Du sollst nicht lügen! Ein Gebot, alt und von nahezu allen Menschen gebrochen. Polizeibeamte, Staatsanwälte und Richter müssen täglich unterscheiden: Wer lügt? Und wer sagt die Wahrheit? Aber auch im Alltag, sowohl im privaten als auch im öffentlichen Bereich, wird tagtäglich viel gelogen, worüber bei allen Wissenschaftlern, die sich mit diesem Thema befassen, wenig Dissens besteht. Von einigen Seiten wird sogar die Vermutung geäußert, dass die Täuschungsbereitschaft mehr und mehr ansteigt. Damit zusammenhängend steigt jedoch kaum die Toleranz gegenüber Täuschungen, sodass der paradoxe Zustand in der Gesellschaft entsteht, in der Lügen einerseits verbreitet sind, andererseits diejenigen, die beim Lügen erwischt werden, mit Sanktionen zu rechnen haben. Lügen gelten im Allgemeinen meist als niederträchtig, oft sogar als schwerer Verrat. Die Tatsache, dass jemand gelogen hat, wiegt in den Augen der anderen häufig schwerer als das Fehlverhalten, dass durch eine Lüge vertuscht werden soll. Doch warum haben Lügen einen solch schlechten Ruf? Warum gilt die Unterstellung einer Lüge als schwerwiegender moralischer Vorwurf? Die Antwort scheint einfach: da Vertrauen ein hohes Gut in unserer Gesellschaft darstellt und die Lüge das Vertrauen zwischen Menschen zerstört. Die Lüge wird als eine bewusste sprachliche Fälschung von Tatsachen, Emotionen und Meinungen eingesetzt, aber auch zur Unterstützung der reflexiven Geheimhaltung, wenn konkrete Nachforschungen oder unbedarfte Fragen des Ausgeschlossenen eine Reaktion erzwingen, wobei ein Ausweichen zu riskant oder unmöglich erscheint. An dieser Stelle wird deutlich, dass Lüge und Geheimnis eng miteinander in Verbindung stehen und nicht immer getrennt von einander betrachtet werden können. So unterscheidet auch Paul Ekman in seinem Buch „Weshalb Lügen kurze Beine haben“ (1989) zwei Arten der Lüge. Einerseits bezeichnet er die Lüge als „Verheimlichung“, wobei sie sich im passiven Verschweigen bestimmter Informationen zeigt; andererseits als „Fälschung“ und somit als die aktive Präsentation falscher Aussagen als wahr.
Ziel dieser Arbeit ist es beide Phänomene aufzugreifen, zu analysieren und zu reflektieren. In welchem Zusammenhang stehen Lüge und Geheimnis? Wie bedeutungsvoll sind Geheimnisse tatsächlich im Leben des Menschen?
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 1.1 Ziel der Arbeit
- 1.2 Vorgehen
- 2. Exkurs: Entwicklungspsychologie
- 2.1 Entwicklung der Lügen-Definition
- 2.2 Entwicklung der Lügen-Bewertung
- 2.3 Entwicklung der Lügen-Motive
- 2.4 Entwicklung der Lügen-Fertigkeit
- 3. Definition der Lüge
- 3.1 Verschiedene Definitionsvorschläge
- 3.1.1 Der moralische Aspekt: Negative Wertung vs. neutrale Wertung
- 3.1.2 Das philosophisch-theologische Modell: Wahrheitsbegriff vs. Lügenbegriff
- 3.2 Arbeitsdefinition
- 3.3 Verwandte Phänomene
- 3.3.1 Verstellung
- 3.3.2 Klatsch
- 3.3.3 Ironie
- 3.3.4 Irrtum
- 3.3.5 Selbsttäuschung
- 3.1 Verschiedene Definitionsvorschläge
- 4. Motive des Lügens
- 4.1 Sender-orientierte Motive
- 4.2 Empfänger-orientierte Motive
- 4.3 Beziehungsorientierte Motive
- 5. Techniken des Lügens
- 5.1 Ablenken
- 5.2 Erfinden und verfälschen
- 5.3 Über- und Untertreiben
- 5.4 Verheimlichen
- 5.4.1 Was sind Geheimnisse?
