Seit den achtziger Jahren erlebt der Begriff der Zivilgesellschaft eine Renaissance. In Ostmitteleuropa diente er den Dissidenten als Leitbegriff der demokratischen Oppositionsbewegungen
und trug erheblich zur Delegitimierung der dortigen kommunistischen Regime bei. In den demokratischen Ländern Westeuropas erweist sich der Begriff Zivilgesellschaft als „Reflexionsbegriff“ der Demokratie, mithilfe dessen das Augenmerk auf systemimmanente Probleme liberaler Demokratien gerichtet wird. Dementsprechend wird der Begriff Zivilgesellschaft von vielen Forschungsgebieten aufgegriffen, von der politischen Philosophie und Ideengeschichte,
der Demokratietheorie und Transformationsforschung ebenso wie von der Dritte-Sektor und Politische-Kultur-Forschung. Klaus von Beyme merkt an, dass heute kaum ein Projektantrag ohne Bezug zur Zivilgesellschaft bewilligt werden würde und charakterisiert die Revitalisierung des Konzepts der Zivilgesellschaft als die letzte Ideologie des 20. Jahrhunderts. Die „Beschwörung der Zivilgesellschaft“ vermag somit Menschen und Gruppen verschiedenster Hintergründe zu begeistern, vom Wissenschaftler bis hin zum Globalisierungsgegner. Dies lässt bereits erahnen, dass sich hinter dem Terminus Zivilgesellschaft ein sehr vielschichtiger Begriff verbirgt, der oftmals zur Projektion populistischer Rhetorik oder utopisch-normativer Hoffnungen wurde.
Um die vielfältigen Essenzen des Begriffs aufzuspüren, versucht diese Arbeit Zivilgesellschaft begriffsgeschichtlich zu rekonstruieren. Dabei orientiert sie sich an der begriffsgeschichtlichen Methodik von Reinhart Koselleck. Prämisse der Arbeit ist, dass sich im Begriff der Zivilgesellschaft historisch-gesellschaftliche Veränderungen widerspiegeln, so dass der Begriff zum Indikator des historischen Wandels wird. Darüber hinaus ist der Begriff der Zivilgesellschaft durch eine normativ-utopische Ausrichtung gekennzeichnet und fungiert oftmals als positiv konnotierter Zukunftsentwurf und/oder politisches Programm. In dieser Funktion tritt die Zivilgesellschaft somit auch als Faktor eines soziopolitischen Wandels auf.
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Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Die Geschichte des Begriffs Zivilgesellschaft
- Methodik der Begriffsgeschichte
- Der Begriff der Zivilgesellschaft im geschichtlichen Verlauf
- Der Begriff der Zivilgesellschaft im aktuellen Diskurs
- Fazit
- Die Zivilgesellschaft in der Tschechoslowakei vor 1989
- Zivilgesellschaftliche Entwicklungen bis 1968
- Das Verhältnis von Staat und Zivilgesellschaft im Realsozialismus
- Zivilgesellschaftliches Denken in der Zeit der Normalisierung
- Die moralische Krise der tschechischen Nation
- Die Wiedergeburt der Zivilgesellschaft
- Zivilgesellschaft als politische Oppositionsstrategie
- Die Charta 77 als zivilgesellschaftliche Oppositionsbewegung
- Fazit
- Die Zivilgesellschaft in der Tschechischen Republik nach 1989
- Die Transformation der Zivilgesellschaft
- Revolution der Moral – Zivilgesellschaft in der Zeit der Liberalisierung
- Aufstieg und Niedergang des Bürgerforums in der Zeit der Institutionalisierung
- Zivilgesellschaft im Wandel zur Zeit der Konsolidierung
- Dualismus der Konzepte
- Václav Havels Moralismus
- Václav Klaus' Pragmatismus
- Zivilgesellschaftliche Entwicklungen im Dritten Sektor
- Zivilgesellschaft und Politische Kultur
- Dualismus der Konzepte
- Fazit
- Die Transformation der Zivilgesellschaft
- Resümee
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Masterarbeit zielt darauf ab, die begriffsgeschichtliche Entwicklung der Zivilgesellschaft am Beispiel der Tschechischen Republik zu untersuchen. Sie untersucht, wie der Begriff der Zivilgesellschaft im historischen Kontext, von der Antike bis zur Gegenwart, transformiert wurde und welche Bedeutung er im Wandel von der kommunistischen Diktatur zur demokratischen Gesellschaft im 20. Jahrhundert erlangt hat. Die Arbeit untersucht die Entwicklung des Begriffs der Zivilgesellschaft in der Tschechoslowakei vor und nach 1989, insbesondere die Rolle der Zivilgesellschaft in der Opposition gegen das kommunistische Regime und ihre Bedeutung in der Transformationsphase nach dem Fall des Eisernen Vorhangs.
- Die begriffsgeschichtliche Entwicklung der Zivilgesellschaft von der Antike bis zur Gegenwart
- Die Rolle der Zivilgesellschaft in der Opposition gegen das kommunistische Regime in der Tschechoslowakei
- Die Transformation der Zivilgesellschaft in der Tschechischen Republik nach 1989
- Der Wandel der Bedeutung des Begriffs der Zivilgesellschaft im Kontext des historischen Wandels
- Die Rolle der Zivilgesellschaft in der Gestaltung der politischen Kultur und des Dritten Sektors
Zusammenfassung der Kapitel
Die Arbeit beginnt mit einer Einleitung, die den Begriff der Zivilgesellschaft als einen wichtigen Bestandteil der zeitgenössischen politischen Debatte einführt. Sie beleuchtet die Relevanz des Begriffs in verschiedenen Forschungsfeldern und verdeutlicht seine Vielschichtigkeit.
Kapitel 2 analysiert die Geschichte des Begriffs der Zivilgesellschaft und stellt die Methodik der Begriffsgeschichte vor. Es beleuchtet die Entwicklung des Begriffs von der Antike bis zur Gegenwart, anhand prägender Autoren und im Kontext der aktuellen Diskussion.
Kapitel 3 widmet sich der Zivilgesellschaft in der Tschechoslowakei vor 1989 und analysiert die Entwicklungen bis 1968, das Verhältnis von Staat und Zivilgesellschaft im Realsozialismus und die Rolle des zivilgesellschaftlichen Denkens in der Zeit der Normalisierung.
Kapitel 4 beleuchtet die Transformation der Zivilgesellschaft in der Tschechischen Republik nach 1989. Es untersucht die Rolle der Zivilgesellschaft im Systemumsturz, in der Übergangsphase und in der Konsolidierungsphase.
Schlüsselwörter
Die Arbeit konzentriert sich auf die Analyse des Begriffs der Zivilgesellschaft in seiner historischen Entwicklung und im Kontext der politischen Transformation in der Tschechischen Republik. Die zentralen Themen sind die Begriffsgeschichte, der Wandel des Begriffs der Zivilgesellschaft, die Rolle der Zivilgesellschaft in der Opposition gegen das kommunistische Regime, die Bedeutung der Zivilgesellschaft in der Systemtransformation und die Entwicklung des Dritten Sektors.
- Quote paper
- M.A. Anett Browarzik (Author), 2007, Die begriffsgeschichtliche Entwicklung der Zivilgesellschaft in der Tschechischen Republik, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/143468