierte (und in diesem Bereich auch sehr angesehen war), komponierte er hauptsächlich Sinfonien und Lieder. Im Lauf seines kompositorischen Wirkens näherte er die beiden Gattungen immer weiter einander an, indem er zum Beispiel Vokalstimmen in die Sinfonien aufnahm oder kompositorische Prinzipien in seinen Liedern verwendete. Häufig beziehen sich seine Lieder und Sinfonien aufeinander. Dennoch sind seine Lieder sehr sprachgebunden und in seinen Instrumentalsinfonien verwendet er cantable Melodien. In Fachkreisen war seine Musik noch 1894 sehr umstritten, was die Aufführungen nicht selten zum Misserfolg machte. Durch die kollegiale Freundschaft mit Richard Strauss konnte er sie immer wieder aufführen bis seine Werke schließlich gewürdigt wurden. Da er durch seine dirigentische Tätigkeit meist nur im Sommer komponieren konnte, erstreckt sich der Schaffensvorgang oft über mehrere Jahre. In seinen ersten Liedkompositionen ging er so vor, dass er dem Textinhalt seine musikalische Struktur überstülpte. In späteren Werken ging er mehr auf die Texte und die vorgegebenen Strukturen ein und schuf die Gattung des „Orchesterliedes“, die mit den anderen Liedkompositionen in Mahlers Gesamtwerk eine zentrale Stellung einnehmen.
Auch die Kindertotenlieder gehören zur Gattung der Orchesterlieder und nehmen als „Abschluss seines Liedschaffens“[15] und als Zyklus eine wichtige Position ein.
Das Schreiben „eines der persönlichsten Werke des Komponisten“[16], der Kindertotenlieder, nahm die Sommer 1901 und 1904 in Anspruch. Im ersten Sommer entstanden die Lieder eins, drei und vier, sowie vier weitere Lieder nach Texten von Friedrich Rückert, ein letztes Wunderhorn-Lied und die ersten beiden Sätze der fünften Sinfonie. Im zweiten Sommer, also 1904, folgten die Lieder zwei und fünf, die den Liederzyklus vollendeten.
Ein konkreter Anlass, wie der Tod eines eigenen Kindes oder ähnliches, ist auf den ersten Blick nicht erkennbar. Zwar hat Mahler auch den Verlust seiner ältesten Tochter zu beklagen, diese starb jedoch erst im Jahr 1907, also nachdem der Liederzyklus fertig und Uraufgeführt war. Bedenkt man aber, dass von Mahlers dreizehn Geschwistern nur fünf das Kleinkindalter überlebten und im Jahr 1901 nur noch drei Geschwister lebten, so ist das Anlass genug, ein solches Werk zu schreiben. Nachdem Mahler im Februar 1901 dann auch noch selbst „eine beinahe tödliche Erkrankung (einen Blutsturz) erlitten hatte, beschäftigte er sich während seiner Rekonvaleszenz intensiv mit der Thematik des Todes.“[17] So stehen in beinahe allen Kompositionen dieses Sommers mit dem Thema Tod in Verbindung und die Kindertotenlieder sind ein besonders emotionales Werk dieser Zeit. Aufgrund seines Glaubens fand Mahler die „Rückkehr in das Leben nach seiner Krankheit als beinahe schmerzlich“[18], weil ihm die Hoffnung auf die Erlösung in der Transzendenz erstmal wieder genommen wurde. Dieser feste Glauben ist auch in den Kindertotenlieder immer wieder zu spüren und letztendlich bringt diese Hoffnung auch die Erlösung von der Trauer.
Der Liederzyklus wurde am 29.1.1905 in Wien im Rahmen eines „Liederabends mit Orchester“, dem „2. Konzert der Vereinigung Schaffender Tonkünstler“, uraufgeführt, wobei Friedrich Weidemann den Solopart übernahm und Mahler selbst die Wiener Philharmoniker dirigierte. Die Kindertotenlieder wurden zuerst im Verlag C. F. Kahnt in Leipzig im Jahr 1905[19] verlegt und die erste kritische Ausgabe veröffentlichte Zoltan Roman, nach der Mahlerrenaissance der 1960er-Jahre, zu der Leonard Bernstein einen wesentlichen Teil beitrug, im selben Verlag (C. F. Kahnt, Wasserburg) 1979. Der Liederzyklus, der von einigen Wissenschaftlern als Abschluss seines Liedschaffens gesehen[20] wird, umfasst fünf Lieder, die einen gewissen „Parallelismus zu Mahlers und Rückerts Biographie“[21] aufweisen. Der Schein von Trost und Versöhnung wird durch die Komposition und die Lyrik der Stücke unnachgiebig kritisiert und die Trauerverarbeitung der zurückgebliebenen Eltern in verschiedenen Phasen dargestellt.