- 5.4.2 Geschichten über Geheimnisse
- 5.4.3 Arten und Merkmale von Geheimnissen
- 5.4.3.1 Formen von Geheimhaltung nach van Manen/Levering
- 5.4.3.1.1 Existentielle Geheimnisse
- 5.4.3.1.2 Kommunikative Geheimnisse
- 5.4.3.1.3 Persönliche Geheimnisse
- 5.4.3.2 Formen von Geheimhaltung nach Bellebaum
- 5.4.3.2.1 Behütete und offene Geheimnisse
- 5.4.3.2.2 Anvertraute und freie Geheimnisse
- 5.4.3.2.3 Einzel- und Gruppengeheimnisse
- 5.4.3.2.4 Einfache und reflexive Geheimnisse
- 5.4.3.1 Formen von Geheimhaltung nach van Manen/Levering
- 5.4.4 Wie und wo erfährt man Geheimnisse?
- 5.4.4.1 Geheime Orte
- 5.4.4.2 Geheimnisinhalte
- 5.4.5 Die moralische Qualität von Geheimnissen
- 5.4.5.1 Gute Geheimnisse
- 5.4.5.2 Schlechte Geheimnisse
- 5.4.6 Geheimnisse und ihre emotionalen Korrelate
- 5.4.6.1 Schuld
- 5.4.6.2 Scham
- 5.4.6.3 Verlegenheit
- 5.4.7 Privatheit und Geheimnisse
- 5.4.7.1 Begriffliche Klärung von Privatheit nach Rössler
- 5.4.7.1.1 Dezisionale Privatheit
- 5.4.7.1.2 Informationelle Privatheit
- 5.4.7.1.3 Lokale Privatheit
- 5.4.7.2 Geheimnisse als Unterkategorie von Privatheit
- 5.4.7.3 Privatheit am Beispiel StudiVZ
- 5.4.7.1 Begriffliche Klärung von Privatheit nach Rössler
- 5.4.8 Verheimlichen auf verschiedenen Altersstufen
- 5.4.8.1 Geheimnisse im Kindesalter
- 5.4.8.1.1 Kognitive Entwicklung: Entwicklungspsychologische und pädagogische Entwicklungsmodelle
- 5.4.8.1.2 Die Bedeutung von Phantasiewelten und Geheimnissen
- 5.4.8.2 Geheimnisse im Jugendalter
- 5.4.8.2.1 Tagebuchschreiben als gesellschaftlich anerkannte und verbreitete Geheimnisform
- 5.4.8.2.2 Geheimnisse als Freundschaftskriterium
- 5.4.8.2.3 Geheimnisse vor Eltern/ Erwachsenen
- 5.4.8.3 Geheimnisse im Erwachsenenalter
- 5.4.8.3.1 Geheimnisse vor den Kindern
- 5.4.8.3.1.1 Sexualität als gesellschaftlicher Tabu
- 5.4.8.3.1.2 Sucht
- 5.4.8.3.2 Geheimnisse in der Beziehung
- 5.4.8.3.3 Familiengeheimnisse
- 5.4.8.3.3.1 Individuelle Geheimnisse
- 5.4.8.3.3.2 Interne Geheimnisse
- 5.4.8.3.3.3 Geteilte Familiengeheimnisse
- 5.4.8.3.1 Geheimnisse vor den Kindern
- 5.4.8.1 Geheimnisse im Kindesalter
- 5.4.9 Pädagogischer Umgang mit Geheimnissen
- 6. Warum lügen Kinder?
- 6.1 Die Angst vor der Strafe
- 6.2 Der Wunsch nach Anerkennung
- 6.3 Verwechslung von Phantasie und Realität
- 6.4 Überforderung
- 6.5 Höflichkeit oder Rücksichtnahme
- 6.7 Schutz der Privatsphäre
- 6.8 Macht
- 6.9 Exkurs: Notlüge
- 7. Glaubwürdigkeitsurteil
- 7.1 Objektive Lügen-Indikatoren
- 7.2 Alltagstheorien
- 7.2.1 Sender-Charakteristika
- 7.2.2 Botschafts-Charakteristika
- 7.2.2.1 Soziale Erwünschtheit
- 7.2.2.2 Plausibilität/ Häufigkeit
- 7.2.2.3 Emotionalität
- 7.2.2.4 Intimität
- 7.2.2.5 Verifizierbarkeit
- 7.2.3 Detektoren-Charakteristika
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht den Umgang mit Geheimnis und Lüge, insbesondere bei Kindern. Ziel ist es, entwicklungspsychologische Aspekte des Lügens zu beleuchten und verschiedene Motive, Techniken und die Bewertung von Lügen zu analysieren. Der Fokus liegt auf dem Verständnis der komplexen Beziehung zwischen Wahrheit, Lüge und Geheimnis im kindlichen Kontext.
- Entwicklungspsychologische Aspekte des Lügens
- Motive hinter kindlichem Lügen
- Techniken des Lügens und Verheimlichens
- Der Begriff und die Bedeutung von Geheimnissen
- Glaubwürdigkeitsurteile im Kontext von Lügen
Zusammenfassung der Kapitel
1. Einleitung: Dieses Kapitel führt in die Thematik der wissenschaftlichen Arbeit ein und beschreibt das Ziel der Arbeit, welches darin besteht, den Umgang mit Geheimnis und Lüge empirisch zu untersuchen. Es skizziert das Vorgehen und die methodischen Ansätze, die im Laufe der Arbeit verwendet werden.
2. Exkurs: Entwicklungspsychologie: Dieses Kapitel bietet einen Überblick über die entwicklungspsychologischen Aspekte von Lügen. Es beleuchtet die Entwicklung der Definition, Bewertung und Motive von Lügen im Laufe der kindlichen Entwicklung, sowie die zunehmende Fertigkeit im Lügen. Dies bildet die Grundlage für das Verständnis der späteren Kapitel, da es den Kontext für die Interpretation der Ergebnisse liefert.
3. Definition der Lüge: Hier wird der Begriff „Lüge“ umfassend definiert und von verwandten Phänomenen wie Verstellung, Klatsch, Ironie, Irrtum und Selbsttäuschung abgegrenzt. Verschiedene Definitionsansätze werden vorgestellt und diskutiert, bevor eine Arbeitsdefinition für die vorliegende Studie formuliert wird. Diese präzise Definition ist essentiell für die konsistente Anwendung des Begriffs im weiteren Verlauf der Arbeit.
4. Motive des Lügens: In diesem Kapitel werden die Motive hinter dem Lügenverhalten analysiert. Es wird zwischen sender-, empfänger- und beziehungsorientierten Motiven unterschieden. Die detaillierte Betrachtung dieser Motive dient dem Verständnis der individuellen und situativen Faktoren, die das Lügenverhalten beeinflussen.
5. Techniken des Lügens: Dieses Kapitel beschreibt verschiedene Techniken, die beim Lügen angewendet werden, wie Ablenken, Erfinden, Verfälschen, Über- und Untertreiben sowie das Verheimlichen. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf Geheimnissen: ihre Definition, Arten, Merkmale, ihre moralische Qualität und deren emotionale Korrelate werden ausgiebig erörtert, ebenso wie der pädagogische Umgang mit ihnen in verschiedenen Altersstufen.
6. Warum lügen Kinder?: Dieses Kapitel untersucht die spezifischen Motive von Kindern beim Lügen. Es werden verschiedene Gründe erläutert, wie die Angst vor Strafe, der Wunsch nach Anerkennung, Verwechslung von Phantasie und Realität, Überforderung, Höflichkeit, Schutz der Privatsphäre, und der Machtaspekt. Die Zusammenhänge zwischen diesen Motiven und den im vorherigen Kapitel dargestellten Techniken werden hier vertieft.
7. Glaubwürdigkeitsurteil: Das abschließende Kapitel behandelt die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Aussagen. Es wird zwischen objektiven Lügenindikatoren und Alltagstheorien unterschieden, wobei letztere die Sender-, Botschafts- und Detektoren-Charakteristika berücksichtigen. Dieses Kapitel beleuchtet, wie Wahrheitsgehalt und Glaubwürdigkeit von verschiedenen Faktoren beeinflusst werden.
Schlüsselwörter
Lüge, Geheimnis, Entwicklungspsychologie, Kinder, Motive, Techniken, Glaubwürdigkeit, Moral, Privatheit, Wahrheit, pädagogischer Umgang.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zu: Umgang mit Geheimnis und Lüge, insbesondere bei Kindern
Was ist der Gegenstand dieser wissenschaftlichen Arbeit?