2 Kindertotenlieder: Inhalt und Analyse
Der als Schlüsselwerk[22] zum Verständnis von Mahlers Musik geltende Zyklus der Kindertotenlieder bildet trotz der unterbrochenen Kompositionszeit der Lieder und der langen Zeitspanne einen geschlossenen Zyklus, bei dem die Werke inhaltlich, aber auch kompositorisch eng miteinander verknüpft sind. Den Rahmen bilden das erste und das fünfte Lied, die nicht nur in der Tonart, D-Moll, Parallelen aufweisen, während die dazwischen liegenden Lieder in anderen Tonarten stehen, sich aber trotz unterschiedlicher Techniken und Stilmittel in das Gesamtkunstwerk einfügen. Die Besetzung des begleitenden Orchesters besteht neben einem vollen Streichersatz aus zwei Flöten und kleiner Flöte, zwei Klarinetten und Bassklarinette, vier Hörnern, Pauken, Harfe und Tam-Tam. Dazu kommen noch für Totenmusik typischen Instrumente, nämlich je zwei Oboen und Fagotte, sowie Kontrafagott und Celesta und Glöckchen, die für viele Komponisten das Himmlische oder die Erlösung symbolisieren. Die große und mit vielen Holzbläsern bestückte Orchesterbesetzung kommt jedoch nur selten in ganzer Fülle zum Einsatz, weil sich die Komposition meist auf kleinere Besetzungen oder solistisch eingesetzte Instrumente konzentriert. Die Singstimme in mittlerer Lage wurde von Mahler nicht auf ein Geschlecht festgelegt, passt aber aufgrund des Textinhalts besser zur männlichen Stimme und zur Vaterrolle. Mahler ändert Rickerts Texte außerdem leicht ab, verzichtete so auf die fünfhebigen Jamben und deutet ihn in seiner Musik aus. Das „was Rückerts Lyrik ungebrochen inszeniert [ist] die vermeidliche Sinngebung des Ganzen unter das das Schicksalhaft-Kontingente subsumiert wird“[23]. Sowohl die Lyrik als auch der Text kritisieren unnachgiebig den Schein von Trost und Versöhnung, denn der „dunkle Wohllaut“[24] und die „verhaltene Trauer“[25] der Lyrik werden zu einer „Trauer mit Gefasstheit“[26] vereint. Die „in ihrer Zurückhaltung beinahe klassisch[e]“[27] Wirkung von Musik und Text stößt auf das Verständnis einer breiten Hörerschaft. Musik und das „Spiel mit Bildern, Sinnbildern und konkreten Personifikationen“ passt zu Mahlers Vertonung, die die reine leidenschaftliche Trauer und das tröstliche Wissen um eine Erlösung im Jenseits auszudrücken mag. Mahler scheint in dem Zyklus religiös gefestigt und sich auf seinen Glauben stützen zu können. Aber als ihn die Zugehörigkeit zum Judentum an seiner Karriere hinderte, trat er zum Katholizismus über (1897). Sein Glauben scheint also nicht direkt mit einer bestimmten Religion verbunden zu sein, sondern von verschiedenen Theorien und menschlichen Erfahrungen geprägt zu sein. So schrieb er die Kindertotenlieder aus einer Sicherheit heraus, die er drei Jahre nach der Uraufführung, als seine älteste Tochter starb, umdeutete. Jetzt „empfand er das Werk als frevelhafte Herausforderung des Schicksals. Furchtbar erschüttert sah er hier seinen Glauben bestätigt, dass es ihm auferlegt sei, in seiner Musik sein eigenes Schicksal vorausahnend zu gestalten.“[28] Zur Zeit der Komposition der Lieder führte Mahler allerdings ein erfolgreiches und von freudigen Ereignissen geprägtes Leben: Er hatte eine feste Anstellung an der Wieder Hofoper, machte Alma Schindler einen Heiratsantrag und heiratete sie im darauf folgenden Jahr. Zusammen bekamen sie zwei Kinder (1901 und 1904) und so verstand Alma Mahler die Komposition der Kindertotenlieder nicht: "Ich kann es wohl begreifen, dass man so furchtbare Texte komponiert, wenn man keine Kinder hat, oder wenn man Kinder verloren hat. Schließlich hat auch Friedrich Rückert diese erschütternden Verse nicht fantasiert, sondern nach dem grausamsten Verlust seines Lebens niedergeschrieben. Ich kann es aber nicht verstehen, dass man den Tod von Kindern besingen kann, wenn man sie eine halbe Stunde vorher, heiter und gesund, geherzt und geküsst hat. Ich habe damals sofort gesagt: 'Um Gottes willen, Du malst den Teufel an die Wand!' Der Sommer war schön, konfliktlos, glücklich."[29] So Widersprüchlich, wie Alma Mahler die Komposition der Lieder sah, klingt an vielen Stellen auch die Musik. Auch die Thematik, in der Leben und Tod „unerträglich nah beieinander [sind], wenn gerade erst entstandenes Leben schon wieder verlischt“[30], wird durch Rückerts „Lyrik aus erster Hand“[31] und Mahlers einfühlsame aber auch kritische Musik genau getroffen.
[...]