Die Arbeit untersucht den Umgang mit Geheimnis und Lüge, insbesondere bei Kindern. Sie beleuchtet entwicklungspsychologische Aspekte des Lügens und analysiert verschiedene Motive, Techniken und die Bewertung von Lügen im kindlichen Kontext. Ein besonderer Fokus liegt auf der komplexen Beziehung zwischen Wahrheit, Lüge und Geheimnis bei Kindern.
Welche Themenschwerpunkte werden behandelt?
Die Arbeit behandelt folgende Schwerpunktthemen: Entwicklungspsychologische Aspekte des Lügens, Motive hinter kindlichem Lügen, Techniken des Lügens und Verheimlichens, den Begriff und die Bedeutung von Geheimnissen, und Glaubwürdigkeitsurteile im Kontext von Lügen.
Wie ist die Arbeit strukturiert?
Die Arbeit gliedert sich in sieben Kapitel: Einleitung, Exkurs Entwicklungspsychologie, Definition der Lüge, Motive des Lügens, Techniken des Lügens (mit besonderem Fokus auf Geheimnisse), Warum lügen Kinder?, und Glaubwürdigkeitsurteil. Jedes Kapitel behandelt einen spezifischen Aspekt der Thematik und baut auf den vorherigen Kapiteln auf.
Was wird im Kapitel "Entwicklungspsychologie" behandelt?
Dieses Kapitel bietet einen Überblick über die Entwicklung der Definition, Bewertung, Motive und Fertigkeiten im Lügen im Laufe der kindlichen Entwicklung. Es liefert die Grundlage für das Verständnis der späteren Kapitel.
Wie wird der Begriff "Lüge" definiert?
Das Kapitel "Definition der Lüge" untersucht verschiedene Definitionsansätze und grenzt den Begriff "Lüge" von verwandten Phänomenen wie Verstellung, Klatsch, Ironie, Irrtum und Selbsttäuschung ab. Es wird eine Arbeitsdefinition für die Studie formuliert.
Welche Motive hinter dem Lügen werden analysiert?
Das Kapitel "Motive des Lügens" unterscheidet zwischen sender-, empfänger- und beziehungsorientierten Motiven. Die detaillierte Betrachtung dieser Motive soll das Lügenverhalten besser verständlich machen.
Welche Techniken des Lügens werden beschrieben?
Das Kapitel "Techniken des Lügens" beschreibt verschiedene Techniken wie Ablenken, Erfinden, Verfälschen, Über- und Untertreiben und Verheimlichen. Ein großer Teil dieses Kapitels widmet sich Geheimnissen: ihrer Definition, Arten, moralischen Qualität, emotionalen Korrelationen und dem pädagogischen Umgang damit in verschiedenen Altersstufen.
Warum lügen Kinder laut der Arbeit?
Das Kapitel "Warum lügen Kinder?" untersucht spezifische Motive kindlichen Lügens, wie Angst vor Strafe, Wunsch nach Anerkennung, Verwechslung von Phantasie und Realität, Überforderung, Höflichkeit, Schutz der Privatsphäre und Machtaspekte.
Wie wird das Glaubwürdigkeitsurteil von Aussagen behandelt?
Das Kapitel "Glaubwürdigkeitsurteil" behandelt die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Aussagen. Es unterscheidet zwischen objektiven Lügenindikatoren und Alltagstheorien, die Sender-, Botschafts- und Detektoren-Charakteristika berücksichtigen.
Welche Schlüsselwörter charakterisieren die Arbeit?
Schlüsselwörter sind: Lüge, Geheimnis, Entwicklungspsychologie, Kinder, Motive, Techniken, Glaubwürdigkeit, Moral, Privatheit, Wahrheit, pädagogischer Umgang.
Was ist das Ziel der Arbeit?
Das Ziel der Arbeit ist es, den Umgang mit Geheimnis und Lüge, insbesondere bei Kindern, empirisch zu untersuchen und entwicklungspsychologische Aspekte des Lügens, sowie verschiedene Motive, Techniken und die Bewertung von Lügen zu analysieren.
- Arbeit zitieren
- Sabrina Spahr (Autor:in), 2009, Du sollst nicht lügen - Eine empirische Studie zum Umgang mit Geheimnis und Lüge, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/143586