[1] Franz Muckner: Friedrich Rückert in Bayrische Bibliothek von Karl von Reinhardstoettner und Karl Trautmann (Hrsg.) Buchnersche Verlagsbuchhandlung, Bamberg: 1890, Seite 4
[2] ebenda, Seite 5
[3] ebenda, Seite 8
[4] ebenda, Seite 12
[5] Jürgen Erdmann (Hrsg.): 200 Jahre Friedrich Rückert 1788-1866 Dichter und Gelehrter, Katalog der Ausstellung Coburg: 1988, Seite 25
[6] Franz Muckner: Friedrich Rückert in Bayrische Bibliothek von Karl von Reinhardstoettner und Karl Trautmann (Hrsg.) Buchnersche Verlagsbuchhandlung, Bamberg: 1890, Seite 22
[7] nach: Franz Muckner: Friedrich Rückert in Bayrische Bibliothek von Karl von Reinhardstoettner und Karl Trautmann (Hrsg.) Buchnersche Verlagsbuchhandlung, Bamberg: 1890
[8] Jürgen Erdmann (Hrsg.): 200 Jahre Friedrich Rückert 1788-1866 Dichter und Gelehrter, Katalog der Ausstellung Coburg: 1988, Seite 25
[9] Franz Muckner: Friedrich Rückert in Bayrische Bibliothek von Karl von Reinhardstoettner und Karl Trautmann (Hrsg.) Buchnersche Verlagsbuchhandlung, Bamberg: 1890, Seite 31
[10] Jürgen Erdmann (Hrsg.): 200 Jahre Friedrich Rückert 1788-1866 Dichter und Gelehrter, Katalog der Ausstellung Coburg: 1988, Seite 25
[11] Franz Muckner: Friedrich Rückert in Bayrische Bibliothek von Karl von Reinhardstoettner und Karl Trautmann (Hrsg.) Buchnersche Verlagsbuchhandlung, Bamberg: 1890, Seite 25
[12] Ludwig Finscher (Hrsg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart, zweite neu bearbeitete Ausgabe, Metzler, Stuttgart und Weimar.: seit 1994, Artikel zu Gustav Mahler
[13] Ludwig Finscher (Hrsg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart, zweite neu bearbeitete Ausgabe, Metzler, Stuttgart und Weimar.: seit 1994, Artikel zu Gustav Mahler, Spalte 814
[14] ebenda, Spalte 818
[15] Alexander Odefey „…von Gottes Hand bedecket“ Mahlers Kindertotenlieder als Ausdruck seiner Religiosität“ in Ulrich Tadday (Hrsg.): Musikkonzepte „Die Reihe über Komponisten“ Heft 136 Gustav Maler: Lieder, Richard Boorberg Verlag: 2007, Seite 94
[16] ebenda
[17] ebenda, Seite 79
[18] ebenda, Seite 80
[19] Peter Revers: Mahlers Lieder, Ein musikalischer Werkführer, Verlag C. H. Beck, in C.H.Beck Wissen von Siegfried Mauser (Hrsg.) München 2000, Seite 95
[20] zum Beispiel Alexander Odefey „…von Gottes Hand bedecket“ Mahlers Kindertotenlieder als ausdruck seiner Religiosität“ in Ulrich Tadday (Hrsg.): Musikkonzepte „Die Reihe über Komponisten“ Heft 136 Gustav Maler: Lieder, Richard Boorberg Verlag: 2007, Seite 94
[21] Oliver Fürbeth: Zu Mahlers zweiten Kindertotenlied in Musikkonzepte, Die Reihe über Komponisten von Heinz-Klaus Metzger und Rainer Riehn (Hrsg.) Heft 106 Gustav Mahler. Durchgesetzt? Oktober 1999edition text + kritik GmbH, München, Seite 33
[22] Alexander Odefey „…von Gottes Hand bedecket“ Mahlers Kindertotenlieder als Ausdruck seiner Religiosität“ in Ulrich Tadday (Hrsg.): Musikkonzepte „Die Reihe über Komponisten“ Heft 136 Gustav Maler: Lieder, Richard Boorberg Verlag: 2007
[23] Oliver Fürbeth: Zu Mahlers zweiten Kindertotenlied in Musikkonzepte, Die Reihe über Komponisten von Heinz-Klaus Metzger und Rainer Riehn (Hrsg.) Heft 106 Gustav Mahler. Durchgesetzt? Oktober 1999edition text + kritik GmbH, München, Seite 33
[24] Friedrich Heller (Hrsg.): Gustav Mahler, Eine Studie von Heinrich Kralik in österreichische Komponisten des 20. Jahrhunderts, Band 14 Verlag Elisabeth Lafite, Wien: 1968, Seite 48
[25] ebenda
[26] ebenda
[27] ebenda
[28] ebenda, Seite 49
[29] Peter Revers: Mahlers Lieder, Ein musikalischer Werkführer, Verlag C. H. Beck, in C.H.Beck Wissen von Siegfried Mauser (Hrsg.) München 2000, Seite 95
[30] http://www.schulmusik-online.de/anlagen/swr/MahlerKindertotenlieder.pdf
[31] zitiert nach http://www.schulmusik-online.de/anlagen/swr/MahlerKindertotenlieder.pdf
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